In der jüdisch-christlichen Tradition wird dieses Ur in Chaldäa klassischerweise mit der Stadt Ur im Süden des Zweistromlandes - einer Landschaft names Chaldäa - identifiziert.1. Mose 11, 27-28 hat geschrieben:Dies ist das Geschlecht Terachs: Terach zeugte Abram, Nahor und Haran; und Haran zeugte Lot. Haran aber starb vor seinem Vater Terach in seinem Vaterland zu Ur in Chaldäa.
Aber die wenigsten wissen, dass es zwei antike Landschaften mit dem Namen Chaldäa gab - und dass es ebenso zwei Lokalitäten gab, die sich mit Ur bezeichnen lassen.
Die zweite Landschaft namens Chaldäa befindet sich in Ostanatolien rund um den Van-See und umfasst das spätere Urartäische Reich - auf akkadisch auch Uri genannt und wortverwand mit dem Namen des Berges Ararat. Das Gebiet zieht sich bis ins Urmia-Tal. Viele der dortigen antiken Siedlungen lauten auf -Ur- wie z.B. TeiÅ¡ebai URU, Rusai URU oder URU Ziuqinui. Das weist darauf hin, dass die Wortwurzel UR eng mit dieser Landschaft verbunden ist.
Denkbar wäre, dass die Identifikation des südbabylonischen Ur auf die Zeit des babylonischen Exils zurück zu führen ist, in der die Erinnerung an das "eigentliche Ur" verblasst war und man das babylonische Ur existent vor Augen hatte. Ein Hinweis darauf könnte sein, dass in Ur selbst Schrifttafeln gefunden wurden, auf denen verzeichnet ist, dass Nebukadnezar - babylonischer Herrscher während des Exils - den Wiederaufbau der Zikkurat in Ur beauftragt hatte.
Was spricht gegen das südbabylonische Ur als Geburtsstadt von Abraham?
Abram zieht mit seiner Familie laut 1. Mose 11, 31 von Ur aus nach Haran. Haran (heute: Harran) ist eine südtürkische Stadt an der Grenze zu Syrien.
Die Entfernung zwischen dem südbabylonischen Ur und dem südtürkischen Harran beträgt etwa 1600 km, während die Entfernung zwischen Chaldäa am Van-See und Harran lediglich knapp 500 km beträgt.
Das alleine ist noch kein starkes Argument.
Aber Abraham wandert im Laufe der Erzählung weiter nach Kanaan und schließlich nach Ägypten.
Die Route zwischen anatolischem Hochland und Ägypten entspricht einer logischen saisonalen Bewegung von Hirtennomaden, die im Sommer üblicherweise die kühlen Hochebenen im Norden und im Winter die milden Weidegründe im Süden aufsuchen. Die Route zwischen Van-See und Ägypten macht historisch als Nomadenroute einen Sinn.
Währenddessen erklärt sich eine Route von Südbabylonien bis zum 1600 km nordwestlich gelegenen Harran, um dann wieder nach Süden in Richtung Ägypten abzubiegen überhaupt nicht aus dem Kontext der Lebensumstände.
Weitere Gründe dafür, "Ur in Chaldäa" mit dem Van-See-Bereich zu identifizieren:
die gesamte biblische Abstammungsgeschichte spielt sich bis dahin - soweit identifizierbar - im ostanatolischen Raum ab; vom Garten Eden an, der im Quellbereich von Euphrat und Tigris angesiedelt wird bis zur Sintflut, nach der Noah mit der Arche am Berg Ararat anlandet. Danach - mit Abram - wird der Leser dann plötzlich ganz unvermittelt 1000 km nach Süden, zur Mündung von Euphrat und Tigris empfohlen.
Einzig die Geschichte vom Turmbau von Babel ist eingeschoben und könnte die Distanz erklären - allerdings sind hier keine biblischen Stammväter namentlich involviert, was zu erwarten wäre, wenn diese von Ostanatolien nach Südbabylonien gewandert wären.
Der Turmabu zu Babel ist nach meiner Eischätzung ein Einschub, der von einer anderen "Ecke der Welt" berichtet.
Es heißt hier lediglich
Mit "sie" sind hier die Menschen (nach der Sintflut) allgemein benannt und es wird kein Bezug auf irgendeinen Stammvater genommen.1. Mose 11,2 hat geschrieben:Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst
Nach meiner Vorstellung stammt Abraham demnach aus dem "urartäischen" Gebiet im ostanantolischen Chaldäa - wo seine Sippe seit Urzeiten beheimatet war - bevor er dann nach Süden über Harran nach Kanaan und Ägypten weiterreiste - auf dem üblichen Nomadenweg, der seit Generationen vermutlich bekannt war.
Ich glaube übrigens auch nicht, dass diese Deutung der biblischen Schilderung widersprechen würde, wenn sie auch der traditionellen Auslegung widerspricht.
Oder seht ihr das anders?