Jenseits von Gut und Böse?

Philosophisches zum Nachdenken
Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#321 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Pluto » Do 6. Apr 2017, 09:49

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Nach allem was wir WISSEN, ist der Geist ein körperlicher Prozess.
Nach allem, was wir naturwissenschaftlich wissen, sind geistige Prozesse materiell abgebildet, solange der Mensch lebt. - Das heisst: Wäre Ratzinger in Personalunion Papst und anerkannter Neurowissenschaftler, würde er zum selben Ergebnis kommen wie die Neurowissenschaftler, auf die Du Dich berufst. - DAS ist nicht das Problem.
Sondern... Wo ist das Problem?

closs hat geschrieben:b) nicht entscheiden können, ob der Geist vor der Materie oder die Materie vor dem Geist "ist", da dies nicht falsifizierbar ist.
Diesen Fehler machst du immer wieder. Die Naturwissenschaft arbeit nicht mit Absolutismen (=Dogmen), sondern mit Wahrscheinlichkeiten.
Da alle Evidenzen für Geist als Folge von Materie weisen, und NICHTS dagegen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es so ist, enorm groß. So groß, dass man im Volksmund eben von an Sicherheit grenzender Wahrscheilnichkeit reden kann.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Meinst du damit Vermutung, oder meinst du Gewissheit?
Das ist kategorial dasselbe - persönliche Gewissheit ist eine extrem starke Vermutung.
Nein. Das Problem entsteht dann wenn Vermutung zu persönlicher Gewissheit wird.
Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob du Evidenzen hast oder nicht.

closs hat geschrieben:Weil Du "Evidenz" rein naturwissenschaftlich definierst.
Was gibt es denn für andere Arten von Evidenz?

closs hat geschrieben:Der Punkt: "Transzendenter Glaube" (es geht ja nicht um Glauben im Sinne von "Ich glaube, dass es dunkle Materie gibt", sondern "Ich glaube, dass es etwas über das naturwissenschaftlich Erfassbare hinaus gibt") kann im naturwissenschaftlichen weger evident noch un-evident sein - er ist a-evident. (Das Problem: Eigentlich heisst "evident" "augenscheinlich" (von lat. "videre" = "sehen) und ist somit per Definition rein materiell zu verstehen. Dann ist dieses Wort prinzipiell nicht für geistige Sachen zu verwenden, selbst wenn sie als Entität "sind").
Wolltest du nicht dein Leben auf Basis von Evidenzen leben?

closs hat geschrieben:Hier gibt es zwar einen objektiven Unterschied (nach christlichem Sprech: "definiert von Gott"), der aber mit UNSEREN Mitteln nicht intersubjektiv darstellbar ist, da "intersubjektiv" impliziert, dass jeder sieht "So ist es". - Und das funktioniert bei unterschiedlichen geistigen Erkenntnisstufen nicht.
Dann beschränkt sich das Problem auf den christlichen Glauben! Erst mal Evidenzen für die Existenz von Gott bringen, die von Illusion unterscheidbar sind.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Welche Basis haben wir, außer der Evidenz?
Evidenz in DEINEM Sinne ist hier NICHT die Basis.
Sondern?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

JackSparrow
Beiträge: 5501
Registriert: Mi 30. Okt 2013, 13:28

#322 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von JackSparrow » Do 6. Apr 2017, 11:23

closs hat geschrieben:Extrem falsch. - Das sagt Dir jeder, der in der Philosophie zu Ende denkt - vom Grundsatz her fängt das spätenstens mit Platon an.
Wieso zu Ende. Die haben auf halber Strecke aufgehört, weil ihnen die Idee gefiel, dass die Welt nicht real sei.

Könnten wir Virtualität feststellen, wenn wir selber virtuell wären?
In Bezug auf welche Messskala? Wer hat dir denn das Wort beigebracht? Auch müssten die Werte auf deiner Messskala diskret verteilt sein, da ansonsten beliebige Abstufungen möglich wären: 65 % virtuell, 35 % real...

"Gibt es etwas, was wir OHNE vorlaufenden Glauben erkennen können?"
Neugeborene erkennen die Brust ihrer Mutter, ohne zuvor philosophisch [d]geschult[/d] verwirrt worden zu sein.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#323 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Do 6. Apr 2017, 13:35

Pluto hat geschrieben:Sondern... Wo ist das Problem?
Dass per Neurowissenschaft nicht erkannt werden KANN, ob die Korrelationen von Geist und Materie "so" oder "anders rum" kausal sind ("Henne und Ei").

Pluto hat geschrieben:Da alle Evidenzen für Geist als Folge von Materie weisen, und NICHTS dagegen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es so ist, enorm groß.
NEIN. - Denn da seitens der Neurowissenschaft nur die Sicht von der Materie aus abgedeckt werden kann, ist es theoretisch unmöglich, aus dieser Sicht Evidenzen für "Materie ist aus Geist" zu finden - das geht "bauartbedingt" nicht.

Pluto hat geschrieben:Das Problem entsteht dann wenn Vermutung zu persönlicher Gewissheit wird.
Da sehe ich kein Problem - ersetze "Vermutung" durch "sehr starke Vermutung" - da verdichtet sich halt was.

Pluto hat geschrieben:Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob du Evidenzen hast oder nicht.
Das gilt dich nur für den materiellen Bereich, weil "Evidenz" rein materiell definiert ist - hier geht es aber um den geistigen Bereich, in dem es keine materiellen Evidenzen gibt.

Pluto hat geschrieben:Was gibt es denn für andere Arten von Evidenz?
Es gibt ein "geistiges Sehen" - für das man übrigens keine Glaskugel braucht. - Das fängt bei der Mutter an, die an ihrem Kind "etwas merkt". - Es gilt auch für Pianisten, die ein Stück spielen und "etwas merken" (oder NICHT merken - dann ist ihnen klar, dass es kein großes Werk ist). - Und es gilt für Literaturwissenschaftler, die an Texten "etwas merken".

Dieses "Sehen"/"Merken" ist sicherlich neuronal abbildbar, aber nicht neuronal erklärbar - es ist ganz einfach "geistig".

Pluto hat geschrieben:Wolltest du nicht dein Leben auf Basis von Evidenzen leben?
Tue ich im materiellen Bereich auch - da sind wir uns sicherlich ähnlich. - Aber wenn ich über diese Alltags-Bewältigungs-Ebene hinausgehe und grundlegende Fragen zu Leben und Tod stelle, nützen diese materiellen Evidenzen nichts - falsches Instrument.

Pluto hat geschrieben:Dann beschränkt sich das Problem auf den christlichen Glauben!
Kritisch-rational gesehen ist das richtig - innerhalb dessen Gehege funktioniert es so, wie Du es beschreibst. - Aber damit ist eben nichts, aber auch gar nichts über "Geist" gesagt (außer, dass man materieller-seits Korrelationen feststellen kann, die eh von niemandem angezweifelt werden).

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#324 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Do 6. Apr 2017, 13:41

JackSparrow hat geschrieben:Wieso zu Ende. Die haben auf halber Strecke aufgehört, weil ihnen die Idee gefiel, dass die Welt nicht real sei.
Nein - genau das Gegenteil: Sie geben sich nicht mit der materiellen Beschreibung zufrieden. - Damit es keine Missverständnisse gibt: In Sachfragen der Naturwissenschaften wirst Du (hoffentlich :lol: ) keinen Theologen oder Philosophen finden, der diesbezüglich widerspricht - das ist nicht die Ebene, da ist die "geistige Fraktion" längst durch.

JackSparrow hat geschrieben:In Bezug auf welche Messskala?
Das war nicht die Frage. - Meine Frage war:
Closs hat geschrieben:Könnten wir Virtualität feststellen, wenn wir selber virtuell wären?
- WIE Du diese Freage beantwortest, ist egal - am besten wäre JA oder NEIN.

JackSparrow hat geschrieben:Neugeborene erkennen die Brust ihrer Mutter, ohne zuvor philosophisch geschult verwirrt worden zu sein.
Korrekt - Neugeborene bilden sich aber auch nicht ein, philosophisch mitreden zu können.

Wie wäre es, wenn nur diejenigen Theologie/Philosophie betreiben, die mitreden können - und diejenigen, die die Welt rein auf Reiz-Reaktions-Muster beschränken, genau danach leben? - Wäre das nicht eine schöne Arbeitsteilung? :D

Benutzeravatar
Detlef
Beiträge: 1190
Registriert: So 12. Feb 2017, 12:09
Wohnort: Alfred-Kunze-Sportpark

#325 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Detlef » Do 6. Apr 2017, 14:03

closs hat geschrieben:Wie wäre es, wenn nur diejenigen Theologie/Philosophie betreiben, die mitreden können - und diejenigen, die die Welt rein auf Reiz-Reaktions-Muster beschränken, genau danach leben? - Wäre das nicht eine schöne Arbeitsteilung? :D
Da du dir aber auch zutraust, hiebei mit mischen zu können, ist der Vorschlag überflüssig.
Die Wahrheit lässt sich pachten, mit dem Glauben an des Gottes Sohn, doch die Thesen sind vergänglich, allen Gläubigen zum Hohn! (Gert Reichelt)

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#326 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Do 6. Apr 2017, 14:07

Detlef hat geschrieben:Da du dir aber auch zutraust, hiebei mit mischen zu können, ist der Vorschlag überflüssig.
Lass mich mal weg. - Wäre es dann ein für Dich akzeptabler Weg?

Benutzeravatar
Detlef
Beiträge: 1190
Registriert: So 12. Feb 2017, 12:09
Wohnort: Alfred-Kunze-Sportpark

#327 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Detlef » Do 6. Apr 2017, 14:16

closs hat geschrieben:
Detlef hat geschrieben:Da du dir aber auch zutraust, hiebei mit mischen zu können, ist der Vorschlag überflüssig.
Lass mich mal weg. - Wäre es dann ein für Dich akzeptabler Weg?
Ja sicher, aber was hat das denn mit dem Forum hier zu tun?
Die Wahrheit lässt sich pachten, mit dem Glauben an des Gottes Sohn, doch die Thesen sind vergänglich, allen Gläubigen zum Hohn! (Gert Reichelt)

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#328 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Do 6. Apr 2017, 14:36

Detlef hat geschrieben:Ja sicher, aber was hat das denn mit dem Forum hier zu tun?
Die Frage lautete im Sinne der aktuellen Diskussion:
Closs hat geschrieben:Wie wäre es, wenn nur diejenigen Theologie/Philosophie betreiben, die mitreden können - und diejenigen, die die Welt rein auf Reiz-Reaktions-Muster beschränken, genau danach leben?

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#329 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Do 6. Apr 2017, 17:00

closs hat geschrieben:Die radikal-skeptizistische Position stellt aber eben diese Ebene in ihrem Stellenwert in Frage
Ich habe es doch im Detail erklärt:

Die Voraussetzung für die „radikal-skeptizistische Position“ ist der „Glaubensentscheid“ etwas „Unabhängiges zu sein, das alles durchdenken können soll“ (in deinem Text zu Descartes wird dies eindeutig aufgezeigt).
Dadurch legt man das Ergebnis aber bereits am Anfang fest – eine beliebte Schwindelei innerhalb der Philosophie.

Der Ausgangspunkt ist allein der Wunsch „es sich derart hinzudrehen“.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Ich habe keinen Grund ein Glaubens-Urteil zu fällen, denn ich habe meine Festlegung.
Festlegung IST ein Glaubensurteil
Dann hör einfach mal auf mit der Festlegung :-)
Das kannst du aber gar nicht => kein Glaubensurteil.

Hör einfach auf die „schrägen Linien“ zu sehen, denn sie sind ja gar nicht schräg.

=> Das „Festgelegt sein“ ist dein elementarer Charakterzug – du kannst nicht anderes reagieren.

Wenn sich nun in den festgelegten Zusammenhängen eine Erklärung, sowohl für mein Entstehen, mein So-Sein, als auch für meine Festlegung ergibt, insgesamt also ein abgeschlossenes Umfeld vorliegt, dann gibt es keinen Bedarf für irgendwelche waghalsigen Hintergrundgeschichten à la Nicht-XXXX-Welt.

closs hat geschrieben:Naturwissenschaftliche Untersuchungen, die heute glauben, "Traum" und "Realität" unterscheiden zu können, helfen hier NICHT weiter, weil sie die naturalistische Realität als gegeben setzen - damit sind sie für radikal-skeptizistische Fragestellungen ungeeignet.
Für „Star Wars“-Fans ist unser Universum auch „ungeeignet“
Für jeden, der sich irgendetwas zusammen spinnt, ist eine davon abweichende Realität „ungeeignet“.

Selbstverständlich sind die Aussagen zu „Träumen und Wachsein“ vernünftig und gerade die Details zum Träumen liefern sehr viele Hinweise, wie Menschen funktionieren.

Dass Philosophen mit diesen Daten aus der Praxis nichts anfangen können (und dies auch nicht wollen), wundert mich nicht.

closs hat geschrieben:"Die beiden populärsten Formulierungen des Cogito, gemeint sind die Sätze Cogito, ergo sum und Ego sum, ego existo, verlangen nach einer Wesenbestimmung des ego. Descartes vollzieht diesen Schritt, indem er das denkende Ich als ausschließlich denkende Substanz kennzeichnet, die er res cogitans nennt. Dieses denkende Ding ist strikt vom rein körperlichen Dasein getrennt und kann als solches kein Attribut der Körperlichkeit auf sich beziehen. Es ist somit von allen materiellen Dingen getrennt, die im Körper als res extensa auftreten. Die bloße Materie als res extensa ist somit auch streng getrennt von der denkenden Substanz".( Hoellending)
Wozu dieser theatralische Aufwand, die Wesensbestimmung ist denkbar einfach:
Es ist der Körper.
Das „denkende Ding“ ist der Körper.
Der Körper kann sich nur abstrakt verstehen (keine Details über innere Abläufe), deshalb kommt über die Reaktion der Begriff “Denken“ zustande, obwohl die tatsächlichen Reaktionsabläufe über Zellaktivität stattfinden – das kann der Körper aber nicht feststellen, weil er sich selbst nur über die Daten der Sinnesorgane verstehen kann. Vor diesem Hintergrund verwendet der Körper quasi den Aussenblick, um sich selbst zu verstehen und teilt seine Auswertungsaktivitäten in „objekthafte Handlungen“ ein -> er verwaltet die Auswertungsvorgänge „objekthaft“ (weil er durch die Welt darauf geprägt ist) -> „Bedeutung“ (schau mal in der Philosophie nach, wie man dort kläglich versagt, wenn es um „Bedeutung“ geht).

Eine denkbar einfache Erklärung - es ist alles vorhanden, was dazu notwendig ist und es funktioniert.

Das in deinem Text angesprochene „Vollziehen der Wesensbestimmung“ als „rein denkende Substanz“, ist eine vollständig aus der Luft gegriffene Spinnerei (religiös motiviert) – immerhin gibt dies Descartes ja auch selbst eindeutig zu.

closs hat geschrieben:DAS wiederum ist ok - aber damit machst Du nichts anderes als Descartes und jeder Hermeneutiker: Du erklärst die Welt aus Deiner Festlegung heraus - das tut Ratzinger auch.
Du verwechselst hier das Wort „Festlegung“ mit dem Wort „Glaubensentscheid“.
Nicht ich lege mich fest, so wie diese „Dichter und Denker“, sondern ich bin festgelegt und habe keine Wahlmöglichkeit.

JackSparrow
Beiträge: 5501
Registriert: Mi 30. Okt 2013, 13:28

#330 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von JackSparrow » Do 6. Apr 2017, 18:08

closs hat geschrieben:WIE Du diese Freage beantwortest, ist egal - am besten wre JA oder NEIN.
Ich bin mir sicher, die Frage bereits beantwortet zu haben. Erkläre, was du - oder der Typ, der dir das Wort beigebracht hat - unter Virtualität verstehst, und sofort werde ich dir sagen, ob wir alle nur virtuell existieren.

Wie es, wenn nur diejenigen Theologie/Philosophie betreiben, die mitreden können - und diejenigen, die die Welt rein auf Reiz-Reaktions-Muster beschränken, genau danach leben?
In diesem Fall wäre Theologie/Philosophie logischerweise nur eine mögliche Erscheinungsform des Reiz/Reaktionsmusters, und ihre biologischen Ursachen könnten wir beispielsweise erforschen, indem wir herausfinden, wieso die Hälfte aller Philosophen die Welt für nicht real halten. Oder was sie stattdessen für real halten.

Antworten