Alles Teufelszeug? II

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Thaddäus
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#701 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Thaddäus » Di 29. Mär 2016, 22:09

Hallo Halman, schön von dir nach der Osterpause zu hören!

Halman hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Genau, - und rein sachlich gesehen, also vom einzigen ausgehend, was wir haben, nämlich den neutestamentlichen Schriften, hatte Jesus eine Naherwartung.
Dies lässt sich sehr wohl bestreiten.
Bestreiten kann man alles. Die Frage ist, ob es sich auch mit guten Gründen bestreiten lässt. Die Textbelege sprechen eine recht eindeutige Sprache, was Jesu Naherwartung angeht. Will man die in den Texten vorfindbare Naherwarung, wie sie aus den Jesusworten und auch bei Paulus recht offensichtlich hervorgeht und die ein offensichtlicher Irrtum der beiden darstellt, in eine Nicht-Naherwartung und damit keinen Irrtum umdeuten, dann muss man später eingefügte Zitate und andere Textstellen zu zeitlich frühen Textstellen erklären. Dem folgt aus guten Gründen kaum ein Exeget, - und Ausnahmen bestätigen in diesem Fall die Regel. Ich zumindest kenne keinen theologischen neutestamentlichen Kommentar zu den hierzu relevanten neutestamentlichen Texten, die nicht entsprechend einer Naherwartung von Jesus und Paulus kommentieren.

Halman hat geschrieben: Erstens spielt die Weltanschauung als hermeneutischer Zugang sehr wohl eine Rolle und zweitens basiert die Textexegese primär auf theoretischen Überlegungen (Rekonstruktion). Faktisch beweisbare Befunde der empirischen Textkritik sind nur ein Teil der umfangreichen Methodik.
Anders als die kanonische Exegese, vertritt die historisch-kritische Methodik keine spezielle Weltanschauung, es sei denn, du bezeichnest die Anwendung von in der Praxis bewährten philologischen Methoden bereits als eine Weltanschauung.
Die Anwendung der historisch-kritischen Methoden setzt weder voraus, dass Gott nicht existiert, noch, dass Gott-Vater - Sohn - und hl. Geist nicht wesensähnlich sind, noch, dass Jesus nicht leiblich auferstanden ist usw. Wenn closs solches dennoch behauptet, dann ist das schlicht falsch. Sie kann gleichermaßen angwendet werden von Menschen, die an sämtliche katholische Dogmen glauben oder an keines dieser Dogmen, von Atheisten, von Agnostikern und theoretisch auch von Evangelikalen. Ob sie die Methoden korrekt anwenden, lässt sich nämlich klar sagen, und auch, ob die so erzielten Ergebnisse der Methodenanwendung adäquat sind oder nicht. Es gibt durchaus unsichere Ergebnisse, wenn die Quellenlage nicht eindeutig ist. Dann kann man sich über die Sachlage und deren Konsequenzen streiten. Eine spezielle Weltanschauung oder gar Ideologie kann ich da weit und breit nicht erkennen. Die HKM wird nicht von Atheisten und Kirchenkritikern betrieben. Sie hat sich in der christlichen Theologie selbst ausgebildet und wird von zumeist gläubigen Christen wissenschaftlich angewendet. Ich möchte diesen Wissenschaftlern nicht absprechen, gläubig zu sein, wie auch immer sie die Ergebnisse ihrer Arbeit in ihren Glauben integrieren können.

Halman hat geschrieben: Und hier stelle ich einen fachlichen Fehler fest: Die Trinität wurde bereits vor dem Konzil ausgeformt. Schon vor dem Konzil gab es den arianischen Streit und auf diesem Konzil einigte man sich dann u.a. auf die Verbindlichkeit der Trinität. Die nach-nicäische Theologie wurzelt in der vor-nicäischen Theologie.
Vor dem Konzil war der Arianismus, der erklärt, dass ALLEIN der Vater Gott ist, Jesus aber nicht wesensgleich mit Gott und also nicht göttlich sein kann, der Glaube sehr vieler früher Christen. Die Wesensgleichheit Jesu mit dem Vater lehnten die Arianer ab, weil ihrer Ansicht dann kein Monotheismus mehr vorliegt, sondern Vielgötterei.
Auf dem Konzil von Nicäa hat man dadurch versucht, sich diesem berechtigten Vorwurf zu entziehen, dass man dogmatisch festlegte, dass Gott-Vater, Sohn und hl. Geist nicht wesensgleich, sondern nur wesensähnlich sind. Das ist eine ziemlich spitzfindige ad hoc-Defintion, die man überhaupt nur vor dem Hintergrund neuplatonischer Philosophie verstehen kann. Die Arianer wurden aber in der Folge einfach zu Häretikern erklärt und verfolgt.

Halman hat geschrieben: Schön, dass ihr so fröhlich seid. :D
Ohne ein hohes Maß an Humor lassen sich solche Streitgespräche überhaupt nicht ernsthaft führen ... :lol:

Halman hat geschrieben: Hast Du dich mit Zengers Ausführungen zur kanonischen Exegese beschäftigt? Ich hatte sie verlinkt.
Nein, ich habe auch ganz vergessen, wo du den wann verlinkt hast.
Aber um die Sache abzukürzen:
Stimmt es denn nicht, dass die kanonische Exegese den aktuellen Bestand an (katholischen) Glaubensüberzeugungen voraussetzt, damit man den Kanon überhaupt theologisch sachgerecht verstehen und intepretieren kann?
Wenn dem nämlich so ist, dann setzt diese Exegese als ein Prämisse bereits voraus, was historisch-kritische Analyse erst einmal bestätigen muss.
Diese Art der Theologie wurde umfassend im Mittelalter betrieben. Sie widerspricht aber dem grundsätzlichen Ziel wissenschaftlicher Arbeit: denn die soll überhaupt erst plausibel und wahrscheinloch machen, was wir (halbwegs) gesichert wissen können. Wenn die Berechtrigung von Glaubensinhalten ohenehin als wahr vorausgesetzt wird, dann muss man sie nicht mehr wissenschaftlich prüfen. Will man sie aber wissenschaftlich prüfen, dann müssen sich die Glaubensinhalte nach den mehr oder weniger gesicherten Ergebnissen der wissenschaftlichen Arbeit richten (und das Mehr-oder Weniger macht die Spielräume aus, in denen man sich bewegen kann). Wenn man wissen will, ob Quecksilber schädlich oder Kaugummi unschädlich ist, dann muss man sie chemisch und medizinisch untersuchen. Setzt man aber bereits voraus, dass sie unschädlich sind, dann erübrigt sich jede weitere Untersuchung.
Die kanonische Exegese ist in dieser Hinsicht zutiefst unwissenschaftlich. Und allein deshalb hat sie keinerlei Chance, sich an den Universitäten durchzusetzen. Denn es gibt kein zurück ins Mittelalter ... ;)

Halman hat geschrieben: Ich hatte mit mehreren Links nachgewiesen, dass die kanonische Exegese Thema in einigen Falkutäten ist. Dabei wird sie durchaus kritisch gesehen und keineswegs als Ersatz für die historisch-kritische Forschung gepriesen.
Die Erforschung der Rezeptionsgeschichte ist allerdings auch ein wichtiger Zweig. Savonlinna hatte dies wiederholt erklärt und wenn Du mir noch mal sagst, dass meine Position nicht ernst zu nehmen sei (weil ich ja nur ein Laie sei, denke ich mal) - nun, Savonlinna ist kein Laie. Lass es Dir doch von ihr erklären.
Nein, ich hebe nicht darauf ab, dass du oder andere keine theologischen Profis sind, denn ich bin es ja selbst nicht. ich schreibe keine profunden Kommentare zu neu- oder altestamentlichen Schriften. Ich habe genau 5 Semester ev. Theologie studiert, interessiere mich aber für das Thema, weshalb ich das ein und andere Buch dazu lese. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich verachte den Katholizismus nicht oder closs Ansichten zu den Themen hier, aber ich halte sehr viele Glaubensüberzeugungen von beiden für zutiefst falsch, auch für falsch im christlichen Sinne. Das ist meine Meinung dazu, die ich zu begründen versuche. Ich halte den Katholizismus in vielen seiner Glaubenüberzeugungen für hochgradig bedenklich. Aber das ist meine private Ansicht, wiewohl ich gute Gründe für diese Einschätzung zu haben glaube. Ich halte den Menschen für ein Wesen, welches ein tiefes bedürfnis danach verspürt, sich die Welt zu erklären, mal mit mehr, mal mit weniger Spiritualität. Ich habe meine eigenen Überzeugungen hierzu, und sie weichen von den Überzeugungen aller hier mitschreibenden Foristen offenbar doch erheblich ab. Aber es sind meine Überzeugungen ...

Halman hat geschrieben: Dies sieht Dr. Jürgen Spieß aber ganz anders.
ich weiß zear nicht, wer Dr. Spieß ist, aber ich versthe durchaus, warum evangelische und katholische Christen darauf pochen, dass der Kern des christlichen Glaubens die Auferstehung Jesu ist. Diese aber unbedingt leblich verstehen zu müssen, dies konnte ich nie nachvollziehen. Ich denke in umfassenderen geistigen Maßstäben ... :lol:
Übrigens: auch Karl Barth (ev.) oder Romano Guardini (kath.) waren großartige Theologen. Und beide widersprachen Rudolf Bultmann. Aber sie haben es auf eine sehr inteligente Weise getan und gleichzeitig mit Verständnis dafür, worum es Bultmann ging.

Salome23
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#702 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Salome23 » Di 29. Mär 2016, 22:30

Halman hat geschrieben:
Schön, dass ihr so fröhlich seid. :D



closs
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#703 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Di 29. Mär 2016, 22:39

SilverBullet hat geschrieben:Jeder 2D-Zweifler kann mit dem 3D-Lebewesen interagieren, kommunizieren und transportiert werden.
Wenn ein Zweifler offen für die Möglichkeit einer Über-Dimensionalität ist, dann ja. - Solche Menschen nennt man "gläubig" oder "glaubens-fähig".

SilverBullet hat geschrieben:Das sind alles Möglichkeiten, die keine Religion liefern kann.
Wenn man dies täte, würde der Naturalismus sagen: "Da es intersubjektiv nachweisbar ist, muss es naturalistischer Natur sein" - es würde somit kein Gedanke an ein "3D" verschwendet werden. - Vergiss es - es funktioniert nicht.

SilverBullet hat geschrieben:Hier geht es nicht um „glauben“, sondern um „erleben“
In der Praxis ist da eigentlich kein Unterschied.

SilverBullet hat geschrieben:Du glaubst nur, dass das, was du tust, ein „Glaube an Gott“ ist.
Davon abgesehen, dass dazu einiges einzuwenden wäre, ist Dein Satz allgemein korrekt - dieser Satz könnte mühelos variiert werden in: "Du glaubst nur, dass das, was Du tust, ein "Glaube an die Vernunft" ist".

SilverBullet hat geschrieben:Diese Aussage ist eine reine Suggestion, weil du damit den Leser/Zuhörer in dem Glauben lässt, dass du das Wort „Gott“ derart im Griff hast
Es ist eine Definition, ohne die ich glaube, dass das Wort "Gott" keinen Sinn macht - mehr nicht.

SilverBullet hat geschrieben:weil du laut deiner eigenen Aussagen keinen Inhalt hast und es dir egal ist
Weder noch. - Was "Gott" nach meiner Definition ist, werde ich nicht schon wieder wiederholen. - Das Wort "egal" fiel, als Du den Eindruck erweckst hast, es sei MEINE Sache, Dir Gott schmackhaft zu machen.

SilverBullet hat geschrieben:aber das ändert nichts am Suggestionsstatus.
Du bist ein gutes Beispiel dafür, wie man Glaube aus Outsider-Position versteht. - Etwas deprimierend, aber auch aufschlussreich.

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Münek
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#704 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » Di 29. Mär 2016, 23:37

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Jeder 2D-Zweifler kann mit dem 3D-Lebewesen interagieren, kommunizieren und transportiert werden.
Wenn ein Zweifler offen für die Möglichkeit einer Über-Dimensionalität ist, dann ja. - Solche Menschen nennt man "gläubig" oder "glaubens-fähig".

Nö - das von SilverBullet angeführte Interaktions-Beispiel hat mit Glaube an himmlische Mächte nichts zu tun.

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#705 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Di 29. Mär 2016, 23:45

Münek hat geschrieben:das von SilverBullet angeführte Interaktions-Beispiel hat mit Glaube an himmlische Mächte nichts zu tun.
Der Gedanke ist: Wer über 2D nicht hinaus-wahrnehmen kann, muss glauben, dass auf 2D stattfindende Phänomene höherer Dimension sein können. - Denn das, was über die eigene Wahrnehmung hinausgeht, ist nur durch Glaube zu fassen. - So einfach ist das.

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#706 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » Di 29. Mär 2016, 23:50

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Das sind alles Möglichkeiten, die keine Religion liefern kann.
Wenn man dies täte, würde der Naturalismus sagen: "Da es intersubjektiv nachweisbar ist, muss es naturalistischer Natur sein" - es würde somit kein Gedanke an ein "3D" verschwendet werden. - Vergiss es - es funktioniert nicht.

Natürlich würde es funktionieren. Wenn es Gott gäbe, wäre es für ihn ein Leichtes, zu BEWEISEN, dass er existiert.

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#707 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » Mi 30. Mär 2016, 00:03

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:das von SilverBullet angeführte Interaktions-Beispiel hat mit Glaube an himmlische Mächte nichts zu tun.
Der Gedanke ist: Wer über 2D nicht hinaus-wahrnehmen kann, muss glauben, dass auf 2D stattfindende Phänomene höherer Dimension sein können. - Denn das, was über die eigene Wahrnehmung hinausgeht, ist nur durch Glaube zu fassen. - So einfach ist das.

Für ein 3D-Wesen wäre es möglich, dem 2D-Wesen das Wissen über die Existenz der 3D-Welt so zu vermitteln, dass nicht der Hauch eines Zweifels an dieser Existenz mehr bestehen kann. Das Wissen verdrängte dann den Glauben.

Dabei spielt es keine Rolle, dass dem 2D-Wesen der unmittelbare Zugang zur 3. Dimension verschlossen ist.

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#708 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Mi 30. Mär 2016, 00:37

Münek hat geschrieben:Für ein 3D-Wesen wäre es möglich, dem 2D-Wesen das Wissen über die Existenz der 3D-Welt so zu vermitteln
Aber nicht denen gegenüber, die ihr eigenes Wahrnehmungs-Spektrum zum Maß machen - und das tun die meisten.

Wenn man über die 2D-Welt eine 3D-Kugel schweben ließe, deren Abbild in 2D ein Kreis ist, würde 2D sagen: "Das ist nicht das Abbild einer Kugel, sondern ein Kreis".

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Halman
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#709 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Halman » Mi 30. Mär 2016, 00:50

Thaddäus hat geschrieben:Hallo Halman, schön von dir nach der Osterpause zu hören!
Danke für Deine unfangreiche Antwort, die vermutlich vernünftiger ist als mein Beitrag.

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Genau, - und rein sachlich gesehen, also vom einzigen ausgehend, was wir haben, nämlich den neutestamentlichen Schriften, hatte Jesus eine Naherwartung.
Dies lässt sich sehr wohl bestreiten.
Bestreiten kann man alles. Die Frage ist, ob es sich auch mit guten Gründen bestreiten lässt. Die Textbelege sprechen eine recht eindeutige Sprache, was Jesu Naherwartung angeht. Will man die in den Texten vorfindbare Naherwarung, wie sie aus den Jesusworten und auch bei Paulus recht offensichtlich hervorgeht und die ein offensichtlicher Irrtum der beiden darstellt, in eine Nicht-Naherwartung und damit keinen Irrtum umdeuten, dann muss man später eingefügte Zitate und andere Textstellen zu zeitlich frühen Textstellen erklären. Dem folgt aus guten Gründen kaum ein Exeget, - und Ausnahmen bestätigen in diesem Fall die Regel. Ich zumindest kenne keinen theologischen neutestamentlichen Kommentar zu den hierzu relevanten neutestamentlichen Texten, die nicht entsprechend einer Naherwartung von Jesus und Paulus kommentieren.
Ich erinnere mich an fruchtbare Gespräche im SciFi-Forum mit meinen alten Freund @Logan5, der ein paar Semester kath. Theologie studiert hatte, welcher die historisch-kritische Methode als Standart voraussetzte. Sicher würde er Dir in mehr Aussagen zustimmen als ich z.B.
Natürlich können wir uns auf Basis der neutestamentlichen Forschung unterhalten und dabei auf bibelwissenschaft.de zurückgreifen, um eine gemeinsame Quelle für die Diskussion zur Verfügung zu haben. Und sicher ist es auch interlekturell redlich so vorzugehen, doch in diesem bunten Forum wirst Du dich wohl damit abfinden müssen, dass nicht jeder mit allen Schlussfolgerungen konform geht, warum auch immer. Darin unterscheidet sich 4religion vom TheoForum:
das Forum für Leute, die
Theologie studieren, studieren wollen oder studiert haben
und sich mit anderen austauschen wollen.
Diesen Standard darf man hier natürlich nicht erwarten.

Ich selbst halte viel von Prof. Erich Zenger, habe aber auch Sympathie für den "Rebellen" Klaus Berger. Da ich selbst einen rebellischen Geist habe, mag ich "kantige" Leute mit Profil, die den Mut haben dem Mainstream zu widersprechen. Ich selbst teile von seinen Positionen, welche er in seinem Buch Die Bibelfälscher vertritt, gefühlte 60% (±10).

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Erstens spielt die Weltanschauung als hermeneutischer Zugang sehr wohl eine Rolle und zweitens basiert die Textexegese primär auf theoretischen Überlegungen (Rekonstruktion). Faktisch beweisbare Befunde der empirischen Textkritik sind nur ein Teil der umfangreichen Methodik.
Anders als die kanonische Exegese, vertritt die historisch-kritische Methodik keine spezielle Weltanschauung, es sei denn, du bezeichnest die Anwendung von in der Praxis bewährten philologischen Methoden bereits als eine Weltanschauung.
Nein, keine Sorge, dies wäre im Rahmen der Begriffsanalyse auch ein Fehlgebrauch des Wortes Weltanschauung.

Thaddäus hat geschrieben:Die Anwendung der historisch-kritischen Methoden setzt weder voraus, dass Gott nicht existiert, noch, dass Gott-Vater - Sohn - und hl. Geist nicht wesensähnlich sind, noch, dass Jesus nicht leiblich auferstanden ist usw. Wenn closs solches dennoch behauptet, dann ist das schlicht falsch. Sie kann gleichermaßen angwendet werden von Menschen, die an sämtliche katholische Dogmen glauben oder an keines dieser Dogmen, von Atheisten, von Agnostikern und theoretisch auch von Evangelikalen. Ob sie die Methoden korrekt anwenden, lässt sich nämlich klar sagen, und auch, ob die so erzielten Ergebnisse der Methodenanwendung adäquat sind oder nicht. Es gibt durchaus unsichere Ergebnisse, wenn die Quellenlage nicht eindeutig ist. Dann kann man sich über die Sachlage und deren Konsequenzen streiten. Eine spezielle Weltanschauung oder gar Ideologie kann ich da weit und breit nicht erkennen. Die HKM wird nicht von Atheisten und Kirchenkritikern betrieben. Sie hat sich in der christlichen Theologie selbst ausgebildet und wird von zumeist gläubigen Christen wissenschaftlich angewendet. Ich möchte diesen Wissenschaftlern nicht absprechen, gläubig zu sein, wie auch immer sie die Ergebnisse ihrer Arbeit in ihren Glauben integrieren können.
Die Methode wird meines Wissens auch von Historikern angewandt, wenn sie antike Textquellen erforschen. Insofern stimme ich mit Dir überein und sicher weiß Du auch, wovon zu sprichst.
Dennoch spielt meiner Meinung nach die Weltanschauung beim hermeneutischen Zugang zur Bibel eine wichtige Rolle, insbesondere wenn es um die bultmann'sche Entmythologisierung geht. Diese folgt, so wie ich K. Berger verstehe, aus dem Positivismus, welcher die Bibelkritik und Theologie philosophisch beeinflusste.
Ich meine, wer auf Basis der historisch-kritischen Forschung argumentiert, argumentiert auf qualifzierter Basis als Kritiker. Dann erwarte ich von diesen Kritikern, dass sie gegenüber Kritik, die diese Bezeichung verdient, positiv eingestellt sind und es begrüßen, sich Kritik zu stellen. Wenn die historisch-kritische Exegese auf so solidem Grund steht, brauchen die Vertreter dieser Exegese die Kritik nicht zu fürchten, sie haben allen Grund gelassen zu bleiben. Für den unwahrscheinlichen Fall (so wohl die Mehrheitsmeinung), dass Kritiker wie Berger, oder auch weniger qualifizierte Kritiker wie @closs und ich, in einigen Punkten recht haben sollten, müssten doch die Exegeten und die Beführworter ihrer Positionen, wie hier Münek, Sven und Du :) , froh darüber sein - sofern man ergebnisoffen diskutiert und offen für Kritik ist.
Davon abgesehen bin ich nicht der Auffassung, dass es im geisteswissenschaftlichen Bereich immer auf ein entweder "richtig" oder "falsch" hinausläuft. Dichotomes Denken halte ich für eine trügerische Falle, welche den Blick für die Vielschichtigkeit komplexer Themen vernebelt.

Ein gutes Beispiel für die Kontroverse ist meiner Meinung nach die Exegese der vermutlich schwierigsten Stelle im NT, nämlich von 1 Kor 11,2-16. Auf diese Quelle hatte ich mich in meinem Thread Welches Frauenbild vermittelt die Bibel? bezogen.

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Und hier stelle ich einen fachlichen Fehler fest: Die Trinität wurde bereits vor dem Konzil ausgeformt. Schon vor dem Konzil gab es den arianischen Streit und auf diesem Konzil einigte man sich dann u.a. auf die Verbindlichkeit der Trinität. Die nach-nicäische Theologie wurzelt in der vor-nicäischen Theologie.
Vor dem Konzil war der Arianismus, der erklärt, dass ALLEIN der Vater Gott ist, Jesus aber nicht wesensgleich mit Gott und also nicht göttlich sein kann, der Glaube sehr vieler früher Christen. Die Wesensgleichheit Jesu mit dem Vater lehnten die Arianer ab, weil ihrer Ansicht dann kein Monotheismus mehr vorliegt, sondern Vielgötterei.
Auf dem Konzil von Nicäa hat man dadurch versucht, sich diesem berechtigten Vorwurf zu entziehen, dass man dogmatisch festlegte, dass Gott-Vater, Sohn und hl. Geist nicht wesensgleich, sondern nur wesensähnlich sind. Das ist eine ziemlich spitzfindige ad hoc-Defintion, die man überhaupt nur vor dem Hintergrund neuplatonischer Philosophie verstehen kann. Die Arianer wurden aber in der Folge einfach zu Häretikern erklärt und verfolgt.
Wesensähnlich? Das wusste ich nicht. Dies irritiert mich, denn das Athanasische Glaubensbekenntnis vom 13. Jhd. legt u.a. fest:
Neque confundentes personas,
neque substantiam separantes.
...
Sed Patris, et Filii, et Spiritus Sancti una est divinitas,
aequalis gloria, coeterna maiestas.
In meinem Beitrag vom So 12. Jul 2015, 14:22 schrieb ich:
Erst im vierten Jh. wurde die Trinitätslehre, nachdem der Sohn ὁμοούσιος (wesensgleich) mit GOTT sei, in der Alten Katholischen Kirche als Dogma festgelegt. Führend dabei war sicher der Kirchenvater Athanasius von Alexandria:
Athanasius begleitete Alexander als Diakon zum Konzil von Nicäa. Von ihm stammt einer der Berichte über das Konzil, der noch heute erhalten ist. Hier wurde die orthodoxe Christologie festgeschrieben, wonach Jesus Christus als Sohn Gottes mit Gottvater ὁμοούσιος (homoousios) sei, also wesensgleich und nicht bloß – ὁμοιούσιος (homoiousios), das heißt wesensähnlich, wie Arius es lehrte.
Mehr dazu in meinem Beitrag vom Fr 20. Mär 2015, 19:45.
Wo liegen meine Fehler? Gibt es fachliche Fehler in den Quell-Zitaten?

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Schön, dass ihr so fröhlich seid. :D
Ohne ein hohes Maß an Humor lassen sich solche Streitgespräche überhaupt nicht ernsthaft führen ... :lol:
Okay. ;)
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Halman
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#710 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Halman » Mi 30. Mär 2016, 00:55

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Hast Du dich mit Zengers Ausführungen zur kanonischen Exegese beschäftigt? Ich hatte sie verlinkt.
Nein, ich habe auch ganz vergessen, wo du den wann verlinkt hast.
Aber um die Sache abzukürzen:
Stimmt es denn nicht, dass die kanonische Exegese den aktuellen Bestand an (katholischen) Glaubensüberzeugungen voraussetzt, damit man den Kanon überhaupt theologisch sachgerecht verstehen und intepretieren kann?
Um diese berechtige Frage zu klären, habe ich eben den neuen Thread Ist die kanonische Exegese wissenschaftlich? eröffnet.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn dem nämlich so ist, dann setzt diese Exegese als ein Prämisse bereits voraus, was historisch-kritische Analyse erst einmal bestätigen muss.
Diese Art der Theologie wurde umfassend im Mittelalter betrieben. Sie widerspricht aber dem grundsätzlichen Ziel wissenschaftlicher Arbeit: denn die soll überhaupt erst plausibel und wahrscheinloch machen, was wir (halbwegs) gesichert wissen können. Wenn die Berechtrigung von Glaubensinhalten ohenehin als wahr vorausgesetzt wird, dann muss man sie nicht mehr wissenschaftlich prüfen. Will man sie aber wissenschaftlich prüfen, dann müssen sich die Glaubensinhalte nach den mehr oder weniger gesicherten Ergebnissen der wissenschaftlichen Arbeit richten (und das Mehr-oder Weniger macht die Spielräume aus, in denen man sich bewegen kann). Wenn man wissen will, ob Quecksilber schädlich oder Kaugummi unschädlich ist, dann muss man sie chemisch und medizinisch untersuchen. Setzt man aber bereits voraus, dass sie unschädlich sind, dann erübrigt sich jede weitere Untersuchung.
Die kanonische Exegese ist in dieser Hinsicht zutiefst unwissenschaftlich. Und allein deshalb hat sie keinerlei Chance, sich an den Universitäten durchzusetzen. Denn es gibt kein zurück ins Mittelalter ... ;)
Glücklicherweise. Meine Antwort auf diesen Teil findest Du im oben verlinkten neuen Thread.

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Ich hatte mit mehreren Links nachgewiesen, dass die kanonische Exegese Thema in einigen Falkutäten ist. Dabei wird sie durchaus kritisch gesehen und keineswegs als Ersatz für die historisch-kritische Forschung gepriesen.
Die Erforschung der Rezeptionsgeschichte ist allerdings auch ein wichtiger Zweig. Savonlinna hatte dies wiederholt erklärt und wenn Du mir noch mal sagst, dass meine Position nicht ernst zu nehmen sei (weil ich ja nur ein Laie sei, denke ich mal) - nun, Savonlinna ist kein Laie. Lass es Dir doch von ihr erklären.
Nein, ich hebe nicht darauf ab, dass du oder andere keine theologischen Profis sind, denn ich bin es ja selbst nicht. ich schreibe keine profunden Kommentare zu neu- oder altestamentlichen Schriften. Ich habe genau 5 Semester ev. Theologie studiert, interessiere mich aber für das Thema, weshalb ich das ein und andere Buch dazu lese. Nicht mehr und nicht weniger.
Dann bitte ich um Entschuldigung. :blumenstrauss:

Thaddäus hat geschrieben:Ich verachte den Katholizismus nicht oder closs Ansichten zu den Themen hier, aber ich halte sehr viele Glaubensüberzeugungen von beiden für zutiefst falsch, auch für falsch im christlichen Sinne. Das ist meine Meinung dazu, die ich zu begründen versuche. Ich halte den Katholizismus in vielen seiner Glaubenüberzeugungen für hochgradig bedenklich. Aber das ist meine private Ansicht, wiewohl ich gute Gründe für diese Einschätzung zu haben glaube. Ich halte den Menschen für ein Wesen, welches ein tiefes bedürfnis danach verspürt, sich die Welt zu erklären, mal mit mehr, mal mit weniger Spiritualität. Ich habe meine eigenen Überzeugungen hierzu, und sie weichen von den Überzeugungen aller hier mitschreibenden Foristen offenbar doch erheblich ab. Aber es sind meine Überzeugungen ...
Die Du überzeugend und qualifziert vertritts. Die erheblichen Differenzen führen allerdings dazu, dass Deine begründeten Überzeugugen als recht unbequem empfunden werden können, jedenfalls geht es mir so.
Darum hatte ich ja den Thread, Exegese - Segen oder Fluch?, eröffnet.

Künftig werde ich mehr berücksichtigen, dass Deine Position aus Deiner Perspektive hier nicht leicht ist. Allerdings erhellst Du vom atheistisch-agnostischen Flügel der Usergemeinde hier überwiegend Zustimmung. ;)

Der Katholizismus befremdet auch mich zum Teil und daher will ich auch einige Aufassungen von Berger, die mir zu "katholisch" sind, nicht teilen. Die leibhaftige Himmelfahrt von Maria, Maria als "Mutter Gottes", die Trinität, die Transsubstantiation und das Papstum (auch wenn mir der gegenwärtige Papst durchaus sympathisch ist) halte ich für hinzugefügte katholische Ausformungen, welche den Aposteln gänzlich fremd waren.

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Dies sieht Dr. Jürgen Spieß aber ganz anders.
ich weiß zear nicht, wer Dr. Spieß ist, aber ich versthe durchaus, warum evangelische und katholische Christen darauf pochen, dass der Kern des christlichen Glaubens die Auferstehung Jesu ist. Diese aber unbedingt leblich verstehen zu müssen, dies konnte ich nie nachvollziehen. Ich denke in umfassenderen geistigen Maßstäben ... :lol:
Dr. J. Spieß ist Historiker und Christ.

Thaddäus hat geschrieben:Übrigens: auch Karl Barth (ev.) oder Romano Guardini (kath.) waren großartige Theologen. Und beide widersprachen Rudolf Bultmann. Aber sie haben es auf eine sehr inteligente Weise getan und gleichzeitig mit Verständnis dafür, worum es Bultmann ging.
Karl Barth sagt mir was. Er wird ja sogar als der Kirchenvater des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Romano Guardini ist mir nicht bekannt, aber wenn Du seinen Namen neben Barth erwähnst, so wird er sicher sehr bedeutend sein.
Natürlich kann ich nicht auf dem Niveau von Barth oder Guardini argumentieren. Dies hindert mich aber nicht daran, meine Meinung freimütig zu äußern.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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