ThomasM hat geschrieben:Im Christentum (das ist die Wahrheit, über die wir schon sprachen) gibt es keinen Weg, sich das Wohlwollen Gottes zu verdienen. In allen Religionen, Kulten oder sonstigen Glaubensrichtungen geht es darum, sich den Gott oder die Götter gewogen zu machen, durch Unterwerfung, durch Opfer, durch Gebete, durch bestimmte Handlungen. Es ist ein zutiefst menschlicher Zug, dass man kein Geschenk, wie das ewige Leben oder die Zuwendung eines Gottes, haben will, ohne es sich zu verdienen. Dieses Denken ist auch im Christentum stark verbreitet und hängt an der jüdischen Wurzel. Aber liest man das NT, dann muss man diesem Denken eine Absage geben. Man kann sich das Wohlwollen Gottes nicht verdienen. Ich soll zwar gut handeln, aber das ist eine Konsequenz, keine Voraussetzung.
Es gibt nur wenige Religionen, die diesen prinzipiell anderen Gedanken aufgreifen. Es ist der eine Gedanke, der für mich das Christentum hervorhebt
Ja, „
Sola gratia“ – „
Allein aus Gnade“ - das ist der Dreh- und Angelpunkt der christlichen Theologie. Gott liebt uns nicht, weil wir seine Liebe verdienen, sondern weil er die Liebe ist.
„Aus Gnade seid ihr gerettet, nicht aus eigener Kraft“ (Eph 2, 8) die Bibel gebraucht das schöne Bild des sich auf die Pflanzen senkenden Morgentaus für die Gnade Gottes:
Meine Lehre ströme wie Regen, / wie Tau sollen meine Worte fallen, / wie Regentropfen auf das Gras, / wie ein Guss auf welkes Kraut. (5.Mo 32:2)
Es ist seltsam, dass dieses schöne Wort kaum noch verwendet wird. Das ist alarmierend, denn das ist ein Hinweis darauf, dass die Denkweise der Menschen gnadenloser geworden ist und das übertragen viele Menschen dann auch auf die Beziehung zu Gott, wonach Ungehorsam mit Liebesentzug oder sogar mit Verdammnis bestraft wird. Gnade ist das genaue Gegenteil: Du bekommst etwas geschenkt, was Du nicht selbst machen oder kaufen kannst; und zwar gratis. Gratis kommt von „
Gratia“. Wenn das Sprachverhalten ein Seismograph für die seelische Verfassung der Menschen ist, dann ist das Aussterben der Gnade aus dem Wortschatz kein gutes Zeichen. Das hat enorme Auswirkungen darauf, wie wir mit uns selbst, miteinander und der Schöpfung umgehen. „
Du bist voll der Gnade“, sagt der Engel zu Maria, „
der Herr ist mit dir!“ - schon alleine diese paar Worte offenbaren ein vollkommen anderes Verständnis der Dinge. Allerdings ist für Christen diese Gnade keine Abstraktion, denn sie konkretisiert sich als lebendige und zum Leben befähigende Wahrheit in einer Person.
Das letzte Wort, das ich als Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie „Gnade“, sondern ein Name: Jesus Christus.
~ Karl Barth
Tragisch ist es, dass selbst viele Christen einen Glauben vertreten, der wie besessen unablässig um Sünde, Schuld und Angst kreist und nicht um die Gnade. Doch der jesuanische Gott ist wirklich wie Vater und Mutter: seine Gnade ist immer größer, als unsre Sünde, Schuld und Angst. Nur ein solcher Glaube besitzt eine rettende und erlösende Kraft, weil er den Menschen annimmt, wie er wirklich ist: ein gebrochenes Wesen, dessen Lebensgeschichte helle und dunkle Seiten besitzt. Weit entfernt von Perfektion.
In Großbritannien diskutierten während einer Konferenz einige Religionswissenschaftler, was das Christentum von anderen Religionen unterscheidet. Die Menschwerdung Jesu? Ähnliches gab es aber schon bei den alten Griechen. Seine Auferstehung? Davon berichten andere Religionen auch! Man argumentierte, man widerlegte eine Zeitlang. Dann betrat C.S. Lewis den Raum. Er erkundigte sich nach Gesprächsthema, und erfuhr, dass es um den Unterschied zwischen Christentum und den Weltreligionen ging. Ohne viel zu überlegen antwortete er: "Oh, das ist leicht zu beantworten. Es ist die Gnade."
(bei Philip Yancey, Gnade ist nicht nur ein Wort, Brockhaus, E. Franz, 1999)
Schon alleine das ist ein deutliches Zeichen, dass das Christentum auf einer göttlichen Offenbarung beruht und nicht nur Menschenwerk ist: denn es widerspricht vollkommen jeder menschlichen Konditionierung die Gnade an die erste Stelle zu setzen. Wenn gesagt wird, dass Gott Liebe und Licht ist und in ihm keine Finsternis ist, dann ist das nicht nur eine Projektion des menschlichen Ego. Bei Jesus fällt auf, dass er offenbar vollkommen frei von solchen Projektionen war. Der alttestamentarische strafende Gott ist eine menschliche Projektion (mit einzelnen seltenen Lichtstrahlen, welche durch die Wolkendecke der menschlichen Ignoranz hindurch gebrochen sind
), während Jesus den wahren Gott als Vater offenbart, so wie er wirklich ist, da er sein Logos ist, die Inkarnation seines Wortes und damit seiner Weisheit (hebräisch chokhmah)