Thaddäus hat geschrieben:Das garantiert unsere alltägliche und wissenschaftliche Erfahrung. Es ist noch niemals in der Geschichte der Menschheit unter Laborbedingungen nachgewiesen worden, dass jemals ein uns bekanntes Naturgesetz außer Kraft gesetzt worden wäre.
Wer sagt denn, dass göttliches Eingreifen mit Aufhebung von Naturgesetzen verbunden sein MUSS?
Das ist das eine - das andere: Würde ein Wissenschaftler feststellen, dass ein bekanntes Naturgesetz außer Kraft gesetzt wäre, würde er daraus schließen, dass unser bisheriges Verständnis erweitert werden müsste. - Er würde nie auf die Idee kommen, dass er ein "Wunder" entdeckt hätte.
Thaddäus hat geschrieben:Dein Hinweis auf Kant ist jedenfalls der interessanteste Einwand, den du bislang in dieser "Diskussion" vorgebracht hast.
Dieser Einwand ist aus Deiner Perspektive interessant - was hoch-erfreulich ist. - Glaube mir, dass es bereits andere interessante Einwände gab, denen jedoch nicht gegönnt war, in den Genuß Deines perspektivischen Wohlwollens zu kommen.
Thaddäus hat geschrieben:Nicht auf das "Urwesen" selbst wird der Begriff der Vernunft übertragen, nur "auf das Verhältnis derselben zur Sinnenwelt", nur nach der Analogie (s. d.); wir denken uns die Welt so, "als ob sie von einer höchsten Vernunft... abstamme"
Das heißt dann doch:
* Es gibt ein "Urwesen" (irgendwas muss "Archetypus" ja sein, wenn es gerade NICHT anthropozentrisch sein soll).
* "Intellectus archetypus" ist nicht in seinem Urwesen gemeint, sondern in dem, was davon bei uns ankommt.
Einverstanden?
Falls ja: Kann man so sehen (typisch emanzipatorisches Element der Aufklärung) - DAS aber gibt es in der Theologie ebenfalls - unter dem Namen "Offenbarung": "Etwas ersichtlich werden lassen" - hier: "kompatibel mit unserem Vernunft-Vermögen machen".
Thaddäus hat geschrieben:Aus dieser Ultrakurzzusammenfassung kantischer Erkenntnistheorie folgt, dass wir mit unserem menschlichen Erkenntnisapparat immer nur Erscheinungen der Dinge konstruieren können
Genau so. - Und hier ist genau die Frage, die offensichtlich auch zwischen uns strittig ist:
1) Sind diese uns offenbaren Erscheinungen das Maß ("anthropozentrisch")?
2) Ist das, aus dem diese Erscheinungen "sind", das Maß ("theozentrisch" - "ontologisch" - oder finde Du ein Wort, Du weißt jetzt, was damit gemeint ist).
Das ist exakt DER Punkt, um den es hier ständig in verschiedensten Threads geht. - BItte tue mir den Gefallen, diese Fragestellung zu verstehen und nach Möglichkeit zu beantworten.
Um nochmal an "Hiob" zu erinnern: Der Plot von "Hiob" ist, dass das der Maßstab ist, was jenseits der durch uns konstruierbaren Erscheinungen der Dinge "ist". - Oder sagt Kant, dass das, woraus ein Verhältnis zur Sinneswelt geknüft wird, selbst Nichts ist? Wohl nicht.
Thaddäus hat geschrieben:Fundierte (und das heißt empirische) Urteile können wir - nach Kant - ausschließlich über Aussagen treffen, die auf unserer empirischen, also sinnlichen, Erfahrung beruhen. Deshalb können wir insbesondere über "Gott", "Unsterblichkeit" und "Freiheit" sowie über andere metaphysische Inhalte niemals wirklich fundierte Aussagen machen und Urteile fällen.
Bingo - genau so ist es. - Deswegen sagt man "Glaube". - "Glaube" ist die Bindung an den Ursprung, von dem durch uns konstruierbaren Erscheinungen der Dinge kommen (oder der Versuch dieser Bindung).
Thaddäus hat geschrieben:Gott kann nach Kant niemals per Gottesbeweis bewiesen werden, und wir können auch niemals bestimmen, was Gott eigentlich ist und welche göttlichen Eigenschaften er hat.
Das würde ein vernünftiger Theologe unterschreiben.
Thaddäus hat geschrieben: Er ist ausschließlich eine regulative Idee der Vernunft.
Das nicht. - Denn dieser Schluss ist willkürlich. - Man könnte genauso sagen: Das, was von Gott kommt, was wir "vernünftig" wahrnehmen können, ist eine Offenbarung für uns (damit wir halt was in unserer Welt kapieren) - das ist übrigens nicht weit entfernt vom cartesianischen "wohlwollenden Gott". - Aber das heißt doch nicht, dass Gott selbst deshalb eine anthropozentrische Größe "ist" - welch ein Trugschluss.
Thaddäus hat geschrieben:Deshalb steht oben im rot gesetzten Absatz: "Nicht auf das "Urwesen" selbst wird der Begriff der Vernunft übertragen, nur "auf das Verhältnis derselben zur Sinnenwelt" und: "wir denken uns die Welt so, "als ob sie von einer höchsten Vernunft... abstamme".
Das wiederum würde ein Theologe unterschreiben. - Nur würde er nicht daraus schließen, dass Ergebnisse UNSERER Vernunft(-Offenbarungen) den Intellectus archetypus verstehen könnten - eben weil Offenbarungen nichts anderes sind als Verständlichkeits-Einrichtungen auf UNSERER Ebene.
Thaddäus hat geschrieben:Mittels unserer über sich selbst hinausdenkenden Vernunft können wir also - nach Kant - per Analogie eine "höhere" Vernunft annehmen, die die Einheit unserer (für alle Menschen gleichen) Wirklichkeitskonstruktion und Weltwahrnehmung erst ermöglicht.
Das wiederum ist richtig. Theologisch heisst dies: Wir sind aus einer höheren Vernunft, die "ist", ohne dass wir sie mit unserem Maß messen können.
Aus Sicht der höheren Vernunft ist unsere Vernunft schlüssig - aus Sicht unserer Vernunft muss die höhere Vernunft jedoch noch lange nicht schlüssig erscheinen, selbst wenn sie es aus höherer Sicht ist.
Thaddäus hat geschrieben:Wir können diese aber nicht als eine Eigenschaft Gottes bestimmen, weil das schon wieder anthropzentrisch und Metaphysik wäre.
Moment: Der Mensch ist nicht anthropozentrisch (aber sehr wohl metaphysisch), wenn er sagt:
1) Unsere Vernunft ist eine Ableitung höherer/göttlicher Vernunft..
2) Unsere Vernunft kann insofern über sich selbst hinausdenken, dass sie eine höhere Vernunft postuliert, für die das menschliche Vernunft-Verständnis jedoch NICHT das Maß ist. - Unsere (zwangsläufig anthropozentrische) Vernunft kann sich also in ihrem Über-sich-Hinausdenken-Können de-anthropozentrieren.
Thaddäus hat geschrieben:Ganz gewiss hat aber dieser kantische "intellectus archetypus" nichts mit dem zu tun, was Katholiken unter "göttlicher Vernunft" verstehen!
Da bin ich mir gar nicht so sicher. Das klingt ziemlich deckungsgleich.
Dazu eine Frage: Ist es Kant, der sagt, "Gott ist ausschließlich eine regulative Idee der Vernunft", oder sind es Interpreten von Kant? - Falls es von Kant selbst ist: Meint er diesen Satz menschlich-perspektivisch ("Unsere Vernunft projeziert etwas") oder meint er ontologisch im Sinne von "Gott IST nur eine regulative Idee der Vernunft"??? - Großer Unterschied!!!
Vielen Dank für Deinen wirklich sachlichen Beitrag - vielleicht sind wir zur Kernfrage vorgestoßen, die hier con variazione durch x Threads durchgeistert.