Intellektuelle Redlichkeit

Philosophisches zum Nachdenken
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sven23
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#81 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von sven23 » So 10. Mai 2015, 16:07

Zeus hat geschrieben: Richtig. Dazu gab es einen guten Grund. Die über das römische Reich verstreuten Anhänger der neuen Religion wollten es sich nicht mit der römischen Staatsmacht verderben.
Obwohl Jesus von den Römern getötet wurde, vermeidet es Paulus, diese Tatsache zu erwähnen!
Er gibt den "ungläubigen" Juden die alleinige Schuld.
Genau so ist es. Hinzu kommt noch, daß Paulus auch römisches Bürgerrecht genoß. Er hat also doppelten Grund, es sich nicht mit den Römern zu verderben. (alle Obrigkeit ist von Gott eingesetzt)
Außerdem hat man wohl erkannt, daß die neuen Missionierungsschafe wohl eher unter römischen Bürgern zu suchen sind als unter eingefleischten und "verstockten" Juden.
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Zeus
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#82 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Zeus » So 10. Mai 2015, 16:48

Anton B. hat geschrieben:
Zeus hat geschrieben:Dazu gab es einen guten Grund. Die über das römische Reich verstreuten Anhänger der neuen Religion wollten es sich nicht mit der römischen Staatsmacht verderben.
Das kann man m.E. so nicht sagen: Die "Urchristen" zur Zeit des Paulus waren bemerkenswert apolitisch eingestellt.
Richtig.
Anton B. hat geschrieben:Ob römische oder "jüdische" Staatsmacht, jede weltliche Staatsmacht außerhalb des versprochenen Reichs Gottes war schlichtweg wenig bedeutsam.
Und ich dachte, die Gemeinden, an die Paulus seine Briefe richtete, lebten innerhalb des Bereiches der WELTLICHEN Staatsmacht. :shock: :lol:

In anderen Worten, solange das Reich Gottes noch nicht gekommen war - und es kam und kam nicht - musste man sich wohl oder übel mit der weltlichen Macht arangieren. Es war also durchaus angebracht, dafür zu sorgen, dass nicht der Verdacht aufkam, der neuen Sekte fehle es an Loyalität zu Rom.
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Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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Zeus
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#83 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Zeus » So 10. Mai 2015, 17:25

Yusuke hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Abspaltung der Christen war die logische Konsequenz und Paulus betrieb sie von Anfang an.
Aber es waren eben Judenchristen, die sich von ihnen feindlich gesinnten Juden, weil sie verfolgt wurden,
Nö, sie haben sich nicht abgespaltet, weil sie verfolgt wurden.
(Wieviele Jahrhunderte hat diese schreckliche "Verfolgung" gedauert und wer genau hat wen in Israel damals verfolgt?)
Es war für die neue Religion lebensnotwendig, sich klar von der jüdischen Version zu unterscheiden.
Das war nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass beide Gruppen das AT zur Grundlage hatten. In dem Streit zwischen Juden und frühen Christen gingen die Christen so weit, zu behaupten, die Juden wären nicht in der Lage, das AT richtig auszulegen. :lol:
Als sich die frühen Christen immer mehr von den bekehrungsunwilligen Juden entfernten, ernannten sie sich selber zum auserwählten Volk, entrissen den Juden das Alte Testament und gebrauchten es als Waffe gegen sie. Man unterstellte ihnen, sie verstünden nichts von ihrer eigenen Schrift und Kirchenvater Justin (100-165) schrieb herablassend: "Wenn sie darin lesen, verstehen sie ihren Sinn nicht."
Quelle
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#84 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von 2Lena » So 10. Mai 2015, 19:09

Zeus hat geschrieben:Wieviele Jahrhunderte hat diese schreckliche "Verfolgung" gedauert und wer genau hat wen in Israel damals verfolgt?
Das Spannungsverhältnis kam, als Alexander der Große neben dem Tempel noch die Opfer am Berg Garizim erlaubte, eine konservative Richtung und Schriftgelehrte, die "moderner" aus dem Perserreich kamen. Lies einfach mal die jüdische Geschichte. Ein paar Jahrhunderte lassen sich nicht in drei Sätze pressen. Wesentlich war die Selbständigkeit Judäas, das Ausscheren aus dem griechischen Staatenbund. Die "Fremdherrschaft" von Herodes kam, weil sich die Erbfolger nicht einig waren. Dazu kam in all dem Wirbel nichts als Morden (Herodes ließ alle Schriftgelehrten einer Schule umbringen, bis auf einen). Um das Maß vollzumachen gingen Intrigen und Machenschaften um die Ämter.

Ein Judentum kam nicht vor, was du dir vorstellst. Sie lehren große Toleranz. Die Landestraditionen hatten von allem etwas - hauptsächlich Aberglauben in allen Arten. Vermutlich ist es heute ebenso. Schon während der Fluchtwellen der unruhigen Zeiten bildeten sich in den östlichen Ländern zahlreiche Schulen, die nach dem Zerfall des Tempels eine wichtige Rolle spielten und das hebräische Schriftgut pflegten. Das NT war ja durch das Römische Reich in Griechisch gehalten und beinhaltete die "Predigt". Das ist analog der erklärenden Auslegung im Judentum.

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#85 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Anton B. » So 10. Mai 2015, 21:25

Zeus hat geschrieben:Und ich dachte, die Gemeinden, an die Paulus seine Briefe richtete, lebten innerhalb des Bereiches der WELTLICHEN Staatsmacht. :shock: :lol:
Sicher. Die Historiker, die die Ausbreitung des frühen Christentums unter Paulus untersucht haben, attestieren Paulus auch eine exzellente Nutzung der römischen Infrastruktur, insbesondere der auf den Handel ausgerichteten.

Zeus hat geschrieben:In anderen Worten, solange das Reich Gottes noch nicht gekommen war - und es kam und kam nicht - musste man sich wohl oder übel mit der weltlichen Macht arangieren. Es war also durchaus angebracht, dafür zu sorgen, dass nicht der Verdacht aufkam, der neuen Sekte fehle es an Loyalität zu Rom.
Als das Reich Gottes unmittelbar erwartet wurde, war eine Zukunftsplanung auf weltliche Dinge bezogen nicht notwendig. Die von Paulus gemachten Vorschläge zur Lebensführung im 1. Korintherbrief sind aber immer noch so beschaffen, dass das Reich Gottes innerhalb von 1 bis 2 Generationen erwartet wird. Weil die Beziehung zur weltlichen Macht "wenig bedeutsam" war, musste es weder durch das Individuum, noch durch die Gemeinde in Frage gestellt oder gar Widerstand geleistet werden. Ganz im Gegenteil: Alles konnte weltlich seinen gewohnten Gang gehen, das Reich Gottes käme in überschaubarer Zeit doch und wichtig war das "innere" geistige Heil, welches den Zugang zum Reich Gottes gewährte. Und wenn es "äußerlich" doch brenzlig wurde, war es umso mehr als sicheres Zeichen für die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Reiches Gottes zu deuten.

Politisches Denken und damit eine klare Positionierung zur römischen Staatsmacht hat sich erst im Rahmen der Institutionalisierung der Kirche ausgebildet.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#86 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Zeus » So 10. Mai 2015, 22:21

2Lena hat geschrieben:
Zeus hat geschrieben:Wie viele Jahrhunderte hat diese schreckliche "Verfolgung" gedauert und wer genau hat wen in Israel damals verfolgt?
Ein Judentum kam nicht vor, was du dir vorstellst.
Du hast mich missverstanden.
Meine Frage war mehr rhetorischer Natur - gerichtet an Yusuke, der die [angebliche] Verfolgung der Judenchristen durch Juden als Grund für die Abspaltung der Judenchristen angegeben hatte.
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#87 Re: Intellektuelle Redlichkeit

Beitrag von Zeus » Mo 11. Mai 2015, 10:49

Anton B. hat geschrieben:Ob römische oder "jüdische" Staatsmacht, jede weltliche Staatsmacht außerhalb des versprochenen Reichs Gottes war schlichtweg wenig bedeutsam.
Willst du damit sagen, dass die Ur-Christen in einem versprochenen :lol: Reich Gottes gelebt hätten und die Staatsmacht deshalb für sie nicht von Bedeutung war? :o
Zeus hat geschrieben:In anderen Worten, solange das Reich Gottes noch nicht gekommen war - und es kam und kam nicht - musste man sich wohl oder übel mit der weltlichen Macht arrangieren. Es war also durchaus angebracht, dafür zu sorgen, dass nicht der Verdacht aufkam, der neuen Sekte fehle es an Loyalität zu Rom.
Anton B. hat geschrieben:Als das Reich Gottes unmittelbar erwartet wurde, war eine Zukunftsplanung auf weltliche Dinge bezogen nicht notwendig.
Stimmt, es ist aber keine Antwort auf meine Aussage. Ich schrieb:
...und es [das Gottesreich] kam und kam nicht...
Also bezog ich mich auf die Zeit NACH der unmittelbaren Erwartung. Gelle?
Anton B. hat geschrieben:Die von Paulus gemachten Vorschläge zur Lebensführung im 1. Korintherbrief sind aber immer noch so beschaffen, dass das Reich Gottes innerhalb von 1 bis 2 Generationen erwartet wird.
Und in "2. Kor 5,1-10 scheint eine zunehmende Verzögerung ins Bewusstsein zu rücken. Daraus entwickelte Paulus die Vorstellung, dass jeder Christ bei seinem Tod einen verwandelten Leib erhält und dass das Kommen Jesu in eine fernere Zukunft rückt ".(Wiki) - (Klingt wie eine faule Ausrede des Paulus.)

Solange man noch im römischen Reich (und nicht im versprochenen Reich Gottes) lebte, war es empfehlenswert , Rom nicht durch öffentliche Schuldzuweisungen zu provozieren.
Das war einer der Gründe, weshalb Paulus den "ungläubigen" Juden die alleinige Verantwortung für die Hinrichtung Jesu gab, obwohl "die„Rechtsverhältnisse und Hinrichtungsart - Römer: "Kreuzigung", Juden: Steinigung - eindeutig die Römer als Hauptverantwortliche für den Tod Jesu erweisen.“ (Theißen/Merz, Der historische Jesus, S. 399)
Anton B. hat geschrieben:Weil die Beziehung zur weltlichen Macht "wenig bedeutsam" war,
Ich verstehe echt nicht, inwiefern die Beziehung zur weltlichen Macht "wenig bedeutsam" war.
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