Da ich dieses Thema interessant finde, aber nicht in jedem Thread von neuem diskutieren möchte, will ich hier mal gesondert über die Rolle der Prämissen (des Vorverständnisses, der Paradigmen) bei unserem Bibelverständnis gemeinsam erörtern:
Andreas hat geschrieben:Sehe ich auch so, deswegen ist meines Erachtens die Hermeneutik so wichtig. Jeder geht immer von einem Vorverständnis aus und hat das Recht und die Pflicht seinen Standpunkt zu vertreten - so falsch oder richtig er auch sei. Besser heiß oder kalt - aber lau geht gar nicht.
Der erste Schritt ist, sich selbst klar zu werden, dass man immer Prämissen hat, immer Paradigmen folgt - und der andere auch. Was uns voneinander trennt, sind eben mehr diese Vorverständnisse mit denen wir an die Bibel oder den Glauben herangehen und weniger die konkreten Inhalte der Bibel oder des Glaubens. Wir kämpfen, meist ohne es zu wissen um die Vorverständnisse. Die Deutungen des anderen passen nicht zu unserem Vorverständnis und deshalb nicht zu unserer Deutung oder Interpretation der Bibel oder des Glaubens. Wir verteidigen unser Gottesbild, das immer eine gerade aktuelle Prämisse bleibt - über Gott sagt das allerdings eher wenig aus.
Es gibt ja auch den hermeneutischen Zirkel, bei dem man zwischen Einzelaussagen und Vorwissen hin und hergeht und somit versucht seinen Verstehenshorizont immer besser mit dem Horizont des Textes in Übereinstimmung zu bringen.
Die Prämissen müssen sich also exegetisch bewähren. Ich mache es durchaus manchmal so, dass ich die Prämissen von anderen Leuten durchspiele und mal gucke, ob ich damit gewisse Teile des Bibeltextes besser verstehen kann, ob also die "Fakten" besser mit einem anderen Modell aufzuschließen und einzuordnen sind.
Mir ist es keineswegs fremd, dass wir alle unsere Prämissen mitbringen, manche schon von Kindheit an, andere aus bestimmten Kirchen. Dies kann eine ganz starre Funktion einnehmen, welche kaum veränderbar scheint.
Ich bin aber so "gutgläubig", dass ich meine, die Bibel als Wort Gottes überführt uns (zumindest auf lange Sicht) von unserem unzureichenden Vorwissen und ändert dieses also, bzw erweitert es auch. Unter gewissen Umständen kann dieser Prozess aber fehlschlagen und sogar zu einem schlimmeren Missverstehen führen, sodass man an Jesu Worte denken muss: "Mit den Ohren hören sie, verstehen aber doch nicht."
Soweit mal.
LG lovetrail