Es ist halt komplex und macht Mühe sich damit zu beschäftigen.
Hermeneutik ist (besonders heutzutage) ein philosophischer Fachbegriff, der sich ganz universell auf das Verstehen an sich (von allem möglichen) bezieht. Es gibt nicht nur eine Hermeneutik, sondern eine ganze Reihe unterschiedlicher Konzepte zur Hermeneutik von verschiedenen Denkern. Das Ding ist sozusagen noch nicht fertig sondern noch in Arbeit.
Ähnlich verhält es sich mit der Exegese bei der es vornehmlich um das Verstehen von Texten geht. Auch da gibt es unterschiedliche Konzepte und die dazugehörigen Methoden, die alle auf vorgängigen hermeneutischen Setzungen beruhen. Das ist deswegen so, weil so ziemlich in allen hermeneutischen Konzepten ein immer schon vorhandenes Vorwissen vorausgesetzt wird, bevor man damit beginnt, irgendetwas verstehen zu wollen. Das ist sozusagen ein universelles hermeneutisches Gesetz dem der Mensch unterliegt.
Demnach gibt es überhaupt kein voraus-Setzungs-freies Denken. Auch der Satz "Cogito, e(r)go sum" ist nicht ohne eine Menge vorausgehender Voraus-Setzungen denkbar. Eine notwendige Voraussetzung ist z.B. die dabei verwendete Sprache und das Vorwissen um die Inhalte der Begriffe (die ja auch Setzungen sind): Ich, denken, sein. Dazu kommen die grammatischen Regeln (auch das sind Setzungen), die in diesem Satz angewendet werden. Um die Worte "Ich, denken und sein" verstehen zu können, muss man erst mal Mama, Papa, Hund, Katze, Maus verstanden haben und wie man seinen Kehlkopf und seine Zunge einsetzt. Vermutlich steht das "r" deswegen in Klammern, weil das Aussprechen dieses Buchstabens vielen besonders schwer fällt. Lange davor bedarf es allerdings des erworbenen Vorwissens, dass nur bestimmte Geräusche Muttersprache sind und andere Geräusche nicht: z.B. klapperndes Geschirr oder das Rauschen des WC's oder das Klopfen des Herzens der Mutter. Aber auch unterschiedliche Gotteskonzepte und neurologische Erkenntnisse scheinen für das Verständnis dieses banalen Satzes unerlässliches Vorwissen zu sein, was wiederum eine Fülle von Vorwissen voraussetzt, und so geht es weiter und immer weiter, während ich bin und denke, dass ich bin ...
Von daher ist es sehr verwunderlich, wenn jemand von irgendetwas behauptet, dass es keine Setzungen benötigen würde.
Der Hermeneutik und der Exegese bedienen sich unter anderem auch Theologen und diese haben dabei alle die Qual der Wahl, nach welchen hermeneutischen Kriterien und mit welchen Methoden sie ihre Exegese machen. Es hängt sehr davon ab - wer mit seinem persönlichen Vorwissen - welche hermeneutischen Kriterien für seine exegetische Arbeit anlegt. Je nachdem werden die daraus resultierenden Exegesen ganz unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen. Der aus diesen unterschiedlichen Exegeseformen resultierende Wahrheitsgehalt wird folglich auch auf ganz unterschiedlichen Verständnisebenen liegen, die sich aus den hermeneutischen Perspektiven und Fragestellungen ergeben.
Es geht bei der Hermeneutik und der Exegese darum "Etwas" zu verstehen, das können die Autoren sein oder die damaligen Leser oder die in den Texten beschriebenen Personen oder die Lebensumstände der jeweiligen Zeit oder die heutigen Leser und natürlich der Exeget, der die Exegese verfasst hat. Das Verstehen kann aber auch auf diejenigen abzielen, die aufgrund einer anderen Hermeneutik eine andere Form der Exegese anwenden (z.B. der Christ den Juden oder der Katholik den Protestanten oder der Atheist den Gläubigen) und nicht zuletzt kann man bei all dem auch sich selbst besser verstehen lernen und seinen eigenen Horizont erweitern und sein Vorwissen korrigieren und für zukünftige Verstandesaufgaben verbessern.
Wer glaubt, mit der "richtigen" Hermeneutik und der "richtigen" Exegese die Wahrheit in Händen zu halten, hat noch nicht einmal ansatzweise verstanden was Hermeneutik und Exegese ist - es ist im besten Fall ein beide Seiten bereichernder und hoffentlich niemals endender Dialog wohlwollender Menschen auf Augenhöhe.