Die Theologie des Sühneopfers und Jesu Lehre von einem liebenden Gott

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Novas
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#1 Die Theologie des Sühneopfers und Jesu Lehre von einem liebenden Gott

Beitrag von Novas » Di 27. Feb 2018, 20:13

Gerade lese und studiere ich das sogenannte Urantia-Buch. Die Schriften des Urantia-Buches (erste Deutsche Ausgabe 2005; 2. Ausgabe 2008) lehren uns die Herkunft, die Geschichte und das Ziel der Menschheit sowie unsere Beziehung zum Höchsten Wesen, zu Gott, dem Vater. Sie präsentieren zudem eine einmalige und überzeugende Darstellung über das Leben und die Lehren von Jesus, vermitteln dem menschlichen Geist neue Einsichten über die Zeit und Ewigkeit und bieten neuartige Details über das Abenteuer unseres Aufstieges durch ein freundlich und sorgfältig verwaltetes Universum. Eine zentrale Rolle spielt darin Jesus, aber die Sühneopfer-Theologie wird fundamental kritisiert.

Jesu Lehre von einem liebenden Gott

(2017.3) 188:4.8 Wenn ihr einmal die Idee von Gott als einem wahren und liebenden Vater — das einzige Konzept, das Jesus je gelehrt hat — erfasst habt, müsst ihr folgerichtig sofort all diese primitiven Vorstellungen von Gott als einem beleidigten Monarchen, finsteren und allgewaltigen Herrscher völlig aufgeben, von einem, dessen größte Wonne es ist, seine Untertanen bei Vergehen zu ertappen und dafür zu sorgen, dass sie gebührend bestraft werden, es sei denn, ein ihm fast ebenbürtiges Wesen wolle freiwillig an ihrer Stelle leiden und stellvertretend für sie sterben. Die ganze Idee von Loskauf und Sühneopfer ist unvereinbar mit der Gottesvorstellung, wie Jesus von Nazareth sie gelehrt und beispielhaft gelebt hat. Die unendliche Liebe Gottes ist nichts anderem in der göttlichen Natur untergeordnet.

(2084.4)195:10.4 „Das Reich Gottes ist in euch“ war wahrscheinlich der größte Ausspruch, den Jesus je gemacht hat, neben der Erklärung, dass sein Vater ein lebendiger und liebender Geist sei.

Urantia-Buch: wer ist Gott?

Die „Sühneopfertheologie“ geht historisch gesehen auf Anselm von Canterbury zurück, der sie systematisch ausformulierte (1033–1109 n. Chr.). In der Schrift Cur Deus Homo vertritt er die Lehre, die Erlösung durch Christus sei als Befriedigung des gerechten Zornes Gottes durch den Tod Christi zu verstehen (Satisfaktionslehre) die Frage ist heute, inwieweit das

a) für moderne Menschen noch glaubwürdig ist und
b) inwieweit es wirklich dem jesuanischen Gottesbild entspricht?

Das beginnt schon damit, dass der Begriff „Sühne“ selbst dem germanischen Sprachraum entstammt. Anselm ging von dem mittelalterlichen Gesellschaftsbild aus: wenn die Herrscher-Ehre verletzt wurde, dann musste eine Wiedergutmachung (Satisfaktion) erbracht werden. Auf der Basis des mittelalterlichen Welt- und Menschenbildes entwickelte er (mit den vermutlich besten Absichten) seine Theologie, aber wie haltbar ist das im 21. Jahrhundert? Viele moderne Theologen, darunter auch Hans Küng, hinterfragen diese Satisfaktionslehre:

„Dieses Opfer besagt keine versöhnende Beeinflussung eines zornigen Gottes: Nicht Gott, der Mensch muß versöhnt werden durch eine Versöhnung, die ganz Gottes Initiative ist.“ (Hans Küng, Die Kirche, S. 258).

Ebenso der vielgelesene Anselm Grün.

„Gott braucht nicht den Tod Jesu, um uns vergeben zu können. Er vergibt, weil er uns liebt … Wir müssen uns vor dem magischen Missverständnis hüten, als ob der Tod Jesu notwendig war, damit Gott uns vergeben könne … Gott hat schon vor dem Tod Jesu am Kreuz Menschen ihre Sünden vergeben … aber offensichtlich braucht der Mensch das Bild des Kreuzes, um an die Vergebung durch Gott glauben zu können … Seine Selbstverurteilung hindert ihn daran, an die Vergebung zu glauben.“ (Anselm Grün, Dem Alltag eine Seele geben. Herder 2003, S.115)

Anselm Grüns Sichtweise finde ich plausibel: das eigentliche Problem ist, dass Menschen an die Vergebung durch Gott nicht glauben können. Der Mensch geht von der Idee aus, dass irgendjemand bestraft werden muss und unterstellt Gott die selbe Denkweise. Johannes setzte Jesus mit dem Passahlamm gleich und sagte über Jesus “Siehe das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt!” (Joh. 1,36) Jesus wurde verhaftet und hingerichtet an dem Tag des Passahfestes nach dem jüdischen Kalender – dem Tag, an dem die Juden ein Lamm schlachten sollten, weshalb das jüdische Passahfest im gleichen Zeitraum gefeiert wird, wie das christliche Osterfest. Der Benediktinerpater Willigis Jäger schreibt dazu:

„[...]Dort (im Alten Testament) wurden die Sünden des Volkes durch Handauflegung vom hohen Priester auf ein Tier übertragen, auf einen Ziegenbock oder Schafbock, der damit zum Sündenbock wurde. Dieser wurde vor das Lager geführt und geopfert. Mit dem Blut wurde das Volk entsünt. Diese Zeremonie wurde auf Jesus übertragen. Er wurde zum Opferlamm, das für unsere Sünden gestorben ist. Aber Jesus selber hat seinen Tod sicher nicht als Sühnetod verstanden, er wurde hingerichtet als Volksverführer. Er hat eine Lehre verkündet, die der Gesetzesreligion der Schriftgelehrten widersprach.“
(Willigis Jäger, Mystik im 21. Jahrhundert, S. 134)

Mich würden eure Gedanken zu diesem Thema interessieren. Wie sieht eine zeitgemäße theologische Deutung der „frohen Botschaft“ und „ Christologie“, also der Lehre von Person und Heilswerk Jesu Christi , aus? :wave:

Ruth
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#2 Re: Die Theologie des Sühneopfers und Jesu Lehre von einem liebenden Gott

Beitrag von Ruth » Mi 28. Feb 2018, 10:31

Novalis hat geschrieben:Ebenso der vielgelesene Anselm Grün.

„Gott braucht nicht den Tod Jesu, um uns vergeben zu können. Er vergibt, weil er uns liebt … Wir müssen uns vor dem magischen Missverständnis hüten, als ob der Tod Jesu notwendig war, damit Gott uns vergeben könne … Gott hat schon vor dem Tod Jesu am Kreuz Menschen ihre Sünden vergeben … aber offensichtlich braucht der Mensch das Bild des Kreuzes, um an die Vergebung durch Gott glauben zu können … Seine Selbstverurteilung hindert ihn daran, an die Vergebung zu glauben.“ (Anselm Grün, Dem Alltag eine Seele geben. Herder 2003, S.115)

So ungefähr sehe ich das (inzwischen) auch.
Die Lehre des Sühneopfers, welche Gott braucht um den Menschen vergeben zu können, blockiert die eigentliche Botschaft des Kreuzes viel mehr, als dass sie befreit.

Ich habe zB viele Jahre meines Lebens nur zu Jesus beten können, weil der Vater-Gott für mich ein unbarmherziger Herrscher zu sein schien, der seinen Sohn opfern musste, um seine Liebe an die Menschen zu zeigen. Es wurde daraus ein völlig verzerrtes Bild von "Liebe". Was ich aus Glauben tat, das geschah im Grunde aus Angst vor dem mächtigen Gott und seiner Strafe für Verfehlungen.

Das war so, bis ich anfing, die Geschichten um Jesus und sein Erdenleben ganz ohne Auslegung zu lesen, einfach Jesus als Mensch und seinen Umgang mit den Menschen. Das war der Anfang aus dem Gefängnis der Angst und der Beginn der Erkenntnis der Liebe Gottes.

Danach konnte ich auch die Geschichten des AT mit ganz anderen Augen lesen. Ich entdeckte auch darin das Prinzip der Liebe Gottes, in ganz vielen Facetten, wie sie die Menschen damals erlebt haben.

Novas
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#3 Re: Die Theologie des Sühneopfers und Jesu Lehre von einem liebenden Gott

Beitrag von Novas » Mi 28. Feb 2018, 20:23

Ruth hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Ebenso der vielgelesene Anselm Grün. „Gott braucht nicht den Tod Jesu, um uns vergeben zu können. Er vergibt, weil er uns liebt … Wir müssen uns vor dem magischen Missverständnis hüten, als ob der Tod Jesu notwendig war, damit Gott uns vergeben könne … Gott hat schon vor dem Tod Jesu am Kreuz Menschen ihre Sünden vergeben … aber offensichtlich braucht der Mensch das Bild des Kreuzes, um an die Vergebung durch Gott glauben zu können … Seine Selbstverurteilung hindert ihn daran, an die Vergebung zu glauben.“ (Anselm Grün, Dem Alltag eine Seele geben. Herder 2003, S.115)
So ungefähr sehe ich das (inzwischen) auch.
Die Lehre des Sühneopfers, welche Gott braucht um den Menschen vergeben zu können, blockiert die eigentliche Botschaft des Kreuzes viel mehr, als dass sie befreit

Die wirklich erlösende Kraft geht vom Leben und der vollkommenen, sich selbst hingebenden Liebe Jesu und nicht seinem Kreuzestod aus. Ein so machtvolles Leben, eine so weltüberwindende und alles transformierende Liebe, dass er selbst die Grenze des Todes mit seiner Auferstehung überwand (woran ich glaube ;) ) „ Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9,13) mit diesem Satz bezog sich Jesus auf den Propheten Hosea, der sein Volk zu der Erkenntnis aufgerufen hatte: „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer“ (Hos 6,6). dazu muss man wissen, dass die primitiven Menschen früherer Zeiten sogar ihre eigenen Kinder geopfert haben. Im Urantia-Buch wird das angesprochen:

89:7.3 (982.2) Sogar noch nachdem die meisten Gruppen den rituellen Kindermord aufgegeben hatten, war es Sitte, einen Säugling draußen in der Wildnis auszusetzen oder ihn in einem kleinen Boot dem Wasser zu übergeben. Wenn das Kind überlebte, dachte man, die Götter hätten eingegriffen, um es zu retten, wie in den Überlieferungen von Sargon, Moses, Kyrus und Romulus. Danach kam die Praxis auf, die erstgeborenen Söhne als Geheiligte oder Geopferte zu weihen; man ließ sie aufwachsen und schickte sie dann ins Exil, anstatt sie zu töten; und das war der Beginn der Kolonisation. Die Römer bedienten sich dieser Sitte in ihrem Kolonisierungsplan.

[...]
89:8.4 (983.2) Dank fortschrittlicher Lehren wurde der Opferbrauch endlich mit der Idee verknüpft, einen Bund zu schließen. Man war endlich zu der Vorstellung gelangt, dass die Götter mit den Menschen richtige Übereinkünfte schließen konnten; und das war ein ganz großer Schritt in der Stabilisierung der Religion. Gesetz, ein Bund, tritt jetzt an die Stelle von Zufall, Furcht und Aberglauben.

[...]
89:9.3 (984.2) Die alten sozialen Bruderschaften gründeten auf dem Ritus des Bluttrinkens; die frühe jüdische Bruderschaft war eine blutige Opferangelegenheit. Paulus begann, auf dem „Blut des ewigen Bundes“ einen neuen christlichen Kult aufzubauen. Und obwohl er das Christentum vielleicht unnötigerweise mit Lehren über Blut und Opfer belastet hat, so hat er doch den Lehren vom Freikauf durch Menschen- oder Tieropfer ein für alle Male ein Ende gesetzt. Seine theologischen Kompromisse lassen erkennen, dass sogar die Offenbarung sich der stufenweisen Herrschaft der Evolution fügen muss. Paulus zufolge wurde Christus das letzte und allem genügende Menschenopfer; der göttliche Richter ist jetzt völlig und für immer befriedigt.

89:9.4 (984.3) Und so hat sich nach langen Zeitaltern der Opferkult zum Sakramentenkult entwickelt. Die Sakramente der modernen Religionen sind also die rechtmäßigen Nachfolger jener frühen schockierenden Zeremonien mit Menschenopfern und der noch früheren kannibalistischen Rituale. Viele sind für ihre Errettung immer noch vom Blut abhängig, aber dieses ist wenigstens bildlich, symbolisch und mystisch geworden.

Urantia.org: Sünde, Opfer und Sühne

Das wirkliche Thema des Christentums ist nicht die Verherrlichung des Opfers und des Todes, sondern die Abschaffung des Opfers und die Verherrlichung des Lebens. Wenn der Sohn Gottes stirbt, dann stirbt nicht der Sohn Gottes, sondern der Tod, denn der Sohn Gottes ist der Sohn des Ewigen Lebens. Christen glauben das im Hinblick auf Jesus. Die entscheidende Frage ist: glauben wir das auch im Hinblick auf unser eigenes Leben? :) das ist ein wirklich befreiender Gedanke. Jesus, „der Sohn“, die Inkarnation Gottes, ist nur ein Beispiel für das, was auch wir sind, imago Dei, „Gottmenschen“, Inkarnationen des ewigen Lebens ...

Ein Kurs in Wundern. LEKTION 163

Es gibt keinen Tod. Gottes Sohn ist frei.
Quelle

Bild

Was ich aus Glauben tat, das geschah im Grunde aus Angst vor dem mächtigen Gott und seiner Strafe für Verfehlungen.

Alle Gedanken dieser Art sind in gewisser Weise Widerspiegelungen des Gedankens an den Tod und des Glaubens an die Trennung von Gott. Der Tod ist ein Gedanke, der viele, oft unerkannte Formen annimmt. Er mag als Traurigkeit erscheinen, als Angst, Beklommenheit oder als Zweifel, als Ärger, Unglaube und Mangel an Vertrauen ...

Nur ein noch machtvollerer Glaube, spirituelles Wissen, eine Botschaft des Lebens, wie sie Jesus vermittelt, kann uns wirklich davon befreien.

196:1.3 (2090.4) „Jesus folgen“ heißt, persönlich seinen religiösen Glauben zu teilen und sich den Geist des vom Meister gelebten selbstlosen Dienens am Menschen zu eigen zu machen. Eines der wichtigsten Dinge im menschlichen Leben ist es herauszufinden, was Jesus glaubte, seine Ideale zu entdecken und nach Erreichen seines hohen Lebensziels zu streben. Von allem menschlichen Wissen hat die Kenntnis des religiösen Lebens Jesu und der Art, wie er es lebte, den größten Wert.

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