Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#41 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von closs » Di 7. Jun 2016, 21:06

Novalis hat geschrieben:Gott ... ist ... der Grund allen Seins und somit unser innerstes Sein und als 'reine Bewusstheit/Lebendigkeit' erfahrbar. Oder als Vernetztheit (Interconnectedness) allen Seins. Darum gehört das innere Stillwerden aller Gedankentätigkeit zur christlichen Kontemplation.
Das ist original christlich. - Die Diskussion hier gibt es nur deshalb, weil Gott gelegentlich als rein inner-menschliches Phänomen dargestellt wird - als gäbe es Gott nicht ohne menschliche Psyche. Mir ist nicht erinnerlich, dass die Mystik Gott als menschen-psychisch generiert versteht.

Würde dieses Missverständnis ausgeräumt, wären sich hier wahrscheinlich alle Beteiligten ziemlich einig - aber aus irgendeinem Grund soll es nicht ausgeräumt werden.

Novas
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#42 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von Novas » Mi 8. Jun 2016, 14:35

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Gott ... ist ... der Grund allen Seins und somit unser innerstes Sein und als 'reine Bewusstheit/Lebendigkeit' erfahrbar. Oder als Vernetztheit (Interconnectedness) allen Seins. Darum gehört das innere Stillwerden aller Gedankentätigkeit zur christlichen Kontemplation.
Das ist original christlich. - Die Diskussion hier gibt es nur deshalb, weil Gott gelegentlich als rein inner-menschliches Phänomen dargestellt wird - als gäbe es Gott nicht ohne menschliche Psyche. Mir ist nicht erinnerlich, dass die Mystik Gott als menschen-psychisch generiert versteht


Wo beginnt denn die menschliche Psyche, woher kommt sie und wo hört sie auf, wohin geht sie, kannst Du das mit Sicherheit bestimmen? Aus Sicht der christlichen Mystik ist der Seelengrund der „Ort“, wo wir Gott begegnen können. Als Meister Eckhart das lehrte empörte sich die Kirche damals so, dass sie ihn als Häretiker verurteilte. Dabei haben sie ihn einfach nicht verstanden.

Würde dieses Missverständnis ausgeräumt, wären sich hier wahrscheinlich alle Beteiligten ziemlich einig - aber aus irgendeinem Grund soll es nicht ausgeräumt werden.

Hier müssen auch gar nicht alle Missverständnisse ausgeräumt werden, denn die Mehrdeutigkeit und Pluralität gehört zur Sprache. Ich erwarte und verlange gar nicht, dass wir uns hier alle jemals einig sind.

Savonlinna hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Nein!!!
Warum hast Du Tillich dann so überschwenglich gelobt? Weil er etwas anderes meint als Du? - Du machst Dich komplett ungreifbar.
Nein, weil er eine wohltuende Alternative zu vernagelten Christen ist.
Sein "In der Tiefe ist Wahrheit" - das er in dem Sinne ausführt, dass auch ein Atheist Tiefe kennen kann wie jeder Mensch - macht keinen Unterschied mehr zwischen Christen und Atheisten oder "Ungläubigen".

Er ist ein Brückenbauer, und solche sind selten.


Wenn ich mir die heutigen Gespräche zum Thema Religion genau anschaue, dann sehe ich eine Sehnsucht nach einer „Religion der Seele“, die frei ist von den Bevormundungen der Massenreligion, wie es es Walter Lehmann im Vorwort einer Edition der Predigten von Johannes Tauler, die 1923 im Verlag Eugen Diederichs erschien, sagte:

„Die Mystik ist der großartigste Versuch, die Religion an sich zu finden. Und was ist die religiöse Sehnsucht unserer Tage? Die Religion zu finden, die keiner Konfession, keiner Dogmen, keiner heiligen Stätten, Priester und Handlungen, keiner Symbole, keiner Formen und Kulte, keiner Historie bedarf, sondern autonom in der Seele lebt. Die da hinein gebannt sind in die Massenreligion der Bevormundung, sehnen sich nach der Religion ihrer eigenen Seele … Und die da sitzen in der halb erstorbenen Kirche, die ohne Gestalt und Schöne ist, sie schauen aus nach der mittlerlosen Religion.“

Diese Religion, die autonom in der eigenen Seele lebt, kann man überall und jederzeit für sich selbst entdecken und leben. Ähnlich ist der Denkansatz der modernen Psychologie:


"Ich erachte es für die vornehmste Aufgabe der Psychotherapie in unserer Gegenwart, unentwegt dem Ziel der Entwicklung des Einzelnen zu dienen.."
- Carl Jung
http://www.carl-g-jung.de/

Das ist eine Frage, der keine Weltanschauung mehr ausweichen kann: dient sie der Entwicklung des Einzelnen wirklich oder nicht?

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Josi
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#43 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von Josi » Mi 8. Jun 2016, 16:43

closs hat geschrieben:Das ist original christlich.
Nee, es gibt kein "original christlich", weil es keine inhaltliche - und somit hermeneutisch eindeutige - Vereinheitlichung des Christentums gibt.
Selbst NT-Texten nach, lagen sich die Kreateure dieser Sekte in den Haaren - so besonders Saulus bzw. später Paulus, der kein Wegbegleiter Jesu war, hervortrat, um durchzusetzen, wie Wegbegleiter Jesu das Christentum zu verstehen und zu verbreiten hatten.
Und alle nachfolgenden hermeneutischen Mühen, seien sie nun von Theologen, Philosophen, Soziologen usw. vorgenommen, zeigen summa summarum nur auf, wie willkürlich frei man sich mit bloßen Worten um bloße Worte abmühen kann.
closs hat geschrieben:Die Diskussion hier gibt es nur deshalb, weil Gott gelegentlich als rein inner-menschliches Phänomen dargestellt wird - als gäbe es Gott nicht ohne menschliche Psyche.
Gott ist aber ein Produkt der menschlichen Psyche.
Das muss nicht unbedingt als etwas Negatives aufgefasst werden, denn wie Savonlinna bereits in vielen ihrer Beiträgen ausführlicher zusammengetragen hat, lässt sich ein "intelligenter Gottglaube" über bislang evolutionsbedingten Weltverständnissen hinaus, als unaufhörlich reifende Philosophie begründen.
Da Gott als Person bzw. Individuum ohnehin nicht gefunden und identifiziert werden kann (siehe jüdische Grundsätze / auch 10 Gebote), erzwingt sogar regelrecht für Menschen, die sich eine Welt ohne Gott nicht denken, möglicherweise auch nicht ertragen können, die Auffassung, im Kern der Begrifflichkeit "Gott" eine Art "Vorbildlichkeit" zu begreifen.

Im Ramen eines "Philosophischen Gottglaubens" würde Gott gleichbedeutend einem intellektuellen Ziel, danach sich alle bislang thematisierten Widersprüchlichkeiten, Ungereimtheiten, Missverständnisse etc.pp. nicht nur auflösen, sondern auch alle Ängste bzw. Philosophien überwunden würden.
Ein solches Ziel ist zwar nicht wirklich erreichbar, aber die so angebotene Entwicklungsrichtung, scheint mir die Erstrbenswerteste zu sein.

Ich selbst beanspruche keinen Gottesbegriff, um die Welt zu mögen.
Schade finde ich nur, dass nicht allzu viele Menschen unsere Welt mögen.
Aber wer weiß; vieleicht tut sich ja da noch was...
Und wenn nicht... auch gut... :chapeau:
Wer propagiert, es sei nicht schlimm wenn Menschen - einschließlich Kinder - getötet werden, da sie bei Gott weiter leben würden, gehört selbst auf der Stelle mit der Begründung getötet: "DIES SEI AUCH DIR GEGÖNNT!!!"

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#44 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von closs » Mi 8. Jun 2016, 17:33

Novalis hat geschrieben: Aus Sicht der christlichen Mystik ist der Seelengrund der „Ort“, wo wir Gott begegnen können.
Wo sonst? Natürlich ist das so. - Ich habe auch früher nie verstanden, was man Meister Eckart eigentlich anlasten wollte.

Novalis hat geschrieben:Ich erwarte und verlange gar nicht, dass wir uns hier alle jemals einig sind.
Bei gewissen Grundlagen ("Gott ist eigenständige Größe"/"Gott ist anthropozentrische Größe") wäre es mir schon wichtig.

Novalis hat geschrieben:Wenn ich mir die heutigen Gespräche zum Thema Religion genau anschaue, dann sehe ich eine Sehnsucht nach einer „Religion der Seele“, die frei ist von den Bevormundungen der Massenreligion
Das verstehe ich sehr gut - aber es steht auch eine Gefahr dahinter: Man bastelt sich sein Ding. Ich möchte nicht wissen, wieviele Menschen tatsächlich meinen, dass MAdonna ein Göttin ist und Michel Jackson ein Gott.

Man könnte argumentieren: Jeder hat halt andere Projektionsflächen für die Seele. - Aber Gott ist halt mehr als eine anthropozentrische Projektionsfläche. - Wie auch immer: Man sollte sich dann wenigstens nicht ernsthaft theologisch unterhalten wollen. - Aber da geht alles durcheinander.

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#45 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von closs » Mi 8. Jun 2016, 17:41

Josi hat geschrieben:Nee, es gibt kein "original christlich"
Mit "original" war "vom Wesen her" gemeint - das kann Unterschiedliches sein.

Josi hat geschrieben:Und alle nachfolgenden hermeneutischen Mühen, seien sie nun von Theologen, Philosophen, Soziologen usw. vorgenommen, zeigen summa summarum nur auf, wie willkürlich frei man sich mit bloßen Worten um bloße Worte abmühen kann.
Dann sollte man nicht das Wort "hermeneutisch" bemühen. - Im Grunde lese ich heraus: Wenn man keine eigene Orientierung hat, geht alles.

Josi hat geschrieben:Gott ist aber ein Produkt der menschlichen Psyche.
Eben nicht - weshalb ich so vehement auf dieser Unterscheidung bestehe. - Man sollte einfach nicht das Wort "Gott" benutzen, wenn man psychische Symptome meint. - Wenn man sagt "Es gibt Gott nicht", ist das ok - eine Glaubensaussage, zu der man versteht. - Aber dieses ewige Vermengen und Umdeuten nervt schon.

Josi hat geschrieben: denn wie Savonlinna bereits in vielen ihrer Beiträgen ausführlicher zusammengetragen hat, lässt sich ein "intelligenter Gottglaube" über bislang evolutionsbedingten Weltverständnissen hinaus, als unaufhörlich reifende Philosophie begründen.
Man kann aus atheistischem Glauben heraus fragen, wie man selber den Umstand bewertet, dass es das Wort "Gott" gibt. Aber dann kann man nicht von "Gott" sprechen, sondern sollte seinem Baby einen eigenen Namen geben. - Was würdest Du sagen, wenn jemand zu Deinem Auto "Giraffe" sagen würde?

Josi hat geschrieben:Ein solches Ziel ist zwar nicht wirklich erreichbar, aber die so angebotene Entwicklungsrichtung, scheint mir die Erstrbenswerteste zu sein.
Logisch - das ist Plan B. - Wenn man Plan A nicht versteht oder ihn ablehnt, braucht man Ersatz.

Josi hat geschrieben:Ich selbst beanspruche keinen Gottesbegriff, um die Welt zu mögen.
Wer wirklich gläubig ist, tut dies nicht aus Zweckgründen, sondern weil er nicht anders kann. - Du kannst ja auch nicht so tun, als wüsstest Du etwas nicht, was Du weisst.

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#46 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von Novas » Mi 8. Jun 2016, 18:27

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Wenn ich mir die heutigen Gespräche zum Thema Religion genau anschaue, dann sehe ich eine Sehnsucht nach einer „Religion der Seele“, die frei ist von den Bevormundungen der Massenreligion
Das verstehe ich sehr gut - aber es steht auch eine Gefahr dahinter: Man bastelt sich sein Ding[...]

Eine "Gefahr" ist das nur für all jene religiösen Systeme, die Individualität nicht erlauben.... und für die Gesinnungspolizei, die darüber wacht, dass Menschen abhängig bleiben, anstatt sich ihres Verstandes ohne Leitung eines Anderen zu bedienen und ihrer eigenen Erfahrung und Intuition zu vertrauen.

Man könnte argumentieren: Jeder hat halt andere Projektionsflächen für die Seele. - Aber Gott ist halt mehr als eine anthropozentrische Projektionsfläche

Dann argumentierst Du selbst wie ein Atheist. Für mich ist klar, dass ein Mensch Jesus nur als Individuum nachfolgen kann.
Zuletzt geändert von Novas am Mi 8. Jun 2016, 18:49, insgesamt 1-mal geändert.

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#47 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von closs » Mi 8. Jun 2016, 18:48

Novalis hat geschrieben:Dann argumentierst Du selbst wie ein Atheist.
Wenn ich meine, dass Gott mehr sei als eine Projektionsfläche der menschlichen Psyche?

Novalis hat geschrieben:anstatt sich ihres Verstandes ohne Leitung eines Anderen zu bedienen und ihrer eigenen Erfahrung und Intuition zu vertrauen.
Das ist ein zweischneidiges Schwert.

Einerseits irren autoritäre religiöse Systeme oft genug, so dass sie durch eigenen Verstand des Einzelnen korrigiert werden müssen. - Andererseits ist Kritik inzwischen fast manisch nicht Ausdruck eigenen Verstandes, sondern eines zwanghaften Meinungs-Wahns, der durch andere Systeme (gesellschaftliche Strömungen) genährt wird. - Ich habe für dieses Problem keine Lösung, sehe aber beide Seiten der Medaillen.

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#48 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von Josi » Mi 8. Jun 2016, 20:44

closs hat geschrieben:Mit "original" war "vom Wesen her" gemeint - das kann Unterschiedliches sein.
Okay, also dann vom Wesen her unterschiedliche Originale.
So richtig? Oder verstehe ich wieder falsch?
closs hat geschrieben:Im Grunde lese ich heraus: Wenn man keine eigene Orientierung hat, geht alles.
Was mich persönlich betrifft, so bin ich mit meiner atheistischen Position nicht ohne eigene Orientierung.
Denn erst durch meine theologische Erfreiung fand ich Orientierung.
Bis zu diesem Zeitpunkt stand zwischen mir und jedem "Etwas" die nicht identifizierbare Abstraktion "Gott".
Und weil man mit dem Gottesbegriff absolut frei bzw. willkürlich alles erklären kann, zeigt sich deutlichst, dass Gottglaubende im Tatsächlichen ohne Orientierung sind.
F. Nietzsche würde sagen: Angsthasen.
closs hat geschrieben:
Josi hat geschrieben:Gott ist aber ein Produkt der menschlichen Psyche.
Eben nicht - weshalb ich so vehement auf dieser Unterscheidung bestehe.
Du kannst auf diese Unterscheidung so vehement bestehen, wie Du willst, ändert aber nichts an der Tatsache, dass alle Götterhypothesen kognitiv bedingt enstanden und weiter entwickelt wurden - kurz; ein ganz und gar normaler bzw. evolutionsüblicher Prozess.
closs hat geschrieben: Man sollte einfach nicht das Wort "Gott" benutzen, wenn man psychische Symptome meint.
Warum nicht, sofern es deutliche Anzeichen dazu gibt?
closs hat geschrieben:Wenn man sagt "Es gibt Gott nicht", ist das ok - eine Glaubensaussage, zu der man versteht.
Die Aussage, dass es Gott nicht gibt, kann durchaus einer Glaubensaussage entsprechen.
Man kann diesen Satz aber auch fundiert begründen, und das ungleich schlüssiger, als alle theologischen Ausführen der bisherigen Menschheitsgeschichte zusammengenommen.
closs hat geschrieben:Aber dieses ewige Vermengen und Umdeuten nervt schon.
Diesem Satz nach zu gehen, müsstest Du von dir selbst am ärgsten genervt sein, kritisierst Du doch auffällig oft an anderen Menschen deine eigenen Schwächen.
Aber auch dafür habe ich Verständnis, sind doch Gottbezogene besonders heutzutage im internationalen Religionshandel auf derlei Verdehungsgeschicke angewiesen.
closs hat geschrieben:Man kann aus atheistischem Glauben heraus fragen, wie man selber den Umstand bewertet, dass es das Wort "Gott" gibt.
Mal abgesehen davon, dass die Formulierung "atheistischer Glauben" zu den von mir erwähnten Verdrehungskünsten gottbezogener Leute gehört, daher also gläubig wie ungläubig sein können, lässt sich das Wort "Gott" als Umbenennung, stehend für das NICHTS, bewerten.
Denn das Wörtchen "Nichts" besagt, gleich wie auf das Wort "Gott" bezogen, dies sei unerforschbar, unidentifizierbar, nicht eingrenzbar, unverortbar, anfangslos, endlos u.ä..
closs hat geschrieben:Aber dann kann man nicht von "Gott" sprechen, sondern sollte seinem Baby einen eigenen Namen geben.
Nu ja, in einem solchen Fall würde der Gottesbegriff zumindest nicht missbraucht.
Warum aber missbrauchst Du den Begriff "Gott"?
closs hat geschrieben:Was würdest Du sagen, wenn jemand zu Deinem Auto "Giraffe" sagen würde?
Ganz einfach: "Nimm mein Messband und nimm auf den Millimeter genau Maß von meiner Giraffe / meinem Auto in Länge, Breite, Höhe und tue Selbiges im Anschluss mit Gott.
closs hat geschrieben:Wenn man Plan A nicht versteht oder ihn ablehnt, braucht man Ersatz.
Meinen nur Leute, die sich noch nicht vom Gottesbegriff erfreien konnten.
closs hat geschrieben:Wer wirklich gläubig ist, tut dies nicht aus Zweckgründen, sondern weil er nicht anders kann.
Ein zweckfreier Gottglaube wäre extrem neurotisch, zumal wenn sich zeigt, dass jemand nicht anders kann.
closs hat geschrieben:Du kannst ja auch nicht so tun, als wüsstest Du etwas nicht, was Du weisst.
Wissen kann man um den "Glauben an die Existenz eines Gottes", dadurch man aber nicht wissen kann, ob ein Gott tatsächlich existiert.
Wer propagiert, es sei nicht schlimm wenn Menschen - einschließlich Kinder - getötet werden, da sie bei Gott weiter leben würden, gehört selbst auf der Stelle mit der Begründung getötet: "DIES SEI AUCH DIR GEGÖNNT!!!"

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Savonlinna
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#49 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von Savonlinna » Mi 8. Jun 2016, 23:08

Novalis hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Gott ... ist ... der Grund allen Seins und somit unser innerstes Sein und als 'reine Bewusstheit/Lebendigkeit' erfahrbar. Oder als Vernetztheit (Interconnectedness) allen Seins. Darum gehört das innere Stillwerden aller Gedankentätigkeit zur christlichen Kontemplation.
Das ist original christlich. - Die Diskussion hier gibt es nur deshalb, weil Gott gelegentlich als rein inner-menschliches Phänomen dargestellt wird - als gäbe es Gott nicht ohne menschliche Psyche. Mir ist nicht erinnerlich, dass die Mystik Gott als menschen-psychisch generiert versteht
Wo beginnt denn die menschliche Psyche

... und wer hat die Definitionshoheit für den - rein hypothetischen - Terminus "Psyche" und wer kann verbieten, dass dieser Terminus mit der Zeit neu erweitert wird.
"Psyche" ist ein Arbeitsbegriff, eine Arbeitshypothese, kein weltanschaulich-heiliger und unantastbarer Begriff.

Wir haben keinen anderen tauglichen Terminus zur Zeit für die Ergebnisse, um die es hier geht, und er ist nicht von einer Diktatur in seiner Bedeutung festgelegt.
Also können wir ihn nutzen für Dinge, die bislang noch keinen Terminus haben.
Vielleicht findet man später einen anderen Terminus, der sich einbürgern kann.
Unsere Sprache hat sich immer mehr verfeinert, je nach Notwendigkeit. Luther hat neue Begriffe erfunden, Meister Eckhart hat neue Begriffe erfunden.
Neue Erkenntnisse darum zu verwerfen und zu verurteilen, weil Hilfsbegriffe benutzt werden, für die man noch kein neues Wort hat - das kann es ja wohl nicht sein.

Novalis hat geschrieben: , woher kommt sie und wo hört sie auf, wohin geht sie, kannst Du das mit Sicherheit bestimmen?
Das ist ja gerade das wirklich Erregende an der ganzen Sache, wie verwoben das alles miteinander ist.
Wir hecheln mit Begriffsbestimmungen hinterher, aber alles liegt daran, dass man einen hochsensiblen und -verfeinerten Wortschatz entwickelt.

Novalis hat geschrieben: Aus Sicht der christlichen Mystik ist der Seelengrund der „Ort“, wo wir Gott begegnen können.
Ich selber stelle mir das nicht so sehr als "Seelengrund" vor, sondern so, dass alles und jedes auch noch eine andere Seite hat.
Ich glaube, auch so drückt Eckehart sich manchmal aus.
Für mich ist das keine Theorie, keine Spekulation, sondern Wahrnehmung.
Und ob dies "Gott" oder "Mensch" wahrnimmt, ist - das ist mir durch den Disput mit closs immer klarer geworden - nicht unterscheidbar.

Novalis hat geschrieben:
"Ich erachte es für die vornehmste Aufgabe der Psychotherapie in unserer Gegenwart, unentwegt dem Ziel der Entwicklung des Einzelnen zu dienen.."
- Carl Jung
http://www.carl-g-jung.de/

Und ich glaube, ich weiß auch warum:
weil "das Ganze" nur im Einzelnen gefunden werden kann oder nirgends.
Wer das nicht kapiert, wird ewig das Einzelne gegen das Ganze ausspielen.

Eine meiner Urerfahrungen - vor allem beim Schreiben literarischer Texte, aber auch beim Erkennen - ist:
nur wenn ich ganz ganz ganz konkret bin, stoße ich auf Sprengkraft.
Nur im Mini-mini-mini-Detail sitzt der explosive Kern. Und manche nennen den ja Gott.

Ungefähr so:
wenn ich mit dem bloßen Auge auf ein Laubblatt gucke, sehe ich nicht wirklich die inneren Zusammenhänge dieses Blattes.
Das geht mit einem Mikroskop schon viel besser.

Ganz ähnlich kann man auch mental "mit der bloßen mens" auf die Welt gucken: man sieht keine inneren Zusammenhänge, man sieht nur die Schubladen des eigenen Denkens.
Aber legt man den Hebel um sozusagen, schaut mit dem geistigen Mikroskop auf ein Ding oder zwei, dann sieht man auf ganz verblüffende Weise die innere Struktur, sieht ganz neue Zusammenhänge.

Das eben ist meines Erachtens der Weg der Mystik: das ganz genaue Hinschauen, das Durchdringen des Details.
Und in der schöpferischen Tätigkeit des künstlerisch Schaffenden gilt genau das Gleiche.

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#50 Re: Hermeneutik von Ast bis Gadamer

Beitrag von closs » Mi 8. Jun 2016, 23:14

Josi hat geschrieben:Okay, also dann vom Wesen her unterschiedliche Originale.
Vom Wesen her authentisch, aber zueinander unterschiedlich. Natürlich gibt es auch Aussagen und Taten im Christentum, die NICHT authentisch sind mit dem Wesen des Christentums.

Josi hat geschrieben:Was mich persönlich betrifft, so bin ich mit meiner atheistischen Position nicht ohne eigene Orientierung.
A-theismus ist eine Negierung. - Die Orientierung wäre dann das, was anstelle dieser Negierung positiv steht.

Josi hat geschrieben:Und weil man mit dem Gottesbegriff absolut frei bzw. willkürlich alles erklären kann, zeigt sich deutlichst, dass Gottglaubende im Tatsächlichen ohne Orientierung sind.
Das ist natürlich eine Umkehrung - man stellt einfach Sache auf den Kopf. - Richtig ist, dass sich Menschen gelegentlich an Glaubens-Bilder klammern, ohne eine eigene Orientierung zu haben.

Josi hat geschrieben:Warum nicht, sofern es deutliche Anzeichen dazu gibt?
Aus Gründen der Sprach-Hygiene - Du sagst doch auch nicht "Giraffe", wenn Du "Steuererklärung" meinst.

Josi hat geschrieben:Du kannst auf diese Unterscheidung so vehement bestehen, wie Du willst, ändert aber nichts an der Tatsache, dass alle Götterhypothesen kognitiv bedingt enstanden und weiter entwickelt wurden
DAS wiederum ist richtig: Alles, was menschliche Vorstellung ist, ist Subjekt. Nur darf man nicht daraus schließen, dass das Objekt dann auch Subjekt ist.

Richtig ist, dass der Mensch nie wissen kann, ob das, was er benennt, eine abhängige Größe vom Ich ist ("Ich stelle mir eine 7-beinige Giraffe vor" - diese gibt es wahrscheinlich nur in meiner Vorstellung) oder auch ohne Vorstellung des Ich ist, was sie ist (bsp. der Mond, von dem man mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgehen darf, dass er nicht nur Vorstellung des Ich ist). - Die entscheidende Frage, die letztlich NICHT per Wahrnehmung entscheidbar ist: Ist Gott (im Sinne unseres Zusammenhangs hier) wie eine 7-beinige Giraffe oder wie der Mond.

Ich bin nach wie vor überrascht bis entsetzt, dass dieser kategoriale Unterschied nicht von jedem verstanden wird.

Josi hat geschrieben:Man kann diesen Satz aber auch fundiert begründen
Natürlich - man muss nur das entsprechende Bezugs-System/die entsprechende Perspketive dazu hinterlegen.

Josi hat geschrieben:und das ungleich schlüssiger, als alle theologischen Ausführen der bisherigen Menschheitsgeschichte zusammengenommen
Ganz sicher NICHT - aber: Im Sinne des in unserer Zeit dominanten materialistischen Denkens hast Du recht. - Es ist eine Bewusstseins- und Epochen-Frage.

Josi hat geschrieben:Denn das Wörtchen "Nichts" besagt, gleich wie auf das Wort "Gott" bezogen, dies sei unerforschbar, unidentifizierbar, nicht eingrenzbar, unverortbar, anfangslos, endlos u.ä..
Genau das ist NICHT "nichts". "Nichts" ist, was nicht "ist"- ein Nihiul Negativum. - Hier bricht wieder der Zeit-Irrtum durch, dass VON UNS etwas nicht identifizierbares dann gefälligst auch nicht Realität zu sein habe - ich nennen dies: anthropozentristisch.

Josi hat geschrieben:kritisierst Du doch auffällig oft an anderen Menschen deine eigenen Schwächen
Im emotionalen Bereich kann das passieren. - Im logisch Nachvollziehbaren wäre es entlarvbar.

Josi hat geschrieben:Warum aber missbrauchst Du den Begriff "Gott"?
Wie kommst Du darauf? - Weil ich ihn als Realität verstehe? Bzw. weil ich nicht von Gott sprechen möchte, wenn ich damit nicht eine Realität verbinde?

Josi hat geschrieben:"Nimm mein Messband und nimm auf den Millimeter genau Maß von meiner Giraffe / meinem Auto in Länge, Breite, Höhe und tue Selbiges im Anschluss mit Gott.
Geht nicht. - Auf ein solche Idee kann man nur aus materialistischer Hilflosigkeit kommen. - Stelle Dir mal vor, jemand würde Dich fragen, warum Du Deine Frau liebst, und würdest sie zur Beantwortung dieser Frage vermessen.

Josi hat geschrieben:Meinen nur Leute, die sich noch nicht vom Gottesbegriff erfreien konnten.
Es gehört zu einem der Irrungen unserer Zeit, dass man die Negierung von Gott als Fortschritt feiert. - In einem würde ich Dir zustimmen: Es gibt historisch üble Gottesbegriffe, von den zu befreien es sich lohnt.

Josi hat geschrieben:Ein zweckfreier Gottglaube wäre extrem neurotisch
Ist es neurotisch, wenn Du den Mond anguckst und dies nicht verleugnen kannst, eben weil Du es siehst?

Josi hat geschrieben: dadurch man aber nicht wissen kann, ob ein Gott tatsächlich existiert.
Außer "Ich-bin" WEISS im absoluten Sinne des Wortes niemand etwas. - Deshalb muss man glauben - das gilt selbstverständlich auch für Gott.

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