Jenseits von Gut und Böse?

Philosophisches zum Nachdenken
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Münek
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#271 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Münek » Sa 1. Apr 2017, 17:26

closs hat geschrieben:Nun weiß "sogar" die RKK, dass die Genesis keine naturalistisch zu verstehende Geschichte ist, sondern ein Gleichnis/eine Chiffre zur Verbildlichung/Verständlichmachung der Frage "Was ist der Mensch?". - Oder anders: Die konkrete Frage wäre, wann denn der evolutionär entstandene Mensch tatsächlich zum transzendenten Wesen wurde.
Deiner Auffassung stehen leider die Aussagen im "Katechismus der Katholischen Kirche" entgegen. Dort heißt es nämlich (Nr. 390), dass der Bericht vom "Sündenfall" ein Urereignis beschreibt, das zu Beginn der Geschichte des Menschen stattgefunden hat. Weiter heißt es:

"Die Offenbarung gibt uns die Glaubensgewissheit, dass die ganze Menschheitsgeschichte durch die URSÜNDE gekennzeichnet ist, die UNSERE STAMMELTERN freiwillig begangen haben." Oder: "Alle Menschen sind in die SÜNDE ADAMS verwickelt." (Nr. 402).


Nun war aber der Homo sapiens (lat. "weiser Mensch" = wissenschaftliche Bezeichnung des anatomisch modernen Menschen und seit 200 000 Jahren fossil belegt), ein spätes Produkt der Evolution, NIEMALS in einen Sündenfall verwickelt. Unseren Ur- Urahnen war ein Gott namens Jahwe Elohim, der ihnen ein Verbot auferlegte, schlicht unbekannt. :thumbup:

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#272 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Sa 1. Apr 2017, 17:56

Münek hat geschrieben:Deiner Auffassung stehen leider die Aussagen im "Katechismus der Katholischen Kirche" entgegen.
Jetzt zähle man 1 und 1 zusammen:
1) Die RKK sagt, "dass der Bericht vom "Sündenfall" ein Urereignis beschreibt, das zu Beginn der Geschichte des Menschen stattgefunden hat."
2) Die RKK sagt, dass sie den biologischen Ergebnissen der Evolutions-Theorie voll zustimmt.

So - was schließen wir daraus:
a) 1) und 2) passen nicht zusammen und die RKK merkt es nicht.
b) Die RKK interpretiert 1) geistig und 2) biologisch.

Was schätzt Du, was stimmt: a) oder b)?

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Tyrion
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#273 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Tyrion » So 2. Apr 2017, 01:18

closs hat geschrieben:1) Du hast ein ungeheuer hohes geistige Kapital, denn Du kapierst, worum es hier überhaupt geht.

Danke für's Kompliment, wobei ich nicht weiß, wie ich es einordnen soll. Zumal man geistiges Kapital nur sehr schwer aus Forenbeiträgen abmessen kann (ich gehe - bis auf Ausnahmen, bei denen es offensichtlich ist - bei allen von einem hohem geistigen Kapital aus) ;)

2) Keiner erwartet, dass Du allem oder vielem zustimmst.

Da bin ich aber beruhigt ;) :engel:

3) Hier klingen einige Missverständnisse durch, die wahrscheinlich ziemlich schnell auflösbar wären.

Ja, da wäre ein reales Gespräch in einer angenehmen Atmosphäre, durchaus gelockert von Traubensafterzeugnis und Hopfengetränk, besser geeignet. Man kann im direkten Gespräch besser als in einer schriftlichen Kommunikation Missverständnisse minimieren.

Was die Sache mit den "australischen Aborigines" angeht, können wir eine Klärung vorziehen.

Könnten wir, wenn du das Beispiel begriffen hättest bzw. dich an die damalige Diskussion erinnert hättest.

1) Natürlich haben Naturstämme eine transzendentes Bewusstsein - geistiges Bewusstsein hat nichts mit intellektuellen Fähigkeiten zu tun.

Darum geht und ging es nicht. Wenn du mir einerseits ein ungeheuer hohes geistiges Kapital zugestesht, dann aber davon ausgehst, dass ich so offensichtliches nicht wüsste / verstünde, dann beißt sich das doch.

Du lehnst kategorisch jede Transzendenzfähigkeit bei nichtmenschlichen Tieren ab. Daraus schließt du, dass Tiere nicht transzendenzfähig sind. Du bist dabei aber nicht einmal bereit, mögliche Hinweise auf transzendentes Verhalten bei Tieren nachzugehen (das ist es, was mich erschreckt), da du es ja per Setzung von vorneweg negierst. Da wären "Fakten" ja nur störend.

Mein Beispiel war, dass es eine Zeit gab, in der Menschen (Briten, um genau zu sein), den Aborigines das Menschsein nicht zugestanden und sie für nichtmenschliche Tiere hielten. Sie wurden sogar zu jagdbarem Wild degradiert und entsprechend geschossen.

Jetzt solltest du dich da hinein versetzen. Wie du ja heute weißt, sind Aborigines Menschen und folglich transzendenzfähig. Damals hättest du es ihnen aber abgesprochen, wenn du sie als Tiere bezeichnet hättest (Beispiel, Konjuntiv). Ich hatte dieses Bild vor Augen. Man hätte dir dann zeigen können, dass ein Ureinwohner englisch (oder deutsch) lernen kann und du ihn fragen könntest. Deine virtuelle Antwort wäre "nicht nötig, da Tiere keine Transzendenzfähigkeit besitzen muss ich mich auch nicht mit so einem Tier unterhalten".
Man könnte dir Riten und Verhalten zeigen, dass auf diese Fähigkeiten hinweist und du würdest es lapidar wegwischen, da du ja definierst, dass Tiere keine Transzendenzfähigkeit besitzen.

Kurz gesagt: du wärst im Unrecht gewesen, aber dabei unbelehrbar. Auch jetzt kannst du in deiner Sichtweise Tieren gegenüber im Unrecht sein. Erschreckend ist, dass du auch hier unbelehrbar bist, weil du nicht einmal willens bist, Daten, Beobachtungen, Hinweise anzunehmen. Das ist das schrecklich dogmatische daran. Ich frage mich, woher du das Recht nimmst, so stur darauf zu beharren, dass es unnötig sei, Tiere zu beobachten, denn dass du dir nicht vorstellen kannst, sie wären transzendezfähig reicht für dich ja aus, das zu setzen, zu definieren.

Und mit genau diesem Verhalten machst du das Gegenüber ohnmächtig. Das ist so wie die Szene in Brechts Galilei, wo Galileo Galilei durch sein Teleskop die Jupitermonde zeigen will, die Herren Gelehrten aber nicht einmal durchsehen wollen, weil sie ja wissen, dass dort nicht das zu sehen sein kann, was Galilei behauptet, da ja nicht sein kann, was nicht sein darf.

Wenn du nicht einmal willens bist, Daten anzusehen, wird deine Setzung beliebig und zudem ungerecht. Dann interessiert dich keine mögliche Evidenz.

Ich will nicht sagen, dass man sehr plausibel Transzendenzfähigkeit bei Tieren aufzeigen kann, es gibt aber Hinweise. Und das sich vom eigenen Tod bewusst zu sein, ist dabei sogar sehr wahrscheinlich. Religiöse Riten sind schwerer zu begründen, da wir auch vermenschlichen können. Bei Orcas kann man aber ein Verhalten auch so interpretieren (da wir aber noch nicht die Orcasprache übersetzen konnten, fällt es schwer, Orcas zu fragen, ob es ein zufälliger Ritus oder ein bewusst religiöser Ritus ist - den übrigens nicht alle Orcas ausführen).

Ist aber egal, da dich das leider weder interessiert noch du willens bist, dich selbst damit auseinanderzusetzen, da das ja nur deine Setzung beeinflussen würde. Und da du die Bibel heranziehst (als "Evidenz" - nun ja...) kann nicht sein, was nicht sein darf. Deshalb auch meine Beispiele mit der Herdplatte oder dem vom Dach springen. Da sind die die Evidenzen so klar, dass du sie einbezeihst undd er Konvention folgst, sie als real anzusehen. Bei dem Verhalten mancher Tierarten natürlich nicht, da du hier nicht genügend Wissen besitzt.

Deine Aussagen zur Transzendenzfähigkeit sind in meinen Augen - wie ich mehrfach schon geäußert habe - anmaßend, da du dich eben nicht mit Ethologie beschäftigst. Genauso war es von den Briten anmaßend, Aboriginies als jagdbares Wild zu deklarieren. Deine Argumentationskette wurde auch bei der Sklaverei genutzt, um den schwarzen Sklaven nur teilweise menschliche Eigenschaften zuzugestehen. Sonst würde ja ein Weltbild wanken und man dürfte nicht mehr versklaven.

Bei den Tieren ist es durchaus analog, denn wenn man definiert, dass sie sich den eigenen Tod nicht vorstellen können und nicht transzendenzfähig sind, dann kann man leichter begründen, in Schlachthöfen offen vor den Augen von Tieren Artgenossen zu schlachten und die Tiere dabei in einer Reihe warten zu lassen. Mit Menschen hat man das auch schon gemacht... (da nur bewusst).

Wenn du mir jetzt aber erklärst, dass auch "Naturvölker" Menschen sind und transzendenzfähig sind, dann musst du ja eher glauben, ich sei ein ziemlicher Vollpfosten und minderintelligent. Sei beruhigt, mir ist das klar.

Aber wie gesagt: ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Känguruh eine transzendent reflektierende Entität ist.

Dass du es aber nicht einmal spannend findest, wenn es Hinweise darauf gibt, dass es so wäre, dann ist das sehr traurig. Denn dann kopplest du dich von Beobachtungen ab und definierst einfach, dass dem so nicht sei. Was du dir vorstellenb kannst und was nicht ist hinegegen kein Argument pro oder kontra. Das Beispiel Känguruh ist aber ungünstig für mich, da ich da selber über kein geeignetes Hintergrundwissen verfüge. Ich beziehe mich auf Tierarten wie Orcas, Graupapageien, Schimpansen, Gorillas (um wenige Beispiele zu nennen),

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Tyrion
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#274 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Tyrion » So 2. Apr 2017, 01:18

1) Es gibt aus christlicher Sicht Wesen, die ich-reflexionsfähig sind UND transzendenz-fähig sind. - Diese beiden Eigenschaften machen das aus, was man SPIRITUELL/GEISTIG als "Bewusstsein" bezeichnet.

Mag sein. Aber du kannst doch nicht entscheiden, für welche Wesen dem so ist. Du kannst doch nicht einfach so entscheiden, welches Wesen diese Eigenschaften nicht besitzt.

- Biologisch ist "Bewusstsein" inzwischen ganz anders semantisch besetzt - das darf man nie vergessen. - Polysem.

Ausrede! Wenn ein Wesen ein "Ich-Bewusstsein" hat, dann erkennt es, dass es lebt. Das hat man früher Tieren generell abgesprochen (und das hast du als Dogma übernommen). Es gibt hier genügend Hinweise, dass Ich-Bewusstsein bei Tieren vorkommt. Am einfachsten ist es, mit Tieren darüber zu sprechen. Wenn Tiere Englisch lernen, was bereits mehr als einmal gelang, dann geht das. Dir ist das leider egal, da du ja darauf leider pfeifst. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Und wer ein Ich-Bewusstsein hat, kann auch darüber nachdenken, wo die Grenzen des Ich sind. Insofern ist deine Trennung völlig artifiziell. Und wenn du dein Bewusstsein verlierst oder wenn du in Vollnarkose bist, dann lebst du zwar, bist dir dieses Lebens aber nicht bewusst. Diese Definitoon von Bewusstsein ist die eigentliche. Dass du Transzendenzfähigkeit als dieses definierst, erschwert die Kommunikation. Schreib doch lieber Transzendenzfähigkeit. Dir ist doch "bewusst", dass du Biologen damit mehr als provozierst, wenn du lapidar schreibst, dass Tiere kein Bewusstsein haben. Zudem wird und wurde damit eine Menge an Grausamkeiten an Tieren schöngeredet, denn ohne Bewusstsein ist ja wie in Narkose - "die spüren nichts, dass sie schreien wie am Spieß muss man nicht beachten, man kann auch lebendig häuten, wenn man das Fell mag, die haben nicht mal ein Bewusstsein". In diese Tradition reihst du dich dann leider ein. Du provozierst vielleicht unbewusst, machst es aber dennoch.

2) Geistige/transzendenz-fähige Wesen sind aus christlicher Sicht der Mensch und Geistwesen, die wiederum in materieller Gestalt auftreten können - wie bspw. "die Schlange" in der Genesis, die natürlich geistig gesehen NICHT ein Tier ist.

Und jetzt sind wir in der Ebene der Sagen und Märchen. Daraus aber abzuleiten, dass NUR Geister (Engel, der Teufel, Jahwe/Jehova/JHWH/Baal/Zeus/Wodan...) und Menschen transzendenzfähig sind, ist anmaßend allen anderen Lebensformen gegenüber.

Oder anders: Die konkrete Frage wäre, wann denn der evolutionär entstandene Mensch tatsächlich zum transzendenten Wesen wurde.

Ja, das ist in der Tat interessant.

- Das ist anthropologisch schwer zu klären.

Wirklich? Wenn beispielsweise Schimpansen auch transzendenzfähig sind, dann ist anzunehmen, dass auch unsere Vorfahren (also nicht Homo sapiens, sondern andere Primaten) das schon waren. Man kann dann sagen, dass der Mensch es schon immer war, da es seine Vorfahren schon waren. Damit wäre deine Frage beantwortet. Nur wird es schwer sein, es zu beantworten, wenn man beispielsweise die Anthropologie so außen vor lässt, wie du die Ethologie außen vor lässt.

Üblicherweise sagt die Anthropologie: "Wenn Riten nachzuweisen sind, ist auch Transzendenz-Fähigkeit da". - Das ist an sich ein guter Ansatz.

Was ist "die Anthropologie". Dennoch: ja. Und bei Orcas gibt es Riten. Und was nun?

- Aber natürlich heisst das nicht, dass KEINE Transzendenzfähigkeit da war, wenn man KEINE Spuren von Riten nachweisen war.

Du erkennst ja nichtmal Riten an - ergo müsstest du hier ja sowieso widersprechen (opwohl es natürlich stimmt, dass das Fehlen von Transzendezfähigkeit nicht aus dem Fehlen anderer Dinge wie Riten ableitbar ist).

closs hat geschrieben:Die Neanderthaler waren ganz sicher transzendenz-fähig (geh mal ins Neanderthal-Museum bei Düssendorf: Da hat man Neanderthaler rekonstruiert und rasiert und in moderne Klamotten gesteckt: Aus meiner Sicht optisch kein großer Unterschied zum durchschnittlichen Dschungel-Camp-Gucker).

Was hat Optik mit Transzendenzfähigkeit zu tun? Dann bist du wieder da, wo die Briten waren "Die sehen aus wie Affen, das sind Affen, die können wir jagen". Aber ja, ich gebe dir recht, aber nicht wegen der Optik, sondern wegen der kulturellen Überreste, die man fand. Zumal Homo (sapiens) neanderthalensis noch relativ lang im heutigen Spanien/Baskenland lebte, bevor er ganz verschwand.

- Aber war auch "Lucy" (Kenia) transzendenz-fähig? Keiner weiß es.

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, aber das ist irrelevant.

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#275 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » So 2. Apr 2017, 10:19

Tyrion hat geschrieben:du kannst doch nicht entscheiden, für welche Wesen dem so ist. Du kannst doch nicht einfach so entscheiden, welches Wesen diese Eigenschaften nicht besitzt.
Stimmt. - Der Fehler meiner Darstellung war, dass ich zu spät argumentativ eingestiegen bin - deshalb jetzt mal von vorne.

Nein - der Mensch kann nicht "entscheiden", welches Wesen transzendenz-fähig ist und welches nicht. - Insofern weiß ich natürlich NICHT, ob ein SChimpanse, ein Känguruh oder gar eine Motte transzendenzfähig ist. - Deshalb ausdrücklich: Ich kann nicht ausschließen, dass eine Motte transzendenzfähig ist.

Achtung: Der Einwand, dass das Gehirn einer Motte nicht dazu in der Lage wäre, Transzendenzfähigkeit abzubilden, würde dann NICHT zählen (wenn wir diese Frage grundsätzlich diskutieren, dann konsequent) - denn: Transzendenzfähigkeit ist eine geistige Angelegenheit und somit nicht neuronal "nachweisbar". - Oder ganz zu Ende gedacht: "Transzendenz-Fähigkeit" geht nur, wenn letztlich gilt: Materie ist aus Geist. - Aber wir müssen jetzt nicht alles auf einmal zu Ende denken.

Mit anderen Worten: So gesehen kann auch ein Baum prinzipiell transzendenz-fähig sein - beseelt ist er ja wie jegliche Leben (alles in Christen-Sprech gemeint). - Insofern müssen wir nicht über die Möglichkeit der Transzendenzfähikeit von Delfinen oder Schimpansen sprechen. - Ich hoffe, dass dies eine Klarstellung ist. - Verstehe also alle folgenden Ausführungen im Sinne dieser Vorrede - WICHTIG!!!

Tyrion hat geschrieben:Wie du ja heute weißt, sind Aborigines Menschen und folglich transzendenzfähig. Damals hättest du es ihnen aber abgesprochen, wenn du sie als Tiere bezeichnet hättest (Beispiel, Konjuntiv).
Wenn ich sie als Tiere bezeichnet HÄTTE, wäre Deine Argumentation zunächst mal richtig. - Aber mit meiner Auffassung hätte ich sie nicht als Tiere bezeichnen können. Mit anderen Worten:

Deine Vermutung ist erst dann eingelöst, wenn beides stimmt:
1) Tiere sind nicht transzendenzfähig.
2) Eine Einstufung der Aborigines als Tier findet statt (mal ganz nebenbei: Bis in die 1960er galt die Verletzung von Prostituierten juristisch als "Sachbeschädigung", da Prostituierte keine bürgerlichen Ehrenrechte - oder so was ähnliches - hatten. Trotzdem hat schon damals ein Mensch, der selber transzendenzmäßig aktiviert war, gemerkt, dass das nicht stimmt).

Das heisst: Die Unterscheidung von "transzendenzfähigem Menschen" und "nicht-transzendenzfähigem Tier" wird nicht DADURCH falsch, dass Menschen diesen Satz falsch anwenden.

Tyrion hat geschrieben:Kurz gesagt: du wärst im Unrecht gewesen, aber dabei unbelehrbar.
Zu kurz gesprungen - lies mal weiter.

Tyrion hat geschrieben:Wenn du nicht einmal willens bist, Daten anzusehen, wird deine Setzung beliebig und zudem ungerecht.
Es gibt keine Daten, die diese Frage grundsätzlich beantworten könnten - siehe oben: "Transzendenz-Fähigkeit" geht nur, wenn letztlich gilt: Materie ist aus Geist. - Umkehrschluss: Biologische Daten (wenn Du diese meinst) sind nicht entscheidend.

Tyrion hat geschrieben:ch will nicht sagen, dass man sehr plausibel Transzendenzfähigkeit bei Tieren aufzeigen kann, es gibt aber Hinweise. Und das sich vom eigenen Tod bewusst zu sein, ist dabei sogar sehr wahrscheinlich. Religiöse Riten sind schwerer zu begründen, da wir auch vermenschlichen können. Bei Orcas kann man aber ein Verhalten auch so interpretieren (da wir aber noch nicht die Orcasprache übersetzen konnten, fällt es schwer, Orcas zu fragen, ob es ein zufälliger Ritus oder ein bewusst religiöser Ritus ist - den übrigens nicht alle Orcas ausführen).
Das ist ein interessantes Thema und würde im Sinne meiner Position heißen: Dann sind Orcas halt Menschen.

Das ist keine sophistische Ausflucht - denn: Materiöse betonen ja umgekehrt ebenfalls immer wieder, dass der Mensch nichts als ein Trockennasenaffe in besonders fortschrittlicher Ausführung sei. - Das ist weltanschaulich verständlich, weil ja weltanschaulich keine transzendente Welt vorgesehen ist. - Insofern ist "Mensch" eine Unterordnung von "Tier" (= das, was Biologen unter Tier verstehen) - es gibt dann also niedere Tiere wie Motten und höhere wie Schildkröten und noch höhere wie Orcas oder Schimpansen und ganz hohe wie Menschen.

Das kann man machen. - Man kann aber auch umgekehrt geistig definieren: Die Überordnung ist "geistig reflexions-fähiges Ich", das als "Mensch" bezeichnet wird - die höchste Unterordnung davon ist "Homo Sapiens", darunter gibt es noch andere Arten, die dieser Definition entsprechen oder nicht - wenn ja, dann auch Orkas und, wenn es hochkommt, auch Motten. - Eine "geistig reflexions-fähige Ich-Motte" wäre somit eine Unterordnung von "Mensch".

Und jetzt käme die Frage: Wie will man das herausfinden? - Neuronal reicht aus obigen Gründen nicht - es muss auch geistige Anzeichen geben, die man zudem erkennen muss.

Tyrion hat geschrieben:Deine Aussagen zur Transzendenzfähigkeit sind in meinen Augen - wie ich mehrfach schon geäußert habe - anmaßend, da du dich eben nicht mit Ethologie beschäftigst.
Das ist der falsche Weg, da es ein biologischer Weg ist - es ist nur über einen spirituellen Weg machbar. - Wie das intersubjektiv "nachweisbar" gehen soll, wüsste ich nicht - aber das ändert ja nichts an der Aussage.

Tyrion hat geschrieben:Bei den Tieren ist es durchaus analog, denn wenn man definiert, dass sie sich den eigenen Tod nicht vorstellen können und nicht transzendenzfähig sind, dann kann man leichter begründen, in Schlachthöfen offen vor den Augen von Tieren Artgenossen zu schlachten und die Tiere dabei in einer Reihe warten zu lassen.
Das sind menschliche Schutzmechanismen, die da aktiv werden. Noch mehr: Selbstverständlich ist im SChwein etwas, das merkt, dass der Tod nahe ist.

Und jetzt wird es kompliziert. Denn jetzt geht es um die Frage: Wie kann es gespürten Tod (Schwein vor der Schlachtbank) und gespürtes Leid (verletztes Pferd) und gespürte Freude (schwanzwendelnder Hund) im Tier geben, ohne dass es im Tier ein geistig reflexions-fähiges Ich gibt? - In dieser Frage scheint mir die Antwort auf unsere Fragen hier zu liegen. - Diese Frage sollten wir aber vorerst auslagern.
Zuletzt geändert von closs am So 2. Apr 2017, 10:31, insgesamt 1-mal geändert.

closs
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#276 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » So 2. Apr 2017, 10:20

Tyrion hat geschrieben:Dass du es aber nicht einmal spannend findest, wenn es Hinweise darauf gibt, dass es so wäre, dann ist das sehr traurig. Denn dann kopplest du dich von Beobachtungen ab und definierst einfach, dass dem so nicht sei. Was du dir vorstellenb kannst und was nicht ist hinegegen kein Argument pro oder kontra. Das Beispiel Känguruh ist aber ungünstig für mich, da ich da selber über kein geeignetes Hintergrundwissen verfüge. Ich beziehe mich auf Tierarten wie Orcas, Graupapageien, Schimpansen, Gorillas (um wenige Beispiele zu nennen),
Ich hoffe, Dir im vorherigen Post halbwegs vermittelt haben zu können, dass ich da gedanklich viel weiter bin - das Problem lag bisher aus meiner Sicht daran, dass ich in meinen früheren Aussagen den hier nachgeholten Vorspann gespart habe.

Tyrion hat geschrieben:Wenn ein Wesen ein "Ich-Bewusstsein" hat, dann erkennt es, dass es lebt. Das hat man früher Tieren generell abgesprochen (und das hast du als Dogma übernommen). Es gibt hier genügend Hinweise, dass Ich-Bewusstsein bei Tieren vorkommt.
JETZT kommen wir zu dem Punkt, an dem ich in früheren Aussagen eingestiegen bin - denn: Was ist die Definition von "Ich-Bewusstsein"?

Dazu gibt es biologische Aussagen, die in sich sicherlich schlüssig definiert sind. - Christlicherseits (und nicht nur da) definiert man es aber anders - deshalb mein Hinweis auf "Polysem". - Hierzu steht ein erstaunlich guter Satz bei wik:
"Das Wort „Bewusstsein“ wurde von Christian Wolff als Lehnübersetzung des lateinischen conscientia geprägt.[1] Das lateinische Wort hatte ursprünglich eher Gewissen bedeutet und war zuerst von René Descartes in einem allgemeineren Sinn gebraucht worden. Der Begriff „Bewusstsein“ hat im Sprachgebrauch eine sehr vielfältige Bedeutung, die sich teilweise mit den Bedeutungen von „Geist“ und „Seele“ überschneidet. Im Gegensatz zu diesen Begriffen ist „Bewusstsein“ jedoch weniger von theologischen und dualistisch-metaphysischen Gedanken bestimmt, weswegen er auch in den Naturwissenschaften verwendet wird" (wik)

Wenn man jetzt noch weiß, dass "con-scienta" eigentlich "Mit-Wissen" heißt und sich das Wort "Ge-Wissen" aus gothisch "mit-wizzei" entwickelt hat, findet man eine komplett andere, nämlich geistige, Definition vor, die im Kern bedeutet:
"Es gibt Wesen, die sich als Mitwissende des Göttlichen und dessen Schöpfung verstehen (sie VERSTEHEN es also oder zumindenst dazu veranlagt, also aktivierbar) und daraus das rekrutieren können, was wir heute 'Gewissen' nennen. - Diese Konstitutierung (und nur DIESE Befähigung) nennen wir 'Bewusstsein'. - Dieses 'Bewusstsein' ist nur dann möglich, wenn ein Wesen 'ebenbildlich' zu Gott ist, also - in Worten Goethes, ein geistiges Auge hat, ohne die es die Sonne ('Gott' bzw. dessen Offenbarungen) nicht erkennen könnte. - Dieses Bewusstsein sprechen wir nur Menschen zu".

1) Über den letzten Satz kann man streiten - denn vielleicht gilt ja auch für Schimpansen, Känguruhs und Motten, dass sie fähig sind zur ich-erkennenden "con-scientia" - insofern möchte ich Deinen Ansatz nicht verwerfen. - Schließlich weiß ich es ja auch nicht.
2) Es sollte ganz offensichtlich sein, dass "geistiges Bewusstsein per Descartes und Wolff" und "biologisches Bewusstsein per Ethologie" völlig unterschiedliche Größen sind - Polyseme eben.

Und an diesem Punkt bin ich in früheren Beiträgen eingestiegen - mit der Aussage: "Nur der Mensch ist ein bewusstes Wesen". - Das MUSS nicht stimmen, weil der Mensch NIE etwas absolut weiß. - Aber trotzdem werden wir uns zumindestens darüber einig sein, dass die Hürden zur Erfüllung des Begriffs "Bewusstsein" im geistige Fall weit höher sind als im ethologischen Fall.

Tyrion hat geschrieben:Nur wird es schwer sein, es zu beantworten, wenn man beispielsweise die Anthropologie so außen vor lässt, wie du die Ethologie außen vor lässt.
Anthropologie kann zur Klärung hilfreich sein - Ethologie eher nicht oder nur zufällig, weil deren Parameter ganz anders ausgerichtet sind.

Einerseits habe nichts dagegen, wenn es so ist (ganz andere Parameter für Bewusstsein), andererseits ärgert mich schon, wie konsequent in den letzten 200 Jahren bestehende Begriffe mit deren konkreten Inhalten lediglich in ihren Worthülsen übernommen wurden und semantisch neu besetzt wurden - mich erinnert das wirklich sehr an "Neusprech" in "1984". - Stelle Dir vor, ich würde genug Macht haben, um Dir sagen zu können: " 'Tyrion' heißt ab sofort 'Frau mit drei Brüsten und Haifischgebiss'. - Wenn Du Dich weiter 'Tyrion' nennen willst, wirst Du für ein solches Wesen gehalten - falls Du das nicht willst, suche Dir gefälligst einen neuen Namen". - Das ist sicherlich satirisch überspitzt: Aber genauso, wie Du Dich als Tyrion in einem solche Fall ärgern würdest, ärgern sich die Vertreter des geistigen Bewusstseins, wenn ihnen ihr tradierter Begriff einfach weggenommen und semantisch neu besetzt wird.

Tyrion hat geschrieben:Was hat Optik mit Transzendenzfähigkeit zu tun? Dann bist du wieder da, wo die Briten waren "Die sehen aus wie Affen, das sind Affen, die können wir jagen".
Umgekehrt: Neanderthaler sind, wenn man sie entsprechend modern herrichtet (Rasur, Friseur, Kleidung) vielen heutigen (natürlich auch mittelalterlichen) Menschen so ähnlich, dass sie mir vermutlich auf der Straße nicht auffallen würden. - Also genau die umgekehrte Aussage als die, die Du mir unterstellst.

Unterm Strich vermute ich, dass mein (zu) später argumentativer Einstieg in vorherigen Posts bei Dir einen vollkommen irreführenden Eindruck hinterlassen hat. - Aber habe da bitte Verständnis auch für mich: Ich kriege hier im Forum regelmäßig um die Ohren, dass ich immer so grundsätzlich diskutieren würde (was übrigens dazu führt, dass wir hier Endlosthemen haben, aus denen wir nicht mehr rauskommen) - wie auch immer: Wenn ich auf diese Grundlagen verzichte, muss ich später einsteigen - mit allen Risiken. :)

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#277 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Pluto » So 2. Apr 2017, 12:30

closs hat geschrieben:JETZT kommen wir zu dem Punkt, an dem ich in früheren Aussagen eingestiegen bin - denn: Was ist die Definition von "Ich-Bewusstsein"?

Dazu gibt es biologische Aussagen, die in sich sicherlich schlüssig definiert sind. - Christlicherseits (und nicht nur da) definiert man es aber anders - deshalb mein Hinweis auf "Polysem".
Dadurch dass du deine Aussage, Bewusstsein sein ein Polysem, wiederholst, wird die Behauptung nicht wahrer.

closs hat geschrieben:Hierzu steht ein erstaunlich guter Satz bei wik:
"Das Wort „Bewusstsein“ wurde von Christian Wolff als Lehnübersetzung des lateinischen conscientia geprägt.[1] Das lateinische Wort hatte ursprünglich eher Gewissen bedeutet und war zuerst von René Descartes in einem allgemeineren Sinn gebraucht worden. Der Begriff „Bewusstsein“ hat im Sprachgebrauch eine sehr vielfältige Bedeutung, die sich teilweise mit den Bedeutungen von „Geist“ und „Seele“ überschneidet. Im Gegensatz zu diesen Begriffen ist „Bewusstsein“ jedoch weniger von theologischen und dualistisch-metaphysischen Gedanken bestimmt, weswegen er auch in den Naturwissenschaften verwendet wird" (wik)
Der von dir zitierte Absatz erklärt nur die Wortherkunft (Etymologie) und die alte Verwendung, NICHT aber die Bedeutung von "Bewusstsein". Deshalb kann man nicht die etymologischen Wurzeln mit der heutigen Bedeutung vergleichen. Mit anderen Worten: das ist nicht die Bedeutung eines Polysems. Z.B. ist "Nagel" ein wahres Polysem (vgl. das was du auf deinem Finger hast, mit dem woran man ein Bild aufhängt)
Bewusstsein hat immer mit geistiger Wahrnehmung zu tun. Du definierst das Wort einfach enger als andere, sodass es nach deiner privaten Definition zum Synonym für Transzendenz wird. Bewusstsein ist aber weit mehr, und Transzendenz ist selbst ein Erzeugnis des Bewusstseins.

closs hat geschrieben:Wenn man jetzt noch weiß, dass "con-scienta" eigentlich "Mit-Wissen" heißt und sich das Wort "Ge-Wissen" aus gothisch "mit-wizzei" entwickelt hat, findet man eine komplett andere, nämlich geistige, Definition vor, die im Kern bedeutet:
"Es gibt Wesen, die sich als Mitwissende des Göttlichen und dessen Schöpfung verstehen (sie VERSTEHEN es also) und daraus das rekrutieren können, was wir heute 'Gewissen' nennen. - Diese Konstitutierung (und nur DIESE Befähigung) nennen wir 'Bewusstsein'. - Dieses 'Bewusstsein' ist nur dann möglich, wenn ein Wesen 'ebenbildlich' zu Gott ist, also - in Worten Goethes, ein geistiges Auge hat, ohne die es die Sonne ('Gott' bzw. dessen Offenbarungen) nicht erkennen könnte.
Wie schon oft gesagt, Sprache ist eine Konvention die sich dauernd im Fluss befindet. Eine Wortbedeutung bestimmt nicht eine einzelne Gruppe von Menschen, sondern ist ebenfalls Konvention derer die die gleiche Sprache sprechen.
Das eigentliche Problem mit deiner Definition ist, dass sie viel zu eng gehalten ist, um die wirkliche Bedeutung eines so komplexen Begriffs umfassend zu beschreiben. Bewusstsein bedeutet (geistige) Wahrnehmung als auch die Fähigkeit Gedanken zu haben. ICH-Bewusstsein bedeutet das Selbst von der Umwelt unterscheiden zu können.

closs hat geschrieben:Dieses Bewusstsein sprechen wir nur Menschen zu"
Genau diesen Stockfehler begeht man, wenn man Bewusstsein zu eng definiert.
Man kann z.B. beobachten wie eine Schlange sich selbst verspeist. Doch ein Löwe wird niemals seine Pfote mit Essbarem verwechseln, weil der Löwe nicht nur bewusst ist, sondern auch ein ICH-Bewusstsein besitzt.

closs hat geschrieben:Und an diesem Punkt bin ich in früheren Beiträgen eingestiegen - mit der Aussage: "Nur der Mensch ist ein bewusstes Wesen".
Nein.
Der Mensch hat im Laufe seiner Entwicklung vorhandenes, tierisches Bewusstsein zu planerischem Denken umfunktioniert. Daraus entstanden (ebenfalls evolutiv) Religionen. Der Mensch hat die Religion dann weiter zu dem entwickelt, was sie heute ist.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#278 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » So 2. Apr 2017, 12:56

Pluto hat geschrieben:Der von dir zitierte Absatz erklärt nur die Wortherkunft (Etymologie) und Verwendung, NICHT aber die Bedeutung von "Bewusstsein".
Doch - den diese Herkunft ist doch identisch mit dem, was geistesgeschichtlich damit gemeint ist.

Pluto hat geschrieben: Du definierst das Wort einfach enger als andere
Nicht "enger", sondern "anders". - "Enger" würde bedeuten, dass die geistesgeschichtliche Bedeutung in der heutigen biologistischen Bedeutung enthalten ist - genau das ist aber deshalb NICHT der Fall, weil der Biologismus eine solche geistesgeschichtliche Bedeutung aufgrund der eigenen methodischen Grundlagen gar nicht haben KANN - konkret:

Die geistesgeschichtliche Bedeutung ist nur dann möglich, wenn dahinter die Setzung steht "Materie ist aus Geist" - genau diese Setzung ersetzt der Naturalismus/Biologismus jedoch durch "Geist ist aus Materie". - Übrigens aus ihrem Verständnis heraus vollkommen zu Recht.

Pluto hat geschrieben:Bewusstsein hat immer mit geistiger Wahrnehmung zu tun.
Dieser Satz ist neutral richtig, bedeutet aber unter verschiedenen weltanschaulichen Perspektiven etwas vollkommen Unterschiedliches - konkret:

1) "Materie ist aus Geist" = "Bewusstsein und Geist sind geistige Größen" = "Bewusstsein hat immer mit geistiger Wahrnehmung zu tun"
2) "Geist ist aus Materie" = "Bewusstsein und Geist sind materielle Größen" = "Bewusstsein hat immer mit geistiger Wahrnehmung zu tun"

Da die jeweiligen Setzungen ("Materie ist aus Geist"/"Geist ist aus Materie") nicht falsifizierbar sind, ist eine Beantwortung der Frage, was "Geist" und "Bewusstsein" ist, immer abhängig von einem persönlichen Glaubensentscheid. - Denn die Tatsache, dass Korrelationen zwischen Geist und Materie neuronal nachgewiesen werden können, beantwortet NICHT die Frage, ob
a) Materie Geist per Neuronen schafft, oder
b) Geist per Materie neuronal abgebildet wird.

Pluto hat geschrieben:Wie schon oft gesagt, Sprache ist eine Konvention die sich dauernd im Fluss befindet.
Da wurde Dir nie widersprochen: Das ist unbenommen. - Wir haben hier nur den böden Fall (von vielen derartigen Fällen), dass ein nach wie vor semantisch besetztes Wort in der allgemein dominanten Allgemeinsprache gleichzeitig semantisch anders besetzt wird.

Pluto hat geschrieben:Das eigentliche Problem mit deiner Definition ist, dass sie viel zu eng gehalten ist, um die wirkliche Bedeutung eines so komplexen Begriffs umfassend zu beschreiben. Bewusstsein bedeutet (geistige) Wahrnehmung als auch die Fähigkeit Gedanken zu haben. ICH-Bewusstsein bedeutet das Selbst von der Umwelt unterscheiden zu können.
Kann man so sehen - aber das ist aus Sicht der geistesgeschichtlichen Bedeutung umgekehrt zu wenig umfassend beschrieben.

Aus geistesgeschichtlicher/theologischer/spiritueller Sicht akzeptiert man Deine Definition von "Bewusstsein" und "Geist" selbstverständlich, nimmt sie aber als unzulässig verengt wahr, weil die eigentliche Hauptsache fehlt.

Pluto hat geschrieben:Der Mensch hat im Laufe seiner Entwicklung vorhandenes, tierisches Bewusstsein zu planerischem Denken umfunktioniert. Daraus entstanden (ebenfalls evolutiv) Religionen. Der Mensch hat die Religion dann weiter zu dem entwickelt, was sie heute ist.
[/quote]Das wäre aus materialistischer Sicht eine nachvollziehbare Interpretation - allein: Im Sinne der "con-scientia"-Version ist das extrem unzureichend. - Man würde sagen: "Pluto nennt notwendige Parameter, die bei weitem nicht hinreichend sind".

Pluto
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#279 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Pluto » So 2. Apr 2017, 16:59

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Der von dir zitierte Absatz erklärt nur die Wortherkunft (Etymologie) und Verwendung, NICHT aber die Bedeutung von "Bewusstsein".
Doch - den diese Herkunft ist doch identisch mit dem, was geistesgeschichtlich damit gemeint ist.
Das kann nicht stimmen, denn Sprache verändert sich ständig, und ist immer ein Konsens, an dem man sich hält, will man verstanden werden.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Du definierst das Wort einfach enger als andere
Nicht "enger", sondern "anders". - "Enger" würde bedeuten, dass die geistesgeschichtliche Bedeutung in der heutigen biologistischen Bedeutung enthalten ist - genau das ist aber deshalb NICHT der Fall, weil der Biologismus eine solche geistesgeschichtliche Bedeutung aufgrund der eigenen methodischen Grundlagen gar nicht haben KANN - konkret:

Die geistesgeschichtliche Bedeutung ist nur dann möglich, wenn dahinter die Setzung steht "Materie ist aus Geist" - genau diese Setzung ersetzt der Naturalismus/Biologismus jedoch durch "Geist ist aus Materie". - Übrigens aus ihrem Verständnis heraus vollkommen zu Recht.
Das mag deine persönliche Meinung wiedergeben, aber glaube mir, das entspricht NICHT dem modernen Konsens.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Bewusstsein hat immer mit geistiger Wahrnehmung zu tun.
Dieser Satz ist neutral richtig, bedeutet aber unter verschiedenen weltanschaulichen Perspektiven etwas vollkommen Unterschiedliches - konkret:

1) "Materie ist aus Geist" = "Bewusstsein und Geist sind geistige Größen" = "Bewusstsein hat immer mit geistiger Wahrnehmung zu tun"
2) "Geist ist aus Materie" = "Bewusstsein und Geist sind materielle Größen" = "Bewusstsein hat immer mit geistiger Wahrnehmung zu tun"
Nun...
Es gibt schon immer Materie ohne Geist. Schau einfach in den Nachthimmel. Doch Geist ohne Materie hat noch Keiner gesehen.

closs hat geschrieben:ist eine Beantwortung der Frage, was "Geist" und "Bewusstsein" ist, immer abhängig von einem persönlichen Glaubensentscheid.
Man muss nicht das gesamte Universum absuchen, um dann mit leeren Händen zu verkünden, es gebe keinen Geist ohne Materie. Dazu genügt es den Verstand einzusetzen, bzw den Hinweisen der Neurowissenschaft folge zu leisten.

closs hat geschrieben:a) Materie Geist per Neuronen schafft...
Richtig. Alle Erkenntnisse der Forschung weisen darauf hin.

closs hat geschrieben:b) Geist per Materie neuronal abgebildet wird.
Mag sein, dass dein Modell richtig ist. Aber dann solltest du auch die gespaltene Persönlichkeit erklären können, die entsteht wenn der corpus callosum durchtrennt wird. Da dein Modell dies nicht kann, gilt es als falsifiziert.

closs hat geschrieben:Wir haben hier nur den blöden Fall (von vielen derartigen Fällen), dass ein nach wie vor semantisch besetztes Wort in der allgemein dominanten Allgemeinsprache gleichzeitig semantisch anders besetzt wird.
Wieso blöder Fall?
Es zeigt doch lediglich die Grenzen deines Modells auf.

closs hat geschrieben:Aus geistesgeschichtlicher/theologischer/spiritueller Sicht akzeptiert man Deine Definition von "Bewusstsein" und "Geist" selbstverständlich, nimmt sie aber als unzulässig verengt wahr, weil die eigentliche Hauptsache fehlt.
Du meinst Transzendenz würde fehlen?
Transzendenzfähigkeit ist aber eine Begleiterscheinung unseres planerischen Denkfähigkeit, die uns ermöglicht zu fragen was nach dem Tod geschieht.
Das ist die Grundlage für die Entstehung der Religionen in der Natur.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Der Mensch hat im Laufe seiner Entwicklung vorhandenes, tierisches Bewusstsein zu planerischem Denken umfunktioniert. Daraus entstanden (ebenfalls evolutiv) Religionen. Der Mensch hat die Religion dann weiter zu dem entwickelt, was sie heute ist
Das wäre aus materialistischer Sicht eine nachvollziehbare Interpretation - allein: Im Sinne der "con-scientia"-Version ist das extrem unzureichend.
Die "con-scientia"-Version wurde schon von Descartes verallgemeinert. Sie gilt heute nicht mehr.

closs hat geschrieben:Man würde sagen: "Pluto nennt notwendige Parameter, die bei weitem nicht hinreichend sind".
Inwiefern nicht hinreichend?

Dass das Gehirn eine der komplexesten Konstrukte der Natur ist, bezweifelt Niemand.
Die Forschung verbucht auf dieser Grundlage allerdings einen Erfolg nach dem anderen. Konkret: Wir lernen mit jedem Tag mehr über die Funktionen von Geist und Bewusstsein, und stoßen seit fast 80 Jahren an keine Grenzen. Selbst die Gotteserkenntnis wurde und wird berücksichtigt.

Was fehlt denn deiner Meinung nach konkret?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#280 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » So 2. Apr 2017, 18:31

Pluto hat geschrieben:aber glaube mir, das entspricht NICHT dem modernen Konsens.
Das glaube ich Dir gerne - deshalb mein "1984-Neusprech-Vorwurf".

Nur: Das ändert doch nichts daran, dass die ältere Definition von "Bewusstsein" noch existiert und von der neuen Definition vollkommen unberührt ist. - Mit anderen Worten: Chr. Wolff müssten jetzt noch einmal ein neues Wort erfinden, um das Wort "conscientia" und dessen Bedeutung íns Deutsche zu übersetzen - kann er aber nicht, weil er seit ein paar Hundert Jahren tot ist.

Pluto hat geschrieben:Es gibt schon immer Materie ohne Geist. Schau einfach in den Nachthimmel.
Es heißt nicht, Materie IST Geist, sondern Materie ist AUS Geist heraus entstanden/geschaffen.

Pluto hat geschrieben:Dazu genügt es den Verstand einzusetzen, bzw den Hinweisen der Neurowissenschaft folge zu leisten.
Wenn man seinen Verstand als einseitigen System-Verstand versteht, geht das - wenn man aber WIRKLICH aufgeklärt ist, geht es nicht. - Denn dann weiß man, dass die neurolwissenschaftlich beobachteten Korrelationen zwischen Materie und Geist NICHT die Frage klären, ob hier Geist aus Materie entsteht, oder Geist durch Materie präsent wird. - Dieser Unterschied ist nicht beobachtbar, also auch nicht wissenschaftlich greifbar.

Pluto hat geschrieben:Aber dann solltest du auch die gespaltene Persönlichkeit erklären können, die entsteht wenn der corpus callosum durchtrennt wird. Da dein Modell dies nicht kann, gilt es als falsifiziert.
Das "Falsifizieren" geht mir hier im Forum zu schnell. - Das kann auch damit erklärt werden, dass durch körperliche Defekte geistige Fehl-Offenbarungen geschehen können. - Wenn eine Projektionsfläche defekt ist, ist auch der Lichtstrahl anders reflektiert - es kommt etwas anderes raus.

Pluto hat geschrieben:Es zeigt doch lediglich die Grenzen deines Modells auf.
Wieso denn DAS? - Dieses Modell ist doch völlig unberührt - es ist nur nicht mehr ohne weiteres zu kommunizieren, weil ihm die Worte dazu geklaut wurden.

Pluto hat geschrieben:Transzendenzfähigkeit ist aber eine Begleiterscheinung unseres planerischen Denkfähigkeit, die uns ermöglicht zu fragen was nach dem Tod geschieht.
Das "ist" nicht notwendigerweise so, sondern dass ist eine heutige weltanschauliche Interpretation.

Pluto hat geschrieben:Die "con-scientia"-Version wurde schon von Descartes verallgemeinert. Sie gilt heute nicht mehr.
Auch hier: Sie gilt möglicherweise sehr wohl noch (ich würde sogar sagen: höchst-wahrscheinlich), aber sie gilt im Sinne heutiger weltanschaulicher Perspektive nicht.

Pluto hat geschrieben:Die Forschung verbucht auf dieser Grundlage allerdings einen Erfolg nach dem anderen. Konkret: Wir lernen mit jedem Tag mehr über die Funktionen von Geist und Bewusstsein, und stoßen seit fast 80 Jahren an keine Grenzen.
Das wird wahrscheinlich auch so weitergehen - aber das hat wirklich NICHTS mit einer Aussage zu tun.

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