Ist das Licht des Glaubens ein wirkliches Licht oder nur ein trügerisches Licht, wie beispeilsweise Nietzsche dachte? Diese Frage stellt Papst Franziskus in seiner Enzyklika Lumen fidei und zeigt eine interessante mögliche Antwort Er zitiert unteranderem Dante, der in der Göttlichen Komödie den Glauben mit diesen wunderbaren Worten beschrieb: »Dies ist der Funke, dies der Glut Beginn / die dann lebendig in mir aufgestiegen / der Stern, von welchem ich erleuchtet bin«
ENZYKLIKA
LUMEN FIDEI
VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE BISCHÖFE, AN DIE PRIESTER UND DIAKONE,
AN DIE GOTTGEWEIHTEN PERSONEN
UND AN ALLE CHRISTGLÄUBIGEN
ÜBER DEN GLAUBEN
Das Licht des Glaubens: Mit diesem Ausdruck hat die Tradition der Kirche das große Geschenk bezeichnet, das Jesus gebracht hat, der im Johannesevangelium über sich selber sagt: »Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt« (Joh 12,46). Auch der heilige Paulus drückt dies mit ähnlichen Worten aus: »Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet« (2 Kor 4,6). In der heidnischen, lichthungrigen Welt hatte sich der Kult für den Sonnengott Sol invictus entwickelt, der beim Sonnenaufgang angerufen wurde. Auch wenn die Sonne jeden Tag wiedergeboren wurde, verstand man sehr wohl, dass sie nicht imstande war, ihr Licht über das ganze Sein des Menschen auszustrahlen. Die Sonne erleuchtet ja nicht die ganze Wirklichkeit, ihr Strahl vermag nicht bis in den Schatten des Todes vorzudringen, dorthin, wo das menschliche Auge sich ihrem Licht verschließt. »Niemals konnte jemand beobachtet werden, der bereit gewesen wäre, für seinen Glauben an die Sonne zu sterben«, sagt der heilige Märtyrer Justinus.[1] Im Bewusstsein des weiten Horizonts, den der Glaube ihnen eröffnete, nannten die Christen Christus die wahre Sonne, »deren Strahlen Leben schenken«.[2] Zu Martha, die über den Tod ihres Bruders Lazarus weint, sagt Jesus: »Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?« (Joh 11,40). Wer glaubt, sieht; er sieht mit einem Licht, das die gesamte Wegstrecke erleuchtet, weil es vom auferstandenen Christus her zu uns kommt, dem Morgenstern, der nicht untergeht.
Ein trügerisches Licht?
2. Und doch können wir, wenn wir von diesem Licht des Glaubens sprechen, den Einwand vieler unserer Zeitgenossen hören. Mit dem Aufkommen der Neuzeit meinte man, ein solches Licht sei für die antiken Gesellschaften ausreichend gewesen, für die neuen Zeiten, den erwachsen gewordenen Menschen, der stolz ist auf seine Vernunft und die Zukunft auf neue Weise erforschen möchte, sei es jedoch nutzlos. In diesem Sinn erschien der Glaube als ein trügerisches Licht, das den Menschen hinderte, sich wagemutig auf die Ebene des Wissens zu begeben. Der junge Nietzsche forderte seine Schwester Elisabeth auf zu wagen, »in der Unsicherheit des selbständigen Gehens« »neue Wege« zu beschreiten. Und er fügte hinzu: »Hier scheiden sich nun die Wege der Menschheit; willst du Seelenruhe und Glück erstreben, nun so glaube, willst du ein Jünger der Wahrheit sein, so forsche«.[3] Glauben stehe dem Suchen entgegen. Davon ausgehend entwickelte Nietzsche dann seine Kritik am Christentum, die Reichweite des menschlichen Seins verringert zu haben, indem es dem Leben Neuheit und Abenteuer genommen habe. Demnach wäre der Glaube gleichsam eine Licht-Illusion, die unseren Weg als freie Menschen in die Zukunft behindert.
3. In diesem Prozess wurde der Glaube am Ende mit der Dunkelheit in Verbindung gebracht. Man meinte, ihn bewahren zu können, einen Raum für ihn zu finden, um ihm ein Miteinander mit dem Licht der Vernunft zu ermöglichen. Der Raum für den Glauben öffnete sich da, wo die Vernunft kein Licht zu bringen vermochte, wo der Mensch keine Sicherheiten mehr erlangen konnte. So wurde der Glaube wie ein Sprung ins Leere verstanden, den wir aus Mangel an Licht vollziehen, getrieben von einem blinden Gefühl; oder wie ein subjektives Licht, das vielleicht das Herz zu erwärmen und einen persönlichen Trost zu bringen vermag, sich aber nicht den anderen als objektives und gemeinsames Licht zur Erhellung des Weges anbieten kann.
Nach und nach hat sich jedoch gezeigt, dass das Licht der eigenständigen Vernunft nicht imstande ist, genügend Klarheit über die Zukunft zu vermitteln; sie verbleibt schließlich in ihrem Dunkel und lässt den Menschen in der Angst vor dem Unbekannten zurück. Und so hat der Mensch auf die Suche nach einem großen Licht, nach einer großen Wahrheit verzichtet, um sich mit kleinen Lichtern zu begnügen, die den kurzen Augenblick erhellen, doch unfähig sind, den Weg zu eröffnen. Wenn das Licht fehlt, wird alles verworren, und es ist unmöglich, das Gute vom Bösen, den Weg, der zum Ziel führt, von dem zu unterscheiden, der uns richtungslos immer wieder im Kreis gehen lässt.
Ein Licht, das wiederentdeckt werden muss
4. Darum ist es dringend, die Art von Licht wiederzugewinnen, die dem Glauben eigen ist, denn wenn seine Flamme erlischt, verlieren am Ende auch alle anderen Leuchten ihre Kraft. Das Licht des Glaubens besitzt nämlich eine ganz besondere Eigenart, da es fähig ist, das gesamte Sein des Menschen zu erleuchten. Um so stark zu sein, kann ein Licht nicht von uns selber ausgehen, es muss aus einer ursprünglicheren Quelle kommen, es muss letztlich von Gott kommen. Der Glaube keimt in der Begegnung mit dem lebendigen Gott auf, der uns ruft und uns seine Liebe offenbart, eine Liebe, die uns zuvorkommt und auf die wir uns stützen können, um gefestigt zu sein und unser Leben aufzubauen.
Von dieser Liebe verwandelt, empfangen wir neue Augen, erfahren wir, dass in ihr eine große Verheißung von Fülle liegt, und es öffnet sich uns der Blick in die Zukunft. Der Glaube, den wir von Gott als eine übernatürliche Gabe empfangen, erscheint als Licht auf dem Pfad, das uns den Weg weist in der Zeit. Einerseits kommt er aus der Vergangenheit, ist er das Licht eines grundlegenden Gedächtnisses, des Gedenkens des Lebens Jesu, in dem sich dessen absolut verlässliche Liebe gezeigt hat, die den Tod zu überwinden vermag. Da Christus aber auferstanden ist und über den Tod hinaus uns an sich zieht, ist der Glaube zugleich ein Licht, das von der Zukunft her kommt, vor uns großartige Horizonte eröffnet und uns über unser isoliertes Ich hinaus in die Weite der Gemeinschaft hineinführt. Wir begreifen also, dass der Glaube nicht im Dunkeln wohnt; dass er ein Licht für unsere Finsternis ist.
Nachdem Dante in der „Göttlichen Komödie" vor dem heiligen Petrus seinen Glauben bekannt hat, beschreibt er ihn mit den Worten: »Dies ist der Funke, dies der Glut Beginn / die dann lebendig in mir aufgestiegen / der Stern, von welchem ich erleuchtet bin«.[4] Genau von diesem Licht des Glaubens möchte ich sprechen, damit es zunimmt und die Gegenwart erleuchtet, bis es ein Stern wird, der die Horizonte unseres Weges aufzeigt in einer Zeit, in der der Mensch des Lichtes ganz besonders bedarf[...]
Die Überzeugung eines Glaubens, der das Leben groß macht und erfüllt, es auf Christus und die Kraft seiner Gnade hin ausrichtet, beseelte die Sendung der ersten Christen. In den Akten der Märtyrer steht dieser Dialog zwischen dem römischen Präfekten Rusticus und dem Christen Hierax: »Wo sind deine Eltern?«, fragte der Richter den Märtyrer, und dieser antwortete: »Unser wahrer Vater ist Christus und unsere Mutter der Glaube an ihn«.[5] Für jene Christen war der Glaube als Begegnung mit dem in Christus geoffenbarten lebendigen Gott eine „Mutter", denn er gebar sie, zeugte in ihnen das göttliche Leben, bewirkte eine neue Erfahrung, eine lichtvolle Sicht des Lebens, wofür man bereit war, öffentlich Zeugnis zu geben bis zum Äußersten[...]
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k.isikawa_G3: festival of light in Igloo (CC BY 2.0)