Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Philosophisches zum Nachdenken
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Halman
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#1 Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Mi 31. Mai 2017, 15:43

:wave:

schon seit einigen Wochen hege ich den Wunsch einen Thread rund um das große Themenfeld Philosophie zu erstellen.

Ich werde mich hier fast auschließlich auf die europäische Philosophie beschränken, angefangen bei den Vorsokratikern der klassischen hellenistischen — bis hin zur modernen Philosophie. Damit will ich die Bedeutung orientaler —, indischer — und fernstost-asiatischer Philosophie keineswegs schmälern. Der Grund dafür, dass sie bei mir kaum bis gar nicht zur Sprache kommen, liegt einfach darin begründet, dass ich so gut wie nichst dazu weiß und daher darüber nicht sprechen kann.

Laut Prof. P. Hoyningen-Huene begann die hellenstische Philosophie vor 2700 bis 2500 Jahren, meines Wissens mit den miletischen Naturphilosophen, deren Werke uns vorwiegend in der Textgattung der Lehrgedichte überliefert wurden. Sie waren also Dichter und Philosophen, welche der in der Frühantike revolutionären Idee folgten, die Welt nicht mehr mythologisch, sondern mit Hilfe des Verstandes zu deuten.
Die milesische Naturphilosophie versucht sich an einem Verständnis der Welt abseits der bekannten religiös-mythologischen Traditionen. Bei allen Irrtümern, die den frühen ionischen Naturphilosophen unterlaufen, zeichnen sie sich durch ein sensationelles Merkmal aus: Sie wollen die Welt mit den Mitteln des Verstandes begreifen und verzichten zugunsten eines Mehr an Rationalität auf den Rückgriff auf religiös-mythologische Deutungsmuster.
Zitatquelle: Vorsokratik - Von Thales bis Heraklit
Bild
Dabei bedienten sie sich der Form der Lehrgedichte vermutlich deshalb, weil dies günstige für die Mnemotechnik war. Durch diese Erinnerungskunst war es möglich, Reime zu rekonstruieren, wenn Teile von ihnen vergessen wurden. Diese Textgattung entsprach noch nicht der sich entwickelnden klassisch-hellenistischen Schriftkultur und schöpfte wahrscheinlich aus der mündlichen Überlieferungskultur der Dichterbarden und Lieder. Ein Beispiel hierfür ist Homers Iliás.

Auch ganz ohne Philosophie nimmt der Mensch seine Lebewelt wahr. Er erkennt Dinge wie Bäume, Vögel, Steine und Wasser und kann ihnen Qualia wie nass, weich oder hart, warm oder kalt usw. zuschreiben. Doch nun hält er ein Ruder ins Wasser und beobachtet wie das Ruder abknickt. Wie sollte er sich dieses Phänomen erkären (was selbst rund zweitausend Jahre später Newton nicht erklären konnte)? Vier mögliche Reaktionen werde ich im Folgenden kurz ausreißen:

I. Ignoranz
Der Ruderer ignoriert das Phänomen und nimmt es einfach hin. Diese Geisteshaltung scheint mir alten Schöpfungsmythen zugrunde zu liegen, denn in diesen erschaffen die Götter die Welt aus formloser Materie, die schon immer da war und nicht creatio ex nihilo.
Anstelle eines theoretischen Nachgrübelns fokussiert diese Geisteshaltung das Denken auf praktische Probleme, welche der antike Mensch im täglichen Überlebenskampf meistern musste.

II. Aspekthypothesen
Man leitet aus dem Aspekt, dass das Ruder im Wasser abknickt, die Hypothese ab, dass es an Wasseroberfläche tatsächlich abknickt.
Ein anderer Aspekt des Phänomens wird wahrgenommen, wenn man das Ruder mit der Hand ertastet und fühlt, dass das Ruder NICHT abgeknickt ist. Diesen Widerspruch könnte damit erkärt werden, dass die Hand eine verzerrte Wahrnehmung ertastet, denn auch der Arm "knickt" im Wasser sichtbar ab.
Beobachtung und Ertastung vermitteln also zwei Aspekte des Phänomens.

III. Akzeptanz des Widerspruchs
Anstatt zu versuchen den Widerspruch aufzulösen, kann man ihn auch "akademisch" akzeptieren, indem man folgert, dass beide Aspekte wahr sind.

IV Illusion
Das Abknicken wird als Illusion gedeutet. Die Sinne können einen täuschen.

Dies scheint mir ein Vorläufer von Platons Höhlengleichnis und Descartes' erste Meditation zu sein. Die Sinne offenbaren uns nicht die Wirklichkeit der Dinge, sondern lassen uns nur Erscheinungen wahrnehmen. Daher postulieren die Mileter eine konstante Substanz, welche der Urgrund aller Erscheinungen ist, die durchlitten werden. War es bei Thales noch das Wasser, war es bei seinem Schüler Anaximander von Milet sowas wie die Urmaterie.
Wie Thales geht es auch Anaximander um den Urgrund aller Dinge. Aber für Anaximander ist dieser nicht das Wasser, sondern das Apeiron (das grenzenlos Unbestimmbare). Aus dieser Substanz, welche nicht genau bestimmbar ist, geht alles hervor. Sie steuere alles und sei unvergänglich.

Dies soll für den Eröffnungsbeitrag genügen. Später setzte ich meine Ausführungen mit den Pythagoreern und Xenophanes fort.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Halman
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#2 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Mi 31. Mai 2017, 23:23

Kommen wir nun, wie versprochen, zu der philosophischen Schule der Pythagoreer, ein vielleicht etwas dubios erscheinender mystischer Geheimbund, der auch als politische Strömung auftrat und in manchen griechischen Kolonien, wie Italien, das Ziel verfolgte, die Gegebenheiten zu verbessern. Sie waren der Überzeugung, dass die Welt aus „Ratio“ (Verhältnissen) und Zahlen beschaffen sei.

Sie teilten sich in zwei Gruppen:
I. Die Akusmatiker: Sie überlieferten ihre Akusmata, philosophische Lehren und metaphorische formulierte Lebensregeln, mündlich in Form von Sprüchen, wie:
— „Was ist das Schönste? – Harmonie“
— „Schüre das Feuer nicht mit dem Messer!“

Die Akusmatiker orientierten sich an überlieferten Anweisungen, die „Mathematiker“ an „Mathemata“ (Lerngegenstände, überprüfbares Wissen; nicht nur speziell Mathematik im modernen Wortsinn).
II. Die »Mathematiker« befassten sich mit Büchern, Naturphilosophie und Ethik. Sie waren Veganer, mieden Bohnen und ihr Denken war durchdrungen von Ratio, Zahlen und Harmonie. Ihre Begeisterung für Zahlen ließ sie Mathematik hervorbringen, die damals noch mit Zahlenmystik verschmolzen war.
Als Hippasos von Metapont die Irrationalen Zahlen entdeckte, wurde er für diesen „Frevel“ vom Geheimbund der Pythagoreer ausgeschlossen und ertrank später im Meer. In dem Buch Der Mathematikverführer: Zahlenspiele für alle Lebenslagen wird sogar behauptet, dass er ermordet wurde.

Die Pythagoreer bedienten sich der Abstraktion und unterschieden, soweit ich weiß, zwischen „wesentlichen“ und „unwesentlichen“ Aspekten der Welt. Wesendlich waren für sie die abstrakten Verhältnisse, in der alle Dinge zueinander standen.

Weil es schon spät ist komme ich zu Xenophanes später.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Novas
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#3 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Do 1. Jun 2017, 10:39

Es scheint so zu sein, dass der Westen zur Rationalität neigt und der Osten zur Mystik. Obwohl es im Westen immer mystische Strömungen gegeben hat, so war es doch eher ein Randphänomen. Die scholastische Theologie versuchte das Christentum primär mit rationalen Argumenten und Vernunft zu untermauern und zu legitimieren, was dann die Herausbildung der modernen Wissenschaft begünstigte. Die östliche Denkweise bleibt nicht auf der Ebene des Rationalismus stehen, sondern betont das heilige Mysterium, welches unendlich erhaben ist über alle rationalen Begriffe, die sich der menschliche Verstand bildet.

Natürlich gab es auch im Osten Rationalisten und im Westen Mystiker, wie bei uns Meister Eckhart, aber die Ausnahme scheint eher die Regel zu bestätigen:

„Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Menschen und aller Kreatur “
Meister Eckhart, Traktat 2, Die deutschen Werke, Bd. 5, S. 205 = Ausgabe Largier (1993) Bd. 2, S. 348f.; „wesenhaft“ für mittelhochdeutsch „gewesenden“.
Zuletzt geändert von Novas am Do 1. Jun 2017, 12:48, insgesamt 3-mal geändert.

Pluto
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#4 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Pluto » Do 1. Jun 2017, 10:40

Halman hat geschrieben:Laut Prof. P. Hoyningen-Huene begann die hellenstische Philosophie vor 2700 bis 2500 Jahren, meines Wissens mit den miletischen Naturphilosophen, deren Werke uns vorwiegend in der Textgattung der Lehrgedichte überliefert wurden. Sie waren also Dichter und Philosophen, welche der in der Frühantike revolutionären Idee folgten, die Welt nicht mehr mythologisch, sondern mit Hilfe des Verstandes zu deuten.
Ich glaube Hoyningen-Huene setzt die milenischen Naturphilosophen etwa 2000 Jahre zu früh an. Meines Wissens ist das Werk der frühen Naturphilosophen auf etwa 700-500 v.Chr. anzusetzen. Seine wichtigsten Vertreter waren Anaximandros (ca. 610 – 546 v.Chr.) und Anaximenes (ca. 585 – 526 v.Chr.). Dieser Zeitraum wird auch in dem von dir verlinkten Artikel bestätigt (zu Ehren dieser beiden ersten "Naturwissenschaftler" der Geschichte habe ich auch meine e-Mail Adresse gewählt: annaxim@gmail.com).

Übrigens... im Gegensatz zu Goethe, hat Newton sehr wohl die Lichtbrechung verstanden und auch erklärt.

Halman hat geschrieben:Dies soll für den Eröffnungsbeitrag genügen. Später setzte ich meine Ausführungen mit den Pythagoreern und Xenophanes fort.
Danke für die Eröffnung dieses interessanten Themas! :thumbup:
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#5 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Pluto » Do 1. Jun 2017, 10:49

Novalis hat geschrieben:Es scheint so zu sein, dass der Westen zur Rationalität neigt und der Osten zur Mystik. Obwohl es im Westen immer mystische Strömungen gegeben hat, so war es doch eher ein Randphänomen. Die scholastische Theologie versuchte das Christentum primär mit rationalen Argumenten und Vernunft zu untermauern und zu legitimieren, was dann die Herausbildung der modernen Wissenschaft begünstigte.
Ist das vielleicht mit ein Grund für den heutigen hochentwickelten Stand des Westens, im vergleich zum etwas rückständigen Osten?
Aber man lernt nie aus... Mir scheint, jetzt wo der Osten (China, Indien, usw.) die Mystik etwas zur Seite geschoben haben, holen sie mit Riesenschritten auf.

Beispiel:
Die Traditionelle Chinesische Medizin konnte bei einer betuchten Oberschicht des Westens viele Fans anziehen, aber der Durchschnitts-Chinese sehnt sich wohl eher nach der klinischen sauberen westlichen Medizin.

Novalis hat geschrieben:Das ist für mich einer der Gründe, weshalb ich mich von der östlichen Denkweise stets angezogen fühlte, weil sie nicht auf der Ebene des Rationalismus stehen bleibt, sondern den Geist für das heilige Mysterium öffnet, welches unendlich erhaben ist über alle unsre rationalen Begriffe.
Ist es wirklich über unsere westlichen Werte so erhaben, wenn man sieht in welchem Elend, die östlichen Völker heute noch leben?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Novas
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#6 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Do 1. Jun 2017, 10:53

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Es scheint so zu sein, dass der Westen zur Rationalität neigt und der Osten zur Mystik. Obwohl es im Westen immer mystische Strömungen gegeben hat, so war es doch eher ein Randphänomen. Die scholastische Theologie versuchte das Christentum primär mit rationalen Argumenten und Vernunft zu untermauern und zu legitimieren, was dann die Herausbildung der modernen Wissenschaft begünstigte.
Ist das vielleicht mit ein Grund für den heutigen hochentwickelten Stand des Westens, im vergleich zum etwas rückständigen Osten?
Aber man lernt nie aus... Mir scheint, jetzt wo der Osten (China, Indien, usw.) die Mystik etwas zur Seite geschoben haben, holen sie mit Riesenschritten auf


Ja, selbstverständlich begünstigt eine rationalistische Denkweise den rein materiellen Fortschritt, Entwicklung von Wissenschaft und Technologie. Doch alles hat bekanntlich seine Licht und Schattenseiten ;) ich persönlich denke, dass sich Rationalität und Mystik, Wissenschaft und Religion, Vernunft und Intuition ergänzen können und vermutlich auch sollten. Es sei denn man hält den zwiegespaltenen und halbierten Menschen für ein erstrebenswertes Ideal. Davon halte ich nicht besonders viel, weshalb ich mich nach
Georg Friedrich Freiherr von Hardenberg benannte, auch Novalis genannt, der sagte: Wissenschaft ist nur eine Hälfte. Glauben ist die andre. Hardenberg ist ein sehr interessantes Beispiel, weil er einerseits als Bergbauingenieur, Jurist und Philosoph arbeitete, aber auch Dichter und Mystiker war. In ihm erkenne ich die Ganzheit des Menschen.

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Das ist für mich einer der Gründe, weshalb ich mich von der östlichen Denkweise stets angezogen fühlte, weil sie nicht auf der Ebene des Rationalismus stehen bleibt, sondern den Geist für das heilige Mysterium öffnet, welches unendlich erhaben ist über alle unsre rationalen Begriffe.
Ist es wirklich über unsere westlichen Werte so erhaben, wenn man sieht in welchem Elend, die östlichen Völker heute noch leben?

Weder ist der Westen erhaben über den Osten, noch der Osten über den Westen, meiner Meinung nach. Es scheint so, als würden sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen, was vollkommen legitim ist.

Pluto
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#7 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Pluto » Do 1. Jun 2017, 11:14

Novalis hat geschrieben:Ja, selbstverständlich begünstigt eine rationalistische Denkweise den rein materiellen Fortschritt, Entwicklung von Wissenschaft und Technologie. Doch alles hat bekanntlich seine Licht und Schattenseiten ;) ich persönlich denke, dass sich Rationalität und Mystik, Wissenschaft und Religion, Vernunft und Intuition ergänzen können und vermutlich auch sollten.
Wie genau stellst du dir das vor? Was haben denn Mystik und Religion ergänzend zu bieten?

Der Bau von Zivilisationen wie die Unsere lässt sich nur mit Wissenschaft und Technologie voranbringen. Das belegt das aktuelle Gefälle zwischen Ost und West. Wenn der Bau von stabilen Zivilisationen das Ziel ist, halte ich Religion und Mystik eher für ein Hindernis, denn als fördernd.

Warum?
Religiöse und mystische Vorstellungen neigen dazu, Denkweisen für die Zukunft festzuschreiben, verhinder also künftige Erkenntnisfortschritte zugunsten dogmatischer Borniertheit. Die Stärke der Wissenschaft und Technologie besteht darin, dass alle Erkenntnisse vorläufig sind, bis sich etwas Besseres ergibt. Das treibt den Fortschritt an.

Diesen Unterschied in der östlichen und westlichen Denkweise, sehe ich als Grund für die heute währende Rückständigkeit des Ostens.

Novalis hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ist es wirklich über unsere westlichen Werte so erhaben, wenn man sieht in welchem Elend, die östlichen Völker heute noch leben?
Weder ist der Westen erhaben über den Osten, noch der Osten über den Westen, meiner Meinung nach. Es scheint so, als würden sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen, was vollkommen legitim ist.
Warum schreibst du dann...
Novalis hat geschrieben:Das ist für mich einer der Gründe, weshalb ich mich von der östlichen Denkweise stets angezogen fühlte, weil sie nicht auf der Ebene des Rationalismus stehen bleibt, sondern den Geist für das heilige Mysterium öffnet, welches unendlich erhaben ist über alle unsre rationalen Begriffe.
Widersprichst du dich hier nicht selbst, oder wie ist das zu verstehen?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#8 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Do 1. Jun 2017, 11:21

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ist es wirklich über unsere westlichen Werte so erhaben, wenn man sieht in welchem Elend, die östlichen Völker heute noch leben?
Weder ist der Westen erhaben über den Osten, noch der Osten über den Westen, meiner Meinung nach. Es scheint so, als würden sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen, was vollkommen legitim ist.
Warum schreibst du dann...
Novalis hat geschrieben:Das ist für mich einer der Gründe, weshalb ich mich von der östlichen Denkweise stets angezogen fühlte, weil sie nicht auf der Ebene des Rationalismus stehen bleibt, sondern den Geist für das heilige Mysterium öffnet, welches unendlich erhaben ist über alle unsre rationalen Begriffe.
Widersprichst du dich hier nicht selbst, oder wie ist das zu verstehen?


Weil Gott/das Göttliche unendlich erhaben ist über alle begrenzten menschlichen Gedanken :) die rationalen Begriffe sind nützlich und haben ihren Anwendungsbereich, aber sie sind begrenzt. Beispielsweise können wir die Heiligen Schriften, als ein Versuch verstehen über das Göttliche zu sprechen (was ich als theologische Prämisse akzeptiere), aber ganz sicher ist es nicht eingesperrt zwischen zwei Buchdeckeln. Das ist der große Denkfehler des protestantischen Fundamentalismus mit dem Prinzip des sola scriptura (lat. „allein durch die Schrift“) das widerspricht auch der Lehre des Paulus, der ganz klar sagte, dass „der Buchstabe tötet und der Geist lebendig macht“ (Neues Testament; 2. Brief des Apostel Paulus an die Korinther, Kap. 3/Vers 6)

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Ja, selbstverständlich begünstigt eine rationalistische Denkweise den rein materiellen Fortschritt, Entwicklung von Wissenschaft und Technologie. Doch alles hat bekanntlich seine Licht und Schattenseiten ;) ich persönlich denke, dass sich Rationalität und Mystik, Wissenschaft und Religion, Vernunft und Intuition ergänzen können und vermutlich auch sollten.
Wie genau stellst du dir das vor?

Der Mensch kann sich in beiden Bereichen gleichzeitig entwickeln. Sowohl in materieller, als auch in spiritueller Hinsicht (das ist mein Ideal) es ist gut möglich, dass sich im Zuge der Globalisierung die Mentalität des Ostens und Westens im Sinne einer weltumspannenden Einheit der Menschheit als komplementär erweisen werden. Das ist meine positive Hoffnung für die Zukunft, denn das erscheint mir sehr viel erstrebenswerter, als Huntingtons Theorie des Clash of Civilizations. Ich stelle mir lieber die Frage, was wir voneinander lernen können. Menschen wie Swami Vivekananda empfinde ich als beispielhaft:

In einer Epoche der Menschheitsgeschichte, die eine Höhe intellektueller Entwicklung erklommen hat, wie man sie vor hundert Jahren nicht erträumen konnte, und die einen wissenschaftlichen Fortschritt gebracht hat, der vor fünfzig Jahren für unmöglich gehalten wurde, kann man die Herzen der Welt nicht in enge Schranken bannen. Wenn man versucht, die Menschen in enge Grenzen zu verweisen, erniedrigt man sie zu Tieren und gedankenlosen Massen und tötet ihr sittliches Leben.

Was wir heute brauchen, ist das edelste Herz in Verbindung mit dem höchsten Verstand, die grenzenlose Liebe in Verbindung mit unendlicher Weisheit. Sein ohne Wissen und Liebe gibt es nicht; Wissen ohne Liebe, und Liebe ohne Wissen gibt es nicht. Unser Ziel ist die Harmonie von ewigem Sein, unendlichem Wissen und ewiger Glückseligkeit. Wir wollen Harmonie und nicht einseitige Entwicklung, den Verstand eines Shankara mit dem Herzen eines Buddha. Wollen wir uns alle bestreben, diese begnadete Verbindung zu verwirklichen.

Swami Vivekananda (1863 – 1902)
Quelle
Bild

Vivekananda war ein großer Gelehrter, der im Jahr 1893 in Chicago als erster Hindu vor dem Weltparlament der Religionen (World Parliament of Religions) sprach. Ich halte es für absolut notwendig, dass Wissenschaft und Religion einander begegnen und sich die Hände reichen. Was könnte besser zum Fortschritt und Vereinigung der Menschheit und dem Weltfrieden beitragen?

Pluto
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#9 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Pluto » Do 1. Jun 2017, 12:39

Eigentlich... Eigentlich sollte dieser Thread europäische Philosophie behandeln, und nicht fernöstliche.

Novalis hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Widersprichst du dich hier nicht selbst, oder wie ist das zu verstehen?
Weil Gott/das Göttliche unendlich erhaben ist über alle begrenzten menschlichen Gedanken :) die rationalen Begriffe sind nützlich und haben ihren Anwendungsbereich, aber sie sind begrenzt. Beispielsweise können wir die Heiligen Schriften, als ein Versuch verstehen über das Göttliche zu sprechen (was ich als theologische Prämisse akzeptiere), aber ganz sicher ist es nicht eingesperrt zwischen zwei Buchdeckeln.
War das jetzt die Antwort auf meine Frage, ob du dich widersprichst?

Novalis hat geschrieben:Der Mensch kann sich in beiden Bereichen gleichzeitig entwickeln. Sowohl in materieller, als auch in spiritueller Hinsicht (das ist mein Ideal) es ist gut möglich, dass sich im Zuge der Globalisierung die Mentalität des Ostens und Westens im Sinne einer weltumspannenden Einheit der Menschheit als komplementär erweisen werden. Das ist meine positive Hoffnung für die Zukunft, denn das erscheint mir sehr viel erstrebenswerter, als Huntingtons Theorie des Clash of Civilizations.
Ideale und Hoffnungen sind gut, aber sie bauen keine robusten Zivilisationen. Was den Kampf der Kulturen angeht, sind wir heute weit darüber hinausgewachsen. China hat mittlerweile das zweitgrößte BSP. Und Indien, die größte Demokratie der Welt, wächst mit ca. 7% p.a.

Novalis hat geschrieben:Ich stelle mir lieber die Frage, was wir voneinander lernen können.
Die TCM können wir von den Chinesen lernen. Sie ist übrigens wirksamer als die Verabreichung von Schmerztabletten um Schmerzen zu therapieren. Da staunt der Laie, wie gut so ein Placebo-Effekt funktionieren kann, wenn man daran glaubt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#10 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Do 1. Jun 2017, 12:53

Pluto hat geschrieben:Eigentlich sollte dieser Thread europäische Philosophie behandeln, und nicht fernöstliche

Das war meine persönliche Ergänzung zu dieser Aussage:

Halman hat geschrieben:Ich werde mich hier fast auschließlich auf die europäische Philosophie beschränken, angefangen bei den Vorsokratikern der klassischen hellenistischen — bis hin zur modernen Philosophie. Damit will ich die Bedeutung orientaler —, indischer — und fernstost-asiatischer Philosophie keineswegs schmälern. Der Grund dafür, dass sie bei mir kaum bis gar nicht zur Sprache kommen, liegt einfach darin begründet, dass ich so gut wie nichst dazu weiß und daher darüber nicht sprechen kann.

War das jetzt die Antwort auf meine Frage, ob du dich widersprichst?

Nein :) Ich denke, dass sich die westliche und östliche Mentalität hervorragend ergänzen. Der Westen mit seiner rational-wissenschaftlich ausgerichteten Denkweise und der Osten mit seinem gewaltigen Sinn für Spiritualität und seine Ehrerbietung gegenüber dem heiligen Mysterium des Göttlichen, welches immer größer ist, selbst alle unsre höchsten, besten und edelsten Gedanken unendlich überragend. Im östlichen Christentum ist das sehr stark ausgeprägt. Wir im Westen vergessen auch gerne, dass Jesus selbst ein Orientale war, ganz und gar verwurzelt im Geist des Ostens.

Besonders deutlich wird das, wenn man sich einfach mal diese herrliche arabische Musik von arabischen Christen anhört :lol:



Ich sag es mal ganz vorsichtig: dagegen wirkt unser westliches Christentum ziemlich blass und entstellt durch den materialistischen Geist der Welt.

Pluto hat geschrieben:Ideale und Hoffnungen sind gut, aber sie bauen keine robusten Zivilisationen


Warum nicht beides gleichzeitig? Form und Inhalt, Körper und Seele, die materielle Seite der Dinge und die spirituelle Seite der Dinge gehören zusammen.

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