Novalis hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Dies hat mit der historischen Entwicklung des Islam zu tun (s. o.). Eine Trennung vom Religiösen und Weltlichen ist eine Idee, welche im Widerspruch zum Glaubenssystem des sunnitischen Islam steht (ich meine, das dies auch für den schiitischen Islam gilt)
Die Wahrheit ist, dass Religion und Staat im Islam weder zwingend eins, noch uneins sind, weil das einzig und allein davon abhängt, wie die Menschen das hier und heute deuten und praktizieren wollen. Der Koran selbst lässt das offen. „Den“ Islam gibt es genau so wenig, wie „das“ Christentum getrennt von der konkreten Lebensweise der Menschen.
Danke für Deine Antwort, lieber Novalis. Allerdings scheint mir die Analogie zum Christentum unzutreffend zu sein (Äpfel sollte man nicht Birnen vergleichen), denn der Islam ist zwar mit den anderen abrahamitischen Religionen verwandt, aber dennoch theologisch verschieden. Zwar ist ihnen gemeinsam, dass sie sowohl Offenbarungs- und Schriftrelgionen sind, doch genau darin liegen auch die fundamentalen Unterschiede in den Glaubenssystemen, da dem Islam eine von der Bibel losgelöste, eigenständige Offenbarung (Al-Qur'an al-Karim) und Tradition (Sunnah) zugrunde liegt.
Ganz entscheidend für die abrahamitischen Religionen sind die Gründungsgeschehen. Im Judentum ist dies die Torah, im Christentum die biblischen Evangelien. Gemeinsam sind dem Judentum und Christentum der Tanach (AT).
Diese Gemeinsamkeit des Kanons als normative Größe gibt es im Islam in dieser Form nicht und das Gründungsgeschehen des Islam steht m.E. eher in Konkurrenz als in fortlaufender Tradition zu den älteren abrahamitischen Religionen und ist inhaltlich auch verschieden.
Grundlage für den Islam ist allen voran natürlich der Quran als ewiges Wort Allahs und die Sunnah, welche die Prophetenbiographien und die Ahadith umfasst. Als normative Größe gelten meines Wissens die Hadithe, die gem. der
Isnad (Überlieferungskette) als „sahih“ (gesund) und „hasan“ (schön) überliefert gelten (die Meisten Hadithe der Sunnah gelten als „daif“, also schwach überliefert). Wichtig ist auch SÄ«ra-Literatur (die älteste stammt von Ibn IshÄq), in welcher Mohammed als Prophet, Feldheer und Staatsgründer beschrieben wird.
Auch ist die prozentuale Verteilung der islamischen Strömungen verschieden von der unüberschaubaren christlichen Zersplitterung. Dazu habe ich dir eine Karte der
Badischen Zeitung rausgesucht:

Die Sunniten (mit ihren vier Rechtsschulen) umfassen dabei bereits global betrachtet um die 85% der Muslime. Die Schiiten sind als zweitgrößte Strömung mit 10% immerhin etwa doppelt so groß wie alle restlichen Strömungen (Ibaditen, Aleviten, Ahmadiyya Muslim Jamaat u. Bahaitum) zusammen genommen.
Gibt es „den Islam“?, fragt der Exmuslim und Islamkritiker Barino Barsoum führt die schriftlichen Quellen auf und stellt fest:
Man kann nicht oft genug betonen, dass genau diese Quellen erst eine islamische Identität geschaffen haben. Spricht man also von „dem Islam“, so handelt es sich um eine Religion, die auf diese Urquellen zurückgeführt werden muss. Das für den Islam immerwährende Dilemma ist nun, dass in genau diesen Quellen der Aufruf zur Gewalt steht.
Zu den vier sunnitischen Rechtschulen erklärt der
Orientdienst:
Die Rechtsschulen erkennen sich gegenseitig an, unterscheiden sich aber in einigen Lehrfragen, der Auslegung von Rechtsbestimmungen wie auch in Teilbereichen der religiösen Pflichtenlehre. Insgesamt sind die theologischen Differenzen aber nicht sehr groß.
Die moderate Koranexegese von Prof. Muhannad Khorchide kollidiert mit der traditionellen TafsÄ«r (auf Basis v. Al-Tabary) und der klassischen TafsÄ«r al-JalÄlayn (sowie Al-Qurá¹ubÄ« u. Ibn Kathir) und kann sich schwerlich in den 56 islamischen Staaten durchsetzen.
Gerade habe ich das Buch
"DER ISLAM - 1400 Jahre Glaube, Krieg und Kultur" vom SPIEGEL-Buchverlag aufgeschlagen. In einem dort abgedruckten Interview sagt der Islamwissenschaftler Mathias Rohe (Seite 72 im o.g. Buch):
Wenn ich erkläre, dass die Säkularität westlichen Typs nichts mit Religionsfeindschaft zu tun hat und dass unsere Verfassung allen Religionen breite Freiräume garantiert, löse ich große Verblüffung aus — in der islamischen Welt mit Säkularität allgemein mit Religionsfeindschaft gleichgesetzt. Die gleiche Reaktion habe ich übrigens bei Fortbildungen für Imame in Deutschland erlebt, denen ich Crash-Kurse über Säkularität gab.
Auf den Seiten 146—147 des SPIEGEL-Buches wird von Rainer Taub erklärt:
Hierzu gehört vor allem der Umstand, dass der militärisch-politische Blitzaufstieg der Muslime eine Trennung von Kirche und Staat, Religion und Welt erst gar nicht hatte entstehen lassen. Während das Christentum zunächst eine jahrhundertelange Untergrundexistenz führen musste, bildete die islamische Gesellschaft von Anfang an eine schlagkräftige Einheit von Religion und Staat, Herrscher und Untertanen. Eine überlieferte islamische Selbstbeschreibung fasst dies in einem einprägsamen Bild: »Der Islam, der Herrscher und die Menschen sind wie das Zelt, der Mast, die Stricke und die Pflöcke. Das Zelt ist der Islam, der Mast ist der Herrscher, die Stricke und Pflöcke sind die Menschen.«
Die Exmuslima, Menschenrechtlerin und Islamkritikerin Sabatina James sagt in ihrem Video
Integration der Muslime:
Man verdrängt gerne die Tatsache, dass der Islam ein theokratisches, sozio-politisches System ist, das das Leben der islamischen Gemeinschaft und das gesamte Leben der Gläubigen reguliert. Sich in einer nichtmuslimeschenen Gesellschaft zu integrieren ist eine Handlung gegen die islamischen Grundsätze.