Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#11 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von closs » Mo 13. Nov 2017, 12:39

Detlef hat geschrieben:Schmidt-Salomon hat die in diesem Aufsatz angerissenen Ideen, welche alles andere als "destruktiv "sind, schon längst in Publikationen und Büchern weiterentwickelt.
Da bin ich zu wenig informiert - er wird immer mit Sachen zitiert, die wenig einladend sind. - Vielleicht sehe ich ihn ja falsch.

Weißt Du, was am Ende rauskommt?

Mimi
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#12 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Mimi » Mo 13. Nov 2017, 12:44

@ closs
closs:
Aber da bin ich mir unsicher, weil ich Heidegger nicht gut genung kenne (wer tut das schon ;) ).
Mimi vielleicht..? Bild
"Jedes menschliche Wunschbild,
das in die christliche Gemeinschaft mit eingebracht wird,
hindert die echte Gemeinschaft und muss zerbrochen werden,
damit die echte Gemeinschaft leben kann."
Dietrich Bonhoeffer

Mimi
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#13 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Mimi » Mo 13. Nov 2017, 12:59

closs:
Weißt Du, was am Ende rauskommt?
Denominationen…
alter Atheismus..
neuer Atheismus...
Atheismus der „Gebildeten“...
Atheismus der „Doofen“ - (häufig sehr unsauber gemeinhin als „Volk, breite Masse“ betitelt)
freikirchlicher Atheismus..
kath. Atheismus...
ev. Atheismus...
ökonomischer Atheismus…
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Rembremerding
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#14 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Rembremerding » Mo 13. Nov 2017, 13:10

closs hat geschrieben:Gab es eigentlich Deines Wissens nach schon einmal so etwas wie einen "ontischen Atheismus"? - Also eine Philosophie, bei der man unter Vermeidung von konket-religiösen Glaubensbildern grundlegend denkt?

Das würde schwierig werden. Das Ontische zu bejahen, bedeutet auch das Metaphysische in Betracht zu ziehen. Belässt man die Begriffe in den Definitionen, für die sie geschaffen, dann kann das Transzendente nicht verleugnet werden. Aber man kann ja immer noch an den Begriffsdefinitionen schrauben ... :yawn:

Die Begrenzung unserer Vernunft oder unserer Erkenntniskräfte auf die Welt der sinnenhaften Wahrnehmung, auf die Welt der Erscheinungen, ist nicht das Ergebnis der Erfahrung oder der Einsicht, sondern einer Option, die zudem noch im Gegensatz zu unserem Verhalten im alltäglichen Leben steht. Bedingt (und auch verständlich) ist diese Entscheidung gegen die ontische Tragfähigkeit unseres Geistes durch die Faszination,die von den exakten Naturwissenschaften ausgeht, die ihrerseits von daher die Tendenz entwickelt haben, sich zu verabsolutieren. Vorphilosophisch und unreflektiert verhalten wir uns jedenfalls so, als ob wir die Wirklichkeit erfassen würden, wie sie ist.
Univ.-Prof. Dr. theol. habil. Joseph Schumacher Prof. für Fundamentaltheologie Freiburg, Br.

Vielleicht ist Thomas Nagel ein geeigneter Kandidat für einen weiterreichenden, "ontischen" Atheismus. Er sieht Erkenntnisschranken der Naturwissenschaft (in seinem 1974er Aufsatz: "Wie ist es eine Fledermaus zu sein?") und vertritt eine "Philosophie des Geistes".
Thomas Nagel kritisiert den Reduktionismus und Darwinismus, bekennt sich aber gleichzeitig zum Atheismus. Sein zentrales Argument gegen den Gottesgedanken ist seine Auffassung von der Intelligibilität (wiki: Als intelligibel werden Gegenstände bezeichnet, die nur über den Verstand oder Intellekt erfasst werden können, da sie der Sinneswahrnehmung nicht zugänglich sind) der Welt, das auch in seiner Kritik am Darwinismus eine große Rolle spielt.
Ihm geht es darum, Kriterien für ein Evolutionskonzept zu entwickeln, das die Entstehung von Geist und Vernunft erwartbar macht, indem er "protomentale" Elemente in der Materie ansetzt. Das mögen allerdings "panpsychistische Spekulationen" sein.
„Mir scheint, dass man die wissenschaftliche Weltsicht nicht wirklich verstehen kann, wenn man nicht annimmt, dass die Intelligibilität der Welt, wie sie mit den von der Wissenschaft aufgedeckten Gesetzen beschrieben wird, selbst ein Bestandteil der tiefschürfendsten Erklärung ist, warum die Dinge so sind, wie sie sind“ (Nagel 2013 "Geist und Kosmos")
Nagel ist Atheist, aber verknüpft Geist und Materie von Anfang an. Ein Gott absorbiert für ihn die Intelligibilität des Menschen, womit Gott nicht außerhalb des Menschen und der Naturgesetze handeln kann. Damit wird er "irrelevant". Nagel philosophiert Gott quasi vollständig in den Menschen und hebt Gott damit auf. Der Mensch ist fähig und aufgefordert zur Selbsttranszendierung, kann aber seine subjektive Perspektive nie ablegen.

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closs
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#15 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von closs » Mo 13. Nov 2017, 13:33

Rembremerding hat geschrieben:Das würde schwierig werden. Das Ontische zu bejahen, bedeutet auch das Metaphysische in Betracht zu ziehen.
Stimmt - deshalb die Frage: Kann es prinzipiell einen metaphyischen Atheismus geben?

Rembremerding hat geschrieben: Bedingt (und auch verständlich) ist diese Entscheidung gegen die ontische Tragfähigkeit unseres Geistes durch die Faszination,die von den exakten Naturwissenschaften ausgeht, die ihrerseits von daher die Tendenz entwickelt haben, sich zu verabsolutieren. (Univ.-Prof. Dr. theol. habil. Joseph Schumacher Prof. für Fundamentaltheologie Freiburg, Br.)
Genau so ist es.

Rembremerding hat geschrieben:Thomas Nagel ... geht es darum, Kriterien für ein Evolutionskonzept zu entwickeln, das die Entstehung von Geist und Vernunft erwartbar macht, indem er "protomentale" Elemente in der Materie ansetzt.
An sich ein guter Ansatz - nur: Woher kommt das "Proto-Mentale", wenn Geist erst aus Materie entsteht? - Oder es entsteht NICHT aus der Materie (habe ich das was überlesen?) - dann wären wir in der Tat auf ontischer Ebene - aber halt wieder mit Metaphysik.

Rembremerding hat geschrieben: Nagel philosophiert Gott quasi vollständig in den Menschen und hebt Gott damit auf.
Das ist natürlich der falsche Weg - denn damit sind die ersten Fragen eben NICHT beantwortet. - Aber man sieht auch, wie sehr sich der Mensch bemüht, aus seinem materialistischen Käfig herauszufinden, aber gleichzeitig an den Gittern festhält (gilt übrigens auch für die sog. "Qualia").

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#16 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Pluto » Mo 13. Nov 2017, 13:58

closs hat geschrieben:
Rembremerding hat geschrieben: Bedingt (und auch verständlich) ist diese Entscheidung gegen die ontische Tragfähigkeit unseres Geistes durch die Faszination,die von den exakten Naturwissenschaften ausgeht, die ihrerseits von daher die Tendenz entwickelt haben, sich zu verabsolutieren. (Univ.-Prof. Dr. theol. habil. Joseph Schumacher Prof. für Fundamentaltheologie Freiburg, Br.)
Genau so ist es.
Ihr predigt aus euren Elfenbeinturm herunter. Was dieser Prof. Schumacher behauptet ist Kokolores. Die Wissenschaft kennt keine ewig gültigen Wahrheiten. Solche Plattitüden kennt nur die Kanonik.

closs hat geschrieben:
Rembremerding hat geschrieben: Nagel philosophiert Gott quasi vollständig in den Menschen und hebt Gott damit auf.
Das ist natürlich der falsche Weg
Wieso ist das der falsche Weg?

closs hat geschrieben:denn damit sind die ersten Fragen eben NICHT beantwortet. - Aber man sieht auch, wie sehr sich der Mensch bemüht, aus seinem materialistischen Käfig herauszufinden, aber gleichzeitig an den Gittern festhält (gilt übrigens auch für die sog. "Qualia").
Ich vermute du hast den Begriff "Qualia" gar nicht verstanden.
Doch zurück zu deinen Fragen... Was genau ist nicht beantwortet? — konkretisiere bitte deine Behauptung!
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#17 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Rembremerding » Mo 13. Nov 2017, 13:59

Für Nagel hat die Intelligibilität des Universums seine Quelle in Gott, so wie das Licht seine Quelle in der Sonne hat. Das bedeutet keine Verbannung der Intelligibilität aus der Welt, sondern ihre Sicherung. Indem Nagel diese Intelligibilität ausschließlich in die Welt verlegt (als Ausstrahlung Gottes), unterwirft er sie dann dem Wechselspiel von Kontingenz und Werden. Nagel hat die vage Hoffnung, eines Tages den uns noch unbekannten, Materie und Geist umfassenden Grundbaustoff zu entdecken, der es uns dann erlauben soll, besser zu verstehen, was wir jetzt schon verstehen.

Hier mag wieder der vielsprechende Ansatz anzumerken sein, dass dieser überdimensionale Grundbaustoff, das "proto-mentale", Information sein kann. Im christlichen Bereich erkennen wir dieses Prinzip darin, wenn die Seele den Leib formt, quasi den Genen die Information als Matrix einprägt, damit sie gestalten. Information = das Wort Gottes = Jesus Christus von dem, auf den hin alles geschaffen.
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#18 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Novas » Mo 13. Nov 2017, 15:08

Rembremerding hat geschrieben:Schon im Buch der Weisheit der Hl. Schrift wird der damalige Atheismus beschrieben (ca. 200 v. Chr.), der verblüffend mit dem heutigen Zustand übereinstimmt

Nicolás Gómez Dávila sagte es ganz passend: „Der Atheismus ist das Vorspiel zur Vergöttlichung des Menschen.“ Wenn es gut läuft, dann ist es ein Vorspiel auf einem sehr hohen Niveau, aber zwischen dem Atheismus und einem wahren spirituellen Leben besteht ein himmelweiter Unterschied. Die „Vergöttlichung“ (Theosis) des Menschen ist aus der Sichtweise des orthodoxen Christentums das höchste Ziel des Menschenlebens. Das Problem des Atheismus ist, dass er den Menschen nicht wirklich etwas anzubieten hat, was sie zu einer solchen Erfüllung ihrer Existenz führen kann (der Buddhismus ist da schon wieder auf einer sehr viel höheren Ebene). Die Hamartia (griechisch ἁμαρτία), was das griechische Wort für Sünde ist, bedeutet ursprünglich so viel wie das Ziel verfehlen. Sünde ist also nicht nur eine oberflächliche moralische Verfehlung, sondern die Zielverfehlung der eigenen Existenz und letztlich fällt der Atheismus unter diese Kategorie. Der Atheismus ist also eine “Sünde”, aber nicht in einem moralistischen Sinne, sondern in einem existenziellen Sinne.

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#19 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von closs » Mo 13. Nov 2017, 17:49

Pluto hat geschrieben:Was dieser Prof. Schumacher behauptet ist Kokolores. Die Wissenschaft kennt keine ewig gültigen Wahrheiten.
Das meint er auch nicht. - Er meint, dass sich die Wissenschaft selbst verabsolutiert ("Was nicht wissenschaftlich ist, ist nicht satisfaktionsfähig").

Pluto hat geschrieben: closs hat geschrieben:

Rembremerding hat geschrieben:
Nagel philosophiert Gott quasi vollständig in den Menschen und hebt Gott damit auf.

Das ist natürlich der falsche Weg

Wieso ist das der falsche Weg?

closs hat geschrieben:
Weil dann das Wort "Gott" sinnlos ist - dann kann man doch gleich "Mensch" sagen.

Pluto hat geschrieben:Ich vermute du hast den Begriff "Qualia" gar nicht verstanden.
Möglich - mein bisheriger Eindruck ist, dass man damit Distanz zu materialistischen Sichtweisen schaffen will, aber letztlich davon ausgeht, dass Qualia nichtsdestoweniger Produkt eines naturalistischen Weltbildes sind.

Pluto hat geschrieben:Doch zurück zu deinen Fragen... Was genau ist nicht beantwortet?
Die Frage, woher der Mensch in seiner geistigen Entität herkommt - denn diese Frage kann man materialistisch/naturalistisch/naturwissenschaftlich nur von der materiellen Seite her beleuchten.

Rembremerding hat geschrieben: Nagel hat die vage Hoffnung, eines Tages den uns noch unbekannten, Materie und Geist umfassenden Grundbaustoff zu entdecken
Da sehe ich das Problem, dass dieser "Grundbaustoff" vermutlich aus seiner Sicht "diesseitiger" Konvenienz sein müsste - aber ich kenne Nagels Werk nicht.

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#20 Re: Der neue Atheismus ist vielleicht nicht tot, aber er riecht komisch!

Beitrag von Rembremerding » Mo 13. Nov 2017, 17:55

closs hat geschrieben:Da sehe ich das Problem, dass dieser "Grundbaustoff" vermutlich aus seiner Sicht "diesseitiger" Konvenienz sein müsste - aber ich kenne Nagels Werk nicht.
Natürlich. Nagel ist Atheist. Der Grundbaustoff kann für ihn nur aus der Materie, aus der Natur stammen.
Aber sein Buch "Geist und Kosmos" ist wirklich interessant.
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