Intellektuelle Redlichkeit

Philosophisches zum Nachdenken
Samantha

#1 Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Samantha » Fr 8. Mai 2015, 10:25

Thema abgetrennt aus: Verhalten im Forum



Münek hat geschrieben:Wenn es aber redlicherweise nichts zu interpretieren gibt, weil die biblische Aussage eindeutig ist und keinen Interpretationsspielraum zulässt,
der Gläubige dennoch, weil die Aussage seinen Glaubensvorstellungen widerspricht, meint, "biblische Fakten "umbiegen" zu müssen, dann wird es "intellektuell unredlich".
Was ist denn schon intellektuell unredlich? Dies hört sich irgendwie so an, als müsste man intelligent sein, um mitreden zu dürfen. Jeder, der glauben will, darf dies auch ohne Einbeziehen der Wissenschaft, die ja nun nicht jedem bis ins Detail zugänglich ist. Wissenschaft ist ein großes Gebiet, und da bleibt viel Platz für Glauben. Unredlich ist Deine Art, etwas infrage zu stellen, nur weil es nicht in Deinen Kram passt.


P. S. Es wird bald wieder Zeit für eine neue Sitzung auf der Couch. :lol:

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Savonlinna
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#2 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Savonlinna » Fr 8. Mai 2015, 12:18

Halman hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ich fühlte mich in der Tat schon einige Male veranlasst, die Frage an meine Diskussionspartner zu richten:
"Wo bleibt hier eigentlich die "intellektuelle Redlichkeit"? Hinter dieser Frage stand die (enttäuschte)
Erwartung nach unbedingter Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit im Umgang mit biblischen Aussagen.
Zur interlektuellen Redlichkeit gehört es meiner Meinung nach auch, zu erkennen, dass religiöse Texte durchaus vielfältig ausdeutbar sein können.
Genau das, Halman!

Wenn die Forschung herausgefunden hat, dass die biblischen Aussagen auf verschiedenen Zeitmentalitäten beruhen könnten, dass sie also eine Mischung aus verschiedenen Deutungen sein könnten, dann ist diese Herangehensweise nicht aus Lüge oder Unredlichkeit geboren.

Das Einfordern bei anderen, dass sie "unbedingt wahr und redlich" zu sein hätten, sollten diese Forderer erst mal selber einlösen.

Halman hat geschrieben:Was ist die Aussage eine Theaterstücks? Die Rezipienten mögen darüber unterschiedlicher Meinung sein. Soll etwa nur eine Auffassung zulässig sein, weil sie ja das selbe Stück gesehen haben? Dies geschehe nie!
Ähnlich verhält es sich doch mit vielschichtiger Literatur, wie der Bibel. Man kann sie historisch-kritisch lesen, aber auch die symbolische Dimension erkennen.
Genau das. Und man kann der historisch-kritischen Methode ein Ergebnis unterstellen, das sie nie unterschreiben würde. Dennoch wird unermüdlich behauptet, dass dies die historisch-kritische Methode sei.
Und wer dieser Behauptung widerspräche, unwahrhaftig und unwahr sei.

Halman hat geschrieben:[...]
Münek hat geschrieben:Nach meiner Erfahrung spielen aber unbedingte Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit bei Gläubigen dann kei-
ne Rolle mehr, wenn z.B. biblische Fakten, die in der Diskussion aufgezeigt werden, offenkundig dem per-
sönlichen Glauben
widersprechen. Diese werden dann schon mal in einem Maße ignoriert oder ausgeblen-
det
, dass man sich als Außenstehender :devil: nur ungläubig die Augen reiben kann.
Und ich nun als Außenstehender zweiter Ebene reibe mir ebenfalls ungläubig die Augen, wenn jemand so offenkundig seine Sicht der historisch-kritischen Methode zig Mal als die einzig wahre behauptet und dies nie belegt und Gegendarstellungen ignoriert - und nicht den Balken in seinem eigenen Auge wahrnimmt, stattdessen Fragern und Zweiflern einfach die Seriosität und Ehre abspricht.

Statt die eigene Sicht zu belegen, beleidigt man also die Nachfrager, dass sie es wagten, die historisch-kritische Forschung anzuzweifeln - in deren Namen man ja schließlich rede.
Dass man keineswegs in deren Namen redet, den Zweiflern also ganz zu Unrecht die Ehre abschneidet, wird nicht erkannt, wird geleugnet und erneut der Anspruch auf die einzig wahre Autorität in Sachen Auslegung der historisch-kritischen Methode immer und immer wieder in Abständen mit Fettdruck und Großbuchstaben behauptet - und nie belegt.


Halman hat geschrieben:Der Begriff "biblische Fakten" erscheint mir problematisch. Wir reden hier nicht über Mathematik, sondern über Textinterpretation und da ist es keinesfalls immer so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.
Du schreibst genau das, was mir auch immer wieder auffällt. Und ich bin froh, dass das auch mal von anderer Seite benannt wird.


Halman hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Dieses (nach meinem Eindruck) "Nicht-zur-Kenntnis-nehmen-wollen" unangenehmer Tatsachen ist zwar psychologisch verständlich, aber intellektuell selbstverständlich UNREDLICH. Und das habe
ich zu Recht beanstandet. Mit "mieser Kampfwaffe" hat das absolut nichts zu tun.
Aus Sicht der bellarmin'schen Bibelinterpretation mag das so sein, aber nicht aus Sicht der galileischen Bibelinterpretation.
Was hier "intellektuell selbstverständlich UNREDLICH" ist, ist eben auf dem Prüfstand.

Bei mir läuft das darauf hinaus: 'Wer User A und seinem Anspruch, das einzig gültige Sprachrohr der historisch-kritischen Wissenschaft zu sein, widerspricht, wird als "intellektuell selbstverständlich UNREDLICH" abqualifiziert, menschlich unmöglich gemacht.

Wer sich aber diesem Anspruch beugt - keinen Wert auf Nachweis der selbsternannten Autorität legt, sondern den Fettbuchstaben und Großbuchstaben und alle paar Tage wiederholtem Anspruch, man sei der einzig Ehrliche und Wahrhaftige, glaubt:
der wird dann als intellektuell redlich angesehen.

Da wird dann die Auslegung von Texten an der Person festgemacht:
es gibt die Ehrlichen und Wahrheitsliebenden, denen man auch ohne Nachweis der Behauptungen zu glauben habe, denn sie könnten ja gar nicht anders, als die Texte wahrhaftig verstehen. Nur sie seien "intellektuell redlich".

Darum halte ich diese "Methode" für eine miese Waffe, weil man sich selber gegen Kritik immunisiert und die eigenen Aussagen einfach für unanfechtbar erklärt - denn da hört jeglicher Meinungsaustausch auf.

Im Übrigen bin ich ebenfalls wie Halman der Meinung, dass man biblische Texte auch anders als auf der Basis der historisch-kritischen Methode verstehen darf. Selbst wenn - was hier aber nicht der Fall war - die historisch-kritische Methode korrekt wiedergegeben worden wäre.

Wer "ganz offenkundig" eine Kluft sieht zwischen gläubigen Deutern und der eigenen Position, ist darum nicht schon "wahrhaftig und ehrlich".
Und umgekehrt.

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Zeus
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#3 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Zeus » Fr 8. Mai 2015, 12:40

Samantha hat geschrieben:Was ist denn schon intellektuell unredlich? Dies hört sich irgendwie so an, als müsste man intelligent sein, um mitreden zu dürfen.
Muss man nicht unbedingt. Es hilft aber beim diskutieren. :mrgreen:
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(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

Samantha

#4 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Samantha » Fr 8. Mai 2015, 13:19

Zeus hat geschrieben:
Samantha hat geschrieben:Was ist denn schon intellektuell unredlich? Dies hört sich irgendwie so an, als müsste man intelligent sein, um mitreden zu dürfen.
Muss man nicht unbedingt. Es hilft aber beim diskutieren. :mrgreen:
Klar, aber wer bestimmt, wer intelligent ist? Der Atheist, nicht wahr?

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#5 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Münek » Fr 8. Mai 2015, 16:31

Zum besseren Verständnis des Begriffs "intellektuelle Redlichkeit" zitiere ich mal eines Passus aus dem Aufsatz (und Vortrag) des Philosophen Prof. Dr. Thomas Metzinger mit dem Titel "Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit" (Hervorhebungen von mir):

"Intellektuelle Redlichkeit bedeutet, dass man einfach nicht bereit ist, sich selbst etwas in die Tasche zu lügen. Sie hat auch etwas mit sehr altmodischen Werten wie Anständigkeit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zu tun, mit einer bestimmten Form von "innerem Anstand". Man kann vielleicht sagen: Sie ist eine sehr konservative Weise, wirklich subversiv zu sein.

Intellektuelle Redlichkeit ist möglicherweise auch gleichzeitig genau das, was Vertreter von organisierten Religionen und Theologen aller couleur EINFACH NICHT HABEN KÖNNEN, auch wenn sie es gerne für sich in Anspruch nehmen würden. Intellektuelle Redlichkeit bedeutet ja gerade, dass man nicht vorgibt, etwas zu wissen oder auch nur wissen zu können, was man nicht wissen kann, dass man aber trotzdem einen bedingungslosen Willen zur Wahrheit und zur Erkenntnis besitzt, und zwar selbst dann, wenn es um Selbsterkenntnis geht, und auch dann, wenn Selbsterkenntnis einmal nicht mit schönen Gefühlen einhergeht oder der akzeptierten Lehrmeinung entspricht."

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#6 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von closs » Fr 8. Mai 2015, 16:47

Münek hat geschrieben:Prof. Dr. Thomas Metzinger
Ich habe seinen Vortrag gesehen und gehört - nach seiner Definition ist Metzinger selber unredlich, wenn er seine Prämissen zum Maßstab für alle macht.

Das wollen wir hier nicht thematisieren - eher sollten wir uns darauf besinnen, dass solche Versuche untauglich sind, andere Prämissen zu disqualifizieren.

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Halman
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#7 Re: Verhalten im Forum

Beitrag von Halman » Fr 8. Mai 2015, 16:58

Münek hat geschrieben:Intellektuelle Redlichkeit ist möglicherweise auch gleichzeitig genau das, was Vertreter von organisierten Religionen und Theologen aller couleur EINFACH NICHT HABEN KÖNNEN, auch wenn sie es gerne für sich in Anspruch nehmen würden. Intellektuelle Redlichkeit bedeutet ja gerade, dass man nicht vorgibt, etwas zu wissen oder auch nur wissen zu können, was man nicht wissen kann, dass man aber trotzdem einen bedingungslosen Willen zur Wahrheit und zur Erkenntnis besitzt, und zwar selbst dann, wenn es um Selbsterkenntnis geht, und auch dann, wenn Selbsterkenntnis einmal nicht mit schönen Gefühlen einhergeht oder der akzeptierten Lehrmeinung entspricht."
Hier zeigt sich die maßlose Arroganz des Neuen Atheismus'. Metzinger kombiniert das Argumentum ad personam mit dem Strohmann-Argument. Diese Vorgehensweise scheint bei Vertretern Giordano-Bruno-Stiftung üblich zu sein.
Wenn ein Christ sagt, dass er an Gott glaubt, vertritt er damit im Wortsinn einen Glauben und tätigt damit keinesfalls eine Wissensaussage. Dies mag bei gewissen Christen anders sein, doch dies zu verallgemeinern ist interlekturell unredlich. Hier wird der Glaubensbegriff entweder nicht verstanden, oder bewusst umgedeutet. Mit seriöser Argumentation hat dies nichts mehr zu tun, wenn sie auch recht geschickt vorgetragen wird.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#8 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Zeus » Fr 8. Mai 2015, 19:43

Halman hat geschrieben:Wenn ein Christ sagt, dass er an Gott glaubt, vertritt er damit im Wortsinn einen Glauben und tätigt damit keinesfalls eine Wissensaussage.
Darum sprechen Christen auch gerne von Glaubensgewissheit.
Halman hat geschrieben:Dies mag bei gewissen Christen anders sein, doch dies zu verallgemeinern ist interlekturell unredlich.
Intellektuell unredlich? Wohl kaum, schlimmstenfalls etwas übertrieben, zumal der Oberscharlatan der alleinseligmachenden römisch-katholischen Kirche behauptet, dass sein Verein - der weltweit immerhin mehr als eine Milliarde Mitglieder hat - im Besitz der Wahrheit sei.
Halman hat geschrieben:Hier wird der Glaubensbegriff entweder nicht verstanden, oder bewusst umgedeutet.
Dann erkläre du mal bitte den "richtig verstandenen" Glaubensbegriff!
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Savonlinna
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#9 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Savonlinna » Fr 8. Mai 2015, 19:44

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Prof. Dr. Thomas Metzinger
Ich habe seinen Vortrag gesehen und gehört - nach seiner Definition ist Metzinger selber unredlich, wenn er seine Prämissen zum Maßstab für alle macht.

Das wollen wir hier nicht thematisieren - eher sollten wir uns darauf besinnen, dass solche Versuche untauglich sind, andere Prämissen zu disqualifizieren.
+
Halman hat geschrieben:Hier zeigt sich die maßlose Arroganz des Neuen Atheismus'. Metzinger kombiniert das Argumentum ad personam mit dem Strohmann-Argument. Diese Vorgehensweise scheint bei Vertretern Giordano-Bruno-Stiftung üblich zu sein.
Wenn ein Christ sagt, dass er an Gott glaubt, vertritt er damit im Wortsinn einen Glauben und tätigt damit keinesfalls eine Wissensaussage. Dies mag bei gewissen Christen anders sein, doch dies zu verallgemeinern ist interlekturell unredlich. Hier wird der Glaubensbegriff entweder nicht verstanden, oder bewusst umgedeutet. Mit seriöser Argumentation hat dies nichts mehr zu tun, wenn sie auch recht geschickt vorgetragen wird.
Ich kenne zwar diesen Vortrag von Metzinger nicht, habe mir aber vor ein paar Jahren ein Buch von ihm gekauft, im guten Glauben, Redliches über die neuen Erkenntnisse in der Gehirnforschung zu erfahren - und war heillos entsetzt.
Das Buch wird mir beim Einsortieren meiner Bücher bald wieder in die Hände fallen, hoffe ich, es heißt "Der Ego-Tunnel".
Wie er als Philosoph die Erkenntnisse der Neurologie nutzt, um sein Menschenbild als "bald realisiert" zu behaupten, und zwar vor Glück strahlend, ist kaum fassbar.
Neurologische Ergebnisse sind nicht dazu da, Lieblingsmenschenbilder mit Hilfe neurologischer Möglichkeiten in die Tat umzusetzen.

Wenn ich schon bei Klaus Berger konstatieren musste, dass er Glaube und Wissenschaft nicht einwandfrei trennt, dann ist er aber ein Waisenknabe gegen Tnomas Metzinger.

Pluto
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#10 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Pluto » Fr 8. Mai 2015, 19:51

Savonlinna hat geschrieben:Das Buch wird mir beim Einsortieren meiner Bücher bald wieder in die Hände fallen, hoffe ich, es heißt "Der Ego-Tunnel".
Das Buch habe ich, und fand seine Erklärungen hervorragend, wenn auch das letzte Drittel mir ziemlich langatmig erschien.

Savonlinna hat geschrieben:Wie er als Philosoph die Erkenntnisse der Neurologie nutzt, um sein Menschenbild als "bald realisiert" zu behaupten, und zwar vor Glück strahlend, ist kaum fassbar.
Neurologische Ergebnisse sind nicht dazu da, Lieblingsmenschenbilder mit Hilfe neurologischer Möglichkeiten in die Tat umzusetzen.
Ich vermute, du bestrafst den Boten der dir eine Nachricht bringt, die dir nicht gefällt.

Und nun sind wir echt OT.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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