Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Philosophisches zum Nachdenken
Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#21 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Do 1. Jun 2017, 20:43

Nun kommen wir wie versprochen zu Xenophanes und beginnen damit den Weg von den Naturdichtern zur Philosophie zu beschreiten.

Xenophanes (~ 570 v. Chr. in Kolophon; † ~ 470 v. Chr.) ist für mich eine ausgesprochen faszinierende Gestalt der altgriechischen Kultur. Gemäß dieser älteren Darstellung war er noch kein klassischer Philosoph, sondern in erster Linie Naturdichter.
Er wurde aus seiner Heimat vertrieben und begab sich auf der Suche nach dem Einen und wurde so zu einem religiösen Exentriker. In einer Zeit, als der hellenistische Pantheismus lebendig war, führte er eine religiös-philosophische Erneuerungsbewegung an; seine Rolle war vielleicht entfernt vergleichbar mit denen der israelitischen Propheten jener Tage, wie Sacharja und Haggai.
Dem Heimatvertriebenen boten die Götter des Olymp keine Sicherheit. Insbesondre in den Epen Homers benahmen sie sich wie Menschen, die ehebrechen, stehlen und sogar morden — ja Götterkriege führen: Die Olympier stürzten die Titanen in den Tartaros. (in der ordischen Mythologie findet sich im Arsen-Wannen-Krieg eine Parallele). Wie konnten solche Götter sittliche Vorbilder sein?

Xenophanes ersann einen neuen »[Philosophen-]Gott«, der über den Göttern des Olymp stand. Dieser Gott lenkte die Welt Kraft seines Geistes und verspürt keine Begierden, keinen Hunger oder Durst und ist unwandelbar, »im selbigen bleibend«, ewig »eines und alles« (hen kai pan).
Xenophanes übte Religinskritik, ja verspottete die anthropomorphisierten Götter des Olymp. Dass Menschen ihre Götter nach ihrem Ebenbild darstellen erschien ihm völlig absurd.
Bei Xenophanes werden frühantike Mystik und Naturphilosophie miteinander verwoben.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#22 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Do 1. Jun 2017, 20:44

Novalis hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Gerne doch. :) Es freut mich, dass hier nun philophisches und mystisches Leben im Thread kommt. Ich wünsche euch angeregtes Philosophieren.

Eigentlich waren meine Worte nur als eine Randbemerkung gedacht, da ich nicht die Absicht hatte den Aufbau deines Threads zu stören :) aber vermutlich wäre es wichtig meinen Gedankengang noch näher zu erläutern, damit besser verständlich wird, wie ich das meine.
Du störst doch meinen Thread nicht. Deine Gedanken sind frei, entfalte Dich nach Deinen Wünschen. :)
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Benutzeravatar
Thaddäus
Beiträge: 1231
Registriert: Sa 14. Sep 2013, 18:47

#23 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Thaddäus » Do 1. Jun 2017, 21:45

Novalis hat geschrieben:Ich denke, dass sich die westliche und östliche Mentalität hervorragend ergänzen. Der Westen mit seiner rational-wissenschaftlich ausgerichteten Denkweise und der Osten mit seinem gewaltigen Sinn für Spiritualität und seine Ehrerbietung gegenüber dem heiligen Mysterium des Göttlichen, welches immer größer ist, selbst alle unsre höchsten, besten und edelsten Gedanken unendlich überragend. Im östlichen Christentum ist das sehr stark ausgeprägt. Wir im Westen vergessen auch gerne, dass Jesus selbst ein Orientale war, ganz und gar verwurzelt im Geist des Ostens.
Ich fürchte, so einfach ist das nicht mit der Unterscheidung zwischen östlichem und westlichem Denken. :)

Unsere typisch westliche "Rationalität" haben wir letztlich den Griechen zu verdanken (oder zu beklagen, - je nachdem, wie man es betrachten will), die als erste zwischen "Mythos" (was ursprünglich griechisch nichts anderes heißt als "Erzählung" und "Rede") und dem "Logos" (was ursprünglich so viel wie "rechnen" bedeutet) unterschieden und einen Weg vom Mythos hin zum Logos beschritten (das heißt die Ablösung der mythischen Welterklärung (die Götter Homers) durch eine vor-wissenschaftliche Welterklärung (die Vorsokratiker). Andererseits stammt das erste Werk zur formalen Logik von den Indern! ;) Es war die griechische Sprache, die die alten Griechen zu guten Naturbeobachtern machte, denn sie verfügten über min. 10 Verben für die unterschiedlichen Arten des Sehens: sehen, blicken, betrachten, beobachten, schauen (= "theoria"=Theorie!) usw. So konnten sie feinste Unterscheidungen treffen. Wer sich hierfür interessiert, dem sei das Buch Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen von Wolfgang Schadewaldt empfohlen. Die Hebräer dagegen "hörten" zur gleichen Zeit vor allem auf ihren Gott, weshalb es heute im hebräischen Gebet noch heißt "Schma' Israel" = "Höre Israel!" (was dir dein Gott JHWH zu sagen hat). Die Araber wiederum sind die Erfinder der Algebra und Arithmetik, - die Griechen die Erfinder der Geometrie (Euklid). Die Romantik war eine westliche geistesgeschichtliche Entwicklung und Novalis ein deutscher Autor. Astronomie, Medizin und Mathematik wurde von den Arabern im 13. Jahrundert nach Al Andalus (Andalusien in Spanien) gebracht. Und während man in Germanien noch vom Baum kackte, haben arabische Ärzte in Isfahan in ihren Krankenhäusern den grauen Star gestochen und Blinde wieder sehend gemacht. Und wenn wir heute in den Sternenhimmel schauen und die Wega oder Aldebaran bewundern, die hell leuchtend am Firmament stehen, dann sprechen wir arabische Namen dieser Sterne aus.

Der Mensch ist das einzige uns bekannte Seiende, dass sich in seinem Sein, die Frage nach seinem Dasein stellt (Heidegger). Das Spirituelle, - oder besser: die Frage nach dem Sinn des eigenen Daseins ist genuin jedenfalls keine fernöstliche Frage. Sie wurde und wird im Westen genau so gestellt wie im Osten. Bei uns heißt das nur: Metaphysik (= ta meta ta physika" = das, was nach der Physik kommt = was die Schriften des Aristoteles bezeichnet, die hinter seiner Physik in der Bibliothek von Alexandria standen, weil Aristoteles diesen Schriften keine Überschrift gegeben hatte).

Jesus aus Nazareth war nicht im Geist des Ostens verwurzelt, sondern viel konkreter im jüdischen Glauben. Er hat sich von Johannes nicht taufen lassen, weil er selbst glaubte, er sei der Gesalbte, von dem im Tanach die Rede ist, sondern weil er zutiefst glaubte, dass das nahe Ende bevorstünde und er sich einfach nur der Bewegung des Johannes anschließen wollte. Wenn im NT davon die Rede ist, dass Jesus selbst immer wieder betonte, man solle seine "wahre (göttliche) Natur" nicht offenbaren, dann ist das eine spätere christliche Reaktion darauf, dass er selbst sich eben gerade nicht für den angekündigten davidischen Retter der Juden und einen "Gottessohn" gehalten hat. Das widersprach aber dem, was die ersten Christen zu glauben geneigt und bereit waren und darum wurde das Offensichtliche umgedeutet und aus dem Juden aus Nazareth, der einfach nur der johanneischen Bewegung anhing, wurde im Schrifttum der erwartete Erlöser und alles, die gesamte altestamentliche Tradition, wurde auf diese Interpretation hin umgeglaubt und umgeschrieben.

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#24 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Do 1. Jun 2017, 23:54

Halman hat geschrieben:Du störst doch meinen Thread nicht. Deine Gedanken sind frei, entfalte Dich nach Deinen Wünschen :)

Ich denke, dass die Rede vom spirituellen Osten und vom materiell ausgerichtete Westen ihre Wahrheit besitzt, wenn man beide genau betrachtet. Viele Propheten und die durch sie inspirierten Weltreligionen kamen im Großen und Ganzen aus dem Osten, was leicht überprüft werden kann, in dem man einfach ein Standard-Lehrbuch über die großen Weltreligionen durchblättert (eine Ausnahme bilden einzelne kleinere indigene Religionen). Scheinbar geht dort nicht nur die materielle Sonne, sondern auch sehr gerne die geistige Sonne auf :thumbup: Ich denke da an die biblische Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland, die der Legende nach durch den Stern von Betlehem zu Jesus geführt wurden.

Als Heilige Drei Könige oder Weise aus dem Morgenland bezeichnet die christliche Tradition die in der Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums (Mt 2 EU) erwähnten „Sterndeuter“ (im griechischen Ausgangstext Μάγοι, Magoi, wörtlich „Magier“), die durch den Stern von Betlehem zu Jesus geführt wurden. Im Neuen Testament werden sie nicht als „Könige“ bezeichnet, auch gibt es keine Angabe über ihre Anzahl. Diese Angaben entstammen einer umfangreichen Legendenbildung, die im 3. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Die in der Westkirche verbreiteten Namen Caspar, Melchior und Balthasar werden erstmals in Legenden des 6. Jahrhunderts erwähnt.
Quelle

Das können wir als ein Sinnbild dafür verstehen, dass die Sonne der Wahrheit (die göttliche Offenbarung) zuerst im Osten aufgeht, um dann in den Westen hinüber zu wandern. Allerdings denke ich, dass wir in Zukunft eine immer weiter fortschreitende gegenseitige Durchdringung und Synthese zwischen Ost und West erleben werden, sodass ich mir nicht sicher bin, inwieweit diese Unterscheidung angesichts des homo universalis, dem Menschen des dritten Jahrtausends, der sich mehr und mehr als Bürger der ganzen Welt sieht und erlebt, noch passend ist.

«Meiner Einstellung entspricht es jedoch mehr, von Einheit und Gemeinsamkeit statt von Kluft und Verschiedenheit zu sprechen. Osten und Westen haben dieselbe menschliche Natur, dasselbe Verlangen nach Vervollkommnung, dasselbe Suchen nach etwas, das höher ist als sie selbst, dem innerlich und sogar äußerlich zuzustreben unser Wunsch ist. [...] Osten und Westen sind sich immer begegnet und haben sich mehr oder weniger aufeinander eingelassen. Sie haben sich gegenseitig stark beeinflusst und sind heute durch Natur und Schicksal zunehmend genötigt, es in noch höherem Maße zu tun als je zuvor.»

~ Sri Aurobindo
Sri Aurobindo: Visionär eines neuen Zeitalters


Vielleicht könnten wir die Gemeinsamkeiten und Unterschiede noch deutlicher sichtbar machen, in dem wir das westliche und östlichen Christentum miteinander vergleichen. Das Morgenländische Schisma, die Trennung zwischen den orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche (1054), hat nicht ganz grundlos stattgefunden. Sicher spielten machtpolitische Gründe eine Rolle, aber auch die unterschiedlichen Mentalitäten und theologische Differenzen.

Bild
Quelle

Ein Beispiel für die Theologie des orthodoxen Christentums ist zweifellos Gregor Palamas, der den Hesychasmus verteidigte, die Gebetspraxis der Athos-Mönche, deren Gemeinschaft er selbst angehörte (siehe dazu auch „Die kleine Philokalie des Herzensgebets“ und „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“)
Bild
Berg Athos, Ágion Óros, „Heiliger Berg“
Zuletzt geändert von Novas am Fr 2. Jun 2017, 01:47, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#25 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Fr 2. Jun 2017, 01:27

Kommen wir nun zu den Eleaten.

Xenophanes stammte von Kolophon (nörtlich von Milet), doch sein Wirkungskreis war Elea und das Umfeld der antiken Stadt in Süditalien. Ähnlich wie die Dichterbarden und Sophisten zog er umher und verbreitete so seine philosophische Lehre.
Bild
Kartenquelle

Xenophanes beeinflusstes andere Denker, darunter Parmenides von Elea. Er gehörte wie seine Schüler zu den Eleaten.

Wie bereits die Mileter grübelte er über die Frage nach den Wandlungen nach. Das einzige von ihm überlieferte schriftliche Werk „Von der Natur“ ist ein Gedicht mit mystifizierenden Charakter. Darin offenbart ihn eine Göttin die Weisheit.

In einem Dialog von Platon taucht er als alter Mann und Zeitgenosse von Sokrates auf. Möglicherweise war er auch ein Zeitgenosse von Heraklides, „des Dunklen“ (zu ihm komme ich später).

Parmenides behauptete, dass es nur das Sein gab.
Das Nichtseiende kann man weder denken noch aussprechen. Denn wenn es das Nichtseiende gäbe, dann wäre es etwas, also ist nur das Sein.
Der richtige Weg zur Erkenntnis ist denmach, zu konstatieren, dass nur das Sein existiert und demzufolge wahr ist und dass das Nichtseiende nicht existiert und unterschied damit schon in der Antike zwischen wahr und falsch. Wahres ist seiend und falsches ist nichtseiend. Griff er damit der aristotelischen Schlussform vor? Ist die Syllogistik ein Sonderfall der Prädikatenlogik?

Dieses eine Sein ist invariabel, ewig und wahrscheinlich kugelrund. Wandlungen und Bewegung werden als „Illusion“ gedeutet.
Bild
„Wie könnte also das Seiende in der Zukunft sein? Wie könnte es jemals geworden sein? Denn wenn es einmal geworden ist, dann ist es nicht; es ist aber auch nicht, wenn es jemals in Zukunft sein sollte. So ist das Werden ausgelöscht und das Vergehen (der Dinge) abgetan.“ – Parmenides von Elea

Kommen wir nun zu dem „Vater der Dialektik“, Zenon von Elea, vermutlich ein Schüler von Parmenides.
Gemäß einer Abstraktion der Pythagoreer war der Raum unendlich teilbar. Daraus leitete Zenon den ersten indirekten Beweis in der Geschichte der Wissenschaft ab, nämlich, dass Bewegung ein widersprüchliches Konzept ist. Nur das ewige und unveränderliche Sein existiert wahrhaft.
Anklang dürfte Zenons Lehre bei eleischen Sokrateern gefunden haben. Allerdings waren sie weniger radikal und identifizierten das ewige und unveränderliche Sein mit dem Guten.

Soweit ich weiß beeinflussten Zenonos scharfsinnige Überlegungen auch die theoretische Ausformung der Kontinuums. Bemerkenswert ist, dass nach ihm der Quanten-Zeno-Effekt benannt ist.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#26 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Pluto » Fr 2. Jun 2017, 13:50

Halman hat geschrieben:Kommen wir nun zu dem „Vater der Dialektik“, Zenon von Elea, vermutlich ein Schüler von Parmenides.
Gemäß einer Abstraktion der Pythagoreer war der Raum unendlich teilbar. Daraus leitete Zenon den ersten indirekten Beweis in der Geschichte der Wissenschaft ab, nämlich, dass Bewegung ein widersprüchliches Konzept ist. Nur das ewige und unveränderliche Sein existiert wahrhaft.
Anklang dürfte Zenons Lehre bei eleischen Sokrateern gefunden haben. Allerdings waren sie weniger radikal und identifizierten das ewige und unveränderliche Sein mit dem Guten.
Einst begegnete Achilles einer Schildkröte, deren Geist flinker war als ihre Beine. Sie forderte den athletischen Helden zum Wettlauf heraus, und er willigte belustigt ein. Die Schildkröte bat allerdings wegen ihrer sprichwörtlichen Langsamkeit um einen Startvorsprung. Den räumte Achilles ihr großzügig ein, und sie begann eifrig davonzukriechen; er aber ließ sich viel Zeit, schnürte seine Sandalen fester und lief ihr endlich nach.

In kürzester Zeit überwand er die Entfernung, die ihn beim Start von der Schildkröte getrennt hatte. Zwar war auch das Tier unterdessen ein kleines Stückchen weitergekommen, doch diesen geringeren Abstand legte Achilles noch rascher zurück. Allerdings war die Schildkröte auch in dieser Spanne wieder ein bißchen vorangerückt, und während Achilles den neuen Vorsprung einholte, war sie wiederum ein kleines Stückchen weiter. Mit einem Wort: Gleichgültig, wie schnell Achilles rannte, immer blieb die Schildkröte vorn – und so vermochte der berühmte Läufer das schwerfällige Reptil niemals zu überholen.
[Quelle: Eine Lösung für Zenons Paradoxien
So blieb das Paradoxon von Zenon bis zur Erfindung der Differentialrechnung durch Newton und Leibniz bestehen. Das Paradoxon lässt sich nur mit Hilfe der Differentialrechnung auflösen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#27 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Fr 2. Jun 2017, 15:13

Pluto hat geschrieben:
Einst begegnete Achilles einer Schildkröte, deren Geist flinker war als ihre Beine. Sie forderte den athletischen Helden zum Wettlauf heraus, und er willigte belustigt ein. Die Schildkröte bat allerdings wegen ihrer sprichwörtlichen Langsamkeit um einen Startvorsprung. Den räumte Achilles ihr großzügig ein, und sie begann eifrig davonzukriechen; er aber ließ sich viel Zeit, schnürte seine Sandalen fester und lief ihr endlich nach.

In kürzester Zeit überwand er die Entfernung, die ihn beim Start von der Schildkröte getrennt hatte. Zwar war auch das Tier unterdessen ein kleines Stückchen weitergekommen, doch diesen geringeren Abstand legte Achilles noch rascher zurück. Allerdings war die Schildkröte auch in dieser Spanne wieder ein bißchen vorangerückt, und während Achilles den neuen Vorsprung einholte, war sie wiederum ein kleines Stückchen weiter. Mit einem Wort: Gleichgültig, wie schnell Achilles rannte, immer blieb die Schildkröte vorn – und so vermochte der berühmte Läufer das schwerfällige Reptil niemals zu überholen.
[Quelle: Eine Lösung für Zenons Paradoxien
So blieb das Paradoxon von Zenon bis zur Erfindung der Differentialrechnung durch Newton und Leibniz bestehen. Das Paradoxon lässt sich nur mit Hilfe der Differentialrechnung auflösen.
Hat dies mit Infinitesimalrechnung zu tun? Wie verhalten sich Differentialrechnung und Infinitesimalrechnung zueinander?

__________________________________________________________________________________________________________________________

Die Wandlungen des Heraklid

Gehen wir wieder einen Schritt zurück zu einem außergewöhnlichen Vorsokratiker, zu Heraklit von Ephesos (~ 540 – 480 v. Chr.): Er war ein mysteriöser Denker und Naturdichter, weshalb er wohl den Beinamen „der Dunkle “ bekam. Mir wurde zugetragen, dass man seine Aussagen als politische Empfehlungen interpretierte, leider weiß ich hier nichts Konkretes. Meine Ausführungen gehen zum großen Teil auf Diskussionsnotizen zurück.
Ähnlich wie Xenophanes spottete er über die Götterstaturen in den Tempeln, zu denen die Menschen beten, wie „mit einem Gebäude Zwiesprache haltend“. Doch anders als Xenophanes gibt es bei Heraklit meines Wissens keinen Gott.
Die Oberflächlichkeit im Denken und Handeln der meisten Menschen, stieß ihm bitter auf. Er prägte den Begriff des Logos und erklärte, im Logos befände sich die vernunftgemäße Weltordnung. Auch die Erkenntnis und Erklärung dieser sei im Logos zu finden. Das Ziel sollte sein, den Logos zu begreifen und zu verstehen.
Die Welt ist im beständigen Wandel — „alles fließt“. Die Menschen, die über ihre kleine Lebewelt nicht hinausblicken, waren für ihn „unvernünftigen Massen“, die sich offenbar nicht darüber bewusst waren, dass die Sinne täuschten.
In der bereits erwähnten philosophischen Diskussion, der ich mein bescheidenes Teilwissen verdanke, wurde mir die antike Anekdote zugetragen, dass Heraklid lieber mit Kindern auf den Feldern spielte, als an der Volksversammlung teilzunehmen.

Besonders bemerkenswert erscheint mir, dass Heraklid den Logos („die Vernunft“) als Konzept in die hellenistische Philosophie einführte.

War bei Thales noch das Wasser die Urmaterie, so war es für Heraklid das Feuer, welches er schon als „Prozess“ verstand, denn die Welt war im beständigen Wandel begriffen.
Seine philosophischen Lehren fanden unter den Mathematikern der Pythagoreer einige Anhänger.

Legendär war seine mysteriöse Diktion, die zu einigen Witzen über ihn anregten. Einer Anekdote zufolge hatten Ärzte nicht verstanden, worin sein Leiden besteht, weshalb er sich notgedrungen selbst verarzten musste. Dabei starb er.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#28 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Pluto » Fr 2. Jun 2017, 19:30

Halman hat geschrieben:Hat dies mit Infinitesimalrechnung zu tun? Wie verhalten sich Differentialrechnung und Infinitesimalrechnung zueinander?
Mathematisch ist das dasselbe. Wurde on Newton und Leibniz unabhängig erfunden, um kleinste Veränderungen stringent zu erfassen.
Nicht zu verwechseln mit Integralrechnung, welches mathematisch im Grunde die Umkehrfunktion des Differentials ist.


Halman hat geschrieben:Legendär war seine mysteriöse Diktion, die zu einigen Witzen über ihn anregten. Einer Anekdote zufolge hatten Ärzte nicht verstanden, worin sein Leiden besteht, weshalb er sich notgedrungen selbst verarzten musste. Dabei starb er.
Ja. Fast alle medizinischen Heilmethoden wurden in den letzten 200 Jahren nach und nach über Bord geworfen. Die einzige Methode die überlebte ist die Potenzierung nach Hahnemann (Homöopathie).
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

JackSparrow
Beiträge: 5501
Registriert: Mi 30. Okt 2013, 13:28

#29 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von JackSparrow » Fr 2. Jun 2017, 23:15

Thaddäus hat geschrieben:"Logos" (was ursprünglich so viel wie "rechnen" bedeutet)
Die Verbform von logos lautet legein = sagen, sprechen, (an)ordnen; vgl. lateinisch legere = (auf)lesen, sammeln; spanisch leer; deutsch legen und lesen.

Offensichtlich gab es im Vulgärlatein einen Bedeutungswandel (zumindest noch vor Aufspaltung ins Germanische und Romanische), im Deutschen hätte aber darlegen und das Dargelegte noch die ursprüngliche Bedeutung.

Benutzeravatar
Thaddäus
Beiträge: 1231
Registriert: Sa 14. Sep 2013, 18:47

#30 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Thaddäus » Fr 2. Jun 2017, 23:42

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:"Logos" (was ursprünglich so viel wie "rechnen" bedeutet)
Die Verbform von logos lautet legein = sagen, sprechen, (an)ordnen; vgl. lateinisch legere = (auf)lesen, sammeln; spanisch leer; deutsch legen und lesen.

Offensichtlich gab es im Vulgärlatein einen Bedeutungswandel (zumindest noch vor Aufspaltung ins Germanische und Romanische), im Deutschen hätte aber darlegen und das Dargelegte noch die ursprüngliche Bedeutung.
Das Wunderbare bei solchen Fragen der Definition ist ja, dass man sie in der Regel leicht lösen kann, indem man einfach nachschlägt. Da muss man sich gar nicht lange herumstreiten, wer nun recht hat.

Wiki sagt zu "Logos" folgendes:

Der altgriechische Ausdruck logos (maskulin; griechisch λόγος lógos, lateinisch verbum, hebräisch דבר davar) verfügt über einen außerordentlich weiten Bedeutungsspielraum. Er wird unspezifisch im Sinne von Wort und Rede sowie deren Gehalt („Sinn“) gebraucht, bezeichnet aber auch das geistige Vermögen und was dieses hervorbringt (z. B. „Vernunft“) wie auch ferner ein allgemeineres Prinzip einer Weltvernunft oder eines Gesamtsinns der Wirklichkeit. Darüber hinaus existieren – je nach Kontext – noch spezifischere Verwendungen, beispielsweise als „Definition, Argument, Rechnung“ oder „Lehrsatz“. Auch philosophische und religiöse Prinzipien werden mit dem Ausdruck lógos bezeichnet, beispielsweise in den Fragmenten Heraklits und in Texten stoischer Philosophie sowie jüdisch-hellenistischer und christlicher Herkunft.

Das Lexem -log- findet sich auch im Namen der philosophisch-mathematischen Disziplin der Logik, in der Endung -logie zur Bezeichnung von Wissenschaften (z. B. „Kosmologie“) und in zahlreichen Fremdwörtern (z. B. „Analogie“).

Innerhalb der antiken Geistesgeschichte gibt es die griechische Entwicklung vom Mythos hin zum Logos ( es existiert ein gleichnamiger Artikel des Altphilologen Bruno Snell), der beschreibt, wie die Griechen von einer mythischen Auffassung der Welt, wie sie z.B. noch bei Homer oder Pindar zu finden ist, sich zu einer rational-naturkundlichen verändert hat, die die Welt in Katgeorien der Logik und Naturwissenschaft darstellt. Das ist einfach eine bestimmte geistesgeschichtliche Entwicklung gewesen, die die Griechen freilich sehr modern machte. Während in Galiläa, wo Jesus dem Neuen Testament nach noch Dämonen in Schweine fahren ließ, die sich dann von einer Klippe stürzten, berichtet wird, haben in Griechenland die Naturforscher bereits die Strecke zwischen Erde und Sonne erstaunlich genau berechnet und vermutlich Archimedes einen Apparat erschaffen (der Mechanismus von Antikythera), mit dem man Mond- und Sonnenfinsternisse und die kalendarischen Daten der Olympischen Spiele rein mechnaisch berechnen konnte. Will sagen: die Griechen waren den Hebräern ihrer Zeit unendlich überlegen ...

Antworten