Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Philosophisches zum Nachdenken
Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#61 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von sven23 » So 2. Jul 2017, 09:45

Novalis hat geschrieben: Ich halte es für möglich, dass sich das irgendwann universal durchsetzen wird :thumbup: ...

Ich fürchte, das wird noch ein sehr weiter Weg bis dahin.
Warum gibt es immer nur Anschläge von Gläubigen auf sog. Ungläubige? Hat man schon mal von atheistischen Anschlägen auf Gläubige gehört?
Selbst innerhalb einer Religion ist man sich spinnefeind.
Die Gründerin einer liberalen Moschee, die für Männer und Frauen, für Schiiten und Sunniten offen steht, hat bereits 100 Morddrohungen bekommen und steht jetzt unter Polizeischutz, und das im liberalen Deutschland.

https://www.morgenpost.de/berlin/articl ... chutz.html
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Benutzeravatar
Thaddäus
Beiträge: 1231
Registriert: Sa 14. Sep 2013, 18:47

#62 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von Thaddäus » So 2. Jul 2017, 10:13

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Und selbst wenn ich deine unterstellten Vorannahmen machen würde, handelte es sich nicht um Glaubensentscheide, sondern um selbst wieder Plausibilitätskriterien unterliegenden Basisannahmen, die rational begründet würden
"Plausibilitätskriterien" SIND Glaubensentscheide, weil "Plausibilität" einer "Kalibrierung" bedarf, woran gemessen sie erst plausibel sein kann.
Nein.
Plausibilitäts-Kriterien sind disziplinäre argumentative Verpflichtungen, die man eingeht, wenn man bestimmte Inhalte erforscht und diskutiert, wobei Rationalität und Vernunft stets die Grundlage dafür darstellen, dass man überhaupt sinnvoll argumentiert.

So ist jede leibliche Auferstehung nicht deshalb unplausibel, weil man etwa Materialist wäre, sondern sie ist unplausibel, weil sie 1. gegen die Naturgesetze verstößt und weil sie 2. gegen das medizinische und philosophische Wesensmerkmal des Todes verstößt, nämlich endgültig zu sein. Der Gesetzescharakter der Naturgesetze ist ebenso ein von allen Menschen allzeit beobachtbarer Erfahrungswert, wie die Endgültigkeit des Todes. Naturgesetze, die gebrochen werden können, sind keine Natur-Gesetze und Tote, die wiederauferstehen, waren nicht tot. Behauptet man, Naturgesetze könnten dennoch gebrochen werden und Tote, also endgültig Verstorbene dennoch wiederauferstehen, dann muss das klar und eindeutig bewiesen werden, da diese Behauptungen allen bisherigen Erfahrungen mit Naturgesetzen und Toten widersprechen. Kann man das nicht beweisen, kann man nur daran GLAUBEN, dass dem dennoch so sei.

Die bisherigen alltäglichen Erfahrungswerte der Menschheit zu beachten ist dezidiert und selbstverständlich kein Glaubens-Entscheid. Man muss nicht daran glauben, dass eine Tasse, die vom Tisch fällt nach unten zum Gravitationszentrum fällt und nicht nach oben, und man muss nicht erst daran glauben, dass die verstorbene und begrabene Oma nicht morgen wieder quicklebendig vor der Tür steht und fröhlich "Hallo" sagt.

Für einen gläubigen Christen ist die leibliche Wiederauferstehung Jesu ebenfalls nicht plausibel! Wäre sie für ihn plausibel, wäre sie ja kein Wunder mehr, sondern ein Ereignis, welches völlig natürlich und alltäglich ist. Und selbstverständlich stellt die Wiederauferstehung auch für jeden gläubigen Christen ein besonderes Wunder dar, welches wegen seines Wundercharakters eben gerade nicht selbstverständlich und alltäglich ist. Der gläubige Christ muss an das Wunder der leiblichen Auferstehung Jesu glauben, gerade weil sie für ihn nicht plausibel und rational erklärbar ist.

Jede rationale argumentative Auseinandersetzung, kann logischerweise nur mit Argumenten geführt werden. Damit es überhaupt ARGUMENTE sein können, müssen Aussagen den Kriterien von Rationalität, Plausibilität, Vernünftigkeit, logischer Konsistenz und grundsätzlicher intersubjektiver Verständlichkeit und Akzeptanz unterliegen. Denn anders sind deine Aussagen für andere eben nicht nachvollziehbar. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob man Materialist, Positivist, Physikalist, Stalinist, Esoteriker, Muslim, Christ, Postmodernist oder Veganer ist. Jeder, der argumentieren und also andere RATIONAL überzeugen will, muss sich den Plausibilitätskriterien für rationales Argumentieren unterwerfen, ansonsten argumentiert er eben nicht rational und vernünftig.

Von einer "Setzung" oder einem "Glaubensentscheid" kann hier überhaupt nicht die Rede sein.

Allein du musst hier für deine Thesen und Konstrukte permanent Setzungen setzen und Glaubensentscheide fordern, was außer dir ja auch jeder andere User längst bemerkt hat.
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 2. Jul 2017, 10:57, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
fin
Beiträge: 1144
Registriert: So 16. Okt 2016, 13:49

#63 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von fin » So 2. Jul 2017, 10:25

-- Gleichgewichte --

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Closs, du konstruierst einen willkürlichen Vorgang, eine Art Taschenspielertrick
Es ist nichts anderes als der Versuch, einen möglicherweise nicht einfach zu verstehenden Sachverhalt in einem Bild anschaulich zu machen. - Kam der Doppelsinn von "aufheben" an?

Closs, dein/das Wortspiel ist in der Tat einfallsreich und die zugehörige Geschichte von den 3 Kreisflächen sicherlich eine vortreffliche Arena, um dieses Kunststück vorzuführen, allerdings bleibt die Vernunft auf der Strecke. Ich würde sogar sagen, sie verdurstet bitterlich :D

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:auch wenn irgendwelche Vorgänge 'verdeckt' ablaufen oder sich der Wahrnehmung entziehen, bleibt die Vernunft das, was sie ist.
Gemessen an der ontologischen Vernunft stimme ich Dir zu - sie ist, was sie ist, selbst wenn sich einiges von ihr unserer Wahrnehmung entzieht.

Wir sind uns also einig!

Benutzeravatar
fin
Beiträge: 1144
Registriert: So 16. Okt 2016, 13:49

#64 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von fin » So 2. Jul 2017, 11:03

-- Wider der Vernunft --

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Die Vernunft und ihre Prinzipien bleibt aber eine eigenständige Größe, für sheeples, Hütchenspieler und alle göttlichen Halbkreise - auch der dritten Art.

Die Vernunft jedes Menschen, so lehrte Meister Eckhart, ist ein unmittelbarer Ausdruck Gottes. Weder lässt sich die Vernunft denken ohne die Einheit mit ihrem göttlichen Urbild, noch die göttliche Vernunft ohne ihr Bild, die menschliche Vernunft. Sie macht uns zu Söhnen und Töchtern Gottes.

Diesen Gedanken findest Du auf säkularer Ebene in anderen Worten in der hegelschen Dialektik genauso wie in der heideggerschen Ontologie.

Ich könnte es so stehen lassen, denn es bestätigt meine (Thaddäus?) Ansicht :D allerdings lassen sich die Bezüge noch differenzierter betrachten, meine ich.

Der Mensch ist ein beschränktes Wesen und die vielgerühmte Vernunft allzumenschliches Charakteristikum. Ein vernunftgesteuerter Mensch richtet sich nach Vorgaben, Ordnungen und Regelwerken, die die Ratio vermittelt und begründet. Ein vernünftiger Mensch (Ausnahmlos alle Systemlinge - Grüße an Anton) bleibt selbstverständlich an jeder Ampel stehen, sofern sie rot leuchtet, das gebietet die Verkehrsordnung. Ameisen halten sich nicht daran, aber auch andere Freigänger, die die jeweilige Situation einsehen, abwägen und 'autonom' entscheiden.

Ein vernünftiger Mensch in Anzug und Krawatte wird vermutlich nicht in den Brunnen steigen und einen Wassertanz aufführen, denn das gehört sich nicht ... - Kindern und Sonderlingen ist das durchaus zuzutrauen. Gott braucht nicht vernünftig zu sein. Es klingt entsprechend komisch, wenn man etwa sagt, Gott handle vernünftig - findet ihr nicht?

Wie dem auch sei, Vernunft und Verstand bezeichnen nicht dasselbe, meine ich. Ein verständiger Mensch muß nicht vernünftig sein, ein vernünftiger Mensch muß immer bei Verstand sein. Vernunft kennzeichnet eine Haltung. Der Verstand ist Voraussetzung. Der Geist bildet die Anlage. Die Anlage kommt - gemäß closs (etc.) von Gott.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#65 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von closs » So 2. Jul 2017, 11:05

Pluto hat geschrieben:Wenn Gott die Naturgesetze geschaffen hat, dann wird er wohl kaum seine eigenen Gesetze nach Belieben ausschalten.
Das wissen wir doch nicht mit unserer Vernunft.

Pluto hat geschrieben:Vorannahmen sind Zeichen von Argumentationsschwäche. Warum muss man überhaupt Vorannahmen machen?
Du hast gerade eine gemacht, indem Du "Wunder" im Sinne von "Naturgesetze außer KRaft aussetzen" für Beurteilungen und Interpretationen der Welt ausschließt - das ist eine astreine Vorannahme.

sven23 hat geschrieben:Eine Größe, die sich laut Definition an moralisch-ethischen Werten orientiert, wenn es menschliche Handlungweisen betrifft.
Das steht ganz hinten dran im Sinne von: Mit Vernunft sollen moralisch-ethische Dinge beurteilt werden, etc. - Das, was davor steht, ist neutral formuliert.

sven23 hat geschrieben:Neu wäre mir, dass Bankraub, Frauenmord und Steuerbetrug in einen ethischen Wertekanon aufgenommen worden wären.
Wie ist es mit "Verdrängungs-Wettbewerb" (das Recht des Stärkeren) und "Todesstrafe" und "Waffen für alle"? - Du wirst Menschen finden, die solche Begriffe sehr wohl als "vernünftig" und als Teil des ethischen Wertekanons verstehen.

Fassen wir zusammen: Unter "Ratio als solche" verstehst Du deren wertende Variante "Ratio recta" (wobei "recta" in verschiedenen Weltanschauungen unterschiedlich definiert wird) - wir hätten als unter diesen wertenden Gesichtspunkten verschiedene Arten von "Vernünften" - willst Du das?

sven23 hat geschrieben:Genau das hat man dem Hütchenspieler closs schon x-mal vorgeworfen. Wenn es argumentativ eng für ihn wird, definiert er einfach Begriffe nach seinem Gusto um.
Nee - hier findet etwas anderes statt (ich versuche, es fair zu formulieren): Das geläufige westliche Weltbild ist derart individuell einzementiert, dass ein Abweichen davon als Majestätsbeleidigung verstanden wird.

Mein Eindruck verhärtet sich immer mehr: Dieses Weltbild fühlt sich derart selbstsicher, dass es seine eigenen Setzungen/Vorannahmen gar nicht mehr kennt und sich aus diesem Fehlbewusstsein von anderen Weltbilder qualitativ abheben zu können glaubt im Sinne von "Ihr habt Setzungen, wir nicht. Also sind wir aufgeklärt". - Aus meiner Sicht ein geistig gefährlicher Zustand, da die darin enthaltene Selbst-Immunisierung ("Wir haben keine Setzungen") keinerlei Erkenntnis-Entwicklung ermöglicht.

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#66 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von SilverBullet » So 2. Jul 2017, 11:27

Pluto hat geschrieben:Vorannahmen sind Zeichen von Argumentationsschwäche.
Warum muss man überhaupt Vorannahmen machen?
Jegliche Art von Analyseaktivität setzt (implizit) voraus, dass durch diese Aktivität ein Ergebnis erzielt werden könnte.
D.h. selbst wenn man eine Analyse nur ausprobiert, um zu schauen, ob was dabei herauskommt, liegt zumindest die Vermutung/Wunsch/Hoffnung in Richtung "Gelingen" vor – sonst würde man nicht aktiv werden.

Anders sieht es bei direkten Reaktionen aus. Reflexe sind bzgl. einer „willkürlichen Entscheidung“ natürlich voraussetzungslos.

Schwierig ist die Frage:
Mache ich eine Voraussetzung, wenn ich mich nicht auf einen Nagel setze?
-> Ich gehe davon aus, dass ich einen Wirklichkeitsausschnitt sehe
-> Ich gehe davon aus, dass ein spitzes Objekt vor mir ist
-> Ich gehe davon aus, dass der Kontakt letztlich zu einem Schaden führen wird
-> Ich gehe davon aus, dass ich den Ablauf bestimmen kann

Das sind zwar alles Voraussetzungen, aber habe ich sie aufgestellt oder verwende ich hierbei „vorliegende“ Zusammenhänge?

Hierzu würde ich sagen:
Ich habe sie nicht aufgestellt und ich habe auch keine Möglichkeit sie nicht aufzustellen.
Das ist das, was ich als „Reaktionsfixierung“ bezeichne
(Selbst die zu dieser Aussage notwendige Voraussetzung, dass ich etwas über mich aussagen kann, ist zwar eine Vorraussetzung, aber ich mache sie nicht und ich kann sie auch nicht ablehnen)

Man kann sich das vielleicht so vorstellen:
Zusammenhänge (und damit „Wahrnehmung“) starten quasi „irgendwo mittendrin“ und man kann „immer“ einen Schritt zurück machen und eine Voraussetzung finden, denn Zusammenhänge sind letztlich eine Wechselbeziehung, wofür immer der Wechsel eine Vorrausetzung ist (es hört im Grunde erst dann auf, wenn keine „untergeordnete“ Wechselbeziehung mehr erkannt wird -> Ende der Wahrnehmungsmöglichkeit).

Aus diesem Grund sehe ich die Fixierung als einen entscheidenden Punkt an, denn hierdurch kommt „die Wahrscheinlichkeit zur Wahrnehmungsunabhängigkeit“ ins Spiel, wodurch wir davon ausgehen können, eine Möglichkeit zum Aufstellen von Korrektheit zu haben.

Auf dieser Basis können wir, unter Verwendung von möglichst vielen Blickwinkeln, davon ausgehen, dass „die Welt“ entsprechend „unserer Zusammenhänge“ vorliegt (auch wenn es Abweichung gibt, wie z.B. die „schrägen Linien“).

Phantasieüberlegungen à la „Nicht-Materielle Welt“, „Geist“, „übernatürlich“ können nicht auf diese Basis gestellt werden:
wir sind nicht darauf fixiert (auf was auch immer dieses „darauf“ zeigen soll).

Der Versuch, hier eine Gleichstellung zu suggerieren, funktioniert nur, indem die Fixierung vernachlässigt wird…

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#67 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von closs » So 2. Jul 2017, 12:02

Thaddäus hat geschrieben:Nein.Plausibilitäts-Kriterien sind disziplinäre argumentative Verpflichtungen, die man eingeht, wenn man bestimmte Inhalte erforscht und diskutiert,
Du widersprichst Dich doch schon wieder - eigentlich müsstest Du sagen: "JA. Plausibilitäts-Kriterien sind disziplinäre argumentative Verpflichtungen, ...". - Denn "Disziplin" ist doch bereits eine Kalibirierung im Sinne von "Plausibilität in Bezug auf diese Disziplin".

Thaddäus hat geschrieben:wobei Rationalität und Vernunft stets die Grundlage dafür darstellen, dass man überhaupt sinnvoll argumentiert.
Aber was "ist" Rationalität und Vernunft? - Ich kenne Deine Ausführungen dazu, die daraus hinauslaufen, dass Vernunft/Rationalität eine streng anthropozentrische Veranstaltung ist - das kann man meinen, ist aber nicht alternativlos. - Denn wenn es Gott als Entität gibt, könntest auch Du das nicht verhindern, und dann wäre Vernunft/Rationalität etwas anderes. - Ergo: Deine Definition ist nachvollziehbar, aber weltanschaulicher Natur.

Thaddäus hat geschrieben:So ist jede leibliche Auferstehung nicht deshalb unplausibel, weil man etwa Materialist wäre, sondern sie ist unplausibel, weil sie 1. gegen die Naturgesetze verstößt und weil sie 2. gegen das medizinische und philosophische Wesensmerkmal des Todes verstößt, nämlich endgültig zu sein.
Aber das IST doch eine materialistische Begründung.

Stell Dir mal vor, es wäre aus Sicht von Gott sehr plausibel. - Würden dann Deine Plausibilitäts-Kriterien die von Gott schlagen? - Wie auch immer: Natürlich kannst Du es begründet so sehen, wie Du es siehst - aber Du darfst es doch nicht verabsolutieren, als sei "Plausibilität" eine neutrale, weltanschauungs-freie Größe.

Thaddäus hat geschrieben:Behauptet man, Naturgesetze könnten dennoch gebrochen werden und Tote, also endgültig Verstorbene dennoch wiederauferstehen, dann muss das klar und eindeutig bewiesen werden, da diese Behauptungen allen bisherigen Erfahrungen mit Naturgesetzen und Toten widersprechen. Kann man das nicht beweisen, kann man nur daran GLAUBEN, dass dem dennoch so sei.
Das ist bei allen Dingen so, die unsere ERfahrungswert überschreiten - aber das heißt doch nicht, dass es jenseits unserer Erfahrungswelt keine Entität gibt.

Grundsätzlich: Man KANN nicht mit dem Inventarium unserer naturalistischen Erfahrungswelt "beweisen", dass etwaige Phänomene außerhalb "sind". - Der kritisch-rationale Weg ist hier untauglich. - Dein Inventar ist vernünftig, wenn man sich bewusst auf Phänomene der naturalistischen Welt bezieht (im Sinne Poppers: "Meine Methodik ist für das da, was naturalistisch falsifizierbar ist - alles andere ist irrelevant"). - Dein Inventar ist unvernünftig, wenn man nach Phänomenen außerhalb der naturalistischen Welt fragt (für Popper methodisch irrelevant, aber ontologisch sehr relevant, wenn es sich dabi um Entität handelt - was wir aber nur vernünftig erschließen/glauben können, nicht aber - aus obigen Gründen - nachweisen können).

Thaddäus hat geschrieben:Die bisherigen alltäglichen Erfahrungswerte der Menschheit zu beachten ist dezidiert und selbstverständlich kein Glaubens-Entscheid.
Streng genommen schon - siehe Augustinus/Descartes. - Aber wir sind uns einig, dass es in der Alltags-Praxis keine Rolle spielt, weil jeder den Glauben hat, dass die Res extensae "echt" sind.

Thaddäus hat geschrieben:Für einen gläubigen Christen ist die leibliche Wiederauferstehung Jesu ebenfalls nicht plausibel! Wäre sie für ihn plausibel, wäre sie ja kein Wunder mehr, sondern ein Ereignis, welches völlig natürlich und alltäglich ist.
Das ist ein Zirkelschluss. - Denn Du definierst "plausibel" so, dass eine Auferstehung nicht plausibel sein kann.

"Plausibel" würde ich definieren als "mit der menschlichen Vernunft etwas einleuchtend, verständlich, begreiflich finden". - Unter christlichen Gesichtspunkten passt das sehr wohl zu Begriffen wie ""Auferstehung".

Zur Eingrenzung der Begriffe "Vernunft" und "plausibel": Würdest Du sie als kritisch-rational gebundene Begriffe verstehen? - Wenn nein: Was gäbe es sonst noch, was NICHT transzendent orientiert ist?

Thaddäus hat geschrieben:Der gläubige Christ muss an das Wunder der leiblichen Auferstehung Jesu glauben, gerade weil sie für ihn nicht plausibel und rational erklärbar ist.
Die Begrüngung ist falsch. - Der Mensch muss es glauben, weil er es selbst (noch) nicht erlebt hat und es Fake sein könnte. - Unter christlichen Gesichtspunten plausibel und rational erklärbar ist es dagegen sehr wohl - man weiß halt nicht, ob es stimmt.

Thaddäus hat geschrieben:Damit es überhaupt ARGUMENTE sein können, müssen Aussagen den Kriterien von Rationalität, Plausibilität, Vernünftigkeit, logischer Konsistenz und grundsätzlicher intersubjektiver Verständlichkeit und Akzeptanz unterliegen. Denn anders sind deine Aussagen für andere eben nicht nachvollziehbar.
Das ist wieder mal so ein Satz, der an sich richtig ist - und auch ein Satz, den Du wiederholend einstellst, wenn ich nachfrage, als sei ich begriffsstutzig. - So ist es aber nicht - es ist viel ernster.

Denn auch hier verwendest Du wieder Begriffe, die bei näherem Hinsehen überhaupt nicht geklärt sind - bzw. für Dich sehr wohl x-fach bewehrt systemisch geklärt sind, aber vollkommen ins Unklare zusammenfallen, wenn sie Dein Denksystem verlassen.

Insofern würde ich sagen: Die Auferstehung ist rational, plausibel, vernünftig, logisch konsistent und bei Kenntnis der Argumentationsgrundlage (Setzungen/Vorannahmen) intersubjektiv verständig (wollen wir Intelligenzfragen außen vorlassen - daran liegt es meistens nicht). - Und ich sage das nicht provokativ, sondern aus purer Erfahrung im Denken und in Gesprächen mit Philosophen und Theologen - geschweige denn, dass es auch so etwas wie einen geistigen Instinkt gibt, der ohne begrifflich fett untermalter intellektueller Argumentation einfach spürt und "weiß", was Sache ist.

Warum kann ich das sagen? - Weil ich die verwendeten Begriffe aus Deinem Denksystem/weltanschaulichen System in ein anderes rübergeholt habe - dort funktionieren diese Begriffe ganz genauso.

Thaddäus hat geschrieben:Von einer "Setzung" oder einem "Glaubensentscheid" kann hier überhaupt nicht die Rede sein. Allein du musst hier für deine Thesen und Konstrukte permanent Setzungen setzen und Glaubensentscheide fordern, was außer dir ja auch jeder andere User längst bemerkt hat.
Das wäre dann der dogmatische Abschluss, der sachlich falsch ist.

1) Für Dich kann von Setzung und Glaubensentscheid deshalb keine Rede sein, weil Du Deinen eigenen Glaubensentscheid derart zu persönlichem Wissen verdichtet hast. - Du ähnelst damit einem mittelalterlichen Kirchenfürsten ("Christentum ist keine Glaube, sondern das IST so").

2) Du kannst nicht nur Anhänger Deiner weltanschaulichen Richtung als User zählen - mir ist wohl bekannt, dass es hier viele Materialisten/Naturalisten/Existenzialisten gibt, die Deine Worte gerne hören.

3) Zugegebenerweise ist es durchaus herausfordernd, auf einer Meta-Ebene über einerseits naturalistischem und andererseits christlichem Weltbild zu diskutieren - das kann nicht jeder. - Du musst Dir vorstellen, dass sich Christen, wenn sie mit kritisch-rational argumentierenden Naturalisten sprechen, sich oft vorkommen wie in einem fensterlosen Haus:

Man hört sich dort an, dass nachweisbar ist, was in Schlafzimmer und Wohnzimmer ist - und bekommt das auch wunderbar erklärt. - Wenn man dann selbst fragt, was außerhalb des Hauses ist (eine Tür gibt es ja nicht), gilt die Möglichkeit eines Außerhalbs als unplausibel, unrational, etc. - was im Inhouse-Sinn ja plausibel <sic!> ist. - Und so wendet man sich da irgendwann ab, weil es keinen Sinn macht - das wird hinwiederum von den Inhäuslern als Triumph verstanden ("Wir haben besser argumentiert").

Jetzt habt Ihr mit mir einem ein seltenes Exemplar :P der Spezies, die sowohl innen als auch außen denken können/wollen - und das schmeckt Euch nicht in Eurem geistigen Biedermeier.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#68 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von closs » So 2. Jul 2017, 12:11

fin hat geschrieben:Ein vernünftiger Mensch in Anzug und Krawatte wird vermutlich nicht in den Brunnen steigen und einen Wassertanz aufführen, denn das gehört sich nicht ... - Kindern und Sonderlingen ist das durchaus zuzutrauen. Gott braucht nicht vernünftig zu sein.
Ich verstehe Deinen Ansatz und würde ihm sogar zustimmen, würde er nicht zu kompletter Verwirrung führen.

Du definierst "Vernunft" als NICHT-maßstäbliche Größe des Erkennens - das kann man machen. - ABER: Die heute dominierenden Philosophien definieren "Vernungt" als maßstäbliche Größe des Erkennens - das heißt: Deine Definition steht diametral gegen das allgemeine Verständnis.

Wenn ich Dich richtig übersetze, sagst Du:
"Vernunft ist eine sinnvolle Einrichtung in der Welt, aber zum Erkennen von Gott und der Welt reicht sie nicht aus - wenn nicht einmal Gott vernünftig sein muss". - Finde ich echt sympathisch.

Ein "normaler" Philosoph heutiger Zeit würde daraus machen:
"Gott ist eine unvernünftige Größe und findet auf esoterischer Ebene viele Anhänger - wir aber als aufgeklärte Vernunft-Anhänger wissen, dass man so nicht erkennen kann. - Redlich erkennen man nur auf Basis unserer ich-maßstäblichen Aufklärungs-Definition auf streng naturalistischer Basis".

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#69 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von Pluto » So 2. Jul 2017, 12:25

closs hat geschrieben:Ein "normaler" Philosoph heutiger Zeit würde daraus machen:
"Gott ist eine unvernünftige Größe und findet auf esoterischer Ebene viele Anhänger - wir aber als aufgeklärte Vernunft-Anhänger wissen, dass man so nicht erkennen kann. - Redlich erkennen man nur auf Basis unserer ich-maßstäblichen Aufklärungs-Definition auf streng naturalistischer Basis".
Ein bisschen krass formuliert, aber sinngemäß durchaus richtig.
Hast du was Besseres zu bieten?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Benutzeravatar
Thaddäus
Beiträge: 1231
Registriert: Sa 14. Sep 2013, 18:47

#70 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von Thaddäus » So 2. Jul 2017, 13:11

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Nein.Plausibilitäts-Kriterien sind disziplinäre argumentative Verpflichtungen, die man eingeht, wenn man bestimmte Inhalte erforscht und diskutiert,
Du widersprichst Dich doch schon wieder - eigentlich müsstest Du sagen: "JA. Plausibilitäts-Kriterien sind disziplinäre argumentative Verpflichtungen, ...". - Denn "Disziplin" ist doch bereits eine Kalibirierung im Sinne von "Plausibilität in Bezug auf diese Disziplin".
Nein, da ist weit und breit kein Widerspruch.
Schon mit deiner Formulierung des von mir oben rot gesetzten Absatzes verpflichtest du dich zur Einhaltung gewisser Regeln, die dezidiert keine Vorannahmen darstellen (an die du erst glauben müsstest)! So verpflichtest du dich zur Einhaltung der grammatischen Regeln der deutschen Sprache (was dir oben allerdings nicht ganz gelingt), der sinnvollen Verwendung der Wörter in diesem Absatz, indem du ihre im Deutschen gebräuchlichen Bedeutungen bzw. Defintionen akzeptierst, zur begriffslogischen Konsistenz deines Gedankengangs in diesem Absatz und der Sprachlogik, weil der Text sonst nicht verständlich für andere wäre, zu der kommunikativen Gepflogenheit, deinen Gedanken an die User dieses Forums und alle Leser deiner Zeilen zu adressieren, in der Hoffnung, dass andere auf deine Aussagen eingehen, weil sie davon ausgehen können, dass du das willst usw.

Und wenn du hier argumentieren willst, dann musst du die für argumentative Auseinandersetzungen gültigen Rationalitäts- und Plausibilitätskriterien teilen, sonst argumentierst du nämlich nicht, sondern produzierst nur mehr oder weniger sinnvolle Äußerungen ohne Anspruch auf Gültigkeit.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:wobei Rationalität und Vernunft stets die Grundlage dafür darstellen, dass man überhaupt sinnvoll argumentiert.
Aber was "ist" Rationalität und Vernunft?
Das, was im argumentativ-kommunikativen Prozess nötig ist, um andere von deinen Gedankengängen und Ansichten RATIONAL zu überzeugen. Willst du anderen Menschen nur predigen ohne rationale Gründe, dann handelt es sich nicht um einen argumentativ-kommunikativen Prozess, sondern du appelierst lediglich an andere, deinen Worten GLAUBEN zu schenken.

closs hat geschrieben:Ich kenne Deine Ausführungen dazu, die daraus hinauslaufen, dass Vernunft/Rationalität eine streng anthropozentrische Veranstaltung ist
Wenn du Gott Rationalität und Vernunft zusprichst, dann bist offensichtlich DU es (ein Mensch), der ihm diese Eigenschaften zuspricht. WEIL du ein Mensch bist, ist diese Zusprechung von Eigenschaften ebenso offensichtlich anthropozentrisch. Zudem kannst du Gott nur Eigenschaften zusprechen, von denen du weißt, was für Eigenschaften das sind, - und du weißt das ausschlielich durch den Umgang mit Menschen (und vielleicht noch höheren Primaten). Auch in diesem Sinne gehst du also ausschließlich anthropozentrisch vor. Eine andere Möglichkeit existiert auch nicht.
Auch diesen Sachverhalt habe ich dir bereits mehrfach verdeutlicht. Kannst du diese Argumentation widerlegen?

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:So ist jede leibliche Auferstehung nicht deshalb unplausibel, weil man etwa Materialist wäre, sondern sie ist unplausibel, weil sie 1. gegen die Naturgesetze verstößt und weil sie 2. gegen das medizinische und philosophische Wesensmerkmal des Todes verstößt, nämlich endgültig zu sein.
Aber das IST doch eine materialistische Begründung.
Ach closs. Du schreibst unten, du wärest nicht begriffsstutzig. Aber genau das bist du!
Offensichtlich bist du dann nämlich selbst Materialist, - oder denkst du etwa, dass, wenn dir ein Glas aus der Hand rutscht, dieses genau so gut nach oben wie nach unten fallen könnte? Oder glaubst du etwa, ein verstorbener Verwandter von dir könne morgen selbstverständlich wieder vor der Türe stehen und "Hallo!" sagen, als ob er nie gestorben wäre?

Man ist doch kein Materialist, weil man davon ausgeht, dass Naturgesetze wirken und Tote nicht mehr lebend zurückkommen ... Wie absurd ist das denn ...

Alles weitere ist ehrlich gesagt die Mühe einer Antwort nicht wert bzw. wurde bereits mehrfach beantwortet.

Antworten