Queequeg hat geschrieben:
Und der Geist-Begriff an sich, der war von den alten Griechen bis hin zu den modernen Philosophen/Psychologen und selbst den Sozialwissenschaften ein immer höchst umstrittender Begriff, von den Religionen dann lieber zu schweigen, da können die "Geister" oft unterschiedlicher nicht sein.
Letztendlich bleibt dann die Frage - was ist das nun, der Geist, eigentlich offen. Jeder soll und darf diese Frage für sich beantworten und so lange man diese Frage nicht beanworten kann, ist man vielleicht auf dem richtigen Weg.
Ob man "dem Geist" nun durch das christliche Contemplatio, durch Samadhi oder Zazen auf die Spur und Schliche kommen kann, das sollte man suchen herauszufinden, ich denke, das dieses nicht der schlechteste Weg ist.
Was hier im Thread thematisiert war, war, ob man heute weniger "geistig" als noch vor längerer Zeit liest oder versteht - das hängt nicht unbedingt mit dem Nomen "Geist" zusammen, glaube ich.
Da wäre dann zu klären, was ein "geistiges Verstehen" ist, im Gegensatz zu einem ungeistigen Verstehen.
Ich habe den Eindruck, dass da Verschiedenes mit gemeint sein kann, und es wäre nötig, das auseinanderzudividieren.
Wenn man zum Beispiel - wie Du weiter oben - einen Zusammenhang sieht zwischen Hesses letzter Strophe, dem Aphorismus von Kafka und einem Koan - dann sind das
geistige Verbindungen, die man herstellt.
Je nachdem, wie tiefschürfend diese sind - einige können sich auch für einen selber irgendwann wieder in Luft auflösen -, können sie auch für andere nutzbringend sein.
Meinem Verstehen nach sind solche Verbindungen, die man sieht - in der Form von Deutungsversuchen - immer schöpferischer Natur: das heißt, sie werden durch schöpferisches Wahrnehmen geschaffen.
"Geist" ist immer schöpferisch, immer. Das ist ihm innewohnend.
Und das wirft die bange Frage auf, ob es außerhalb von Deutungen Realität gibt. Ob man sagen kann: Es gibt eine von Deutungen unabhängige Realität.
Oder ob man sagen muss: jegliche Realität wird durch Deutungen erzeugt.
Für mich ist diese Alternative eine Schein-Alternative. Aber ich kann das noch nicht so richtig am Schopfe fassen.
Ich kann natürlich einen Menschen "falsch" deuten. Der Maßstab für richtiges Deuten ist:
Ich bringe den Menschen durch meine Deutung zum Blühen. Er kann dadurch aufblühen.
Das heißt, ich komme immer wieder auf Ähnliches: ob etwas "richtig" ist, sehe ich an seiner Wirkung.
Wenn jemand das Göttliche als schöpferisches Prinzip versteht, dann ist "Göttliches" überall da vorhanden, wo etwas zum Blühen und Wachsen gebracht wird.
Wenn jemand sagt, dass die Natur heilt, dann ist das Wesen der Natur geistig verstanden.
Wenn jemand sagt, dass die Natur Zahnschmerzen erfunden hat, damit der Mensch weiß, dass etwas nicht in Ordnung ist und gehandelt werden muss, dann hat er die Natur eben auch geistig verstanden.
Darum muss man gucken, ob "Materialismus" wirklich ungeistig ist und ob Christentum wirklich "geistig" ist.
Wenn Christentum den Materialismus bekämpft, statt ihn zu verstehen, dann ist das vermutlich ein ungeistiger Vorgang.
Wobei es dann wieder ein geistiger Vorgang wäre, auch dieses Bekämpfen als Teil eines geistigen Vorgangs zu verstehen.
Na, jedenfalls so sehe ich das im Moment.
