Rousseau und die autoritäre Gesellschaft im Namen der Freiheit

Philosophisches zum Nachdenken
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Mia
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#1 Rousseau und die autoritäre Gesellschaft im Namen der Freihe

Beitrag von Mia » Sa 12. Okt 2013, 08:33

abgetrennt aus: Warum versteckte sich Jesus nach seiner Auferstehung?

Magdalena hat geschrieben:Das war doch derjenige, der seine fünf oder sechs unehelichen Kinder der öffentlichen Fürsorge aufhalste und im Waisenhaus abgab.
So etwas nenne ich "zerrüttete Verhältnisse". Eine verkrachte Existenz wie Rousseau kann für mich kein geistlicher Führer sein-- ausgeschlossen.

Liebe Magdalena, ja genau, dass war Rousseau

Wikipedia hat geschrieben:Ausgangspunkt des Rousseauschen Denkens ist der Abscheu vor der etablierten Kultur und Gesellschaft seiner Zeit. Er hebt hervor, dass die in zivilisatorisch entwickelten Gesellschaften lebenden Menschen selbstsüchtig, unwahrhaftig und eitel seien. Interessenkonflikte verleiteten sie dazu, ihre wahren Absichten voreinander zu verbergen.

„Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen.“

– Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (Reclam, 1998, S. 115 ff., Anmerkung IX)
Rousseau kritisiert nicht nur die Gesellschaft seiner Zeit, sondern eine die Menschen von ihrem wahren Wesen entfremdende Vergesellschaftung schlechthin. Damit steht er in starkem Gegensatz zum Denken seiner Zeit: Seine Theorien wurden von den Vertretern der christlichen Kirchen sowie auch von vielen Denkern der Aufklärung abgelehnt. Die christlichen Kirchen hielten die Idee des „edlen Wilden“ für abwegig; der Mensch war für sie nicht von Natur aus gut, sondern durch die Erbsünde belastet. Die Aufklärer andererseits betrachteten die Lern-, Vernunft- und Gesellschaftsfähigkeit der Menschen als Voraussetzungen und Garanten einer Fortschrittsgeschichte.

Wenn der Mensch ein gemeinschaftsfähiges Wesen (griechisch: zóon politikón) wäre, wie Aristoteles lehrte, dann sollte eigentlich freudvolle Harmonie das Zusammenleben der Menschen bestimmen. Da das nicht der Fall sei – die Menschen hassen, betrügen, verleumden, belügen und ermorden einander – schließt Rousseau, dass die Menschen nur in kleinen, naturnahen Gemeinschaften die Chance haben, ihre ursprünglich „guten“ Naturanlage angemessen zu entfalten. Ihre – durch die Kultur potenzierte – Vervollkommungsfähigkeit führt die Menschen auf die Bahn zivilisatorischer Fortschritte, die sie aber von ihrer ursprünglichen Einheit mit einem natürlichen Dasein entfernt und sie damit ihrem eigenen ursprünglichen Wesen entfremdet.

Im hypothetischen Naturzustand ist der einzige Trieb des Menschen die Selbstliebe (amour de soi). Sie gebietet ihm: „Sorge für dein Wohl mit dem geringstmöglichen Schaden für die anderen“ (Zweiter Diskurs). Neben der Selbstliebe kennt der Naturmensch das Mitleid (pitié), ein Gattungsgefühl, das nach Rousseaus Überzeugung auch die Tiere kennen. Alle anderen Fähigkeiten des Menschen ruhen noch, also die Vernunft, die Einbildungskraft und das Gewissen. Der Mensch ähnelt im Naturzustand einem wilden Tier, welches nur um sich selbst kreist. Sein Gutsein ist keine Bravheit im moralischen Sinne, sondern eher im Sinne von „naturgehorchend“, naturgemäß lebend.

Auf Grund äußerer Umstände, etwa zur Abwehr von Naturkatastrophen, sehen sich Menschen jedoch dazu gezwungen, sich mit anderen Gattungsexemplaren zu großen Gemeinschaften zusammenzutun. So entstehen Kultur und Gesellschaft und das Böse tritt in die Welt. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Einbildungskraft, mittels derer das Individuum aus seinem urwüchsig-narzisstischen Schlummer erwacht und sich in andere Wesen hineinversetzen kann. Sie ermöglicht aber auch den Vergleich der Individuen untereinander. Dadurch kann die naturgemäße Selbstliebe (amour de soi) in die naturwidrige Eigenliebe oder Selbstsucht (amour propre) umschlagen: Der Mensch sieht sich nun vor allem mit den Augen der anderen. Er möchte als leidenschaftlicher Rangkämpfer immer den ersten Platz einnehmen. Darüber hinaus verspürt er den drängenden Wunsch, dass die Nebenmenschen ihn sich selbst vorziehen. Dies ist jedoch schwer möglich, da auch alle anderen Menschen von der Eigenliebe angetrieben werden. So kommt es dazu, dass die Menschen ihre wahren Absichten verbergen. Sie geben ihr Eigeninteresse als Allgemeininteresse aus. Quelle des Übels sind also das naturferne Konkurrenzdenken und die amour propre. Im Gesellschaftszustand erwachen zudem die Vernunft, das bewusste Mitleid sowie auch die „widernatürliche“ moralische Reflexion.

Grundlage der Rousseau'schen Ethik ist nicht die Vernunft. Diese kann bestenfalls helfen, Vorteilhaftes und Unvorteilhaftes zu unterscheiden. Damit der Mensch aber auch gut handelt, bedarf es des Instinkts. Rousseau verwendet hier zwar den Begriff des christlichen „Gewissens“ und spricht gar von einer „angeborenen Liebe zum Guten“. Aber wie aus seinen Ausführungen im Émile hervorgeht, ist hier eine vorbewusste, gewissermaßen urweltliche Grundfähigkeit, eine Art moralischer Instinkt, gemeint. Jemand, der gegen seinen Instinkt handelt, ist ein deprivierter und unglücklicher Mensch. Die urwüchsige Selbstliebe zwingt uns geradezu, instinktgesteuert zu handeln, da sie die Befriedigung unserer Bedürfnisse verlangt. Rousseaus Ethik zeichnet sich also dadurch aus, dass sie nicht allgemeine ethische Regeln aufstellt, sondern zeigt, welches Interesse der Einzelne daran hat, „gut“ zu handeln.

Eine einfache Rückkehr in einen Naturzustand schließt Rousseau ausdrücklich aus, auch wenn viele Kritiker, allen voran Voltaire, ihm vorgehalten haben, sie empfohlen zu haben. In einem Brief an Rousseau schreibt Voltaire spöttisch:

„Ich habe, mein Herr, Ihr neues Buch gegen die menschliche Gattung erhalten […] Niemand hat es mit mehr Geist unternommen, uns zu Tieren zu machen, als Sie; das Lesen ihres Buches erweckt in einem das Bedürfnis, auf allen Vieren herumzulaufen.“[27]

Rousseau fragt vielmehr, wie in von Konkurrenz bestimmten Gesellschaften kollektives, vom moralischen Instinkt gesteuertes Handeln möglich werden kann. Dabei beschäftigt er sich nicht nur mit der Kunst der Erziehung des Einzelmenschen, der Pädagogik, sondern auch mit der wünschenswerten Verfassung eines an der Natur der Menschen orientierten Staatswesens, um beide Male zu zeigen, wie der Weg von der ersten zur zweiten Natur ohne vermeidbare Unzuträglichkeiten vor sich gehen könnte
Es ist erstaunlich, dass er bei seiner Kindheit und Jugend noch an das gute am Menschen glauben konnte.
So wie Du mich hoffentlich kennengelernt hast, wirst Du wissen dass ich nichts davon halte seine Kinder im Kinderheim abzugeben. Allerdings kenne ich nicht Rousseau Situation und Lebensumstände.

Als nicht Autoritäre erzogenes Kind, das mit viel Liebe und nur wenigen Grenzen aufgewachsen ist, kann ich Rousseau zustimmen, dass der Mensch ohne schlechten Einfluss, sich lebensbejahender Entwickelt. Es fällt zB schon das Lügen weg, wenn man auf Liebe und Verständnis stoßt baucht ein Kind nicht Lügen.
Wenn ein Kind keine Grenzen gesetzt bekommt, setzt es die sich selbe, ich hab zB nie das Bedürfnis gehabt Alkohol zu trinken oder zu rauchen.
Es fällt auch das schlechte Urteilen über andere Menschen weg und man lernt auf seine innere Stimme zu hören und dieser zu vertrauen.
Ich könnte noch viele solche Beispiele nennen, aber ich muss jetzt leider aufstehen, denn ich hör wie der Frühstückstisch gedeckt wird.
Zum Rest später mehr :)

Liebe Grüße und Euch allen ein schönes Wochenende
Mia

PS. warum braucht es immer einen geistigen Führer, man kann sich doch das gute herauspicken und das schlechte einfach weglassen. Und muss nicht wegen einem Fehler den ganzen Menschen verurteilen, Fehler haben wir doch alle ;)

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Vitella
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#2 Re: Warum versteckte sich Jesus nach seiner Auferstehung?

Beitrag von Vitella » Sa 12. Okt 2013, 09:23

Magdalena61 hat geschrieben:Das war doch derjenige, der seine fünf oder sechs unehelichen Kinder der öffentlichen Fürsorge aufhalste und im Waisenhaus abgab.
So etwas nenne ich "zerrüttete Verhältnisse". Eine verkrachte Existenz wie Rousseau kann für mich kein geistlicher Führer sein-- ausgeschlossen.
LG

ich dachte es geht nicht um Gute Taten.?
Und was war mit David als Intrigant und Mörder damit er die Frau bekam die er wollte, nimmst Du alles von ihm auch nicht an.?
Und was ist mit all den anderen biblischen grössen die mordeten und menschlich versagten.?
  Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus,
der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.
1 Petrus 5:10

 

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Magdalena61
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#3 Re: Warum versteckte sich Jesus nach seiner Auferstehung?

Beitrag von Magdalena61 » Sa 12. Okt 2013, 11:28

Vitella hat geschrieben:
Magdalena61 hat geschrieben:Das war doch derjenige, der seine fünf oder sechs unehelichen Kinder der öffentlichen Fürsorge aufhalste und im Waisenhaus abgab.
So etwas nenne ich "zerrüttete Verhältnisse". Eine verkrachte Existenz wie Rousseau kann für mich kein geistlicher Führer sein-- ausgeschlossen.
LG
ich dachte es geht nicht um Gute Taten.?
Wie meinst du das denn?

Ich gehöre nicht zu den Christen, die behaupten, ein Gläubiger könne nach Belieben über die Stränge schlagen und sei trotzdem unwiderruflich errettet.
Jesus warnte, schöne Worte und eine Menge Wissen retten niemanden und machte die Gültigkeit der Errettung von den "Werken" abhängig, also davon, "den Willen des Vaters zu tun".
Und was war mit David als Intrigant und Mörder damit er die Frau bekam die er wollte, nimmst Du alles von ihm auch nicht an.?
David ist nicht mein "geistlicher Führer".

Was soll man von David annehmen? Wo oder inwiefern hat er sich beipielhaft verhalten?
Mit dem hätte ich nicht verheiratet sein wollen :roll: .

Positiv sind seine Psalmen-- prophetische Eindrücke. Aber die sind nicht auf dem Mist von David gewachsen, sondern vom Geist Gottes gewirkt.
Und was ist mit all den anderen biblischen grössen die mordeten und menschlich versagten.?
Das sehe ich alles sehr kritisch.
Entscheidend ist, ob jemand Buße tut und umkehrt oder ob er munter in Sünde verharrt.

Wer seine Kinder nicht versorgen kann oder will, der sollte schlicht und einfach keine in die Welt setzen. Die Findelhäuser damals... das waren Notbehelfe, mehr nicht. (Wer hat die eigentlich betrieben? Etwa die, von Rousseau so scharf kritisierte Kirche? :mrgreen: )

Da stellte ein Mann sein "Recht auf GV" über das Wohl seiner Kinder, und das macht ihn als "Weltverbesserer" unglaubwürdig. Offenbar wollte er eben doch ein Stück vom Kuchen der Gesellschaft, die er scharf kritisierte -- ansonsten hätte er auf die gesponserten Annehmlichkeiten verzichtet und auch nicht für die Gesellschaft komponiert, sondern hätte sich von seiner Gönnerin ein Stückchen Land finanzieren lassen und darauf, wie das Fußvolk... in harter Arbeit mit eigenen Händen das Notwendige erzeugt, um seine Frau und seine Kinder zu ernähren.

Nein, er hätte nicht gänzlich auf GV verzichten müssen... damals wie heute gibt es Möglichkeiten, als Paar zusammen zu sein, ohne neues Leben zu zeugen (nicht NFP).
LG
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Magdalena61
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#4 Re: Rousseau und die autoritäre Gesellschaft im Namen der Fr

Beitrag von Magdalena61 » Sa 12. Okt 2013, 11:35

Hi Mia... wenn Rousseau zum geistigen Helden und leuchtenden Vorbild wird, dann sollte man vielleicht Folgendes wissen:
“Zivilreligion”: Ein Vorschlag von Jean – Jacques Rousseau
...
Das Besondere ist: Rousseau will die „natürliche“, also die vor der Vernunft beständige Religion, ausweiten auf das politische Feld. Aus seiner natürlichen Religion wird die „religion civile“. Sie soll die Volkssouverenität in der Republik verbindlich machen. Alle Bürger sollen dieser religion civile anhängen und sich einfachen Einsichten, Dogmen genannt, bekennen, wer dazu nicht bereit ist, hat im Sinne Rousseaus mit Strafen zu rechnen.

Dabei spielt die Existenz eines mächtigen und wohltätigen und voraussehenden Gottes eine zentrale Rolle. Es wird die göttliche Bestrafung der Bösen gedacht; es ist von der „Heiligkeit des Sozialvertrags und der Gesetze“ die Rede. Ausgeschlossen ist in dieser Religion die Intoleranz. Dabei ist die Tendenz problematisch, faktische Gesetze als heilig zu betrachten….
...
Rousseau wollte angesichts der intellektuellen Schwäche und Verderbtheit des Christentums zu seiner Zeit einen Ausweg aufzeigen, sozusagen eine nach – christliche Religion konzipieren, die der Republik Dauer und Bestand verleiht. Für Atheisten ist in dieser Republik, die der religion civile folgt, kaum ein Platz.
Rousseau unterstellt, Atheismus impliziere Formen des Egoismus und eine Nachlässigkeit gegenüber dem Guten, eine Position, die noch gegenüber der von Voltaire milde ausfällt: Voltaire meinte, „der Atheismus führe zu allen Arten von Verbrechen“.
Quelle
Das war's dann mit der "Freiheit" und mit der Glorifizierung des "natürlichen Menschen", nicht wahr?
Wer den leckeren Köder schluckt, spürt dann irgendwann den fiesen Haken .
LG
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Mia
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#5 Re: Rousseau und die autoritäre Gesellschaft im Namen der Fr

Beitrag von Mia » Sa 12. Okt 2013, 11:58

Hast Du das hier von mir überlesen?
PS. warum braucht es immer einen geistigen Führer, man kann sich doch das gute herauspicken und das schlechte einfach weglassen. Und muss nicht wegen einem Fehler den ganzen Menschen verurteilen, Fehler haben wir doch alle
Außerdem ist mir nicht nach, Rousseau zu beurteilen, was er gesagt und getan hat, sondern ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wenn Kinder in natürlicher Umgebung aufwachsen, sie sich völlig anders entwickeln und das sagte Rousseau auch, der Rest ist mir im Moment nicht wichtig, in was für einer Partei er war, wie er Atheisten sah usw sondern nur diese eine Aussage:
„Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Rousseau kritisiert nicht nur die Gesellschaft seiner Zeit, sondern eine die Menschen von ihrem wahren Wesen entfremdende Vergesellschaftung schlechthin. Damit steht er in starkem Gegensatz zum Denken seiner Zeit: Seine Theorien wurden von den Vertretern der christlichen Kirchen sowie auch von vielen Denkern der Aufklärung abgelehnt. Die christlichen Kirchen hielten die Idee des „edlen Wilden“ für abwegig; der Mensch war für sie nicht von Natur aus gut, sondern durch die Erbsünde belastet.
Diese Erkenntnis kann ich mit Rousseau teilen, mehr bis jetzt noch nicht, denn dazu kenn ich ihn zuwenig, mich interessiert im Moment eher das Schicksal der sogenannten Hexen und ihre Teufel.

Liebe Grüße
Mia

closs
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#6

Beitrag von closs » Sa 12. Okt 2013, 12:26

Grundsätzlich: "Botschaft" und "Überbringer der Botschaft" sind autonome Größen - das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. - Herbes Beispiel: Wenn Stalin gesagt hätte "Gott ist die Liebe", wäre dieser Satz immer noch richtig, selbst wenn Stalin nicht glaubwürdig dafür steht.

Das ist ja das Problem unserer ego-zentrierten Zeit: Man sammelt Meinungen, wie andere früher Briefmarken, und sucht sich eine Meinung aus, deren Verfechter (also Überbringer) möglichst "glaubwürdig" ist. Denn beurteilen kann man es selbst nicht. Und wenn dann Scheiße im RollsRoyce vorgefahren wird, muss sie gut sein (man schaue sich einmal Sendungen über den Glamour der Welt in den Privatsendern an). - Zu Rousseau:

Rousseau muss man in seiner Zeit verstehen. - Er schreibt in der Zeit des Ancien Régime, also VOR der Französischen Revolution, und schreibt gegen die damals verfremdete Bonzen-Kultur an. - Man vergleiche ein bisschen mit dem, was in den 68er Jahren in Berlin los war - "Kommune 1", etc. - Was damals absolut "links" und provokativ war, wird heute vom jungen CSU-Wähler wie selbstverständlich selber gemacht. - Rousseaus Bedeutung besteht in seiner Eisbrecher-Funktion. - Ob seine Schriften heute noch sehr ernst genommen werden, mag man bezweifeln.

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Mia
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#7 Re: Rousseau und die autoritäre Gesellschaft im Namen der Fr

Beitrag von Mia » Sa 12. Okt 2013, 13:04

closs hat geschrieben:Rousseau muss man in seiner Zeit verstehen. - Er schreibt in der Zeit des Ancien Régime, also VOR der Französischen Revolution, und schreibt gegen die damals verfremdete Bonzen-Kultur an. - Man vergleiche ein bisschen mit dem, was in den 68er Jahren in Berlin los war - "Kommune 1", etc. - Was damals absolut "links" und provokativ war, wird heute vom jungen CSU-Wähler wie selbstverständlich selber gemacht. - Rousseaus Bedeutung besteht in seiner Eisbrecher-Funktion. - Ob seine Schriften heute noch sehr ernst genommen werden, mag man bezweifeln.

Ich befasse mich gerne mit Menschen aus der Vergangenheit und bis auf heute Morgen wusste ich noch nichts von Rousseau, falls man ihn im Geschichtsunterricht gehabt haben soll, dann war ich da wohl gerade am träumen und hab es nicht mitbekommen.
Was mich interessieren würde was für Musik er geschrieben hat, mal schauen ob ich da was finde.
Außerdem wenn ich ihn beurteilen sollte, dann müsste ich dazu seine ganzen Werke lesen, mich mit seiner Zeit befassen in der er lebte und dann würde ich mich immer noch nicht berechtigt sehen, ihn irgend wie zu beurteilen außer, ich finde ihn sympathisch oder aber nicht.
Es geschieht leider viel zu oft, dass Menschen oberflächlich beurteilt werden, ein Leben einer öffentlichen Person kann lang sein, und da gibt es immer die Möglichkeit seine Meinung zu ändern, man wird ja nicht mit einer festen Meinung geboren.
Wenn man meine Beiträge von Jesus2 liest und mit heute vergleicht, habe ich auch eine Entwicklung durchgemacht und vieles was ich damals sagte und dachte hat sich zu heute verändert und wer weiß wie ich in 5 Jahren denke?
Deshalb finde ich es bedenklich eine Person auf eine Aussage zu beurteilen, ich kann nur eine Aussage gut finden oder nicht aber dadurch wird man niemals den ganzen Menschen erfassen und beurteilen können.

closs
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#8

Beitrag von closs » Sa 12. Okt 2013, 13:22

Mia hat geschrieben:Ich befasse mich gerne mit Menschen aus der Vergangenheit
Wiki ist zwar nicht die erste Adresse für vertiefte Beschäftigung mit einem Gegenstand, aber ein guter Einstieg (zumal da auch immer Literaturhinweise zum Weiterlesen angegeben sind).

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Magdalena61
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#9 Re:

Beitrag von Magdalena61 » Sa 12. Okt 2013, 16:43

closs hat geschrieben:Das ist ja das Problem unserer ego-zentrierten Zeit: Man sammelt Meinungen, wie andere früher Briefmarken, und sucht sich eine Meinung aus, deren Verfechter (also Überbringer) möglichst "glaubwürdig" ist. Denn beurteilen kann man es selbst nicht.
Hm... wenn jemand tolle Worte schwingt, aber sein Leben eine andere Sprache spricht, dann sollte man schon kritisch sein.
Es gibt zu viele, der meinen, richtungsweisend wirken und auf das Leben anderer Menschen maßgeblichen Einfluß nehmen zu müssen, die es aber selbst NICHT für nötig halten oder schaffen, ihre Theorien im eigenen Leben glaubwürdig umzusetzen.
Persönliche Integrität ist unbedingte Voraussetzung, wenn man anderen Leuten eine Ideologie überzeugend verkaufen will.

Da denke ich gerade an unsere Politiker... :angel: ... oder an... die ehemalige Führungsspitze der DDR. So etwas geht einfach nicht! Wasser predigen und Wein trinken.
Rousseau muss man in seiner Zeit verstehen. - Er schreibt in der Zeit des Ancien Régime, also VOR der Französischen Revolution, und schreibt gegen die damals verfremdete Bonzen-Kultur an.
*unterschreibe*
Man kann seine Gedanken nur begrenzt in die heutige Zeit transportieren.

Interessant wäre trotzdem, das Wesentliche herauszuarbeiten; als Gedankenanstöße, als Diskussionsgrundlage.
:D Den müsstet ihr auf der Uni doch durchgenommen haben.

Die Idee eine Zwangsmissionierung der Gesellschaft unter Androhung von Strafe im Verweigerungsfall ist sowas von abgehoben... und dann wird Rousseau ausgerechnet von Leuten angeführt, die Gott und die Kirche(n) lautstark niedermachen-- :shock: :mrgreen:

Nachtrag zum Threadtitel: Der ist von hier: Jean- Jaques Rousseau Biographie

Hattest du gewußt, dass er sich vergeblich darum beworben hatte, in ein Priesterseminar aufgenommen zu werden?
Das passt nicht so richtig zu seiner Ablehnung des Christentums: „unfassbare Mysterien“, „sinnlose Widersprüche“.
Die Kirchenleute haben ihn nicht genommen. -- Wie glaubwürdig sind Argumente, die (möglicherweise) in verletztem Stolz gründen?
LG
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Magdalena61
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#10 Erbsünde und moralische Verantwortung

Beitrag von Magdalena61 » Sa 12. Okt 2013, 16:59

Mia hat geschrieben:Hast Du das hier von mir überlesen?
PS. warum braucht es immer einen geistigen Führer, man kann sich doch das gute herauspicken und das schlechte einfach weglassen. Und muss nicht wegen einem Fehler den ganzen Menschen verurteilen, Fehler haben wir doch alle
Wie käme ich dazu, Rousseau zu verurteilen? -- Er hat sein Leben gelebt, ich lebe meines; ansonsten s.o. :)
sondern ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wenn Kinder in natürlicher Umgebung aufwachsen, sie sich völlig anders entwickeln und das sagte Rousseau auch,
... nur, dass ihm die persönliche Erfahrung fehlte. Er hat seine Theorien entworfen zur Erziehung von Kindern, aber er hat sie nicht in seinem eigenen Leben angewendet; er hat sie nicht getestet, er hat nicht bewiesen, dass sie funktionieren.

In den mehr als 30 Jahren, in denen ich mit Kindern lebe... habe ich genügend Leute kennengelernt, die theoretisch bestens Bescheid wissen, jedenfalls sind sie der Meinung, dass es so ist.
Es gibt nur ein kleines Problem: Sie selbst haben keine Kinder, teilweise sind sie noch nicht einmal verpartnert. Das sind diejenigen, die am meisten nerven.

Eltern mit Kindern.... treten wesentlich bescheidener auf.
jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; (Rousseau)
Der Mensch strebt nach dem Guten, weil er das Böse; das Leid nicht ertragen kann. Aber er ist nicht "von Natur aus gut". Das kann man in jedem Sandkasten beobachten, bei den Kleinkindern, die keine Ahnung haben, was gut und böse ist.

"Erbsünde" ist ein umstrittener und häufig mißverstandener Begriff. Ich würde es "ererbte Unvollkommenheit" nennen. Wenn der Mensch "gut" wäre, dann wäre er "heilig" und würde niemals sündigen, das ist er aber nicht, er muß zuerst lernen, das Licht von der Finsternis zu unterscheiden und sich dann dafür entscheiden, dem Licht zu folgen.
LG
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