Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

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closs
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#31 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von closs » Do 11. Dez 2014, 15:10

2Lena hat geschrieben:Die besondere Kunst ist - die Beschreibung für die inneren Werte in die Erzählung einfließen zu lassen, über sie die Sprache, die Regeln von Grammatik und Gesetz und Vorkommen zu "erklären".
Das finde ich wirklich sehr gut und verstehe Dich sehr wohl.

Meine Frage dabei ist, wie der israelitische Zuhörer/Leser die äußere Erzählung mit den inneren Werten verbunden hat - dazu gibt es theoretisch folgende Möglichkeiten:
a) Die äußere Erzählung wird als solche wahr- und ernst-genommen und mit den inneren Werten organisch verbunden, weil beide verbindbar sind.
b) Die äußere Erzählung ist lediglich ein Wort-Schrottplatz, der selbst nichts zu bedeuten hat, außer dass er die Sprach-Signale für die Entschlüsselung der inneren Werte ermöglicht.

a) wäre für mich persönlich naheliegend, zumal ich mit meiner Art der Exegese gut mit der äußeren Erzählung zurechtkomme (mir fehlt halt die Kompetenz, die inneren Werte hinzuzufügen).
b) wäre für mich befremdlich.

michaelit
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#32 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von michaelit » Do 11. Dez 2014, 15:36

Vielleicht weißt die äußere Erzählung mehr auf die Israel umgebenden Heidenvölker hin. Sprich, siehe, die machen es so, aber nun achte auf die innere Erzählung, denke nach, und mache es anders. Die Heiden opfern manchmal Menschen, aber siehe, dein Sohn Isaak lacht, wenn du opferst, nimm ein Schaf und esse es auch auf.

2Lena
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#33 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von 2Lena » Do 11. Dez 2014, 21:31

Closs: Meine Frage dabei ist, wie der israelitische Zuhörer/Leser die äußere Erzählung mit den inneren Werten verbunden hat ...
Das erzählen die 7 Regeln, die dem berühmten Schriftgelehrten Hillel (110 vor - 9 nach Chr.) zugeschrieben werden. Die kennt man zwar genau in der Judaistik, hat sie jedoch "übersetzt" und damit nicht mehr anwenden können. Rein gar nicht auf einen übersetzten Text.

1. Regel: [kal we xomer] Leichtes und Strenges.
Umschrieben wurde: der Schluss vom Leichteren auf das Schwerere und umgekehrt

"?" - gell ...
Man versucht den deutschen Satz zu verstehen - und endet ohne Kenntnis vom hebräischen Wortschatz bei "vergiss es"! Meist sagt es einer ehrlich, besser ist aber klug dreinschauen!

Nehmen wir erneut Kadesch und Schur (Orte als äußeren Sinn)
Mit der Regel [kal] קל - das heißt einfach קל, scheint die Sache erledigt. Man nehme den natürlichen, äußeren Sinn. Dann aber hat man es schwer mit der Geschichte, weil Abraham seine Frau weggibt. Das deutliche Wort dafür sag ich nicht.

Bei [xomer] gibt es nicht nur Strenge und Ernst, sondern akustisch noch Asphalt, Pech, Ton, Kot und schäumen. Es ist Stoff, Material, Schwere. Einen Kern (die Schwere und Verbindung) kommt durch das gleich lautende Wort als Element. Bei Kadesch קדש ist es "heilig" קדש oder verklebt mit קדש "absondern". Die Rechnung zweier Werte bei materieller Beischreibung: In welche Richtung geht es leicht, wo ist es schwer?

Abgewogen wird noch anders:
Leicht geht es bei Singen שר [schar] oder Sänger - aber ein [sar] שר ist ein Anführer, Minister. Mit dem kann es ernst werden oder schwer gehen. Das Wort kommt auch von Ringen, vorherrschen. Schur שור, gedehnt ist nur ein Ochs שור oder Stier [schor]. Zwischen singend überblicken oder mit Hörnern durchboxen und Rumdirigieren gibt es verschiedene Balancen.

Es wunderte dich vielleicht, warum so viel Gesetze zu "Ochsen" in der Bibel vorkommen. Als שורה [schura] ist da eine richtige Reihe. Die Eselsbrücke geht nach einer "Sure" im Koran.

Das Abgleichen zwischen einfach - leicht oder nichts wert (קל) steht den Schwierigkeiten bei der Verwirklichung entgegen. Erzwungen werden die Überlegungen beim Lesen durch die Kenntnis vom Wortschatz. Die setzen sozusagen die Mechanik des Erzählens und Nachdenkes in Gang. Das geschieht zudem mit קל. Er reicht als [kol] von קל Stimme bis zum קל als Donner.

Die restlichen Regeln sind Erklärungen zur Grammatik, Aufbau der Kapitel und Summenbildungen

Der einfach zu lesenden Satz wird in Deutsch kaum beachtet:
Abraham zog von dort weg in das Südland (Negev) zwischen Kadesch und Schur, und hielt sich eine Zeit in Gerar auf. Dem Hebräer aber bringt "der Titel" die Beschreibung des ganzen Kapitels hervor. Er weiß, es geht um das Absondern oder um echtes Heiligsein, um Ringen mit Dirigieren oder besser mit Inspirieren, um ganz große Großzügigkeit bringen - die alles leicht macht.

Leicht und schwer, zerlegt bei Abraham:
Leicht ist die Balance ab ra hem - sehen sie den Wunsch oder mehr?
Wackelig ist die Balance: Ist es ihr Teil - [abra hem] oder muss ich es für sie machen [abra hem]. Leicht ist - die machen es - geben mir auch was. Schwer ist: Ich mache alles - die wollen alles. In das Spiel kommt, was ist heilig ist, was auszusortieren sei, was zermürbt, was bringt das Feinste heraus. Da bleibt man eine Weile in "Gerar" beim durchkauen ...
(Geschichtlich ist eine besondere Entwicklung in Kadesch.
Ob Sarah schön war, kann ich nicht sagen).

2Lena
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#34 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von 2Lena » Do 11. Dez 2014, 21:33

... aber Inspirieren - das weiß ich, das ist schön!

closs
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#35 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von closs » Do 11. Dez 2014, 22:43

2Lena hat geschrieben:Der einfach zu lesenden Satz wird in Deutsch kaum beachtet
Wie wurde die äußere Textführung im Hebräischen beachtet?

Ich finde Deine Methode wirklich super, weil ich tatsächlich auch daran glaube, dass in den Übersetzungen ganze Dimensionen des Inhalts verloren gehen (ging mir auf bei Bubers Übersetzung - obwohl Buber den "äußeren" Text nicht verließ). - Aber damals war hebräisch ja keine Fremdsprache - deshalb interessiert mich, was in einem durchschnittlichen Leser oder Hörer vorgegangen ist, wenn er (beispielsweise) die gesamte Abraham-Geschichte gelesen hat.

Nach meinem Gefühl hat er sehr wohl die rein äußere Geschichte wahrgenommen (also das, was Buber & Co. übersetzen), konnte jedoch die von Dir eröffneten Schwingungen (bewusst oder unbewusst) mitnehmen. - Was kam beim damaligen Leser/Hörer am Ende raus? - "Abraham - Sara - Pharao - Abimelech - Hagar - Ismael - Sara - Isakk - etc." = "Story", die man spannend findet (also so wie wir lesen). - Oder kam raus: "Strenge - Pech", "heilig - verklebt", also all die inneren Botschaften. - Oder kam beides gleichzeitig beim Leser/Hörer raus. - Wenn ja: Wie hat der Leser/Hörer beides (äußere "Story"/innere Botschaft) verbunden - egal ob bewusst oder unbewusst.

Ich suche die Verbundung zwischen äußerer und innerer Botschaft.

michaelit
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#36 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von michaelit » Fr 12. Dez 2014, 08:47

Die äußere Erzählung ist eigentlich der Lauf der Welt der sich in der Bibel spiegelt. Ein Gott will die Welt ertränken, ein Gott will die Todesstrafe für Sünder, ein Gott will Menschenopfer, ein Gott macht Händel mit satanischen Gestalten, usw. Die äußere Geschichte in der Bibel ist nur eine Kopie dessen was die Juden in der Welt finden. Es gibt wenig darin wieso ich diesem Gott dienen sollte. "Für des Guten wagt ein Mann vielleicht sein Leben". Die innere Geschichte aber dreht sich um Erleuchtung und ein vollständiges und ganzheitliches Konzept von fairer Gerechtigkeit die dazu noch die Herrlichkeit Gottes mit sich bringt. Es geht nicht mehr um einen reinen Tun-Ergehen Zusammenhang sondern die Gnade und die Liebe und die Freiheit ermöglichen echtes andauerndes Leben.

2Lena
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#37 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von 2Lena » Fr 12. Dez 2014, 09:06

Äußerer und innerer Sinn, war das "geflügelte" Wort, das Emanuel Swedenborg benutzt hatte. Er war hellseherisch begabt und erfuhr, dass die Texte mehr Bedeutungen haben müssen. In seinem Stil gingen dann viele Privatoffenbarungen los. Obwohl jede eigentlich richtige Hinweise bekam, machte sich aber keiner die Mühe, und auch kein Leser, auch kein Theologe - da sprachlich nachzugehen. Swedenborg hat das versucht. Um 1700 irgendwas gab es aber noch keine "ordentlichen" Wörterbücher. So sind seine Büche reichlich schwierig, und fast sinnlos. Aber er hat viele inspiriert, auch Goethe. Jahrzehnte danach machte sich Genesis an die Arbeit mit einem analytischen Wörterbuch. Dieses System half mir dann, zusammen mit der wieder belebten Sprache Hebräisch, die nun auch genaue und erschwingliche Wörterbücher, Kurse und vieles mehr bot. Es gibt viele Hilfsmitttel, weil man die Sprache nicht so gut verstand und alle lernen mussten und passende neue Wörter zu schaffen waren.

closs: Aber damals war hebräisch ja keine Fremdsprache - deshalb interessiert mich, was in einem durchschnittlichen Leser oder Hörer vorgegangen ist, wenn er (beispielsweise) die gesamte Abraham-Geschichte gelesen hat.
Du siehst an der Literatur von Martin Buber, z.B. bei seinem Buch "Ich und Du" (so etwa) dass er einen ganz anderen EINDRUCK hat, als z.B. Hemul, der Bibelverse gelehrt bekam. Buber bildete sozusagen so etwas wie eine Summe - aus dem unbewusst mitgekommenen. Bewusst hat er ja die Bibel übersetzt im gängigen Stil der Septuaginta (erste Übersetzung, begonnen um 300 vor Chr.)

In fast jeder Synagoge ist bei der Lesung zu "spüren" (an den Gesichtern abzulesen) was die Leute denken. Sie zucken nicht da - wo ein Bibelfundi oder Atheist Diskussionen ansetzen würde. Andererseits WIRD überall die Geschichte von Abraham erzählt. Es wagt kein einziger, die "Gesellschaft" gegen den Strich zu bürsten. Wird das angesprochen: "NO GO". Kommt in gleicher Art (wenn nicht gleich als Bibel erkannt) so ein Text - ist das der Klopfer schlechthin. Es wird gedreht und gewendet, es werden Schlüsse gezogen, es wird gelacht, und man klopft sich an die Stirn und gegenseitig - weil mindestens ein Licht aufgeht. Die Texte sind so was Großartiges. Wenn auch noch der Inhalt erkannt wird, fällt man echt in die Knie, und gibt Gott die Ehre.

Beantworte dir deine Frage selbst - was "man" fühlt.
Wie empfindest du, wenn dir halb die Namen was sagen:
Abram, der gewaltige Wunsch, ging aus von Haran, vom Glühen. Sari, Dirigieren, hatte er mit sich, auch Lot, Verbergen oder Zurückhalten. Aber leider war Dirigieren unfruchtbar. So kam Abram, der große Wunsch zu Hagar, um sich zu vermehren. Von Hagar, bleiben, wurde Ismael geboren. Darin steckt das Wort [schmoa] hören. Aber Hagar (anfeinden, ein- oder auswandern) musste fliehen, mitsamt Ismael, der schließlich in der Wüste fast verdurstete.

Sicher empfindest du das lebendig, persönlich, jeder Situation angepasst, in Erinnerung an (hoffentlich) bekannte Historik, mit Wissen wohin was führt - und dem Wunsch alles richtig zu machen.

In der Antike las man nicht nur die Bibel, man hatte auch Historiker. Sie erklärten die Wanderungen. Von den Karpaten, dem Balkan aus, wo das älteste Volk der Erde wohnte, gingen Wanderwellen nach Osten, auch nach Norden. Die rechneten größere Zeiträume. Die Flut überlebte ein Mann aus dem 11. Geschlecht. Er wanderte als Lehrer durch zahlreiche Gegenden. Haran, an einer der wichtigen Handelsroute gelegen und schon sehr früh besiedelt, spielte mehrmals wichtige Rollen in der Ausbildung, Recht, Astronomie, Handel, Politik und Organisation. Da ist eine lange Geschichte vieler Weltreiche - die dann nur ganz kurz gestreift wurde.

Wenn du die Literatur der Römerzeit liest, kannst du etwas von der "Tendenz" erfahren, wie nun die Redekunst, Rechtswesen und vieles mehr "unbewusst" in anderer Weise gesagt wird.

closs
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#38 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von closs » Fr 12. Dez 2014, 09:46

2Lena hat geschrieben:Du siehst an der Literatur von Martin Buber, z.B. bei seinem Buch "Ich und Du" (so etwa) dass er einen ganz anderen EINDRUCK hat
So ist es - und diesen Eindruck vermag in seiner äußeren Übersetzung bei aller Texttreue zu vermitteln.

2Lena hat geschrieben:Die Texte sind so was Großartiges.
Und da würde ich fragen: Wie hat man unter Hebräern zur Kenntnis genommen, dass Abraham in der Summe seiner Anekdoten charakterlich (im Gegensatz zu Abilmelech von Gerar) so schlecht wegkommt? - Einfach ignoriert? - Eingebaut ins innere Verständnis?

2Lena hat geschrieben:Beantworte dir deine Frage selbst - was "man" fühlt.
Was ich fühle, ist bei Bubers Übersetzung (bei den anderen NICHT) eine Phänomenologisierung des Geschehens - anders gesagt: Eine Übertragung, die frei ist von Epochen-Wertungen, und somit eine für alle Epochen taugliche Übersetzung. - Ich bin überzeugt, dass Bubers Übersetzung in 5000 Jahren noch verstanden wird und unsere gängigen Übersetzungen NICHT.

Trotzdem komme ich noch einmal auf den Verbindungs-Punkt zwischen äußerer und innerer Übersetzung: Wenn Du eine gängige AT-Übersetzung liest und die Buber-Übersetzung liest UND mit Deinen inneren Zusammenhängen vergleichst: Was passiert dann?

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#39 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von 2Lena » Fr 12. Dez 2014, 17:56

closs: Wenn Du eine gängige AT-Übersetzung liest und die Buber-Übersetzung liest UND mit Deinen inneren Zusammenhängen vergleichst: Was passiert dann?
Ich bin etwas "genervt" vom Wortschnörkel der Buber Übersetzung, muss aber zugeben, dass ich außer ein paar in Foren zitierten Versen nichts weiter davon kenne. Ich verstehe auch das Anliegen einer Übersetzung nicht.

Die Judenverfolgung im 2. Weltkrieg wäre flach gefallen, sobald der andere Inhalt der Bibel gezeigt worden wäre.

Wenn ich den hebräischen Text lese, kriege ich nur mit Mühe den Erzähltext hin. Dabei erinnere ich mich schmunzelnd an eine russische Freundin, als sie meinte: Immer komme ich beim hebräischen Text zu einem ganz anderen Ergebnis. (Sie war atheistisch aufgewachsen - ohne jeden Drill und merkte dann einfach was der Text sagte.) Dann kaufte sie schließlich eine Bibel, um zu wissen, wie es "richtig" heißt. Zuvor fand sie die richtigen Gesetze. Sie meinte, der Text ist sehr schwer. Viele Israelis sagen das. In der Übersetzung merkt man davon nichts.

Bei den "anderen" Inhalten erscheinen wichtige Gesetze des Lebens. Allgemein geht der Durchblick viel leichter. Man stolpert nicht mehr so leicht über den größten Unsinn in der Welt, kann sich helfen, etc. Schließlich klärt sich auch das sonst merkwürdige Gerede zu Gott.

closs
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#40 Re: Abraham - ist er historische Person und Gesetz?

Beitrag von closs » Sa 13. Dez 2014, 01:30

2Lena hat geschrieben:Wenn ich den hebräischen Text lese, kriege ich nur mit Mühe den Erzähltext hin.
Umgekehrt kann ich mir nicht vorstellen, dass die gängigen Übersetzer den Erzähltext erfunden hätten - mit anderen Worten: In den Ohren der damaligen Hebräer/Israeliten sind doch offensichtlich nicht nur "Gesetze des Lebens" angekommen, sondern auch ein Erzähltext - oder nicht?

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