closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Kant würde sich nicht dazu hinreißen lassen, zu behaupten, es gäbe Gott.
Methodisch würde er dies natürlich nicht - er muss seinen Vernunftbegriff (wenn Du ihn richtig interpretierst) beiseite legen, um zu überlegen, was er glaubt.
An dieser Antwort zeigt sich das ganze Dilemma deiner immunisierten Position.
Kant bestimmt mit den Mitteln der Vernunft die Grenzen der Vernunft. Vernunft ist dabei die
Fähigkeit des Menschen (wahre) Urteile zu fällen. Das Vermögen Urteile zu fällen, ist keiner bestimmten Methode verpflichtet. Es ist ein grundsätzliches Vermögen des menschlichen Erkenntnisapparates, der ihn überhaupt dazu befähigt, wahre Urteile zu fällen, egal welchen Inhaltes und egal mit welcher spezielle Methode.
Kant behauptet nicht "methodisch", man könne Gott weder beweisen, noch seine göttlichen Eigenschaften bestimmen, sondern er kommt zu diesem Schluss, weil jeder Versuch, solches zu tun, das Vernunftvermögen des Menschen grundsätzlich übersteigen muss. Deshalb ist es nicht möglich.
Du versuchst nun wieder, auch Kant irgendeine spezielle "Methode" zu unterstellen und die Ergebnisse seiner Erkenntnistheorie dadurch relativieren zu wollen, dass du behauptest: wenn man eine andere Methode wähle, könne man sehr wohl zu völlig anderen Ergebnissen mit derselben Berechtigung gelangen, nämlich zu deiner katholischen Position. Das ist falsch.
Dein selbstimmunisierender Methoden- und Perspektivendogmatismus ist selbst unangreifbar, und du vermagst mit ihm, stets zu dem von dir gewünschten Ergebnis zu kommen: nämlich deiner katholisch-dogmatischen Position.
Und genau darum KANN dein selbstgestrickter und immunisierter Perspektivendogmatismus nicht korrekt und wahr sein. Er ist allein schon deshalb abzulehnen, weil er ein Dogmatismus ist und immunisiert gegen jede Form der Kritik.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Der Begriff "Gott" (intellectus archetypus) ist für ihn tatsächlich nur die (transzendente bzw. regulative) Idee menschlicher Vernunft, die sich genötigt sieht anzunehmen, dass es eine einheitsstiftende "höhere" Vernunft als die menschliche geben muss.
Hmm - warum kommt dann überhaupt die Idee, dass es so etwas wie höhere Vernunft geben müsste ...
Weil die Vernunft sich bedrängt sieht von Fragen, die über sie selbst hinausweisen, und die insofern unabweisbar sind, weil die Berechtigung dieser Fragen der Vernunft über sie selbst hinaus, vernunftig nachvollziehbar ist. Jeder, der über Vernunft verfügt, erkennt, dass diese Fragen selbst vernünftig gestellt werden können, ohne dass man sie fundiert beantworten könnte.
closs hat geschrieben:
Mir kommt das eher so vor, dass man mit Hängen und Würgen eine Autonomie des Menschen postulieren will und den Rest irgendwie als "Nur-Idee" ins Nirwana entsorgt.
Nein, Kant nimmt die Fragen nach Gott, Unsterblichkeit und Freiheit ja gerade sehr ernst! Er weist sie nicht einfach zurück mit dem Hinweis, sie seien unbeantwortbar und darum unsinnig zu stellen. Er sagt stattdessen, sie seien gerade unter dem Aspekt der Vernunft nicht abweisbar, weil sie sich hartnäckig immer wieder jedem vernünftigem Wesen stellen. Kant versucht nur einen rational nachvollziehbaren Weg zu finden, die Fragen selbst als berechtigte Fragen akzeptieren zu können, auch wenn die Vernunft keine Antwort auf sie zu finden vermag. Von der Autonomie des Menschen spricht Kant in keinem der von mir verwendeten Zitate.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:er kritisiert den Gebrauch "reiner Vernunft", die sich zu bloßen metaphysischen Spekulationen hinreißen lässt, ohne dass ein Rückgriff auf empirische Erkenntnisse überhaupt möglich ist
Hieße das nicht, dass geistige Fragen (= transzendente Fragen) kein Fall für "Vernunft" ist?
Die Frage nach einem intellectus archetypus stellt sich ja gerade der menschlichen Vernunft selbst. Immer, wenn wir versuchen, wahre Urteile zu fällen, geht das nur, weil wir über Vernunft verfügen. Vernunft ist die Befähigung, wahre Urteile zu fällen (neben der Möglichkeit, falsche Urteile zu fällen und Irrtümer zu begehen; sei es auch Mangel an Informationen oder weil wir falsche Schlüsse ziehen).
closs hat geschrieben:
Kann es sein, dass man Kant ausschließlich als im Sinne des Kritischen Rationalismus agierenden Philosophen versteht?
Nein, du kannst nicht jede philosophische Haltung, die dir nicht passt, auf kritischen Rationalismus zurückführen. Kant hat mit dem kritischen Rationalismus nichts zu tun. Seine erkenntnistheoretische Position ist eine transzendentalphilosophische.
closs hat geschrieben:
Oder wenn Dir "Kritischer Rationalismus" zu eng ist: Dass man ihn als im Grunde naturalistischen Philosophen versteht - also eine materialistische oder physikalistische Position, dernach auch der Geist oder das Bewusstsein Teil der physischen Natur sei oder, alternativ, gar nicht oder höchstens als Illusion existiere. ---???---
Nein, auch das ist nicht der Fall. Kant erfindet philosophiehistorisch im Gegenteil die Haltung eines
transzendentalen Idealismus. Er ist gerade kein Materialist oder Naturalist und schon gar kein Physikalist. Kants Ideen werden später von den Idealisten Hegel (= objektiver Idealismus), Fichte (= subjektiver Idealismus) und Schelling weitergeführt. Die vertreten alle idealitische Standpunkte, die das Gegenteil von dem sind, was du Kant zu sein unterstellst. Ich kann dir hier nicht jedesmal in zwei Sätzen komplexe philosophiehistorische Positionen darlegen, um deine Irrtümer bezüglich dieser Positionen richtig zu stellen.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Kant setzt das als ob in diesem Satz selbst fett, um anzuzeigen, dass die menschliche Vernunft immer nur so tun kann, "als ob" es einen intellectus archetypus, sprich: einen Gott, gäbe.
Das wiederum würde Dir (hoffentlich) jeder Ontologie ebenso sagen - oder ein radikal-skeptizistischer Philosoph. - Deswegen spricht man ja von "Glaube" und nicht "Wissen".
Dieses kantische "als ob" ist nicht bloß ein Glauben. Er sagt, dass wir so tun müssen,
als ob es einen intellectus archetypus gäbe, weil ohne diese transzendente Idee die Einheit unserer Erkenntnis unserer Erfahrungswelt nicht verständlich gemacht werden kann. Es gibt also einen guten Grund, diese transzendenten bzw. regulativen Ideen als Leitideen anzunehmen. Verzichtet man auf die Annahme dieser regulativen Ideen, hat man, so Kant, die allergrößten Probleme zu erklären, warum wir die Welt, wie wir sie erfahren, als gesetzmäßig geordnete und einheitliche Welt synthetisieren und erfahren können.
closs hat geschrieben:
Ein Missverständnis gibt es anscheinend beim Wort "anthropozentrisch". - Mit "anthropozentrisch" versteht man offenbar ganz Unterschiedliches:
1) Der Mensch kann nur über sich selbst erkennen - schließlich hat er ja nichts anderes als sein Ego.
Nein, "Ego" ist ganz falsch.
Der Mensch hat nichts anderes zur Verfügung, als seinen so und so gearteten Erkenntnisapparat (mit seinen fünf Sinnen, seinen 12 Verstandeskategorien und seinen Vernunfturteilen). Die bestimmen, was er erkennen kann und worüber er (wahre) Urteile fällen kann. Auch Kant sieht die Möglichkeit, dass es Wesen geben mag, die über einen anderen Erkenntnisapparat verfügen könnten. Die könnten auch anderes erkennen. Wir könnten sie aber niemals verstehen.
closs hat geschrieben:
2) Der Mensch erkennt 1) UND ergänzt: "Das, was ich erkenne, ist NICHT der Maßstab. Menschlicher Maßstab ist nur Organisations-Behelf". - Das würde ich eine "de-anthropozentrierende Erkenntnis" nennen.
Wie gerade geschrieben, sieht Kant durchaus die Möglichkeit, dass es Wesen geben könnte, die über einen anderen Erkenntnisapparat verfügen. Aber was diese Wesen vielleicht erkennen können, könnten sie uns - mit eben unserem speziellen Erkenntnisapparat - niemals vermitteln, weil wir eben nur innerhalb UNSERES Erkenntnisvermögens erkennen können.
Egal, welche Vermutungen du hier über Gott anstellst. Es sind stets deine Vermutungen als Mensch mit eben menschlichem Erkenntnisvermögen. Insofern ist alles, worüber Menschen sich austauschen können, notwendig immer anthropozentrisch.
closs hat geschrieben:
Deshalb geht meine Frage nicht Richtung 1) (ist eh klar), sondern Richtung 2): "Ist die menschliche Vernunft in der Lage, göttliche Vernunft als vernüftig oder unvernünftig zu erkennen. - Oder anders gefragt: Meinen wir mit "Vernunft" a) menschliche Behelfs-Vernunft oder b) eine "höhere" Vernunft, ob erwir sie erkennen oder nicht?"
Das musst du dir jetzt eigentlich selbst beantworten können, wenn du nicht begriffsstutzig bist.
Nur zur Klarstellung: ich bin keine Kantianerin. Ich habe mich von Markus Gabriels ontologischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen überzeugen lassen und vertrete deshalb augenblicklich einen "Neuen Realismus" (und einen neuen "Existenzialismus"), den Gabriel und ein paar andere Philosophen entwickelt haben. Ich bin überzeugt, dass wir die Dinge genau so erkennen können, wie sie auch sind. Einen radikalen Konstruktivismus (auch Neuro-Konstruktivimus) lehne ich ab. Ebenso Behaviorismus, Materialismus, Physikalismus, Funktionalismus und die dumme Form des Naturalismus. Die kluge ist die, die davon ausgeht, dass es keine supra-naturalistischen Erklärungen gibt, sondern ausschließlich "natürliche".
Du hast in deiner Antwort Kantzitate von mir als Zitat von Thaddäus gekennzeichnet. Das ist schlecht, weil ich Kant zwar zitiere, aber nicht immer mit seinen Ansichten übereinstimme. Ich habe Kant hier nur erklärt und ausgelegt.