cogito / sinnliche wahrnehmung

Philosophisches zum Nachdenken
michaelit
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#1 cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von michaelit » Di 1. Apr 2014, 06:31

Warum sollte man sinnlicher Wahrnehmung nicht trauen dürfen, bzw warum darf man sie nicht als Beweis für die Existenz der Realität sehen?

Das cartesianische Cogito empfinde ich als sehr blind. Soweit ich weiß sind alle Fähigkeiten des Ichs mit einer sinnlichen Geschichte verbunden. Denken etwa ist eine Sicht, und logische Verbindungen sind wie Erkenntnisse aus einer Sicht heraus, einer Sicht wie ein Film wo eines in ein anderes greift.

Daher frage ich mich ob es gut ist das Ich als Grundlage für Erkenntnis zu nehmen. Wenn, dann kann man Erkenntnis dann nur als Aktion begreifen, nicht aber als etwas das auf das Denkende Ich konzentriert und eigentlich auch begrenzt ist.

Man macht ja Existenznachweise um darauf logisch aufbauen zu können. Ich sah ein Auto vorüberfahren klingt nach weniger als wenn ich sage, ich denke, das weiß ich sicher, und alles andere weiß ich weniger sicher, also fange ich bei meinem Denken an. Wenn aber nun die Welt dem ich vorausgeht? So ist es ja auch historisch, nach allem was man wahrnehmen kann.

Obwohl, Wahrnehmungen ändern sich. Wegen meiner Psychose nehme ich ein starkes Medikament, es heißt Haldol. Wegen diesem Medikament haben sich meine Empfindungen sehr abgeschwächt. Auch mein Denken ist wie wattiert. Ich empfinde mich als irgendwie abgetrennt von der Welt. In einer solchen Lage ist das Cogito lächerlich. Ich bin zwar tief drin, sehe das Cogito aber nur als Beweis meiner Gedanken, nicht als Beweis meiner Existenz. Ich denke und ich sehe sind einander ebenbürtig. Sinnliche Wahrnehmung kann befreiend sein.

closs
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#2 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von closs » Di 1. Apr 2014, 09:24

michaelit hat geschrieben: Ich bin zwar tief drin, sehe das Cogito aber nur als Beweis meiner Gedanken, nicht als Beweis meiner Existenz.
Verstanden - da gibt es möglicherweise ein Missverständnis.

Mit "Cogito" ist NICHT unbedingt reflektierendes Rum-Denken gemeint, sondern erst einmal das "Sich-selber-als-Ich-bewusst-sein". Insofern wäre es wahrscheinlich geschickter zu sagen: "Ich bin mir meiner (intellektuell oder emotional) bewusst".

michaelit hat geschrieben: Ich denke und ich sehe sind einander ebenbürtig. Sinnliche Wahrnehmung kann befreiend sein.
In diesem Sinne hast Du absolut recht. - Wenn Du in der Natur bist und diese ganz bewusst als Ich wahrnimmst, ist der Satz "Cogito Ergo Sum" selbstverständlich auch eingelöst.

michaelit hat geschrieben:Ich bin zwar tief drin
Dir ist bewusst, dass Du "tief drin" bist - dass Deine Gedanken "wattiert" sind - dass Deine sinnliche Wahrnehmung "befreiend sein" kann. - Das sind alles unmittelbare Ich-Erlebnisse - ein Dir Deiner bewusst sein. - Und all diese Wahrnehmungen des ICH nehmen Augustinus und Descartes (und andere) zum Anlass, (sinngemäß) zu sagen:

"Wir können zwar nicht sagen, ob es Gott gibt - ob es die Natur gibt - ob es das Gegenüber gibt - etc. , weil wir nicht wissen, ob uns unsere Warnehmung täuscht. - EINES aber wissen wir: Selbst wenn alle unsere Wahrnehmungen falsch wären, wäre trotzdem EINES sicher - nämlich die Quelle dieser Wahrnehmungen, nämlich das ICH". - Insofern ist das auch ein Plädoyer für die Unversehrtheit und den Wert des ICHS - weil es unabhängig von allem anderen besteht.

Pluto
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#3 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Di 1. Apr 2014, 12:06

michaelit hat geschrieben:Warum sollte man sinnlicher Wahrnehmung nicht trauen dürfen, bzw warum darf man sie nicht als Beweis für die Existenz der Realität sehen?
Kurze Antwort: Weil unser Gehirn uns ständig täuscht, kann unsere Wahrnehmung trügerisch sein.

Ein Fakt der in den letzten 50 Jahren der Hirnforschung immer deutlicher wird, ist dass unser Gehirn Daten und Fakten nicht exakt abspeichert, sondern immer Bruchstückweise. Wir merken davon aber nichts, weil sich das Gehirn immer die fehlenden Bruchstücke selbst hinzu denkt. Beispiel: Trug die Dame die gestern vor mir in den Laden ging, eine dunkle oder eine helle Jacke? Selbst wenn wir uns sicher sind (es war eine Helle), können wir uns täuschen.

Hinzukommt, dass das Gehirn sich unheimlich leicht ablenken lässt. Fachleute nennen das Selektive Aufmerksamkeit.
Im folgenden Film soll der Zuschauer zählen wie oft die weissgekleideten Spieler den Ball abgeben...

Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

michaelit
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#4 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von michaelit » Mi 2. Apr 2014, 09:11

Hallo closs,

ich weiß aber nicht genau ob du recht hast. Descartes ging doch ins Cogito um darzustellen daß alles außer dem ich zweifelhaft ist, auch die Natur und die Umwelt. Im normalen Denken gehen wir ja immer davon aus, ich habe diese Wahrnehmung, also muß etwas da sein. Descartes ging aber davon aus, ich denke, dessen kann ich gewiß sein auch wenn alles andere nicht stimmt, auch wenn alles andere nur ein Traum wäre.

Ich empfinde dagegen Glück in der Annahme daß die Welt existiert. Ich schaue aus dem Fenster, sehe die Welt im Sonnenlicht, sie zu bezweifeln wäre wie eine Entscheidung für eine nocturnale Existenz. Die Welt ist ja schön, und ohne sie kann man nicht sein.

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#5 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von closs » Mi 2. Apr 2014, 10:06

michaelit hat geschrieben:Ich empfinde dagegen Glück in der Annahme daß die Welt existiert.
Das tat Descartes auch. - Hier im Forum geht es verteilt auf verschiedene Threads um etwas anderes - nämlich:

Woher können wir uns sicher sein, dass wir wirklich eine wesensmäßige Verbindung zur Realität haben. Und da sagt das Christentum, dass einem Augen zu sehen und Ohren zum Hören gegeben sind, um dies tun zu können - wobei dies im Christentum sowohl naturalistisch als auch geistig gemeint ist. - Insofern entspricht das Christentum Deinem Weltbild.

Als aber Augustinus und Descartes (und vorher Plato im Grunde auch - und Kant auch - und viele andere auch) nachgedacht haben, was aus MENSCHLICHER Macht sicher ist, kamen sie zum Schluss, dass dies nur das Bewusstsein des Ich ist - das kann man überall nachlesen und schwer widerlegen (bisher wurde es jedenfalls meines Wissens noch nicht widerlegt). Da man aber von der Existenz einer ewigen und unveränderliche Realität ausging, waren die erwähnten Philosophen (und Christen ohnehin) nicht auf das Vermögen der eigenen menschlichen Macht angewiesen.

Irgendwann gab es dann einen "Zauber-Lehrling-Effekt", als sich die Aufklärung von diesem ihren Wurzeln gelöst hat:

"Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
merkt ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Wunder auch".

Goethe

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#6 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von 2Lena » Mi 2. Apr 2014, 10:10

Pluto: Weil unser Gehirn uns ständig täuscht, kann unsere Wahrnehmung trügerisch sein.
Es wird Zeit, dass du mit der Ausbildung "Bibel" beginnst... :shock:

Leider gibt es dann keinen Philosophen der Neuzeit mehr, der es dir wirklich recht machen kann :x

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#7 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Mi 2. Apr 2014, 10:17

closs hat geschrieben:Als aber Augustinus und Descartes (und vorher Plato im Grunde auch - und Kant auch - und viele andere auch) nachgedacht haben, was aus MENSCHLICHER Macht sicher ist,
Interessant dabei ist, dass man unter den illustren Namen keinen Philosophen der Neuzeit findet.

Irgendwann gab es dann einen "Zauber-Lehrling-Effekt", als sich die Aufklärung von diesem ihren Wurzeln gelöst hat:
Reden wir hier von Zauberei?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#8 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Mi 2. Apr 2014, 10:20

2Lena hat geschrieben:
Pluto: Weil unser Gehirn uns ständig täuscht, kann unsere Wahrnehmung trügerisch sein.
Es wird Zeit, dass du mit der Ausbildung "Bibel" beginnst... :shock:
Leider gibt es dann keinen Philosophen der Neuzeit mehr, der es dir wirklich recht machen kann :x
Ich soll also deiner Meinung nach moderne Erkenntnis gegen brronzezeitliche Philosophie tauschen? :shock:
Man kann die Erkenntnisse der heutigen Hirnforschung natürlich ignorieren, aber das ändert nichts an den Fakten wie ich sie beschrieb. :)
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#9 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von Pflanzenfreak » Mi 2. Apr 2014, 10:20

Ich hab jetzt die Antworten nicht so genau gelesen, aus Ungeduld, weil ich auch was zu sagen hab..... ;)
Meiner Meinung nach geht ohne die sinnliche Wahrnehmung überhaupt nichts. Schon von klein auf ist alles was wir lernen mit dem ganzen Spektrum unserer Gefühle verknüpft und wird von daher in nachvollziehbar oder nicht nachvollziehbar eingeordnet. Erst wenn wir uns ein gewisses Pensum an Wissen angeeignet haben, bauen wir darauf unsere Logik auf. Also ist sie bereits stark vorgeprägt von unserer Vorgeschichte mit der sinnlichen Wahrnehmung.

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#10 Re: cogito / sinnliche wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Mi 2. Apr 2014, 10:32

Pflanzenfreak hat geschrieben:Meiner Meinung nach geht ohne die sinnliche Wahrnehmung überhaupt nichts.
Für den persönlichen Gebrauch ist sinnliche Wahrnehmung natürlich essentiell. Aber man sollte sich mal ab und zu eine Auszeit gestatten, um zu erkennen, wie unser Gehirn uns täuscht. Das geht ganz einfach:

Siehst du den pinkfarbenen Ring auf diesem Bild?

pink ring.jpg
pink ring.jpg (19.2 KiB) 2160 mal betrachtet
Falls ja, bist du gerade das Opfer einer optischen Täuschung deines Gehirns geworden, denn ein solcher Ring existiert NUR in deiner Vorstellung.
Auf folgenden Seiten findest du weitere Beispiele solcher Selbsttäuschungen des Gehirns:Neon-Farbschimmer-Täuschung.
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