closs hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Ist es nicht vernünftig zu folgern, dass der menschliche Geist vom hochkomplexen Gehirn erzeugt wird?
Bei entsprechender Weltanschauung ist es in der Tat eine vernüftige Interpretation aufgrund von Beobachtung - aber es ist eben keine Beobachtung, sondern eine Interpretation. Eine Glaubenssache.
Dies kann man natürlich so sehen; aber spricht nicht die Evidenz für die naturwissenschaftliche Interpretation des Menschen? Warum etwas anderes interpretieren, als sich durch Empirie geradezu aufdrängt?
Im verlinkten
Beitrag hatte ich einige Zitate aus dem Buch
"Wille und Gehirn" von den Hirnforschern H. H. Kornhuber und L. Deecke zitiert. Spricht dies nicht für eine naturalistische Sicht auf den Menschen? Achte bitte auf die Bezugnamen zum Organ Gehirn, wie die
Wernicke-Area des Schläfenlappens und der
Assoziatonscortex.
So unterscheiden sich Fische von uns u.a. dadurch, dass sie keinen
Neocortex haben.
Zitat aus Wille und Gehirn (Seite 26):
Triebe sind primitive Reglungen, etwa für die Aufrechterhaltung der Energiezufuhr durch Hunger. Triebe hat die Natur schon den Fischen gegeben, die noch keinen Neocortex (Großhirnrinde) besitzen: sie haben Ursachen in den Genen und im vitalen Bedarf des Organismus. Wille ist hingegen ein viel höhere cortikale Funktion, voll entwickelt erst beim Menschen; er hat wohlerwogene Gründe, sein Berater ist Vernunft, er berücktsichtig Werte und kulturelle Ziele, obgleich er auch Rücksicht auf vitalen Bedarf nimmt.
Auch der kausale Zusammenhang zwischen Hirnläsionen und ihren Folgen für Mensch und Tier spricht mMn für eine naturalistische Sicht auf Mensch und Tier:
Zitat aus Wille und Gehirn (Seiten 43-44):
Wir kennen die Lokalisation des Willens im Frontalhirn vor allem aus den Folgen von Hirnläsionen beim Menschen, gewisser Vorstufen des Willens aber auch aus Hirnläsionen, Faserverbindungen (Jones & Powell 1970, Nauta 1971, Kawamura 1977, Pandya & Yeterian 1990) und Nervenzelltätigkeit (Fuster & Rolls) im Gehirn von Affen, seit 1965 aber auch aus den elektrischen Hirnpotentialen und Hirnmagnetfeldern beim Menschen (Kornhuber & Deecke, Lang et al.) sowie in letzter Zeite auch aus bildgebenden Verfahren, ...
Sprechen diese neurologischen Befunde nicht für die Evidenz der naturalistischen Sicht des menschlichen Geistes?
Zitat aus Wille und Gehirn(Seiten 46):
Aber auch diese Erfahrungen nahm man seltsamerweise kaum zur Kenntnis, denn bis vor kurzem wurde die Diskussion in den USA über die Funktion des präfrontalen Cortex oft durch den Begriff "working memory" (...) beherrscht, der von Goldman-Rakic eingeführt wurde, aber nur eine Umbenennung der 1935 von Jacobsen bei Affen entdeckten Störung des Kurzzeitgedächnisses durch Läsionen der fronto-lateralen Konvexität war.
Zitat aus Wille und Gehirn (Seite 54 ):
Weiter gelten als Frontalhirntests der Contingency Naming Test, der Rey Complex Figure Test (Anderson et al. 2002) und der Trail Making Test (Moll et al. 2002) Erhöhte Ablenkbarkeit nach präfrontalen Läsionen wurde auch bei Affen bestätigt (Grüninger & Pribram 1969).
Wie deutest Du die Läsionen? Als Störungen in der Wechselwirkung zwischen supernaturalistische Seele (Geist) und Gehirn?
Auf Seite 67f. wird u.a. auf die Auswirkungen im Sozialverhalten bei Läsionen der Amygdala bei Affen eingegegangen:
- Ausschaltung der Amygdala bei erwachsenen Affen führt zu weniger Misstrauen (daher bei Kameraden beliebt)
-
"beidseitige Läsionen der Amygala bei Affen in früher Kindheit (Alter 2 Wochen)" führt zu
"Enttäuschungen durch zu große Sorglosikeit" und somit kausal zu mehr Ängstlistkeit im Sozialverhalten, aber keineswegs autistisch und ansonsten unaufällig. (
Prather et al. 2001).
Falls Du Lust hast mehr zu lesen, verweise ich auf meinen Beitrag
Unser Gehirn, bei dem ich mich auf einen Festvortrag (2005) von Wolf Singer stützte.
closs hat geschrieben:Genauso kann man bei anderer Weltanschauung interpretieren, dass wachsende Komplexität immer mehr Geist zulässt - also eine wachsende Plattform ist, auf der sich immer mehr Geist im Dasein offenbaren kann. - Ebenfalls eine Glaubenssache.
Dies kann man sicher glauben, okay. Aber
warum solle man dies glauben?
closs hat geschrieben:BEIDE Glaubens-Haltungen sind nicht falsifizierbar, weil sich beide auf exakt dieselben Beobachtungen stützen.
Wie entscheidet man dann, welche vorzuziehen ist? Sind denn Beide Haltungen wirklich gleichwertig in ihrer Kohärenz? Wenn ja, könnte man "ökonomisch" Ockhams Skalpell anwenden.
closs hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Es gibt keinen Geist hinter dem Gehirn, das Gehirn ist das Organ, welches den Geist erzeugt.
Christlich gesehen ist aus meiner Sicht der menschliche Geist eine Schöpfung Gottes, die sich im Dasein in der Materie ("Gehirn") offenbart. - Dies heisst, dass die geistige menschliche Existenz auf nach dem Daseins-Tod weiter besteht - weil ihr Ursprung ja nie das Dasein war, sondern Gott ist.
Ist dies nicht ebenfalls eine vernünftige Darstellung?
Unsere Vernunft kann so eine Darstellung sicher logisch konsistent beschreiben, aber ist diese auch kohärent?
Mir ist natürlich bewusst, dass die Majorität der gläubigen Christen Deine Schlussfolgerung für geradezu zwingend hält, da doch an Geister, wie Gott und Engel, gelaubt wird; folglich muss es doch eine geistige Welt geben. Daran glaube ich auch, nur verstehe ich nicht, warum der Mensch deshalb auch dualistisch gedeutet werden müsste. Dies ist zwar eine Möglichkeit und man könnte einwenden, dass die medizinische Suche nach der unsterblichen Seele ebenso sinnlos sei, wie die Suche nach Licht, indem man eine Lampe auseinander nimmt. Doch aus der bloßen Möglichkeit, dass es so kein kann, folgt eben nicht, dass es auch so ist.
Vor etwas über einem Jahr hatte ich mal auf Basis der Bibel das Thema
Seele behandelt. Falls Du nicht den ganzen Beitrag lesen willst, zitiere ich hier einfach die mMn besonders relevanten Teile:
Eine
Seele (× ×¤×© -
néphesch) unterscheidet sich von einem leblosen Körper darin, dass er erfüllt ist vom
Odem des Lebens, der
Lebenskraft (רוח -
rûaḥ).
Adam
wurde ein lebende Seele und starb. Dies ist im Einklang mit Hes 18:4.
Das erste Mal erscheint der Begriff
néphesch in Gen 1:20 und bezieht sich dort auf Meerestiere.
Ähnlich verhält es sich mit dem griechischen Wort
psyché (lat.
Anima, Seele), welches über 100mal im NT vorkommt. In Mt 2:20 erscheint es das erste Mal. Dort ist davon die Rede, dass Menschen dem Jesuskind nach der
psyché (dem
Leben) trachteten.
In der Bibel wird auch zwischen Seele (
psyché) und Geist (
pneuma) unterschieden. So ist in Hebr 4:12 von der
"Scheidung von Seele und Geist" die Rede.
Zu dem Begriff
Seele kenne ich eine mMn recht gute Definition:
"Seele" ist ein Begriff, der sich sowohl auf die menschliche Person als Ganze als auch auf deren wesentliche Eigenschaften und Befindlichkeiten beziehen kann.
Laut Paulus hat der Mensch einen σωμα ψυχικον (
sôma psychikón), einen
seelischen Leib, welcher á¼Ï€Î¯Î³ÎµÎ¹Î±
(
epÃgẹia; lat.:
terrẹstria), also
irdisch ist. Er glaubte an die Auferstehung in einen σωμα πνευματικον (
sôma pneumatikón), welcher á¼Ï€Î¿Ï…Ïάνια (
epouránia; lat.:
caelẹstia), also
himmlisch ist. Deutet dies nicht darauf hin, dass die "Seele" holistisch und ganz und gar irdisch und sterblich verstanden wurde, welche dem geistigen Leib gegenübergestellt wurde? Ist diese paulinische Lehre nicht verschieden von der traditionellen Vortellung einer unsterblichen und unstofflichen Seele, welche dem Menschen innewohnt?