closs hat geschrieben:Da sind wir uns schon einig - zumal "Ikone" nichts anderes ist als eine Einlösung des Wortes "Offenbarung(s-Chiffre)" - wie auch Musik und WortNovalis hat geschrieben:Glauben und Schauen gehören zusammen. Der Glaube ist ein spirituelles Sehvermögen und Unglaube in gewissem Sinne spirituelle Blindheit. Ikonen können dabei helfen ein solches Sehvermögen zu entwickeln. Wenn sie diesem Zweck dienen, was ist dann gegen sie einzuwenden?
Ja, Du begreifst das, aber ich erwähne es lieber noch mal für mögliche Mitleser: eine Ikone ist eine materielle Darstellung, die auf eine real existierende spirituelle Welt hinweisen. Wenn orthodoxe Christen vor den Ikonen beten, so verehren sie nicht das Holz und die Farben, den Stein und die Keramik, sondern die Personen, die auf den Ikonen abgebildet sind. Ikone ist ein griechisches Wort und bedeutet einfach „Bild“, sie sind eine „bildhafte Theologie“, Fenster zur himmlischen Wirklichkeit, so wie das Wort der Bibel in schriftlicher Form. Wenn es eine Theologie des Wortes gibt, dann kann es ebenso eine Theologie des Bildes oder eine Theologie des Klangs geben, in Form spiritueller Musik. Diarmaid MacCulloch, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Oxford, beschreibt die Bedeutung von Ikonen sehr gut:
Die Ikone ist wie eine Brille, die man aufsetzt, um den Himmel zu sehen. Durch dieses Bild wird man in den Himmel hineingezogen, weil orthodoxe Christen fest daran glauben, dass jeder Mensch dem dreieinigen Gott begegnen kann, dass wir fast gottgleich werden können. Es ist dieses außerordentliche, beängstigende Bekenntnis, vor dem die westliche Christenheit zurückschreckt.
Im Grunde ist jeder Mensch eine wandelnde Ikone, wenn man die Aussage ernst nimmt, dass jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Wenn Engel dargestellt werden, die sogenannten Cherubim und Seraphim, dann weil sie in der spirituellen Welt wirklich existieren. Wenn alle großen Weltreligionen von solchen Wesen sprechen, dann dürfen wir das ernst nehmen. Beispielsweise werden auf manchen Ikonen Engel mit einem Schwert und Lanze dargestellt, weil sie als Beschützer des Glaubens gesehen werden. Für mich ist die Vorstellung sehr hilfreich, dass ich meinen Weg nicht nur alleine und aus eigener Kraft gehen muss, weil ich zu einer größeren spirituellen Gemeinschaft gehöre, die ein reales transpersonales und transrationales Kraftfeld universaler Liebe und Weisheit ist.