Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Philosophisches zum Nachdenken
Novas
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#1 Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Novas » Mo 13. Nov 2017, 00:28

Es gibt kritische Töne aus dem Hauptgartier (ich nenne es einfach mal provokant die Zentrale Parteikontrollkommission): „Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht schon irgendwie komisch!“ – Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung
http://www.schmidt-salomon.de/neuhuman1.pdf manche Atheisten können also auch über sich selbst lachen :thumbup: Über den Prozess der Aufklärung ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen worden. Die Religion kann dem Menschen etwas geben, was der Atheismus niemals in vergleichbarer Form geben kann: die Kraft des Vertrauens und die Vergöttlichung des Menschen. Den Atheisten fehlt weniger das Wissen, als der Wagemut: der Sprung in den Glauben ist etwas für Abenteurer.

Der alles entscheidende Sprung ist für Kierkegaard der Sprung in den Glauben. Über den eigenen Verstand und den eigenen Lebensentwurf hinausführend, läßt sich der Weg ins Christsein nicht schrittweise, sondern nur durch einen qualitativen Sprung zurücklegen. Mit der Vernunft unvereinbar ist der Glaube so das, “was die Griechen den göttlichen Wahnwitz nannten.”
Sören Kierkegaards Sprung in den Glauben

Der christliche Glaube spricht zweifellos von einer Realität, welche höher ist als die Vernunft: “Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren”. (Phil 4,7)
Zuletzt geändert von Novas am Mo 13. Nov 2017, 00:51, insgesamt 1-mal geändert.

closs
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#2 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von closs » Mo 13. Nov 2017, 00:50

Novalis hat geschrieben:„Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht schon irgendwie komisch!“ – Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung
Was will er damit sagen? - Wird hier ein Saulus zum Paulus?

Rembremerding
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#3 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Rembremerding » Mo 13. Nov 2017, 06:51

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:„Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht schon irgendwie komisch!“ – Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung
Was will er damit sagen? - Wird hier ein Saulus zum Paulus?
Er postuliert ebenso, man müsse den neuen Atheismus auf eine religiöse Ebene heben, ihm eine eigene Heilsgeschichte zusprechen, damit er nicht weiter in Banalität absinkt. Atheismus riecht nach Arroganz, Ignoranz und elitärer Geisteshaltung. Fruchtbare Auseinandersetzungen scheitern an diesen Einstellungen, welche inzwischen auch die Gesellschaft durchdringen. Die Empörkultur und Empörlinge lassen sich ihre Instant-Meinung von Belieferando frei Haus liefern.
In seinem von mir schon einmal geposteten Aufsatz: "Sind AtheistInnen die besseren Menschen? Anmerkungen zur Kriminalgeschichte des Atheismus" schreibt Schmidt-Salomon:

Im Laufe der letzten Jahre traf ich aber im freigeistigen Spektrum eine beachtliche Anzahl von Menschen, auf die der Satz dummerweise doch erschreckend zutraf: Atheisten, die so religiös fanatisiert über Atheismus sprachen, dass sie auf mich den Eindruck missionierender Wanderprediger machten, freigeistige Märtyrer, die das Misslingen ihres eigenen Lebens ausschließlich auf das Wirken klerikaler Seilschaften zurückführten, Menschen, die alle Katastrophen der letzten 2000 Jahre der katholischen Kirche anlasteten und deren Kirchenhass das Einzige zu sein schien, was ihrem Leben noch Halt zu geben vermochte.

Ich hatte den Eindruck, dass diese Menschen, die in der Regel der christlichen Religion entflohen waren, zwar ihren Gottesglauben verloren, das entscheidende Problem aber nicht gelöst hatten: Sie waren religiös geblieben, überzeugt von der unumstößlichen Wahrheit ihrer Glaubenssätze. So fest sie zuvor glaubten, Gott existiere, so waren sie nun davon überzeugt, dass er (sie oder es) nie existiert habe. Ihre Propheten der Wahrheit hießen nun nicht mehr Markus, Matthäus, Lukas und Johannes, sondern Nietzsche, Marx und Feuerbach. Widerrede war verpönt wie eh und je, die Schwarz auf Weiß gedruckte Wahrheit durfte nicht in Frage gestellt werden.

Die Konfrontation mit dieser Art religiöser Atheisten rief mir immer wieder zu Bewußtsein, was mir eigentlich schon seit Beginn meines Ausstiegs aus der Religion klar war, nämlich dass das entscheidende Problem nicht der Theismus ist, sondern die Religion. Schon in dem ersten religionskritischen Aufsatz, den ich jemals veröffentlichte, war dies die Grundthese. Ich plädierte dafür, den traditionellen Begriff der Religion zu erweitern: er müßte sowohl die theistischen als auch die atheistischen Heilsgeschichten umfassen.

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closs
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#4 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von closs » Mo 13. Nov 2017, 09:09

Rembremerding hat geschrieben:"Schon in dem ersten religionskritischen Aufsatz, den ich jemals veröffentlichte, war dies die Grundthese. Ich plädierte dafür, den traditionellen Begriff der Religion zu erweitern: er müßte sowohl die theistischen als auch die atheistischen Heilsgeschichten umfassen" (S.-S.).
Das klingt für S.-S. erstaunlich vernünftig - da könnte man was draus machen.

Mein spontaner Eindruck:
S.-S. hat die Phase des Kirchen-Prasses durchschritten und versucht etwas tiefer zu gehen - das klingt vielversprechend. - Hältst Du meinen Optimismus für angebracht?

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#5 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Rembremerding » Mo 13. Nov 2017, 09:40

closs hat geschrieben: S.-S. hat die Phase des Kirchen-Prasses durchschritten und versucht etwas tiefer zu gehen - das klingt vielversprechend. - Hältst Du meinen Optimismus für angebracht?
Atheismus hat sich lange Zeit nur auf ein "dagegen" reduziert. Sich aber nur durch ein "Anti" zu definieren, bedeutet, von dem weiter abhängig sein, von dem man sich distanzieren will. Solcherart Philosophie ist typisch "Frankfurter Schule", die sich im schlimmsten Fall allein auf Kritik und Destruktivismus reduziert, ohne neue Modelle aufzuzeigen. Den 68ern war dieses theoretisierende "dagegen" bald suspekt, weshalb sie zwar das Denkmodell der Frankfurter Schule aufgriffen, aber es ins Leben mit dem Versuch positives zu bewirken, umsetzten. Der altgedienten philosophischen Garde dieser Schule waren deshalb die 68er suspekt.
In dieser Hinsicht ist es positiv, dass die ersten Atheisten sich nun der kindlichen Trotzphase entledigen.
Insgesamt wird jedoch eine atheistische Ideologie und Philosophie schon von ihrem System und der Wirklichkeit her, auf der sie sich reduziert, stets destruktiv bleiben müssen. Und zudem hatte alles, was sich gegen das Leben stellt, in der Geschichte nie lange Bestand.

Schon im Buch der Weisheit der Hl. Schrift wird der damalige Atheismus beschrieben (ca. 200 v. Chr.), der verblüffend mit dem heutigen Zustand übereinstimmt.

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#6 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von closs » Mo 13. Nov 2017, 09:53

Rembremerding hat geschrieben:Insgesamt wird jedoch eine atheistische Ideologie und Philosophie schon von ihrem System und der Wirklichkeit her, auf der sie sich reduziert, stets destruktiv bleiben müssen. Und zudem hatte alles, was sich gegen das Leben stellt, in der Geschichte nie lange Bestand.
Zustimmung - allerdings wäre es ein guter Ansatz, wenn man "atheistisch" als "nicht konkret religiös gebunden", sondern "ontisch gebunden" verstehen würde". - Etwas praktischer formuliert: Wenn es einen Atheismus gäbe, der nicht nach speziell-religiösen Gründen sucht, sondern nach "Gründen an sich", wäre dies der richtige Ansatz.

Oder konkret gesagt: Ich "glaube" nicht nur an Jesus, sondern sehe in ihm eine unvermeidliche Notwendigkeit, weil nur so ein per Mensch irreversibler Zustand aufgehoben werden kann - das kann man auch dann erkennen, wenn man nicht CHrist ist, sondern einfach fundamental denkt. - Wenn DAS der neue Ansatz von S.-S. wäre, wäre das super - aber wie gesagt: Man kann da auch einen Optimismus hineindeuten, der sich nicht bestätigt.

Rembremerding hat geschrieben:Schon im Buch der Weisheit der Hl. Schrift wird der damalige Atheismus beschrieben (ca. 200 v. Chr.), der verblüffend mit dem heutigen Zustand übereinstimmt.
Semper idem. - Die wirklich wichtigen Fragen der menschlichen Existenz waren schon immer die dieselbe. - Das Gilgamesch-Epos (ca. 3.000 v.Chr.) beginnt mit der Feststellung, dass eigentlich schon alles gesagt ist. :D

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#7 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Pluto » Mo 13. Nov 2017, 10:01

closs hat geschrieben:
Rembremerding hat geschrieben:Schon im Buch der Weisheit der Hl. Schrift wird der damalige Atheismus beschrieben (ca. 200 v. Chr.), der verblüffend mit dem heutigen Zustand übereinstimmt.
Kannst du das anhand von Zitaten, Quellen und Beispielen auch begründen?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Rembremerding
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#8 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Rembremerding » Mo 13. Nov 2017, 10:05

closs hat geschrieben:Zustimmung - allerdings wäre es ein guter Ansatz, wenn man "atheistisch" als "nicht konkret religiös gebunden", sondern "ontisch gebunden" verstehen würde". - Etwas praktischer formuliert: Wenn es einen Atheismus gäbe, der nicht nach speziell-religiösen Gründen sucht, sondern nach "Gründen an sich", wäre dies der richtige Ansatz.
Oder konkret gesagt: Ich "glaube" nicht nur an Jesus, sondern sehe in ihm eine unvermeidliche Notwendigkeit, weil nur so ein per Mensch irreversibler Zustand aufgehoben werden kann - das kann man auch dann erkennen, wenn man nicht CHrist ist, sondern einfach fundamental denkt.
Man muss feststellen, dass man Religion nicht abschaffen, nur ersetzen kann.
Hier geschieht im Atheismus mit Religion dasselbe, wie etwa mit der Geschlechtlichkeit: Die Natur, das Wesen des Menschen wird ignoriert, ja dagegen ("anti") definiert.
Ziel des Atheismus muss es sein, auch eine ontische Bindung am besten im Relativismus, der Unsicherheit aufzulösen. Da das Relative letztlich unpersönlich sein kann, wird auch die Notwendigkeit obsolet an einen Jesus zu "glauben", der einen irreversiblen Zustand aufhebt, der gar nicht als solcher mehr erkannt zu werden braucht.
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#9 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von closs » Mo 13. Nov 2017, 12:24

Rembremerding hat geschrieben:Ziel des Atheismus muss es sein, auch eine ontische Bindung am besten im Relativismus, der Unsicherheit aufzulösen.
Gab es eigentlich Deines Wissens nach schon einmal so etwas wie einen "ontischen Atheismus"? - Also eine Philosophie, bei der man unter Vermeidung von konket-religiösen Glaubensbildern grundlegend denkt?

Heideggers Ontologie könnte in diese Richtung gehen, weil sie sich ja eigentlich existenzialistisch versteht. - Man könnte sogar interpretieren, dass Heidegger seine Ontologie anfangs atheistisch und nach seiner berühmten "Kehre" in späterer Zeit geistig-fundamental ins Vertikale gekippt hat. - Aber da bin ich mir unsicher, weil ich Heidegger nicht gut genung kenne (wer tut das schon ;) ).

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#10 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Detlef » Mo 13. Nov 2017, 12:28

Novalis hat geschrieben:Es gibt kritische Töne aus dem Hauptgartier (ich nenne es einfach mal provokant die Zentrale Parteikontrollkommission): „Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht schon irgendwie komisch!“ – Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung
http://www.schmidt-salomon.de/neuhuman1.pdf manche Atheisten können also auch über sich selbst lachen :thumbup: Über den Prozess der Aufklärung ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen worden.
Gratulation, du bist also eine3/4-sten Seite weit gekommen (kleiner Hinweis noch: Der Aufsatz ist vom April 2008 (!) - steht ganz oben)
Novalis hat geschrieben:Die Religion kann dem Menschen etwas geben, was der Atheismus niemals in vergleichbarer Form geben kann: die Kraft des Vertrauens und die Vergöttlichung des Menschen. Den Atheisten fehlt weniger das Wissen, als der Wagemut: der Sprung in den Glauben ist etwas für Abenteurer. ..
Dieser Aufsatz hat nur 7 Seiten, es ist eigentlich nicht zu viel verlangt, das dann auch mal vollständig zu lesen und es wenigstens mal ansatzweise zu versuchen, zu verstehen - Schmidt-Salomons Sprache ist nicht so kompliziert, dass das unmöglich wäre.
closs hat geschrieben:
Rembremerding hat geschrieben:Insgesamt wird jedoch eine atheistische Ideologie und Philosophie schon von ihrem System und der Wirklichkeit her, auf der sie sich reduziert, stets destruktiv bleiben müssen. Und zudem hatte alles, was sich gegen das Leben stellt, in der Geschichte nie lange Bestand.
Zustimmung - allerdings wäre es ein guter Ansatz, wenn man "atheistisch" als "nicht konkret religiös gebunden", sondern "ontisch gebunden" verstehen würde". - Etwas praktischer formuliert: Wenn es einen Atheismus gäbe, der nicht nach speziell-religiösen Gründen sucht, sondern nach "Gründen an sich", wäre dies der richtige Ansatz....
Dgl. an euch beide: Schmidt-Salomon hat die in diesem Aufsatz angerissenen Ideen, welche alles andere als "destruktiv "sind, schon längst in Publikationen und Büchern weiterentwickelt.
Die Wahrheit lässt sich pachten, mit dem Glauben an des Gottes Sohn, doch die Thesen sind vergänglich, allen Gläubigen zum Hohn! (Gert Reichelt)

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