Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Philosophisches zum Nachdenken
SilverBullet
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#51 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von SilverBullet » Mo 5. Jun 2017, 21:52

Novalis hat geschrieben:Beantworte diese zwei Fragen: Wie kommt der Geist in die Materie und was ist der Mensch?
1.
Ich fange mal mit „was ist der Mensch?“ an:
Ein aus zusammenwirkenden biologischen Zellen aufgebautes Objekt, das eigenständig handelt – ein Mensch ist ein aktiver Körper (und sonst nichts).

2.
Weiter geht es mit „Wie kommt der Geist in die Materie?“:
Ich sage „gar nicht“, wobei ich keine Ahnung habe, was in deiner Frage „Geist“ sein soll.
Dass ich dennoch antworte, liegt daran, dass ich von nichts weiterem ausgehe, als dem aktiven Körper. Da werden jetzt einige zustimmen, denen ich wiederum nicht zustimmen kann, denn meiner Ansicht nach bekommt der Körper durch seine Aktivität auch keine „existenziellen Geist- oder Bewusstseinseigenschaften“ (Betonung liegt auf „existenziell“).

Das, was du als „grobstofflich“ bezeichnest, würde ich als „den Zellorganismus“ bezeichnen.
Das, was du als „feinstofflich“ bezeichnest, würde ich als „Zusammenhänge in der Aktivität des Gehirnzellverbundes“ bezeichnen.

Das ist dir aber ja alles schon bekannt.
Du möchtest vielmehr wissen, wie es zu der Situation kommt, bei der „du, dich für ein Ich hältst und dabei verwirrt bist, was denn das Ich eigentlich ist“.

Stell dir mal „Geist“ als eine Existenz vor (ich verwende dazu jetzt einfach mal ein halbdurchsichtiges schwebendes Nachthemd :-)).
Wenn diese Existenz etwas wahrnehmen können soll, dann muss eine Reaktion, also eine Art „Veränderung“ ablaufen, wobei jedoch die Existenz selbst unbeeindruckt bleiben soll (quasi: das Nachthemd soll die ganze Zeit ein Nachthemd bleiben und beim Wahrnehmen nur irgendetwas tun).

An dieser Stelle muss ich mein Nachhemdchen, wie einen Ballon entfleuchen lassen, denn ich habe keine Ahnung wie ein Nachhemd ein Wahrnehmungsverhalten zustande bringen soll :-)
Ich gehe mal davon aus, dass du das für „Geist“ auch nicht sagen kannst, also lass auch „ihn“ einfach mal ziehen.

Nun ist ein Wahrnehmungsverhalten eine besondere Art von Verhalten, soll heissen, es geht nicht um ein Materialverhalten, bei dem am Ende eine dauerhafte „Verformung“ vorliegt, sondern es geht um ein Verhalten, das die wahrnehmende Existenz ganz flexibel durchführen können muss, quasi „selbst nicht beeinflusst wird von den Vorgängen“, sondern nur eine Handlung durchführt und zwar eine reagierende Handlung.

Wahrnehmung kann man allgemein als „das Verstehen von Zusammenhängen“ beschreiben, d.h. es müssen Zusammenhänge erkannt und damit quasi „durchlaufen“ werden.

Wenn ich also eine Methode hätte, mit der „mein schwebendes Nachthemd“ Zusammenhänge durchlaufen können könnte und es vorab genügend gelernt hätte, dann könnte eine relativ gute (im Sinne von „umfassend“) Wahrnehmung ablaufen. Damit ist mein Nachthemd aber noch nicht bewusst, sondern würde wie ein automatisch reagierendes Nachthemd durch den Nachthimmel schweben.

Bewusst wird mein Stofffetzen dadurch, dass es (1.) die Zusammenhänge der Situationen derart umfassend durchläuft, dass die Handlungsfähigkeit des Nachthemds in Bezug zur Umwelt gesetzt wird und (2.) es innerhalb der Zusammenhänge zu einem ständig fortgesetzten „Überzeugungsverhalten“ kommt.

Zu 1.
Es geht hierbei sozusagen im einen einzelnen „Bewusstseinsschritt“, wobei dies alleine kein „Bewusstsein“ ist, sondern es geht „nur“ um das Durchlaufen der Zusammenhänge, die zu einem Zeitpunkt „X“ relevant sind, weil sie sich aus der aktuellen Situation ergeben.

Zu 2.
Mit „Überzeugungsverhalten“ meine ich hierbei ein Verhalten, das in festgelegten „Bahnen“ abläuft. Festgelegt durch die Zusammenhänge aus „der Handlungsfähigkeit des Nachthemds in Bezug zur Umwelt“.
Anders gesagt:
Beim Durchlaufen aus „zu 1.“ werden (zusätzlich zur Körper/Welt-Situation) auch noch die Verhaltensmöglichkeiten eines „Nachthemds in einer Umwelt“ berücksichtig, so dass sich ein Verlauf, also ein zeitlich fortgesetztes Verhalten „ergibt“. Dazu müsste es zu einer Berücksichtigung der Vergangenheit, also des bisherigen Ablaufes, kommen.

Wenn also aus dem Durchlaufen der Zusammenhänge eine Wahrnehmungsfunktion (sozusagen: das Nachthemd kann irgendetwas erkennen) entsteht, dann ist es immer aus der Perspektive „eines schwebenden Nachthemds in einer Umwelt“, denn diese Zusammenhänge sind immer dabei.
Insgesamt ergibt sich dadurch ein Verhalten, das sich nur um „Nachthemd in einer Umwelt“ drehen kann – es liegt eine Fixierung der Reaktion vor.
Wenn also mein Nachthemd über seine Situation etwas aussagen könnte, dann nur dass es ein Nachthemd in einer Umwelt ist. Das Nachthemd würde jedoch gar nicht wissen, wieso es zu diesem Schluss gekommen ist (der ja obendrein auch noch korrekt ist) :-)

Auf Basis eines Zusammenhangsaufbaus auf festgelegten Bahnen (im Sinne der Situation des Nachthemds) und einer ständigen Aktivität also einem ständigen Durchlaufen, erscheinen (mir) die ersten „Bewusstseinsfunktionen“ möglich zu sein.
Interessant dabei ist, dass die Technik zum Aufbau der Zusammenhänge eigentlich keine Rolle spielt – es geht nur um das Durchlaufen der Zusammenhänge (und zwar mit systemlokaler Gültigkeit!).

Weg mit dem Nachthemd und her mit Körper und Gehirn.

Das Gehirn ist ein Reaktionssystem der Superklasse, also ein Zusammenhangsspezialist, der in seiner Strukturflexibilität prinzipiell alle möglichen Zusammenhänge aufbauen könnte. Z.B. den Verlauf einer mathematischen Funktion in Form von Ein- und Ausgaben. Das würde jedoch nicht zu einem „Bewusstsein“ führen, denn diese Zusammenhänge drehen sich nicht um den Standpunkt eines aktiven Körpers in Bezug zu einer Umwelt.
=> nicht jede x-beliebige Situation führt zu einer Gehirnreaktion mit einem „Überzeugungsverhalten“.

Wenn sich aber das Gehirn in einem eigenständigen Körper befindet, bereits mit den ersten Zellen zu arbeiten beginnt, sprich die Zusammenhänge der Körpersignale durchläuft, mit dem Körper heranwächst (bereits im Mutterleib) und immer nur Daten aus der Perspektive „Körper in einer Umwelt“ bekommt, dann ist das Durchlaufen irgendwann umfassend genug, dass es zu einem stimmig fortgesetzten Überzeugungsverhalten à la „Erleben“ kommt.

„Bewusstsein“ ist kein Etwas, keine Fähigkeit und kein Zustand, den ein Gehirn automatisch hat, sondern es ist das gewachsene/aufgebaute Überzeugungsverhalten auf Basis des aktiven Körpers in einer Umwelt.

Auch wenn das Gehirn „das Verhalten“ stattfinden läst, so gilt dennoch:
=> „Ich“ ist der Körper.

Das Wort „Geist“ ist nicht notwendig (das Nachthemdchen auch nicht :-)).

Das, was ich hier geschrieben habe, ist ein grober Abriss und es müssen immer noch enorme Probleme gelöst werden, aber es ist definitiv der Ansatz einer Möglichkeit, den man letztlich auch tatsächlich überprüfen, also falsifizieren könnte.

Mein Text enthält zahlreiche Behauptungen, die man angreifen kann oder auch gerne mit „Geist“ zu erklären versuchen kann – auf geht’s…

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Halman
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#52 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Mo 5. Jun 2017, 22:01

Wie wäre es mit entwas antiken Imput zwischendurch?

Mit dem Auftritt von Platon begann gewissermaßen die klassische hellenistische Philosophie. Kritisierten seine Vorläufer noch insbesondere den Polytheismus, so rügte er in erster Linie die Sophistik und zwar wegen ihrer Hybris, weil sich die Sophisten die Weisen nannten.
Platon selbst zog es vor, sich in sokratischer Demut »Freund der Weisheit« zu nennen - Philosoph. Damit führte er den Begriff Philosophie ein.

Mir wurde zugetragen, dass Platon den relativistisch-skeptischen und amoralischen Sophisten mit einer abstrakten Morallehre begegnete, allerings habe ich hier nicht weiter nachgeforscht.

Platon war Schüler von Sokrates und er schöpfte aus dem Vermächtnis der frühantiken Vorsokratiker und ihrer Kunst des Argumentierens. So rühmt er Heraklid für seie Tiefe.
Womöglich inspiriert vom heraklitischen Logos, setzte Sokrates auf die Vernunft bei Argumenten. Die erinnert mich an die Aufklärung, insbesondere an Kant.

Platon kombinierte die Tendenz der Naturphilosophen, den Sinneswahrnehmungen mit Misstrauen zu begegnen und daher alles auf ein Urphänomen zurückzuführen, mit der abstrakten Mathematik der Pythagoreer. Dieser philosophische Background mag ihn in seinen Überlegungen zum berühmten Höhlengleichnis geführt haben, gem. dem wir nur verzerrte Abbildungen der Realität wahrnehmen, wie Schatten an der Höhlenwand.

Mit seiner komplexen Theorie war Platon eine außergewöhnliche Gestalt unter den Sokrateern, denn deren Fokus richtete sich mehr auf einer sittlichen Lebensweise. Vermutlich war Platon deshalb so erfolgreich.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#53 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Di 6. Jun 2017, 00:19

Halman hat geschrieben:Mit dem Auftritt von Platon begann gewissermaßen die klassische hellenistische Philosophie. Kritisierten seine Vorläufer noch insbesondere den Polytheismus, so rügte er in erster Linie die Sophistik und zwar wegen ihrer Hybris, weil sich die Sophisten die Weisen nannten. Platon selbst zog es vor, sich in sokratischer Demut »Freund der Weisheit« zu nennen - Philosoph. Damit führte er den Begriff Philosophie ein

Ein guter Einschub :thumbup: vielleicht könnten wir hier auch noch die Frage erörtern, was Propheten und Philosophen unterscheidet und was sie miteinander gemeinsam haben. Aus welcher Quelle kommt ihre Weisheit, ist es nicht die selbe Quelle? Der große Philosoph Alfred North Whitehead sagte: "Die sicherste allgemeine Charakterisierung der europäischen philosophischen Tradition ist die einer Reihe von Fußnoten zu Platon." ~ dazu sei gesagt, dass es Historiker und Kulturwissenschaftler gibt, welche die Theorie vertreten, dass die griechische Philosophie maßgeblich vom Osten beeinflusst wurde (Martin Litchfield West schrieb ein Buch darüber The East Face of Helicon: West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth) er kam in seinem Buch zu dem Schluss, dass es eine sehr reichhaltige und weit in die Geschichte zurückreichende Wechselwirkung und Austausch zwischen der griechischen und römischen Kultur in der vorchristlichen Zeit gab, ebenso mit den Propheten und Praktizierenden des Judentums aus dem Osten. Nicht der Clash of Civilization, sondern ihre Kommunion.

In den letzten sechzig Jahren wurden sich die Gelehrten zunehmend der Verbindungen der frühen griechischen Poesie mit den Literaturen des alten Nahen Ostens bewusst. Das neue Buch von Martin West übertrifft die bisherigen Studien in der Vollständigkeit und zeigt diese Zusammenhänge mit massiven und detaillierten Dokumentationen und zeigt, dass sie viel fundamentaler und weit verbreiteter sind, als bisher anerkannt wurde. Seine Umfrage umfasst Hesiod, die homerischen Epen, die Lyriker und Aischylos und schließt mit einer erhellenden Diskussion über mögliche Übertragungswege zwischen Orient und Griechenland.

Bild


Wer sich selbst und andre kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.

Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen, lass' ich gelten;
Also zwischen Osten und Westen
Sich bewegen, sei's zum Besten!

~ Johann Wolfgang von Goethe


Was viele nicht wissen: der Geheimrat Goethe lernte die arabische Sprache. Hier ein Beispiel seiner Schreibübungen:
Bild
Klassik Stiftung Weimar
J. W. v. Goethe (1749–1832) | Arabische Schreibübungen aus der Zeit des ›West-östlichen Divans‹, 1816 © Klassik Stiftung Weimar


Bei ihm war die Toleranz nicht nur eine hohle und leere Phrase (ich befürchte, dass es heute sehr oft nicht mehr als das ist, was ziemlich bedenklich ist, da eine hohle und leere political correctness sich sehr schnell in eine hohle und leere Ablehnung oder political ignorance wandeln kann), sondern sie beruhte auf einem wirklichen von Herzen kommenden Interesse. Er hat die Toleranz wirklich gelebt und verkörpert. Das könnte der Schlüssel für viele Probleme sein: weniger Toleranzgeschwätz, welches nur Maskerade, Schall und Rauch ist, dafür mehr echtes Interesse.

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Halman
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#54 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Di 6. Jun 2017, 21:04

Novalis hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Mit dem Auftritt von Platon begann gewissermaßen die klassische hellenistische Philosophie. Kritisierten seine Vorläufer noch insbesondere den Polytheismus, so rügte er in erster Linie die Sophistik und zwar wegen ihrer Hybris, weil sich die Sophisten die Weisen nannten. Platon selbst zog es vor, sich in sokratischer Demut »Freund der Weisheit« zu nennen - Philosoph. Damit führte er den Begriff Philosophie ein

Ein guter Einschub :thumbup: vielleicht könnten wir hier auch noch die Frage erörtern, was Propheten und Philosophen unterscheidet und was sie miteinander gemeinsam haben. Aus welcher Quelle kommt ihre Weisheit, ist es nicht die selbe Quelle?
Nein, das denke ich nicht. Das Besondere bei einem Propheten ist ja, dass seine Quelle eine göttliche ist (so zumindest der Anspruch).
Die Philosophen schöpften hingegen aus dem menschlichen Geist, sei es ihr eigener Verstand oder die Werke ihrer Vorläufer, die sich wiederum auf die menschiche Denkkraft zurückführen lassen.
Die Weissagungen der Prophetie beansprüchen diesen menschlichen Erkenntnisrahmen zu übersteigen.

Novalis hat geschrieben:Der große Philosoph Alfred North Whitehead sagte: "Die sicherste allgemeine Charakterisierung der europäischen philosophischen Tradition ist die einer Reihe von Fußnoten zu Platon." ~ dazu sei gesagt, dass es Historiker und Kulturwissenschaftler gibt, welche die Theorie vertreten, dass die griechische Philosophie maßgeblich vom Osten beeinflusst wurde (Martin Litchfield West schrieb ein Buch darüber The East Face of Helicon: West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth) er kam in seinem Buch zu dem Schluss, dass es eine sehr reichhaltige und weit in die Geschichte zurückreichende Wechselwirkung und Austausch zwischen der griechischen und römischen Kultur in der vorchristlichen Zeit gab, ebenso mit den Propheten und Praktizierenden des Judentums aus dem Osten. Nicht der Clash of Civilization, sondern ihre Kommunion.
Hm - das ist interessant. Ich kenne es so, dass das Judentum erst durch den Vormarsch von Alexander dem Großen mit dem Hellenismus in Berührung kam.

Novalis hat geschrieben:
In den letzten sechzig Jahren wurden sich die Gelehrten zunehmend der Verbindungen der frühen griechischen Poesie mit den Literaturen des alten Nahen Ostens bewusst. Das neue Buch von Martin West übertrifft die bisherigen Studien in der Vollständigkeit und zeigt diese Zusammenhänge mit massiven und detaillierten Dokumentationen und zeigt, dass sie viel fundamentaler und weit verbreiteter sind, als bisher anerkannt wurde. Seine Umfrage umfasst Hesiod, die homerischen Epen, die Lyriker und Aischylos und schließt mit einer erhellenden Diskussion über mögliche Übertragungswege zwischen Orient und Griechenland.

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Da muss ich passen. Danke für diese Ergänzung, Novalis.
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Halman
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#55 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Di 6. Jun 2017, 21:15

Aristoteles, der Begründer der Logik

Nach Sokrates und Platon war Aristoteles (* 384 v. Chr.; † 322 v. Chr.) einer der größten Denker der Antike. Soweit ich informiert bin, verhalten sich in der aristotelischen Philosophie („Physik“) alle Objekte gemäß ihrem Telos, daher fallen Steine zur Erde usw.
Im aristotelischen Weltbild wird absolut zwischen "unten" und "oben" unterschieden. Die Erde ist unten, der Himmel ist oben und schwere Dinge, wie Steine, haben ein Bestreben danach nach unten zu fallen.
Dies mag heute naiv anmuten, allerdings sollte man bedenken, dass es damals noch keine Gravitationstheorie gab.

Aristoteles verfasste nicht nur Schriften zur Physik und Metaphysik, sondern auch zur Poetik, politischen Theorie, Ethik und Logik und wurde damit zum Begründer der Logik.
Ein Internet-Freund von mir, welcher eine Übersetzung von Aristoteles gelesen hatte, erzählte mir, dass er in dem Werk über die Beziehung von Leib und Seele eine nahezu identische Formulierung las, die er schon aus einem Buch über die Vorsokratiker kannte.
Dies erscheint mir auch nicht verwunderlich, denn er stellte eine umfangreiche hellenistische Bibliothek, gewissermaßen eine „Universalenzyklopädie“ des antiken Wissens zusammen, wobei er wohl seine Schwerpunkte setzte.

Sein Widerspruchsprinzip ist ein Beispiel für die aristotelische Logik:
Was aber derjenige, der irgend etwas erkennen will, schon kennen muß, das muß er schon notwendig innehaben, wenn er an die Sache herantritt. Daß ein Prinzip von dieser Art unter allen das grundlegendste ist, ist augenscheinlich. Welches aber dieses Prinzip ist, wollen wir nunmehr aussprechen:
Es ist ausgeschlossen, daß ein und dasselbe Prädikat einem und demselben Subjekte zugleich und in derselben Beziehung zukomme und auch nicht zukomme.
Quelle: Hier.

Ein Prädikat ist eine Eigenschaft. Gemäß Aristoteles ist es logisch ausgeschlossen, dass einer Sache eine Eigenschaft nicht gleichzeitig (1) und in der selben Beziehung (2) zutrifft und nicht zutrifft (3).
Was sich widersprechen kann, sind Aussagen.

Könnte man dieses Prinzip mit folgender Notation darstellen?
~(A^~A)
bzw. nach anderer Konvention über die Junktoren
(A ∧ A).

Unsicher taste ich mich an die Prädikantenlogik heran.

Ist folgende Schreibweise korrekt?
Es gilt für alle Prädikate P
Es gilt für alle x
______________________________________________
Es gilt nicht, dass P für x gilt und dass P nicht für x gilt.

∀P
∀x
(P⊃x)∧( P⊃x)
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#56 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Di 6. Jun 2017, 21:39

Halman hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Mit dem Auftritt von Platon begann gewissermaßen die klassische hellenistische Philosophie. Kritisierten seine Vorläufer noch insbesondere den Polytheismus, so rügte er in erster Linie die Sophistik und zwar wegen ihrer Hybris, weil sich die Sophisten die Weisen nannten. Platon selbst zog es vor, sich in sokratischer Demut »Freund der Weisheit« zu nennen - Philosoph. Damit führte er den Begriff Philosophie ein

Ein guter Einschub :thumbup: vielleicht könnten wir hier auch noch die Frage erörtern, was Propheten und Philosophen unterscheidet und was sie miteinander gemeinsam haben. Aus welcher Quelle kommt ihre Weisheit, ist es nicht die selbe Quelle?
Nein, das denke ich nicht. Das Besondere bei einem Propheten ist ja, dass seine Quelle eine göttliche ist (so zumindest der Anspruch).

Das ist richtig. Ein Philosoph kann sich auf die Vernunft berufen, aber nicht auf eine höhere göttliche Autorität. Wenn ein Philosoph soetwas probiert, hat er seinen Beruf verfehlt :) Mir geht es hierbei jedoch um die Weisheit.

Alle Weisheit ist von Gott, dem Herrn, und ist bei ihm ewiglich. (Sprüche 2.6) (Sprüche 8.22) 2 Wer hat zuvor gedacht, wieviel Sand im Meer, wieviel Tropfen im Regen und wieviel Tage der Welt werden sollten? 3 Wer hat zuvor gemessen, wie hoch der Himmel, wie breit die Erde, wie tief das Wasser sein sollte? Wer hat Gott je gelehrt, was er machen sollte? (Jesaja 40.12-14) 4 Denn seine Weisheit ist vor allen Dingen. 5 Das Wort Gottes, des Allerhöchsten, ist der Brunnen der Weisheit, und das ewige Gebot ist ihre Quelle. 6 Wer könnte sonst wissen, wie man die Weisheit und Klugheit erlangen sollte?
http://www.bibel-online.net/buch/luther ... /sirach/1/

Mich persönlich interessieren die biblischen Texte (so wie alle anderen sogenannten Heiligen Schriften) primär als Buch der Weisheit. Die Weisheit verbindet Religion und Philosophie.

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#57 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Mi 7. Jun 2017, 00:32

Novalis hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:
Ein guter Einschub :thumbup: vielleicht könnten wir hier auch noch die Frage erörtern, was Propheten und Philosophen unterscheidet und was sie miteinander gemeinsam haben. Aus welcher Quelle kommt ihre Weisheit, ist es nicht die selbe Quelle?
Nein, das denke ich nicht. Das Besondere bei einem Propheten ist ja, dass seine Quelle eine göttliche ist (so zumindest der Anspruch).

Das ist richtig. Ein Philosoph kann sich auf die Vernunft berufen, aber nicht auf eine höhere göttliche Autorität. Wenn ein Philosoph soetwas probiert, hat er seinen Beruf verfehlt :) Mir geht es hierbei jedoch um die Weisheit.
Okay, allerdings sind die Quellen der Weisheit verschieden.

Novalis hat geschrieben:
Alle Weisheit ist von Gott, dem Herrn, und ist bei ihm ewiglich. (Sprüche 2.6) (Sprüche 8.22) 2 Wer hat zuvor gedacht, wieviel Sand im Meer, wieviel Tropfen im Regen und wieviel Tage der Welt werden sollten? 3 Wer hat zuvor gemessen, wie hoch der Himmel, wie breit die Erde, wie tief das Wasser sein sollte? Wer hat Gott je gelehrt, was er machen sollte? (Jesaja 40.12-14) 4 Denn seine Weisheit ist vor allen Dingen. 5 Das Wort Gottes, des Allerhöchsten, ist der Brunnen der Weisheit, und das ewige Gebot ist ihre Quelle. 6 Wer könnte sonst wissen, wie man die Weisheit und Klugheit erlangen sollte?
http://www.bibel-online.net/buch/luther ... /sirach/1/

Mich persönlich interessieren die biblischen Texte (so wie alle anderen sogenannten Heiligen Schriften) primär als Buch der Weisheit. Die Weisheit verbindet Religion und Philosophie.
Ja, das kann man ohne weiteres so sehen. Die Weisheitsliteratur nimmt in der Bibel einen großen Raum ein (Hiob, Psalmen, Sprüche, Kohelet, Hohelied).
Das Bibelbuch Prediger (Kohelet) ist ein philosophisches Werk, welches traditionell Salomo zugeschrieben wird.

Da Du so an Weisheit interessiert bist, hoffe ich dass Dich der Artikel Von Aristoteles zu Galilei interessiert.

In der Spätantike gab es vier große Schulen der Philosophie:
1) Platons' Akademie
2) Aristoteles' Peripatos
3) Epikurs' Kepos
4) die Stoa

Epikurs' Schule wurde indirekt von Sokrates und die Sokrateer beeinflusst, die anderen Schulen sogar direkt.

Zurzeit der Gnosis und des frühen Christentums beschäftigte sich Aristoteles' alte Schule meines Wissens vorwiegend mit der Sichtung und Archivierung ihrer alten Werke aus ihrer eigenen Tradition. Vermutlich wurde sie deswegen von den frühen Christen und der Alten Kirche kaum zur Kenntnis genommen und erst in der Aristotelesrezeption von Thomas von Aquin (* ~1225; † 7. März 1274) entdeckt. Infolgedessen wurde die aristotelische Physik so populär, dass sie bis ins 19. Jahrhundert hinein wirkte.

Epikurs Schule erscheint mir dogmatischer. Sie vertrat eine streng materialistische Ontologie, welche sich in einer atomistischen Physik ausdrückte.
In ihrer Ethik galt die Lust als Gut und die Unlust als Übel. Positiv wurde auch die Freiheit von Unlust als milde Form der Lust gewertet, sowie auch die körperliche Lust. Die geistige Lust wurde noch mehr geschätzt.
Anders als bei Platon starb die Seele notwendigerweise beim Tod. So diente das Philosophieren dem Training der Seele, um sein Leben nicht mit unnötigen Sorgen zu plagen.

Die Stoa entwickelte sich zur Staatsphilosophie Roms. Sie umfasste Rhetorik, strenger Pflichtethik und Logik. Die Stoiker waren Deterministen.

Der Apostel Paulus hielt auf dem Areopag eine stoisch-philosophische Rede. Gem. Apg 17:28 nahm er auf den kretischen Dichter Epimenides (ca. 600 v. Chr.) und den griech. Dichter Aratus (3. Jh. v. Chr.) aus Soloni in Zilizien und Kleanthes bezug, deren Auspruch sich ursprünglich auf den Göttervater Zeus bezog. Unter seinen Rezipienten waren auch epikureische und stoische Philosophen.

Zur kleinen Schule der Skeptiker (der Suchenden) werde ich mich später äußern. Nur soviel vorweg: Sie leugneten Wissen und glaubten gar nichts. So klein die Schule auch war, so groß war vermutlich das Aufsehen, dass sie erregten.
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#58 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Do 8. Jun 2017, 15:41

Wie ich bereits grob umrissen hatte, hatten die antiken Philosophen verschiedene Ideen zu mehreren Themenfeldern entwickelt.
Aus diesen Fundus wählten die die Kirchenväter der Alten Kirche jene Teile der hellenistischen Philosophie aus, die ihnen annehmbar erschienen und integrierten diese in ihrer Theologie. Insbesondere schöpften sie aus dem Neoplatonismus. Dieser soll teilweise im Lukas-Evangelium eingeflossen sein (was ich aber so nicht unterschreiben würde), ferner in einigen gnostischen Schriften und soweit ich weiß auch in der "karolingischen Renaissance".
Aristoteles fand, soweit ich weiß, bei den Kirchenvätern kaum Beachtung. Vielleicht galt er als "verdächtig" oder war schlicht unbekannt.
Dagegen kann eingewandt werden, dass sich wahrscheinlich viele aristotelische proto-wissenschaftliche Werke zu Themenfeldern, wie Physik, Metaphysik, Logik, Politik, Ethik, Literatur und über das Theater in der Bibliothek von Alexandria befanden.*
Wie dem auch sei, Aristoteles wurde erst durch Thomas von Aquin rehabilitiert und dies so erfolgreich, dass er sogar zum Inbegriff für die Philosophie wurde: Aristoteles wurde einfach »Der Philosoph« genannt.

Im Unterschied zu ihm finden sich bei Platon noch Mythen über die Weltentstehung. Hingegen war Aristoteles' Gott meines Wissens mythologisch nicht aktiv. »Der Philosoph« begründete die Logik und suchte nach der Erkenntnis, die sich hinter dem sinnlich Erfahrbaren verbarg. Soweit ich weiß, schöpfte er aus anderen philosophischen, mathematischen und astronomischen Schriften.
In den abrahamitischen Religionen erlangt der Mensch durch göttliche Offenbarungen, wie z.B. die Bibel, Erkenntnisse über Gott. Doch die hellenistische Philosophie von Xenophanes und Aristoteles vermochte eine „Erkenntnis“ in Form philosophischer Ideen über Gott durch „natürliche Vernunft“ zu erlangen.
Der Aristotelismus entsprach dem gesunden Menschenverstand. Mir wurde zugetragen, dass das aristotelische Weltbild laut Kuhn den "intuitiven" Bildern ähnelt, welche Kinder über die Natur haben.
Der kosmologisch-teleologischen Deutung der Welt folgend, war in der Aufklärungszeit die Auffassung verbreitet, dass man Gott durch das Buch der Natur erkennen konnte. Allerdings führte dieser Ansatz zum Deismus.

* In der Bibliothek von Alexandria dürften, neben philosophischen Werken, auch magische und religiöse Schriften, schöngeistige Literatur, politische Schriften, sowie autobiographische und biographische Texte, zeitgeschichtliche Historien und sonstige Abschriften und Notizen aufbewahrt worden sein.


Die vom Aristotelismus geprägte Scholastik brillierte mit verbaler Logik. Doch Galileo Galilei führte zurzeit der Kopernikaner mit dem Experimentum solum certificat eine grundsätzlich neue Methode ein. Er kombinierte das Experiment mit Mathematik und entwickelte damit die Naturphilosophie zur exakten Naturwissenschaft weiter. Diese neue naturwissenschaftliche Methode ist ein Paradigma in der Wissenschaftsgeschichte.
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#59 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Do 8. Jun 2017, 19:37

So, nun löse ich mein Versprechen ein, etwas zum Skeptizismus zu schreiben.

Eine recht interessante Entwicklung, die sich auf Platons Philosophie berief, war die akademische Skepsis der späten platonischen Akademie, in der man von der prinzipiellen Unerkennbarkeit der Wahrheit ausging.
Soweit ich informiert bin, wurde die Skepsis von Sextus Empiricus über einen Codices überliefert.

In der Skepsis geht es laut Sextus Empiricus darum anzuerkennen, dass wir gar nichts wissen können. Skeptiker lösen sich von sämtlichen Glauben und erlangt so Seelenruhe². Dabei werden Gründen Gründe, Erfahrungen Erfahrungen und Gründen Erfahrungen (und umgekehrt) gegenübergestellt und als Wahrscheinlichkeiten begriffen, womit das mangelnde Wissen der Menschen gezeigt wird - jedoch ohne irgendwas zu behaupten.

²In dem Abschnitt Pyrrhonische Skepsis wird hierzu erklärt:
Der Mainstream der universitär ausgebildeten Philosophen geht davon aus, dass griechische Philosophen durch Philosophieren einen Zustand der „Glückseligkeit“ (Eudaimonie) erstrebten, wofür die Erreichung des Gleichmuts oder der Seelenruhe (Ataraxie, Apathie) als Voraussetzung galt. Auch Pyrrhon bekannte sich zu dem Ziel, die Seelenruhe zu erlangen; er meinte, man könne es durch die skeptische Distanz zur unerkennbaren Wirklichkeit erreichen, da auch alles, was ein Begehren auslösen könnte, der Ungewissheit unterliege. Sextus Empiricus benutzt das Bild von der Ungestörtheit und „Meeresstille der Seele“. Somit steht der Skeptizismus auch für eine Lebensrichtung, eine ethische Grundhaltung, nicht nur für einen Standpunkt in der Erkenntnistheorie. Diogenes Laertios beschreibt die Zielsetzung so: „Als Endziel nehmen die Skeptiker die Zurückhaltung des Urteils an, der wie ein Schatten die unerschütterliche Gemütsruhe folgt (...).“

Demokrit, der Großvater der Atomtheorie, entzündete den ersten skeptischen Funken. Er leugnete die „sekundären“ Eigenschaften der Materie (Qualia wie süß, bitter usw.) und folgerte, dass diese nur scheinbar real sind.
Zenon leugnete das Phänomen der Bewegung, ebenso Epikur, welcher aber nicht am Materialismus zweifelte.
Die Feuer der Skepsis wurden in der akademischen Skepsis der Platonischen Akademie und der pyrrhonische Skepsis entfacht .
In der Neuzeit differenzierte sich der Skeptizismus weiter aus und formulierte neue Fragestellungen.

Die einzige Behauptung, die der Akademische Skeptizismus aufstellt, ist die, dass der Mensch nichts wissen kann. Der pyrrhonischen Skeptizismus bezweifelt sogar dies.

In der Lebenspraxis ist es notwendig, von Annahmen auszugehen. Das tägliche Erleben wird gemäß Sextus Empiricus von Skeptikern nicht geleugnet, jedoch werden die Theorien über die Welt stark angezweifelt bzw. negiert und unterscheidet zwischen Wahrheit und Evidenz. Daher halten Skeptiker an nützlichen Traditionen und der überlieferten Praxis fest.

Als 1562 von Henri Estienne das Werk über die skeptischen Hypothesen von Sextus Empiricus veröffentlich wurde, betrachteten neue Denker, wie Montaigne, Hume und Descartes, diese Haltung als eine Herausforderung. Am bekanntesten dürfte wohl der methodische Zweifel im cartesianischen Skeptizismus sein.

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Thaddäus
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#60 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Thaddäus » Fr 9. Jun 2017, 16:27

Novalis hat geschrieben: Das ist richtig. Ein Philosoph kann sich auf die Vernunft berufen, aber nicht auf eine höhere göttliche Autorität. Wenn ein Philosoph soetwas probiert, hat er seinen Beruf verfehlt :) Mir geht es hierbei jedoch um die Weisheit.
Dann scheinen sich bei dir Vernünftigkeit und Weisheit gegenseitig auszuschließen :) . Das scheint mir etwas gewagt, zumal der sophos, also der Weise, bei den Griechen vorzugsweise Philosoph ist, wie die Namengebung Philo-sophie ja auch hinlänglich deutlich macht. Zwar können auch Tragödiendichter wie Sophokles oder Aristophanes, Politiker wie Solon oder Perikles oder der blinde Seher Teiresias in Sophokles' Tragödie König Ödipus weise sein, aber die Priester z.B. gelten nicht als weise. Es wäre einem Griechen auch merkwürdig vorgekommen, Priester nur wegen ihrer Vertrautheit mit den Göttern als weise zu bezeichnen, da die Götter selbst nur als mehr oder weniger weise gelten: Pallas Athene ist weise, aber Dionysos oder Hepheistos gewiss nicht. Hepheistos wird oft sogar als ein bisschen dämlich dargestellt, über den sich die anderen Götter deshalb manchmal lustig machen (so betrügt ihn seine Frau und er bemerkt es nicht).
Sokrates gilt dagegen als der weiseste aller Menschen, wie es das Orakel von Delphi kundtut. Und er gilt als der Weiseste, weil er die grundsätzliche Begrenztheit seines Wissens erkennt. ;)

Novalis hat geschrieben: Mich persönlich interessieren die biblischen Texte (so wie alle anderen sogenannten Heiligen Schriften) primär als Buch der Weisheit. Die Weisheit verbindet Religion und Philosophie.
Na ja, ich weiß nicht so recht. Nirgendwo in der Bibel findet sich die schlichte, aber tiefgründige Einsicht eines Propheten, dass er im Grunde nichts weiß. Diese weise Einsicht hat eben ein Philosoph gefunden. Nirgendwo in der Bibel findet sich die beruhigende Erkenntnis, dass der Tod uns nicht betrifft, denn solange wir leben, ist der Tod nicht; und wenn wir tot sind, berührt uns dieser Tod ebenfalls nicht.

"Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr." (Epikur: Brief an Menoikeus.)


Was hältst du denn von folgender blasphemischen Idee:

Falls es einen Gott gibt, dann offenbart er sich gar nicht vor allem in religiösen Schriften, sondern vielmehr in den ganz erstaunlichen und vielfältigen Einsichten und Fragestellungen der Philosophen, den bemerkenswerten Erkenntnissen und Erfindungen der Natur-Kundigen, worunter ich auch die modernen Naturwissenschaftler und Techniker und alle Naturwissenschaften fasse; in den grandiosen künstlerischen Werken der Menschen, seitdem sie ihre Wohnhöhlen mit Szenen ihres täglichen Lebens ausschmückten und am Lagfeuer Heldengeschichten erzählten und Geschichten darüber, wie die Welt und das Universum entstanden usw.

Wenn sich im biblischen Weisheitsbuch irgendwo die Bemerkung fände: "Noch könnt ihr es nicht fassen, aber ich JHWH sage euch: dereinst werden die Menschen erkennen, dass die den festen Dingen innewohnende Energie dem Quadrat der Geschwindigkeit des Lichtes der Sonne gleich ist" (= E=mc2), dann würde ich sofort zum Gläubigen. Ich wäre schon begeistert, wenn sich irgendwo in der Bibel eine Auflistung der Axiome des Euklid fänden oder einige der erstaunlich klugen Argumente der pyrrhonischen Skepsis oder ein schlichter Hinweis auf Gödels Unvollständigkeitssatz. ;)
Aber das alles findet sich dort nicht. Diese ganz bemerkenswerten Einsichten und Erkenntnisse finden sich in anderen Schriften.

Aber wäre es nicht eine herrliche Offenbarung des allweisen Gottes der Hebräer und des Christentums (oder sonst einer Religion) gewesen, wenn dieser Gott sich selbst durch solche erstaunlichen Voraussagen und Andeutungen eben als allwissenden Gott in seinen Schriften offenbart hätte?
Er hat das nicht getan, - und darum zweifele ich an seiner Existenz und glaube, dass das Göttliche im Menschen und dessen vielfältigen existenziellen Erfahrungen und vielfältigen Erkenntnissen selbst liegt.
Gott ist eine Idee des Menschen, dass es etwas gibt, das mehr ist als er selbst. Gott ist auch eine Flucht des Menschen, vollständig für sich, seine Geschicke und seine Handlungen verantwortlich zu sein.

Und einmal mehr ist es Zeit, den Chor aus Sophokles Antigone zu zitieren:

"Viel des Unheimlichen ist, aber nichts
Ist unheimlicher als der Mensch.
Das jagt über das graue Meer
Vor dem winterlichen Föhn
Dahin unter stürzender Wogen
Gewölbe sicher ans Ziel.
Der Göttinnen heiligste, die Erde
Die ewig quellende, die nie müde
Quält er mit kreisendem Pflug, jahrein jahraus
Wenden auf ihr die Gespanne.

[...]

Sprache, der Gedanken
Luftigen Hauch, und zu gesetzllicher
Siedlung sanftwilligen Geist
Bracht' er sich bei,
Und der Witterung Ungemach,
Der klaren Kälten und des Regens
Pfeile zu meiden,
Der Nimmer-Verlegene: verlegen
Geht er an kein Künftiges - vorm Tod allein
weiß er sich kein Entrinnen;
Aus Siechtum letzter Not doch
Sann er sich Wege.

[...]

Im erfindenden Geiste
Nimmer verhoffter Dinge Meister,
Geht er die Bahn, so des Guten
Wie des Bösen;
Hält er hoch die Gesetze der Heimat
Und der Götter beschworene Rechte,
Volkes Zier: Volkes Fluch," (...)
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 9. Jun 2017, 20:20, insgesamt 2-mal geändert.

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