Jenseits von Gut und Böse?

Philosophisches zum Nachdenken
Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#1 Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Novas » Fr 24. Feb 2017, 09:25

Halman hat geschrieben:
Detlef hat geschrieben:
Kingdom hat geschrieben:Gute und Böse ist keine Erfindung der Menschheit, diesen Umstand zu leugnen, wäre ein sinnloses unterfangen.Lg Kingdom
Stimmt, denn man kann nur Dinge leugnen, die tatsächlich existieren. Aber man kann die Stimmigkeit dieses vor allem durch Religionen bevorzugten Prinzips widerlegen, so wie es Schmidt-Salomon in seinem Buch "Jenseits von Gut und Böse - wie wir ohne Moral die besseren Menschen sind" m.E. hervorragend gelungen ist.
Schön zu wissen. Dann ist die IS vermutlich nicht böse.

Oder die Gulags von Sibirieren, die auf erschreckende Weise zeigten, wohin innere und äußere Gottferne und spirituelle Entfremdung und Entwurzelung des Menschen führen kann:

Millionen Existenzen werden zerstört, Familien zerfallen, Kinder werden zu Waisen. Unter Stalins Terrorherrschaft ist es bereits seit Mitte der 1930er Jahre alltäglich, dass Menschen wegen kleinster Vergehen, aufgrund von Verdächtigungen oder willkürlich von der sowjetischen Geheimpolizei abgeholt und hingerichtet werden oder ohne Wissen der Angehörigen im Gulag verschwinden. Gulag (Glavnoe Upravlenie Lagerej = Hauptverwaltung der Arbeitslager), das war das sowjetische System der Konzentrations- und Arbeitslager.

Der Gulag ist keine Erfindung Stalins. Bereits Lenin ordnete an, "die Klassenfeinde der Sowjetrepublik in Konzentrationslagern zu isolieren", um sie auf diese Weise auszuschalten. Doch unter Stalins Herrschaft breitete sich das System Gulag wie eine Epidemie flächendeckend über das riesige Territorium der UdSSR aus. Wer unter die Räder des stalinistischen Massenterrors geriet und nicht liquidiert wurde, der verschwand meist für Jahre oder Jahrzehnte in einem der gefürchteten Straflager. Viele der Opfer kehrten nie zurück.

476 Lagerkomplexe mit Tausenden Einzellagern, in denen jeweils bis zu mehrere Tausend Menschen lebten, umfasste der Gulag in seiner größten Ausdehnung. Die amerikanische Journalistin und Gulag-Expertin Anne Applebaum hat in jahrelangen Recherchen ermittelt, dass von 1929 bis zu Stalins Tod 1953 18 Millionen Menschen in sowjetischen Zwangsarbeitslagern interniert waren. 4,5 Millionen Menschen starben an Unterernährung, an Erschöpfung, durch Erfrieren, an Krankheiten und den Folgen drakonischer Strafen. Erst der Tod des Diktators führte zur Auflösung des stalinistischen Gulag.

http://www.planet-wissen.de/geschichte/ ... ag100.html


Sind wir "jenseits von Gut und Böse" wirklich die besseren Menschen? Ich habe da meine Zweifel.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#2 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Fr 24. Feb 2017, 09:42

Novalis hat geschrieben:Sind wir "jenseits von Gut und Böse" wirklich die besseren Menschen? Ich habe da meine Zweifel.
Hier sind wir wieder voll im Definitions-Sumpf. - Was "ist" "gut" - was "ist" "böse"`?

Dazu wird gemeint:
a) Gut und böse sind Privat-Einschätzungen.
b) Gut und böse sind Einschätzungen einer Zeit/eines Kulturraums.
c) Gut und böse sind Setzungen einer Religion.
d) Gut und böse sind notwendige und unveränderliche Folge der Dialektik des Menschen.
e) ...

Schmidt-Salomon scheint "gut und böse" so in etwa unter c) einzuordnen und stellt diesem c) möglicherweise so etwas Ähnliches wie ein Naturrecht gegenüber. - Das kann man machen, aber es verweist mehr auf eine Weltanschauung Schmidt-Salomons hin als auf eine Lösung der Frage, was "gut" und "böse" ontologisch ist.

Mit anderen Worten: Die Frage Sind wir "jenseits von Gut und Böse" wirklich die besseren Menschen? kann beliebig beantwortet werden, ist also je nach Definitions-Setzung mit allem zwischen "ja" und "nein" beantwortbar.

Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#3 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Halman » Fr 24. Feb 2017, 13:28

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Sind wir "jenseits von Gut und Böse" wirklich die besseren Menschen? Ich habe da meine Zweifel.
Hier sind wir wieder voll im Definitions-Sumpf. - Was "ist" "gut" - was "ist" "böse"`?

Dazu wird gemeint:
a) Gut und böse sind Privat-Einschätzungen.
b) Gut und böse sind Einschätzungen einer Zeit/eines Kulturraums.
c) Gut und böse sind Setzungen einer Religion.
d) Gut und böse sind notwendige und unveränderliche Folge der Dialektik des Menschen.
e) ...

Schmidt-Salomon scheint "gut und böse" so in etwa unter c) einzuordnen und stellt diesem c) möglicherweise so etwas Ähnliches wie ein Naturrecht gegenüber. - Das kann man machen, aber es verweist mehr auf eine Weltanschauung Schmidt-Salomons hin als auf eine Lösung der Frage, was "gut" und "böse" ontologisch ist.

Mit anderen Worten: Die Frage Sind wir "jenseits von Gut und Böse" wirklich die besseren Menschen? kann beliebig beantwortet werden, ist also je nach Definitions-Setzung mit allem zwischen "ja" und "nein" beantwortbar.
"Gut" und "Böse" sind Wertungen, welche man natürlich kritisch hinterfragen kann und u.U. auch sollte. Nun mag Schmidt-Salomon auf diese Ausdrücke verzichten, dennoch ist er Vorstand einer antireligiösen Stiftung, für die Religion die Wurzel von Übel ist. Mit anderen Worten: Gem. der naturalistischen Idiologie der Brights ist Religion "böse".

Ebenso wie die Kritik an der Definition "dies ist gut" und "jenes ist böse" eine Notwendigte ist, halte ich es für notwendig, ethisch Verwerfliches als "böse" zu bezeichnen.
- Nationalsozialismus ist böse.
- Islamismus ist böse.
- Stalinismus ist böse.
- Christenverfolgung ist böse.
- Antisemitismus ist böse.
Beim Kommunismus bin ich vorsichtig, diesen kategorisch als "böse" zu bezeichnen. Allerdings zeugt die Geschichte davon, dass man diesen wohl auch so einordnen kann und vielleicht sogar muss.

Und ja, es gibt auch Dinge, die "gut" sind.
- Frieden ist gut.
- Humanität ist gut.
- Jesuanische Ethik ist gut.
- Nächstenliebe ist gut.
- Menschenrechte sind gut.
Beim Humanismus bin ich mir nicht sicher. Den Menschen ideologisch ins Zentrum zu stellen, birgt eine Problematik. Nicht jede Ausprägung ist rühmlich.

Das die Welt nicht "schwarz-weiß" ist, weiß ich auch. Nicht alles lässt sich so leicht als "gut" oder "böse" zutreffend beschreiben.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#4 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Fr 24. Feb 2017, 15:33

Halman hat geschrieben: Nun mag Schmidt-Salomon auf diese Ausdrücke verzichten, dennoch ist er Vorstand einer antireligiösen Stiftung, für die Religion die Wurzel von Übel ist. Mit anderen Worten: Gem. der naturalistischen Idiologie der Brights ist Religion "böse".
So ist es. - Was mich interessiert: Als was versteht sich das, was Schmidt-Salomon vertritt?

Halman hat geschrieben:Das die Welt nicht "schwarz-weiß" ist, weiß ich auch. Nicht alles lässt sich so leicht als "gut" oder "böse" zutreffend beschreiben.
Inhaltlich stimme ich Deiner Auflistung ja zu. - Jedoch würde ich hier auf andere Weise differenzieren:

1) Die Welt ist schon schwarz-weiß - für Gott - aber eben nicht für unsere Wahrnehmung.
2) Man kann aus meiner Sicht "gut" und "böse" theoretisch/fundamental schon klar definieren - und zwar nicht nur über die Bibel, sondern auch über die Dialektik.

Konkret: Das "Böse" an Adam und Eva ist, dass sie durch ihre Bewusstseins-Werdung durch den "Sündenfall" nicht umhin können, das Ich als Orientierungs-Größe zu verstehen - somit Gott nicht mehr als einzige Orientierungs-Größe verstehen zu können. - Das ist die Definition von "böse" und auch der Wortsinn von "Diabolus" und "Scheitan/Satan". Das Problem: Dieses fundamentale Verständnis entspricht nicht dem heutigen Verständnis - wie so oft.

"Gut" wäre in diesem Sinne die Orientierung des Ichs an "Gott" (im Sinne von "Gott ist die Liebe" bzw. "Alles in Einem") - was natürlich nie gelingen kann, solange der Mensch in seiner Ich-Heit irdisch gefangen ist. - Oder um Heidegger zu zitieren, der folgenden Satz NICHT im christlichen Kontext gesagt hat, welcher aber wie die Faust aufs Auge passt (denn: Ontologie und Theologie sind im Idealfall synonym!!):
„Solange das Dasein als Seiendes ‚ist‘, hat es seine ‚Gänze‘ nie erreicht. Gewinnt es sie aber, dann wird der Gewinn zum Verlust des In-der-Welt-Seins schlechthin. Als Seiendes wird es dann nie mehr erfahrbar.“

Die Entwicklung zum Ganzen ist dem Menschen also nur über den Tod möglich, nachdem seine Existenz nicht mehr durch die Ferne von Gott, sondern durch das Schauen in Gott definiert ist – also die ontologische Differenz zwischen „Sein und Seiendem“, „Realität und Wahrnehmung“, „Gott und Mensch“ aufgehoben ist – die christliche Sprache verwendet dafür den Begriff „Erlösung“.
Hinweis, den ich Savonlinna zu verdanken habe: Daran hat Heidegger NICHT gedacht, als er diesen Satz in seiner existentialistischen Phase formuliert hat - aber er passt direkt auf die Existenz des Menschen aus christlicher Sicht.

Benutzeravatar
NIS
Beiträge: 2677
Registriert: Sa 2. Aug 2014, 15:01
Kontaktdaten:

#5 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von NIS » Fr 24. Feb 2017, 15:48

Jenseits von Gut und Böse ist das Gewissen, oder? ;)
Der Heilige Geist (Hauke)

WISSEN VON MACHT

Benutzeravatar
Detlef
Beiträge: 1190
Registriert: So 12. Feb 2017, 12:09
Wohnort: Alfred-Kunze-Sportpark

#6 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Detlef » Mo 27. Feb 2017, 12:25

Halman hat geschrieben:Nun mag Schmidt-Salomon auf diese Ausdrücke verzichten...
Nein, das siehst du völlig falsch.Er lehnt lediglich die Idee des absolut Guten und Bösen als personifizierte Begriffe (z.B. als Gott und Satan) ab. Ich zitiere mal Schmidt-Salomon aus einem Interview der "Freien Presse Chemnitz":"Bei der ethischen Bewertung fragen wir danach, ob die Interessen anderer bei einer Entscheidung fair berücksichtigt wurden oder nicht. Das hat nichts mit „Gut“ oder „Böse“ zu tun. Das Gutgegen-Böse-Prinzip hat sich nicht deswegen über die Jahrhunderte gehalten, weil es so human ist, sondern weil es sich so hervorragend eignet, die eigene Gruppe gegenüber „den Anderen“ abzugrenzen.Denn böse sind stets die Anderen!Sie werden nicht mehr als Menschen mit menschlich-allzumenschlichen Eigenschaften wahrgenommen, sondern als depersonalisierte „Agenten des Bösen“, was häufig zu einer Eskalation der Gewalt führt. Egal ob Hisbollah, Hamas, orthodoxe jüdische Siedlerbewegung, George W. Bush oder Osama Bin Laden – sie alle vertreten rigide Moralvorstellungen und sehen sich als heldenhafte Kämpfer in einer „Entscheidungsschlacht gegen das Böse“ – nur dass das „Böse“ jeweils anders verortet wird. Gegenüber den „Agenten des Bösen“ neigt man dann natürlich dazu, alles Mitleid abzustreifen. Unter dem Deckmantel des „Guten“ folgt man dem blinden Instinkt der Rache."
closs hat geschrieben:Hier sind wir wieder voll im Definitions-Sumpf. - Was "ist" "gut" - was "ist" "böse"`?...
Als "Sumpf" würde ich eine Diskussion über "ethische Bewertung" nun wahrlich nicht bezeichnen wollen...
Halman hat geschrieben:...Nicht alles lässt sich so leicht als "gut" oder "böse" zutreffend beschreiben...
Wo du recht hast , hast du recht, aber hier
Halman hat geschrieben:...dennoch ist er Vorstand einer antireligiösen Stiftung, für die Religion die Wurzel von Übel ist. Mit anderen Worten: Gem. der naturalistischen Idiologie der Brights ist Religion "böse".

ist me.E. der letzte Satz nicht zutreffend, aus den eingangs genannten Gründen bezüglich "personifzierter Begriffe". Schmidt-Salomon betrachtet das auch viel differenzierter, hier nochmal aus dem Interview der "Freien Presse Chemnitz":"Die Religionen sind ja Antworten auf existenzielle Fragen des Menschseins, sie hätten nicht so lang überlebt, wenn in ihnen nicht auch Wahres enthalten wäre! Nur müssen wir das Lebensdienliche in den Religionen trennen von dem, was das Leben gefährdet. Man darf hier nicht übersehen, und das ist kein Vorwurf, dass die Religionen auf einer sehr viel früheren Stufe der kulturellen Evolution entstanden sind und deshalb noch viele Elemente in sich tragen, die schlichtweg nicht mehr ins 21. Jahrhundert gehören. Wir sollten also die richtigen Konzepte aus den Religionen in eine moderne Sprache übersetzen, die ohne schädlichen Hokuspokus wie „das Böse“ auskommt."
Im Vergleich dazu bist du, @closs hiermit:
closs hat geschrieben:...Jedoch würde ich hier auf andere Weise differenzieren:
1) Die Welt ist schon schwarz-weiß - für Gott - aber eben nicht für unsere Wahrnehmung.
2) Man kann aus meiner Sicht "gut" und "böse" theoretisch/fundamental schon klar definieren - und zwar nicht nur über die Bibel, sondern auch über die Dialektik.
Konkret: Das "Böse" an Adam und Eva ist, dass sie durch ihre Bewusstseins-Werdung durch den "Sündenfall" nicht umhin können, das Ich als Orientierungs-Größe zu verstehen - somit Gott nicht mehr als einzige Orientierungs-Größe verstehen zu können. - Das ist die Definition von "böse" und auch der Wortsinn von "Diabolus" und "Scheitan/Satan". Das Problem: Dieses fundamentale Verständnis entspricht nicht dem heutigen Verständnis - wie so oft.
"Gut" wäre in diesem Sinne die Orientierung des Ichs an "Gott" (im Sinne von "Gott ist die Liebe" bzw. "Alles in Einem") - was natürlich nie gelingen kann, solange der Mensch in seiner Ich-Heit irdisch gefangen ist...
- im Ansatz stecken geblieben.
closs hat geschrieben:Das kann man machen, aber es verweist mehr auf eine Weltanschauung Schmidt-Salomons hin als auf eine Lösung der Frage, was "gut" und "böse" ontologisch ist.Mit anderen Worten: Die Frage Sind wir "jenseits von Gut und Böse" wirklich die besseren Menschen? kann beliebig beantwortet werden, ist also je nach Definitions-Setzung mit allem zwischen "ja" und "nein" beantwortbar.
Zu solchen "beliebigen" Antworten gelangt man, wenn man zum Thema eigentlich nichts gelesen hat und krampfhaft in "Schubladen-Denken" verharrt.
Novalis hat geschrieben:Schön zu wissen. Dann ist die IS vermutlich nicht böse.
Oder die Gulags von Sibirieren, die im Namen der aheistischen Ideologie des Kommunismus erfunden wurden. Bereits Lenin ordnete an, "die Klassenfeinde der Sowjetrepublik in Konzentrationslagern zu isolieren", um sie auf diese Weise auszuschalten.Oder die Gulags von Sibirieren, die auf erschreckende Weise zeigten, wohin innere und äußere Gottferne und spirituelle Entfremdung und Entwurzelung des Menschen führen kann.
Das ist der falsche Kontext, es geht nicht um Theismus/Atheismus. In seiner Schrift "Sind AtheistInnen die besseren Menschen? Anmerkungen zur Kriminalgeschichte des Atheismus" brachte es Schmidt-Salomon so auf den Punkt:"...Die Konfrontation mit dieser Art religiöser Atheisten rief mir immer wieder zu Bewußtsein, was mir eigentlich schon seit Beginn meines Ausstiegs aus der Religion klar war, nämlich dass das entscheidende Problem nicht der Theismus ist, sondern die Religion. ... Ich plädierte dafür, den traditionellen Begriff der Religion zu erweitern: er müßte sowohl die theistischen als auch die atheistischen Heilsgeschichten umfassen...Ich denke, es wäre überaus problematisch, den Religionsbegriff weiterhin an der Existenz klar umrissener Gottesbilder festzumachen. Denn erstens würden wir damit (s.o.) zahlreiche traditionelle Formen der Religion ausklammern. Zweitens würden wir verkennen, dass religiöse Grundmuster auch in scheinbar säkularen Zusammenhängen von zentraler Bedeutung sein können...Es gilt daher, eine skeptische Geisteshaltung zu fördern, die unbrauchbare Ideen sterben lässt, bevor Menschen für unbrauchbare Ideen sterben müssen. Gegen diesen kategorischen Imperativ jeder aufklärerischen Religionskritik haben religiös denkende Menschen aller Zeiten verstoßen - und zwar losgelöst davon, ob sie an die Existenz eines Gottes glaubten oder nicht. Es ist an der Zeit, nicht nur aus der Kriminalgeschichte des Christentums, sondern auch aus der Kriminalgeschichte des Atheismus die richtigen Schlüsse zu ziehen."
Die Wahrheit lässt sich pachten, mit dem Glauben an des Gottes Sohn, doch die Thesen sind vergänglich, allen Gläubigen zum Hohn! (Gert Reichelt)

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#7 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Di 28. Feb 2017, 01:26

Detlef hat geschrieben:Als "Sumpf" würde ich eine Diskussion über "ethische Bewertung" nun wahrlich nicht bezeichnen wollen...
Wie kommst Du darauf, dass "ethische Bewertung" der richtige Begriff ist zur Definition von "gut" und "böse"?

Detlef hat geschrieben:"Man darf hier nicht übersehen, und das ist kein Vorwurf, dass die Religionen auf einer sehr viel früheren Stufe der kulturellen Evolution entstanden sind und deshalb noch viele Elemente in sich tragen, die schlichtweg nicht mehr ins 21. Jahrhundert gehören".
Da lässt SChmidt-Salomon mal so richtig seine ideologischen (= religiöse) Grundlagen raus. Er tut so, als sei das 21. Jh. kulturell weiter, obwohl genauso gut das Gegenteil der Fall sein kann (und wahrscheinlich auch ist). - NB: "Kulturell" ist nicht dasselbe wie "zivilisatorisch-technisch".

Detlef hat geschrieben:"Wir sollten also die richtigen Konzepte aus den Religionen in eine moderne Sprache übersetzen"
Dieser Satz ist neutral betrachtet ok. - Im Kontext jedoch meint er damit, dass man die spirituellen Gründe, warum es überhaupt Religion gibt, entsorgen soll. - "Fortschritt" wäre also das, was das, was man nicht (mehr) versteht, entsorgt. - "Aufklärung"?

Detlef hat geschrieben:Zu solchen "beliebigen" Antworten gelangt man, wenn man zum Thema eigentlich nichts gelesen hat
Zu diesem Ergebnis kommt man auch dann, wenn mit zu diesem Thema viel gelesen und vor allem viel verstanden hat. - Die Definition ist nämlich alles - je nach Definition von "gut" und "böse" kommen ganz unterschiedliche Antworten raus.

Natürlich kann es jeder definieren, wie er will. - Aber man kann damit nicht beurteilen, ob frühere Religionen geistig weniger oder mehr fortschrittlich waren als die heutigen Sälkular-Religionen alias Ideologien.

Wir sind hier im Bereich des "Neusprech" von "1984". - Man zieht die Menschen durch Umdefinierungen bisher besetzter Begriffe um, so dass am Ende die Fragestellungen, die mit den bisherigen definitorischen Inhalten, diskutiert werden konnten, gar nicht mehr gestellt werden (können). - "Aufklärung"?

Benutzeravatar
Detlef
Beiträge: 1190
Registriert: So 12. Feb 2017, 12:09
Wohnort: Alfred-Kunze-Sportpark

#8 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Detlef » Di 28. Feb 2017, 13:36

closs hat geschrieben:Wie kommst Du darauf, dass "ethische Bewertung" der richtige Begriff ist zur Definition von "gut" und "böse"?
Weil die Ethik eine Orientierung im alltäglichen Zusammenleben mit anderen Menschen im Sinne von "Was ist richtig, was ist falsch" liefert, oder eben auch anders ausgedrückt: Welches verhalten, welche Handlungen etc.in diesem Zusammenhang sind "gut" und welche sind "schlecht"(inzwischen gebräuchlicher Begriff in diesem Kontext für "böse"). Steht übrigens so ähnlich auch in dem Zitat da oben ("Bei der ethischen Bewertung fragen wir danach, ob die Interessen anderer bei einer Entscheidung fair berücksichtigt wurden oder nicht...")

Außerdem, wusstest du denn gar nicht, dass sich "gut" ;als sog. "Erstbegriff" , gar nicht absolut definieren lässt?
closs hat geschrieben:NB: "Kulturell" ist nicht dasselbe wie "zivilisatorisch-technisch".
Aber den direkten Zusammenhang kann man nicht leugnen.
closs hat geschrieben:Er tut so, als sei das 21. Jh. kulturell weiter, obwohl genauso gut das Gegenteil der Fall sein kann (und wahrscheinlich auch ist). "
Für eine Diskussion zu diesem Thema fehlt uns beiden wahrscheinlich schon eine grundsätzliche Basis. Ich verstehe dich so:
Unserer heutigen, immer komlexer werdenden Welt kann man trotzdem noch die Grundsätze einer bronzezeitlichen Wüstenreligion überstülpen. Wenn das so ist, fehlt uns diese Basis tatsächlich, denn dann du ignorierst schon die simple Tatsache, dass die Welt komplexer ist, als dass sie zwischen zwei Buchdeckel passt. (sorry Janina für den Wortklau)
closs hat geschrieben:Da lässt SChmidt-Salomon mal so richtig seine ideologischen (= religiöse) Grundlagen raus."
Wie ich's vorrausgesagt habe, du kommst ohne deine Schubladen nicht aus, und dann ist's auch noch die komplett falsche, denn Schmidt-Salomon ist areligiös,
und wie man
"..und deshalb noch viele Elemente in sich tragen, die schlichtweg nicht mehr ins 21. Jahrhundert gehören"
umdeutet in :
closs hat geschrieben:""Fortschritt" wäre also das, was das, was man nicht (mehr) versteht, entsorgt. - Aufklärung"?"
kann ich auch nicht verstehen. Es geht um Konzepte, Aussagen etc, welche in der heutigen Zeit nicht mehr brauchbar sind. Dazu gehört m.E. auch, das man solche überholte Sichtweisen wie das "Gut-gegen-Böse-Prinzip" ablegt, um endlich mal aus dieser Spirale von Hass und Gewalt heraus zu kommen.

closs hat geschrieben:Die Definition ist nämlich alles - je nach Definition von "gut" und "böse" kommen ganz unterschiedliche Antworten raus. Natürlich kann es jeder definieren, wie er will.
Was sollte das bringen, ohne die Prinzipien des richtigen, d. h. schlüssigen Denkens und Beweisführens, sprich Logik, wäre dies sinnlos, zumal es, wie oben schon gesagt, die von dir geforderten Definitionen gar nicht geben kann.
closs hat geschrieben:Aber man kann damit nicht beurteilen, ob frühere Religionen geistig weniger oder mehr fortschrittlich waren als die heutigen Sälkular-Religionen alias Ideologien.
Hier gehts um keinen "Schwanzvergleich", die Beurteilung andere Aspekte diesbezüglich sind schon sehr wichtig (s.o).
closs hat geschrieben:Wir sind hier im Bereich des "Neusprech" von "1984". - Man zieht die Menschen durch Umdefinierungen bisher besetzter Begriffe um, so dass am Ende die Fragestellungen, die mit den bisherigen definitorischen Inhalten, diskutiert werden konnten, gar nicht mehr gestellt werden (können). - "Aufklärung"?
Ich habe dieses Buch auch gelesen, auf die Idee wäre ich nie gekommen...zur Erinnerung dort geht es um Reglementierung jeglicher Handlungen und Gedanken, Schmidt-Salomon befürwortet ja nun das komplette Gegenteil. Ob du an den eigentlich wichtigen Aussagen mit Absicht vorbeiliest oder diese übersiehst, kann ich nicht beurteilen. Ich denke aber, du solltest so ehrlich sein und direkt sagen, dass du am biblischen Prinzip des personifzierten "Gut" und "Böse" festhalten möchtest, dann können wir uns weitere dieser fruchtlosen Wortklaubereien sparen.
Die Wahrheit lässt sich pachten, mit dem Glauben an des Gottes Sohn, doch die Thesen sind vergänglich, allen Gläubigen zum Hohn! (Gert Reichelt)

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#9 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Novas » Di 28. Feb 2017, 13:53

Detlef hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Schön zu wissen. Dann ist die IS vermutlich nicht böse.
Oder die Gulags von Sibirieren, die im Namen der aheistischen Ideologie des Kommunismus erfunden wurden. Bereits Lenin ordnete an, "die Klassenfeinde der Sowjetrepublik in Konzentrationslagern zu isolieren", um sie auf diese Weise auszuschalten.Oder die Gulags von Sibirieren, die auf erschreckende Weise zeigten, wohin innere und äußere Gottferne und spirituelle Entfremdung und Entwurzelung des Menschen führen kann.
Das ist der falsche Kontext, es geht nicht um Theismus/Atheismus. In seiner Schrift "Sind AtheistInnen die besseren Menschen? Anmerkungen zur Kriminalgeschichte des Atheismus" brachte es Schmidt-Salomon so auf den Punkt:"...Die Konfrontation mit dieser Art religiöser Atheisten rief mir immer wieder zu Bewußtsein, was mir eigentlich schon seit Beginn meines Ausstiegs aus der Religion klar war, nämlich dass das entscheidende Problem nicht der Theismus ist, sondern die Religion. ...

Wenn immer wieder von der Kriminalgeschichte des Christentums gesprochen wird, der Kriminalgeschichte der Religion, dann ist es ebenso legitim von der Kriminalgeschichte des Atheismus zu sprechen. Doch religiöse Menschen in ein einseitig schlechtes Licht zu rücken und den Atheismus zu entschuldigen, das ist unredlich.

Wenn es nur alles so einfach wäre! Wenn nur böse Menschen irgendwo heimtückisch bösen Taten begehen würden, und es wäre nur notwendig, sie von dem Rest von uns zu trennen und sie zu zerstören. Aber die Linie zwischen Gut und Böse geht durch das Herz eines jeden Menschen. Und wer ist bereit, ein Stück seines eigenen Herzens zu zerstören? Alexander Solschenizyn, Archipel Gulag 1918-1956

"Die" Religion kann nicht das Problem sein, da all das, was wir das Gute und Böse nennen, Bestandteil der Ambivalenz des menschlichen Wesens ist. Diese Ambivalenz hört nicht auf magische Weise auf, wenn der Mensch ohne Religion lebt. Die Wahrheit ist, dass die Funktion von Religion darin besteht, Bewusstsein zu kultivieren, Bewusstwerdung zu inspirieren, sodass eher die edlen, guten und göttlichen Eigenschaften des Menschen entwickelt werden. Mein Eindruck ist leider, dass die meisten Atheisten ein nur sehr oberflächliches Verständnis für Religiosität besitzen. Im Grunde sind sie auf dem Niveau von Marx und Feuerbach stehen geblieben.

Dabei ist sie etwas Ur-Menschliches. Es gab noch nie eine Kultur und Zivilisation, die dauerhaft ohne Religion existierte. Sie gehört zum Menschsein. Was sagt denn die
Anthropologie (altgriechisch ἄνθρωπος (ánthrōpos) „ Mensch“, und -logie: Menschenkunde) dazu, warum hat der Mensch ein Bedürfnis nach dem Transzendenten? :wave:

Benutzeravatar
Detlef
Beiträge: 1190
Registriert: So 12. Feb 2017, 12:09
Wohnort: Alfred-Kunze-Sportpark

#10 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Detlef » Di 28. Feb 2017, 15:55

Novalis hat geschrieben:Wenn immer wieder von der Kriminalgeschichte des Christentums gesprochen wird, der Kriminalgeschichte der Religion, dann ist es ebenso legitim von der Kriminalgeschichte des Atheismus zu sprechen.
Hat er (Schmidt-Salomon) doch schon, fast wörtlich, so gesagt.
Novalis hat geschrieben:Doch religiöse Menschen in ein einseitig schlechtes Licht zu rücken und den Atheismus zu entschuldigen, das ist unredlich.
Die Kritik an religiösen Prinzipien wurde nachvollziehbar begründet und somit auch falsifizierbar, es ist an dir, nicht einfach so zu behaupten, das sie- sondern darzulegen, was an ihr- "unredlich" ist.

Wenn es nur alles so einfach wäre! Wenn nur böse Menschen irgendwo heimtückisch bösen Taten begehen würden, und es wäre nur notwendig, sie von dem Rest von uns zu trennen und sie zu zerstören. Aber die Linie zwischen Gut und Böse geht durch das Herz eines jeden Menschen. Und wer ist bereit, ein Stück seines eigenen Herzens zu zerstören? Alexander Solschenizyn, Archipel Gulag 1918-1956
Ich lese daraus, dass Solschenizyn "Gut und Böse" bzw. "Herz" eher für eine bildhafte Sprache verwendet und die Erkenntnis formuliert, dass sich diese Begriffe eben gerade nicht personifizieren lassen.
Novalis hat geschrieben:Mein Eindruck ist leider, dass die meisten Atheisten ein nur sehr oberflächliches Verständnis für Religiosität besitzen. Im Grunde sind sie auf dem Niveau von Marx und Feuerbach stehen geblieben.
Ein äußerst oberflächliches und zudem unbegründetes "über einen Kamm scheren" einer heterogenen Menschengruppe. Was soll man damit anfangen?
Novalis hat geschrieben:Dabei ist sie etwas Ur-Menschliches. Es gab noch nie eine Kultur und Zivilisation, die dauerhaft ohne Religion existierte. Sie gehört zum Menschsein. Was sagt denn die Anthropologie (altgriechisch ἄνθρωπος (ánthrōpos) „ Mensch“, und -logie: Menschenkunde) dazu, warum hat der Mensch ein Bedürfnis nach dem Transzendenten? :wave:
Sie sagt z.B.:"Der Glaube an höhere Mächte hat in der Menschheitsgeschichte lange Zeit einen Evolutionsvorteil geboten, z.b. waren die Miglieder einer Gemeinschaft aufgrund ihrer Furcht vor übermächtigen Instanzen eher dazu bereit, gemeinsame, vermeintlich gottgegebene Regeln zu befolgen.Offenbar erweist sich, evolutionsbiologisch gesprochen, die Vorstellung einer höheren, transzendenten Wirklichkeit als wirksamer Faktor im Überlebenskampf. Angesichts der unausweichlichen Tatsache, dass wir alle sterben müssen, verheißt der Glaube an eine transzendente Wirklichkeit individuellen Trost; zugleich erlaubt er die Durchsetzung verbindlicher ethischer Standards und sichert so die Stabilität von Gesellschaften. Und schließlich lässt sich mit religiösen Argumenten Macht begründen und durchsetzen – auch das sichert das eigene Überleben." (teilw. aus "Zeit Online")
Angesichts des darin vorhandenen Konfliktpotentials und einer immer enger zusammen rückenden, globalisierten Menschheit halte ich, wie viele andere Menschen auch, dieses Konzept für inzwischen überholt. Persönliche Glaubensbekenntnisse berührt das zunächst nicht.
Die Wahrheit lässt sich pachten, mit dem Glauben an des Gottes Sohn, doch die Thesen sind vergänglich, allen Gläubigen zum Hohn! (Gert Reichelt)

Antworten