Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Nichtchristen sind willkommen, wir bitten aber darum, in diesem Forum keine Bibel- und Glaubenskritik zu üben.
Rembremerding
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#1 Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Beitrag von Rembremerding » Fr 11. Aug 2017, 10:42

Gott ruft den Menschen an, begründet ihn somit im Sein, dadurch wird der Mensch erst Person. Nur von hierher kann der Mensch verstanden werden, sobald man es anderswoher versucht, verfehlt man ihn. Dann gebraucht man noch das Wort „Mensch“, aber seine Wirklichkeit ist nicht mehr vorhanden.
In der Neuzeit zeigt sich etwas Eigentümliches: Viele Menschen, die geistig Maß und Ton bestimmen, lösen sich von Gott ab. Sie erklären sich für autonom, für fähig und befugt sich selbst das Gesetz des Lebens zu geben. In dieser Haltung wird der Mensch als absolut gesetzt. Alle Eigenschaften Gottes nimmt der Mensch nun an sich, verlegt sie in sich hinein. Er sei nun reif und fähig zu entscheiden, was gut und böse, was gewollt werden soll und was nicht gewollt werden darf.
Daneben läuft noch eine andere Linie: es wird gesagt, der Mensch sei ein Lebewesen wie alle sonst. Seine Geistigkeit geht aus dem Biologischen hervor, und dieses aus der Materie. Der Mensch sei ein höher entwickeltes Tier, er löst sich in die stumme Stofflichkeit auf.

Beide widersprüchlichen Antworten laufen zur selben Zeit nebenher und heben sich gegenseitig auf. Beide widersprüchlichen Antworten kommen aus derselben Wurzel und zeigen auf, wie sich der Mensch heute missversteht, wenn er sein Auf-hin zu Gott verlässt, welches sein Wesen begründet.
Eine Antwort sagt: mein Geist ist der absolute Geist, ich bin in meinem Kern mit Gott identisch. Der gleiche Mensch gibt die zweite Antwort: es gibt überhaupt keinen Geist, was man Geist nennt ist das Erzeugnis des Gehirns, eine höhere Gliederung dessen, was der tote Stoff ist.

Weiter erkennt der Mensch, dass er fähig ist, Wirkungsketten in der Welt in sich beginnen lassen zu können. Auf die Frage der Bedeutung dessen antwortet er: das ist absolute, schöpferische Freiheit, sie bringt die Ideen und Normen, ja die Welt selbst hervor. Nun antwortet der gleiche Mensch aber auch: es ist Unsinn von Freiheit zu reden, in Wahrheit gibt es nur Notwendigkeiten. Man nennt sie im stofflichen Bereich „Naturgesetze“, im seelischen „Trieb“, im sittlichen „Motiv“. Wieder heben sich die Antworten im Widerspruch auf.

Setzen wir erneut an: Immer mehr hat der Mensch das beglückende Bewusstsein als Einmaliger in sich zu stehen, ein einzigartiges Individuum zu sein. Er antwortet darauf: ich bin also Person, ganz auf sich gestellt, ohne Ordnungen, die mich tragen oder Normen, die mich verpflichten. Ich bin hinausgeworfen ins Irgendwo in ein gewaltiges und auch furchtbares Schicksal. In jedem Augenblick muss ich deshalb mein eigenes Tun, mein eigenes Sein selbst bestimmen.
Derselbe Mensch antwortet aber auch: die Ansicht, der Mensch sei Person, ist eine Täuschung. Er ist in Wahrheit nur ein Element im Weltall, ein stofflich Ding unter anderen Dingen. Für sich selbst hat der Mensch keinen Sinn, er soll im Ganzen aufgehen und einverstanden sein, in es hinein geopfert zu werden.

Man könnte noch viele solche Widersprüche sagen, aber man versteht schon jetzt: im unerschöpflichen Irrtum missversteht der Mensch sich selbst. Dies wurde nur möglich, weil er Gott losließ. Nun wurde der Mensch sich selbst unbegreiflich. Die Versuche, sich zu deuten, pendeln immerzu zwischen zwei Polen hin und her: sich absolut zu setzen im Anthropozentrismus, oder sich preiszugeben; den höchsten Anspruch auf Würde und Verantwortung zu erheben, oder sich seiner Schmach auszuliefern, die umso tiefer geht, weil sie gar nicht mehr empfunden wird.

Der Mensch jedoch weiß erst wer er ist, wenn er sich selbst aus Gott heraus versteht. Dazu muss er wissen, wer Gott ist. Das kann er jedoch nur, wenn er Gottes Selbstbezeugung annimmt. Wer sich gegen Gott auflehnt, denkt ihn falsch und verliert das Wissen um sein eigenes Wesen, dies ist das Grundgesetz aller Menschenerkenntnis.
In Jesus Christus wurde die Selbstbezeugung Gottes dem Menschen offenbar und ihm ein Weg zur Erlösung geschenkt. In Jesus Christus wurde dem Menschen gesagt, wer er sei, indem ihm gesagt wurde, wer Gott ist. Gotteserkenntnis und Menschenerkenntnis verschmelzen wieder zu einem Ganzen. Das Ebenbild Gottes bekam wieder einen, seinen Sinn.

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ThomasM
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#2 Re: Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Beitrag von ThomasM » Fr 11. Aug 2017, 14:16

Rembremerding hat geschrieben: In Jesus Christus wurde die Selbstbezeugung Gottes dem Menschen offenbar und ihm ein Weg zur Erlösung geschenkt. In Jesus Christus wurde dem Menschen gesagt, wer er sei, indem ihm gesagt wurde, wer Gott ist. Gotteserkenntnis und Menschenerkenntnis verschmelzen wieder zu einem Ganzen. Das Ebenbild Gottes bekam wieder einen, seinen Sinn.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich deine Gedankengänge so unterstützen kann. Vielleicht bin ich zu sehr Pragmatiker und zu wenig Philosoph.

Auch innerhalb der Christenheit hat es seit Beginn (und schon innerhalb der Schar der Apostel) immer wieder ganz unterschiedliche Fraktionen und ganz unterschiedliche Gottesbilder bzw. Menschenbilder gegeben. Selbst innerhalb der Christenheit ist deine Aussage schlicht nicht zutreffend.
Die Situation wird nicht besser, wenn man bedenkt, dass es schon immer und zu allen Zeiten Menschen gegeben hat, die unterschiedlichen Göttern oder Götzen nachgelaufen sind.

Insofern ist das "widersprüchliche Menschenbild" gar keines, sondern die Anzahl der Gottesbilder und der Menschenbilder hat in der Moderne zugenommen und wird auch in Zukunft weiter zunehmen.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

2Lena
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#3 Re: Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Beitrag von 2Lena » Fr 11. Aug 2017, 16:48

ThomasM hat geschrieben:Die Situation wird nicht besser, wenn man bedenkt, dass es schon immer und zu allen Zeiten Menschen gegeben hat, die unterschiedlichen Göttern oder Götzen nachgelaufen sind.
Allesamt aus Motivationen, die Rembremerding ganz gut geschildert hat.
Grad da ist er heraus ...
Während du das "Bild" suchst, das man sich laut den 10 Geboten nicht machen sollte. Mose wusste es offenbar warum!

Rembremerding
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#4 Re: Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Beitrag von Rembremerding » Fr 11. Aug 2017, 16:50

Rembremerding hat geschrieben: Eine Antwort sagt: mein Geist ist der absolute Geist, ich bin in meinem Kern mit Gott identisch. Der gleiche Mensch gibt die zweite Antwort: es gibt überhaupt keinen Geist, was man Geist nennt ist das Erzeugnis des Gehirns, eine höhere Gliederung dessen, was der tote Stoff ist.

... das ist absolute, schöpferische Freiheit, sie bringt die Ideen und Normen, ja die Welt selbst hervor. Nun antwortet der gleiche Mensch aber auch: es ist Unsinn von Freiheit zu reden, in Wahrheit gibt es nur Notwendigkeiten. Man nennt sie im stofflichen Bereich „Naturgesetze“, im seelischen „Trieb“, im sittlichen „Motiv“. Wieder heben sich die Antworten im Widerspruch auf.

... ich bin also Person, ganz auf sich gestellt, ohne Ordnungen, die mich tragen oder Normen, die mich verpflichten. Ich bin hinausgeworfen ins Irgendwo in ein gewaltiges und auch furchtbares Schicksal. In jedem Augenblick muss ich deshalb mein eigenes Tun, mein eigenes Sein selbst bestimmen.
Derselbe Mensch antwortet aber auch: die Ansicht, der Mensch sei Person, ist eine Täuschung. Er ist in Wahrheit nur ein Element im Weltall, ein stofflich Ding unter anderen Dingen. Für sich selbst hat der Mensch keinen Sinn, er soll im Ganzen aufgehen und einverstanden sein, in es hinein geopfert zu werden.

Die Versuche, sich zu deuten, pendeln immerzu zwischen zwei Polen hin und her: sich absolut zu setzen im Anthropozentrismus, oder sich preiszugeben; den höchsten Anspruch auf Würde und Verantwortung zu erheben, oder sich seiner Schmach auszuliefern, die umso tiefer geht, weil sie gar nicht mehr empfunden wird.

Das sind Widersprüche, die in dieser Dichte erst in der Neuzeit auftreten können.
Ohne Wertung: Reduktionismus in einer Wissenschaft, die durch Messung aus Qualitäten Quantitäten macht und damit allein die Welt und den Menschen erklären will.
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Pluto
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#5 Re: Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Beitrag von Pluto » Fr 11. Aug 2017, 18:30

Ich überlege, diesen Thread in den öffentlichen Teil des Forums zu verschieben.
Irgendwelche Einwände, Rem?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Rembremerding
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#6 Re: Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Beitrag von Rembremerding » Fr 11. Aug 2017, 18:31

Ja, bitte nicht verschieben
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Novas
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#7 Re: Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Beitrag von Novas » Fr 11. Aug 2017, 19:46

Rembremerding hat geschrieben:Eine Antwort sagt: mein Geist ist der absolute Geist, ich bin in meinem Kern mit Gott identisch

Ja, das ist die zentrale Aussage der östlichen Mystik, welche die Frage nach dem Selbst im Mittelpunkt der Spiritualität sieht: wer bin ich? (ko-aham) in allen Religionen gab es Menschen, die zu einer mystischen Wahrnehmung fähig waren, die in einer tiefen Identitätserfahrung mit der alles durchdringenden und alles transzendierenden göttlichen Wirklichkeit besteht. So gab es immer eine Spannung zwischen den Vertretern der dogmatischen Theologie (welche traditionell die Differenz zwischen Gott und Mensch betont, die Ich-Du-Beziehung des Menschen zum „ewigen Du“ Gottes) und den Vertretern der Mystik, die darüber hinaus gehen. Bis hin zu der Einsicht, dass der ganze Kosmos eine Manifestation des Stroms des einen absoluten Geistes ist. Tat Tvam Asi (Sanskrit: तत् त्वम् असि, oder तत्त्वमसि, „Das bist Du“, oder „Du bist das“) doch dann bin nicht nur ich im Kern mit Gott identisch, sondern ausnahmslos alles ist im Kern mit ihm identisch.
Da fällt mir das Bild vom kosmischen Lebensbaum ein: wie an einem Baum entfalten sich alle Dinge wie Zweige, Blätter und Früchte miteinander, durcheinander und ineinander verwoben. Von den großen Himmelskörpern, ineinander krachenden Galaxien bis zu einem winzigen Grashalm und Würmlein zu den Quarks und Leptonen: alles ist eine Manifestation des absoluten Einen. In der mystischen Wahrnehmung schaut der Mensch auf alles mit göttlichen Augen im Sinne einer allumfassenden Zusammenschau der ganzen Existenz:

"Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben." - Predigt: Qui audit me, non confundetur Sir 24,30. In: Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint. München: Hanser Verlag, 7. Auflage 1995, S. 216.

Für den Mystiker ist der ganze Kosmos eine einzige großartige Theophanie (griechisch θεός theos „Gott“; φαίνεσθαι phainesthai „sich zeigen“, „erscheinen“) eine Selbst-Offenbarung Gottes. In der indischen Mythologie gibt es das poetische Bild des göttlichen Tanzes von Shiva und Shakti (die beiden Pole des Universums: Shiva repräsentiert das unendliche Bewusstsein und Shakti die kosmische Energie, deren gemeinsame Interaktion - vergleichbar einem Tanz der Liebe - die ganze Schöpfung hervorbringt). In unsrer christlichen Theologie haben wir die Idee der Trinität, die ein ähnliches Verständnis beschreibt. Pater Richard Rohr (der Frieden und Segen Gottes seien auf ihm) hat darüber ein Buch geschrieben: Der göttliche Tanz: Wie uns ein Leben im Einklang mit dem dreieinigen Gott zutiefst verändern kann

Richard Rohr, Franziskanerpater und Weisheitslehrer, umkreist in seinem neuen Buch das Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes - Gott Vater, Jesus Christus und der Heilige Geist. Er entdeckt: Die christlichen Wüstenväter verwendeten dafür das griechische Wort perichoresis, das sich am besten mit "tanzen" übersetzen lässt. Bei allen tiefgreifenden Gedanken, die die Mönche sich damals machten, war das beste Bild, das sie für das Wesen Gottes finden konnten, das eines Tanzes, der niemals enden wird, der wie ein Strom dahinfließt.

Aber Gott ist kein Tänzer. Er ist der Tanz selbst. Und lädt alle ein, ein Teil davon zu werden, wenn wir mit ihm im Einklang leben. Wer sich auf dieses Bild einlässt, wird durch das neue Buch von Richard Rohr viele Impulse für ein intensives, erfüllendes Leben mit Gott entdecken.

Bild

Der gleiche Mensch gibt die zweite Antwort: es gibt überhaupt keinen Geist, was man Geist nennt ist das Erzeugnis des Gehirns, eine höhere Gliederung dessen, was der tote Stoff ist.

Da genügt der Hinweis, dass es dafür keinen Beweis gibt. Es handelt sich dabei um ein Glaubenskonstrukt (Dogma) der materialistischen Weltanschauung (ich persönlich habe kein Problem mit Glaubenskonstrukten, aber sie sollten wenigstens so ehrlich sein und es zugeben :) ). Schon alleine die Tatsache, dass es immer wieder außerkörperliche Erfahrungen und Nahtod-Erfahrungen gibt, sollten daran Zweifel aufkommen lassen. Der Neurochirurg Eben Alexander sagt dazu: “Wenn ich eins ganz genau wusste, dann, was das Gehirn wirklich ist: eine Maschine, die das Phänomen Bewusstsein erzeugt. Sicher, die Wissenschaftler hatten noch nicht herausgefunden, wie Neuronen im Gehirn das ganz genau bewerkstelligten, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie es herausfinden würden.” nach seiner Nahtoderfahrung bekannte er: “Je mehr von meinem wissenschaftlichen Denken zurückkehrte, desto deutlicher sah ich, in welch radikalem Gegensatz das, was ich in Jahrzehnten der akademischen Ausbildung und der medizinischen Praxis gelernt hatte, zu dem stand, was ich im Koma erlebt hatte, und desto mehr verstand ich, dass das Bewusstsein und die Persönlichkeit (unsre Seele oder Geist, wie manche es nennen würden) über den Körper hinaus existieren.” (Phänomen Nahtod: Faszinierende Entdeckungen eines Psychiaters, von Walter Meili)

Man könnte noch viele solche Widersprüche sagen, aber man versteht schon jetzt: im unerschöpflichen Irrtum missversteht der Mensch sich selbst. Dies wurde nur möglich, weil er Gott losließ. Nun wurde der Mensch sich selbst unbegreiflich. Die Versuche, sich zu deuten, pendeln immerzu zwischen zwei Polen hin und her: sich absolut zu setzen im Anthropozentrismus, oder sich preiszugeben

Die Widersprüche können aufgelöst werden, wenn man erkennt und akzeptiert, dass es verschiedene Ebenen der Realität gibt, die alle gleichermaßen Bestandteil der Realität sind - unsre Sichtweisen bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen und erfassen Teilwahrheiten. Eine Aussage wie “Mein Geist und der absolute Geist sind eins” (oder “Ich und der Vater sind eins”, wie Jesus sagte) ergibt nur für diejenigen Sinn, die schon mal eine mystische Wahrnehmung erlebt haben. Die meisten Menschen bewegen sich hauptsächlich auf einer dualistischen Ebene. Das nonduale Einheitsbewusstsein (Unitive Consciousness) kann auf der dualistischen Ebene nicht verstanden werden. Der Zen-Meister und christliche Mystiker Willigis Jäger sagte es sehr gut:

Gott inkarniert sich im Kosmos. Er und seine Inkarnationen sind unlösbar miteinander verbunden. Er ist nicht in seiner Inkarnation, sondern er manifestiert sich als Inkarnation. Er offenbart sich im Baum als Baum, im Tier als Tier, im Menschen als Mensch und im Engel als Engel. Es sind dies also nicht Wesen, neben denen es dann noch einen Gott gäbe, der gleichsam in sie hineinschlüpfte, sondern er ist jedes einzelne dieser Wesen – und ist es auch wieder nicht, da er sich nie in einem von ihnen erschöpft, sondern immer auch alle anderen ist. Eben diese Erfahrung macht der Mystiker. Er erkennt den Kosmos als sinnvolle Manifestation Gottes, während sich manche Menschen dem Kosmos gegenüber verhalten wie Analphabeten gegenüber einem Gedicht: Sie zählen die einzelnen Zeichen und Worte, aber sie sind nicht imstande den Sinn zu verstehen, der dem ganzen Gedicht seine Gestalt gibt.

Willigis Jäger

Die mystische Wahrnehmung transzendierte schon immer alle dogmatischen Einengungen. Die Mystiker nutzen zwar die Begriffe und Symbole einer Religion, aber reduzieren die Wirklichkeit des GEISTES niemals darauf. Ein Mensch wie Meister Eckhart weiß, dass der GEIST unendlich darüber hinaus geht. Das genügte der Inquisition, ihn wegen Ketzerei und Irrglauben anzuklagen, obwohl er nur ein treuer Nachfolger Jesu war. Gott und ich, wir sind eins (Meister Eckhart) wenn Gott ein unendliches Wesen, absoluter Geist ist, dann umfasst er alles, dann findet alles seine wahre Identität - oder ewiges SELBST - in ihm. Das findet in der Philosophie des Vedanta in den Mahavakyas, den großen Aussprüchen Ausdruck: „Tat Twam Asi. Das, das Unendliche, das bist du. Aham Brahmasmi. Ich bin Brahman. Ayam Atma Brahman. Dieses Selbst ist Brahman. Prajnanam Brahman. Bewusstsein ist Brahman.“ und viele weitere. Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis sind letztlich die zwei Seiten der selben Münze.

Rembremerding
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#8 Re: Das widersprüchliche Menschenbild der Postmoderne

Beitrag von Rembremerding » Sa 12. Aug 2017, 09:19

Novalis hat geschrieben:...doch dann bin nicht nur ich im Kern mit Gott identisch, sondern ausnahmslos alles ist im Kern mit ihm identisch.
Nun gibt es Menschen, die durch ihre Ablehnung von Gott auch ihre Transzendenzfähigkeit verloren haben. Sie bleiben auf sich zurückgeworfen und müssen nun aus ihrem selbst heraus den Anspruch erheben das Dasein und ihr Werk zu verstehen. Sie müssen sich selbst Sinn verleihen.
Deshalb werden allein der Verstand und die Sinne erhoben zu denen, die festlegen, was ist, indem sie wissenschaftlich Messbares erkennen sowie erforschen. Das ist von Gott gewollt, jedoch nicht, zu meinen, dass diese Reduktion alles wäre, was ist. Das Gefährliche daran: Gleichzeitig will sich der Verstand durch dieselbe Wissenschaft als biologisch oder soziologisch fremdgesteuert erkennen und somit bar jeder Verantwortung für das Tun und Denken in dem, was man selbst vorher als Maß- und Messstab festgelegt hat. Der Mensch schafft sich immer größere Hebel die Welt, das Sein, das Leben an sich und sich selbst zu verändern, entzieht sich aber jeder Verantwortung für die Folgen. Er will immer größere Macht, nimmt sich jedoch immer massiver seine eigene Würde.
Der Mensch wird zu einem gespenstischen Ding zwischen Halbgott und Ameise, dies ist der große Widerspruch.
Einerseits die Beanspruchung grenzenloser Freiheit, edler Moralität und edlem Geistes, individueller Persönlichkeit, andererseits die Negierung dieser Freiheit durch Notwendigkeiten, Negierung des Geistes und der Ansicht, der Mensch sei Person.
Die Philosophie trägt in ihr Denken durch Vernunft etwas hinein, um die Vernunft dann darin zu verbannen. Atheistische Philosophie hat schon längst den Anschluss verloren, zu dem, was heute denk- und machbar ist. War sie zuvor Wegbereiter, machte Boden fruchtbar, kann sie nun nurmehr nach-denken.

Aber Gott ist kein Tänzer. Er ist der Tanz selbst. Und lädt alle ein, ein Teil davon zu werden, wenn wir mit ihm im Einklang leben.
Immer wieder betonten die Kirchenväter und Kirchenlehrer, dass die göttliche Liturgie der Kirche ein Tanz, ein Spiel ist, das keinen Zweck erfüllen braucht, sondern nur den Menschen für Gott da sein lässt.

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#9 Wider die Wahrheitsresignation

Beitrag von Rembremerding » Sa 9. Sep 2017, 10:51

Es gibt einen Verlust des Glaubens an die Wahrheit, der die Wurzel des ethischen Relativismus bildet. Am 8. September 2007 sagt Papst Benedikt XVI. in Mariazell dazu:

“In der Tat setzt sich unser Glaube entschieden der Resignation entgegen, die den Menschen als der Wahrheit unfähig ansieht – sie sei zu groß für ihn. Diese Resignation der Wahrheit gegenüber ist der Kern der Krise des Westens, Europas. Wenn es Wahrheit für den Menschen nicht gibt, dann kann er auch nicht letztlich Gut und Böse unterscheiden. Und dann werden die großen und großartigen Erkenntnisse der Wissenschaft zweischneidig: Sie können bedeutende Möglichkeiten zum Guten, zum Heil des Menschen sein, aber auch – wir sehen es – zu furchtbaren Bedrohungen, zur Zerstörung des Menschen und der Welt werden. Wir brauchen Wahrheit. Aber freilich, aufgrund unserer Geschichte haben wir Angst davor, daß der Glaube an die Wahrheit Intoleranz mit sich bringe. Wenn uns diese Furcht überfällt, die ihre guten geschichtlichen Gründe hat, dann wird es Zeit, auf Jesus hinzuschauen ... Wahrheit setzt sich nicht mit äußerer Macht durch, sondern sie ist demütig und gibt sich dem Menschen allein durch die innere Macht ihres Wahrseins. Wahrheit weist sich aus in der Liebe. Sie ist nie unser Eigentum, nie unser Produkt, sowie man auch die Liebe nicht machen, sondern nur empfangen und weiterschenken kann. Diese innere Macht der Wahrheit brauchen wir. Dieser Macht der Wahrheit trauen wir als Christen. Für sie sind wir Zeugen. Sie müssen wir weiterschenken in der Weise, wie wir sie empfangen haben.”

Für die Wahrheit einzustehen, ist heute verpönt, weil es keine Wahrheit mehr geben darf. Hinzu tritt folgerichtig die Unfähigkeit mit Respekt und wahrer Toleranz diskutieren zu können. Man setzt sich nicht mehr mit der Wahrheit auseinander, sonst läuft man Gefahr nicht mehr dazuzugehören - dem Mainstream, der Aufklärung, dem Konsum oder sonstigem vom Menschen als identitätsstiftent nun als Gott anerkannten.
Dazu sagt Blaise Pascal:
Es ist ein Verbrechen, den Frieden zu stören, wo die Wahrheit regiert. Es ist ein Verbrechen, im Frieden zu bleiben, wenn man die Wahrheit zerstört. Die Wahrheit ist demnach die Richtschnur und das letzte Ziel der Dinge.
Und ein Christ weiß, wo er Wahrheit findet und wer sie ist.
Das ist tröstend, stärkend und wird zur Aufgabe in der Weitergabe. Deshalb ist Wahrheit untrennbar mit der Liebe verbunden.

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#10 Re: Wider die Wahrheitsresignation

Beitrag von fin » Sa 9. Sep 2017, 14:07

-- Jesus Christus, das Papsttum (RKK) und die göttliche Wahrheit --

Rembremerding hat geschrieben:
“Wenn es Wahrheit für den Menschen nicht gibt, dann kann er auch nicht letztlich Gut und Böse unterscheiden ... ” (Papst Benedikt XVI.)
Man setzt sich nicht mehr mit der Wahrheit auseinander, sonst läuft man Gefahr nicht mehr dazuzugehören

Wer sich mit der zugehörigen Wahrheit auseinandersetzt, möchte in der Regel auch nicht mehr dem Papsttum und dessen Kirche (RKK) angehören. Siehe zb. Die RKK und ihre Ansprüche

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