Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Philosophisches zum Nachdenken
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Savonlinna
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#21 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Savonlinna » Mo 24. Nov 2014, 09:27

closs hat geschrieben:Natürlich gibt es nichts, was ein Mensch macht, was nicht irgendwie mit seiner Psyche zu tun hätte - jedes Werk in Literatur und Musik ist biografistisch koloriert. Aber deswegen macht man so etwas nicht. - In diesem Sinne: Dass Descartes auf dieses sein Thema gestoßen ist, mag man psychologisch begründen - aber das heisst nicht, dass seine Aussagen psychologischer Natur sind. -
Das ist richtig. Aber so meinte ich das auch nicht. Ich meinte nicht das Biographische. Da bin ich selber allergisch gegen, wenn jemand ein psychisches Geschehen - das als Menschliches gemeint ist - auf Biographisches reduziert oder erklärt.

closs hat geschrieben:In anderen Worten: Descartes meint seine Worte genauso philosophisch wie Augustinus, der 1000 Jahre zuvor fast wörtlich auf das selbe Ergebnis kommt.
Ja, natürlich. Das war auch nicht mein Punkt.

closs hat geschrieben:Und jetzt sind wir exakt beim Unterschied zwischen Metaebene und Disziplin - auf der Metaebene versucht man zu klären, wie Systeme funktionieren und auf welchen Voraussetzungen sie fußen. - Auf der Disziplinsebene versucht man zu klären, wie ein Sachverhalt im Sinne des eigenen Wahrnehmungsausschnitts zu bewerten ist.

In diesem Sinne ist die Feststellung, dass es ein Zusammenfallen von Subjekt und Objekt gibt, wenn das Ich das Ich ontologisch bewertet, ein nüchterner logischer Vorgang - die Frage lautet NICHT "Wer bin ich?", sondern "Bin ich?". - Und die Antwort auf die Frage "Bin ich?" ist - das wäre die Kernaussage - die einzige Seins-Frage, die für den Menschen sicher mit "JA" beantwortet werden kann.
Hier kann ich nicht einmal verstehen, was Du sagst.
Du hast Dich ausdrücklich auf einen historischen Vorgang bezogen. Descartes sagte bzw. schrieb in einem Buch: "Cogito, ergo sum". Das hast Du - in meinen Augen - umfunktioniert zu einem überhistorischen Ereignis, so in etwa wie:

'Seit Jesus starb, habe sich die Welt kategorial verändert. Seitdem sei nichts mehr, wie es gewesen sei. Seitdem gebe es eine neue Kategorie, und alles müsse neu gesehen werden.'
Du sagtest doch: Alles sei menschlich, nur diese eine Aussage von Descartes falle aus allem Menschlichen heraus.

Damit wird etwas vergöttlicht, wo ich noch nicht einmal den Grund nachvollziehen kann.
Was ich begreifen könnte, ist, wenn man sagt:
Mit der Legende um Jesu Tod und Auferstehen sei - innerhalb einer bestimmten Kultur - eine neue "Seinsdimension" aufgedämmert.
Aber bei Descartes' armseligem Zweifel? Bloß, weil er sich klar gemacht hat, dass aller Zweifel genauso gut auch weggeschoben werden kann und man sich ausruhen kann in der Gewissheit, dass Gott einen schon nicht täuschen werde?
Was daran ist würdig, in eine neue Kategorie umzuschlagen?

closs hat geschrieben:Lautete die Frage "Stimme ich im Alltag mit mir überein?" wäre das eine psychologische Frage und keine ontologische mehr - dementsprechend könnte man sie psychologisch oder theologisch oder sozialwissenschaftlich beantworten (lassen).
Wie gesagt: Darum ging es mir nicht. Natürlich fragt sich Descartes auf philosophische Weise: Kann alles ein Irrtum sein? Aber seine Antwort ist keine logische, gehört nicht in die Logik. Sondern ist insofern psychologisch, als er ein bisschen trickst.
Ich glaube zwar, dass ich hier beim Formulieren ein bisschen rumeiere, kann es aber im Moment nicht besser.

closs hat geschrieben:Was hier wieder durchbricht (auch das wäre ein ganz neues Thema), ist folgendes: Beim genauen Durchlesen des AT in der Buber-Übersetzung ist mir im Vergleich mit üblichen renommierten Übersetzungen aufgefallen, dass Buber phänomenologisch übersetzt ("Es-ist-so"), während die üblichen europäischen Übersetzungen wertend übersetzen ("Es-ist-so-weil"). - Ersteres wäre (im Sinne der hier verwendeten Begriffsbesetzung) ontologisch übersetzt, das andere nicht.
Und genau das meinte ich letztendlich: Dass es eine ungeheure Gefahr ist, einfach Psychologisches als "Fakt" zu übersetzen. Dann kann ich jede nationale Eigenart als "Fakt" uminterpretieren, wo es doch nur ein Vorurteil ist.

Das habe ich irgendwann mal durch Georg Lukács kapiert. Es werden Sachen als "ewig vorhanden" behauptet, wo sie doch nur historische Wurzeln haben und abgestreift werden können.
Gerade durch das Christentum war ich des öfteren in furchtbaren Sackgassen. Da wurde als Fakt behauptet, dass der Mensch determiniert sei, entweder zum Guten oder zum Bösen.
Noch schlimmer das definierte Menschenbild: "die Grenzen" der Menschheit.

Diese als wesenhaft vorhandenen "Grenzen" entpuppten sich dann für mich als keineswegs "wesenhaft", sondern als historisch entstandenes Menschen- und Gottesbild.
Sie sind durch freie Tätigkeit des Menschen als historisches durchschaubar und dadurch veränderbar.
Lukács war der große Befreiungsschlag für mich. Er hat mich "erlöst" von diesen ewigen Werten.

Es kann sein, dass Du es noch immer anders meintest. Aber was ich zur Zeit heraushöre:
Du willst etwas zur Kategorie stempeln, damit es nicht mehr hinterfragt werden kann.
Du willst etwas als logischen Vorgang stempeln, was nur ein allzumenschlicher ist.

Da Du das nicht begründest, wieso das Cogito ergo sum eine kategoriale Aussage sei, sondern davon als Fakt auszugehen scheinst - ist das für mich kein philosophischer Vorgang mehr. Sondern ein ideologischer.

Erkennbar für mich vor allem an diesem Deinen Satz:

closs hat geschrieben: In diesem Sinne ist die Feststellung, dass es ein Zusammenfallen von Subjekt und Objekt gibt, wenn das Ich das Ich ontologisch bewertet, ein nüchterner logischer Vorgang - die Frage lautet NICHT "Wer bin ich?", sondern "Bin ich?". - Und die Antwort auf die Frage "Bin ich?" ist - das wäre die Kernaussage - die einzige Seins-Frage, die für den Menschen sicher mit "JA" beantwortet werden kann.
Sie kann es eben nicht! Sie kann es nur, wenn man alle Bedenken wegschiebt und etwas als logische Notwendigkeit behauptet, was keine Frage der Logik WAR.

Das wäre die Position der logischen Wissenschaften: Ich lege etwas in einen Begriff und zeige dann auf, dass nur das, was ich in den Begriff gelegt habe, im Begriff drin ist.
In dem Moment, wo man das aber auf die Humanwissenschaft überträgt - wo man logische Begriffsverhältnisse auf menschliches philosophisches Fragen überträgt -, wird der Mensch eingekesselt in logische Zusammenhänge.

Dann passiert genau das, was ich oben beschrieben habe: es wird zu einer kategorialen Wahrheit erhoben, was historisch entstanden ist.
Denn die Antwort auf die Frage, ob der Mensch überhaupt wirklich sei, kann selbstverständlich auch mit "nein" beantwortet werden.

Hier scheint jetzt zwischen uns genau das abzulaufen, was Du zu Pluto in anderem Zusammenhang gesagt hast: hier laufe die Wasserscheide zwischen naturwissenschaftlichem und geisteswissenschaftlichem Denken.
Du übernimmst die Position von ersterem, ich die von zweiterem.

Darum ist es vielleicht jetzt auch sinnlos geworden, darüber noch zu philosophieren. Es ist Deine Setzung, dass Ontologie etwas Wesenhaftes ist, während ich diese Setzung tief hinterfrage, ihr grundlegend misstraue. Eben weil es eine verschleierte Ideologie ist, so wie ich es verstehe.
Darüber kann man dann auch nicht mehr diskutieren; oder könnte es nur, wenn es überhaupt noch zur Disposition steht.


Hoffnung besteht höchstens in dem von mir in den letzten Tagen beobachteten Phänomen:
dass Pluto gegen Dich mitunter Argumente bringt, die sonst Du vertrittst. Und umgekehrt: Du vertrittst - in letzterem post zum Beispiel - Argumente, die sonst Pluto vertritt.

Dieses Phänomen taucht nicht selten in Diskussionen auf, weil man eigentlich beide Seiten in sich hat. Und je nachdem, was der andere sagt, bringt man die Gegenposition ins Spiel.
Das war mein Beitrag jetzt zum "Prinzip Hoffnung". :)


Nachtrag:
Ich habe offenbar den zweiten Teil Deines posts übersehen.
Das lese ich dann ein andermal.

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Savonlinna
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#22 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Savonlinna » Mo 24. Nov 2014, 09:56

Teil II

closs hat geschrieben: Das genau scheint ein Problem unserer Epoche zu sein: Man lässt Sachen nicht stehen, sondern siebt sie erst mal durch sich als Ego durch - es geht einem nicht um ehrfürchtiges "Mit-Wissen" ("con-scientia") dessen, was man wahrnimmt, sondern man zieht es neurotisch oder einfach über Generationen eingeübt durch den eigenen Senf und sagt DANACH: "Da steht es doch".
Das hat aber jetzt rein gar nichts mit dem zu tun, was ich geschrieben habe, oder?
Ich sehe diesen Punkt doch genauso wie Du.

closs hat geschrieben:Es geht also ums Ich und nicht um die Wahrheit.
Und auch hier meinst Du, dass auf dieser Ebene mein Widerspruch erfolgt sei?

closs hat geschrieben:Das kann man alles machen (und tut es unwillkürlich im Alltag auch) - aber: Man darf es eben nicht mit dem Etikett "ontologisch" versehen. -
Aber außer Dir hat doch gar keiner von Ontologie gesprochen?
Wen genau hast Du jetzt im Visier?

closs hat geschrieben:Nicht-ontologisch, sondern disziplinär gefärbt wäre, wenn man sagen würde: "Was sehe ich eigentlich unter psychologischen Gesichtspunkten, wenn ich micht reflektiere?". Nicht-ontologisch wäre auch, wenn man sagen würde "Was nicht prinzipiell falsifizierbar ist, ist nicht Sein/"Realität"". - In beiden Fällen ersetzt man die nüchterne Beschäftigung mit Sein oder Nicht-Sein durch eine disziplinär kolorierte Form der Beschäftigung. - Das kann man tun, muss man sogar tun, wenn man pragmatisch weiterkommen will - das ist nicht das Problem. - Das Problem scheint zu sein, dass es außer Mode geraten ist, die unterschiedliche Kategorialität dieser Denkweisen "ontologisch - nicht-ontologisch" zu erkennen.
Ich vermisse eine dritte Sichtweise. Was Du als Gegenseite empfindest, ist auf jeden Fall nicht meine Position. Ich vertrete eine andere, die Du mit Deiner Gegenseite verwechselst.
Was Du als ontologisches Denken verstehst, ist mit Fug und Recht "außer Mode" geraten. Es musste durchschaut werden, weil es Menschen kaputt machte.

closs hat geschrieben:Und das hat dann sehr wohl mit der (Thread-)Frage zu tun, was (im christlichen Sinne: ebenbildlicher) Geist ist. - Denn im christlichen Sinne wäre dieser Geist diejenige Kraft, die den Menschen vom Ego wegführt in das "Mit-Wissen" ("con-scientia" = Mit-Wissen/Bewusstsein/Gewissen) bezüglich der Schöpfung und somit in das "Mit-Wissen" an Gott. - Und das funktioniert NICHT, wenn man disziplinäre Systeme zum Maßstab nimmt - sie sind als Hilfsmittel gemeint. - Es funktioniert nur über das ich-distanzierte "Was IST?"/"Was strömt auf mich ein?"/"Wie lasse ich es sein, was es ist, ohne es durch eigenes Dazwischendrängen zu kontaminieren?".
Was ich heraushöre: Du willst mit einer logischen Diszplin - in einem Begriff darf nur das sein, was man in ihn hineingelegt hat - die Notwendigkeit von christlichem Gewissen begründen.
Du merkst, ich verstehe Bahnhof. 8-)

Denn plötzlich benutzt Du "ego" offenbar im Sinn von Descartes und wertest es ab.

closs hat geschrieben:Sind solche Gedanken im 21. Jh. noch vermittelbar?
Ich habe auch meine liebe Not - in einem anderen Forum mit anderen Themen - zu vermitteln, dass es menschliche Fragen gibt, die aus einer menschlichen Problematik schlechthin erwachsen und nicht biographisch und individualpsychologisch zu erklären sind.
Es ist mir bislang nicht gelungen, das zu vermitteln, nur ganz wenige verstehen, wovon ich rede.
Es hat sich tatsächlich in den letzten Jahrzehnten etwas verändert in punkto Begreifen.

Aber so wie ich Dich verstehe - zumindest aus Deinen letzten Beiträgen - negierst Du sehr wesentliche Fortschritte im Verstehen des Menschen; negierst letztlich auch Kant und erneuerst die Position des mittelalterlichen philosophischen Denkens.
Darüber aber habe ich ja schon im letzten post geschrieben.

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#23 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von closs » Mo 24. Nov 2014, 10:21

Zunächst einmal: Es macht große Freude, mit Dir zu diskutieren - dieses Forum gewinnt durch Leute wie Dich - und es werden immer mehr.

Savonlinna hat geschrieben: Da bin ich selber allergisch gegen, wenn jemand ein psychisches Geschehen - das als Menschliches gemeint ist - auf Biographisches reduziert oder erklärt.
OK - verstanden. - Natürlich sind Biografisches und Psychisches unterschiedlich - da habe ich nicht darauf geachtet, weil es mir um die Gegenüberstellung von ontologischer Objektivität und persönlicher Subjektivität ging. - In diesem Sinne sind Biografisches und Psychisches subjektiv (auch dann, wenn man es objektiov per Wissenschaft untersucht).

Savonlinna hat geschrieben:Du hast Dich ausdrücklich auf einen historischen Vorgang bezogen. Descartes sagte bzw. schrieb in einem Buch: "Cogito, ergo sum". Das hast Du - in meinen Augen - umfunktioniert zu einem überhistorischen Ereignis
Ja - die Historie ist der Anknüpfungspunkt, das in der Historie Gesagte ist entweder historischer Natur oder grundlegender/überhistorischer Natur.

Savonlinna hat geschrieben:'Seit Jesus starb, habe sich die Welt kategorial verändert. Seitdem sei nichts mehr, wie es gewesen sei. Seitdem gebe es eine neue Kategorie, und alles müsse neu gesehen werden.'
Bezogen auf Jesus hat sich wahrnehmungs-mäßig etwas geändert - nicht ontologisch. - Denn der Mensch "ist" über-zeitlich erlöst - die neue Kategorie durch das NT besteht darin, dass dies ab einem Zeitpunkt x erkennbar ist.

Savonlinna hat geschrieben:Bloß, weil er sich klar gemacht hat, dass aller Zweifel genauso gut auch weggeschoben werden kann und man sich ausruhen kann in der Gewissheit, dass Gott einen schon nicht täuschen werde?
Der Anlass, warum Descartes oder Putchen Brammel so etwas sagt, ist geistig komplett irrelevant. Daraus kann man allenfalls schließen, dass eine besondere Situation kommen musste, dass jemand so etwas sagen kann.

Die Aussage selbst ist es, die meines Erachtens objektiven und logischen Charakter hat: "Wenn ICH erkenne, dass ICH bin, kann es keine Täuschung sein, weil das erkennende ICH und das erkannte ICH identisch sind". - Vielleicht besteht unser Missverständnis darin, dass Du meinst, damit sei ein Erkennen gemeint im Sinne von "Erkenne Dich selbst", etc. - Nein, so ist es nicht gemeint - es ist rein ontologisch gemeint im Sinne von: "Das Sein des Ichs erkennt, dass es ein Sein ist" - ohne jeglichen weiteren Bewertungen ("Bin ich aber ein Versager"/"Bin ich aber ein toller Hecht") - es geht darum, dass der Mensch erkennt: "Ich-bin" (und das macht ihn zum geistigen Wesen im Sinne seines Ursprungs, der auch so heisst: "Jahwe = Ich-bin").

Savonlinna hat geschrieben: Es werden Sachen als "ewig vorhanden" behauptet, wo sie doch nur historische Wurzeln haben und abgestreift werden können.
Jegliches Sein ist "ewig vorhanden" - Sein kann man nicht abstreifen - was man abstreifen kann, sind historische Wahrnehmungen/Bewertungen des Seins.

Savonlinna hat geschrieben:Gerade durch das Christentum war ich des öfteren in furchtbaren Sackgassen. Da wurde als Fakt behauptet, dass der Mensch determiniert sei, entweder zum Guten oder zum Bösen.
Genau - das sind Wahrnehmungs-/Bewertungs-Unverschämtheiten, die man abstreifen sollte. - Das hat aber nichts mit "Sein" zu tun.

Savonlinna hat geschrieben:Lukács war der große Befreiungsschlag für mich. Er hat mich "erlöst" von diesen ewigen Werten.
Ich weiß nicht, was Lukács im Sinne hatte - spontan spüre ich hier ein Missverständnis (korrigiere mich bitte): Lukács wollte von betonierten Bewertungen des Seins befreien, die nie ewigen Charakter hatten, sich aber im schlimmtsen Fall so ausgegeben haben. - Hieße dies, dass es deshalb ewige Wertee ontologisch nicht gäbe?

Savonlinna hat geschrieben:Du willst etwas zur Kategorie stempeln, damit es nicht mehr hinterfragt werden kann.
Das wäre ein Missverständnis - alles, was Wahrnehmung/Wertung ist, muss immer hinterfragbar sein - nicht nur aus Kritiksucht, sondern auch zur Annäherung: "Erwirb es, um es zu besitzen" (Goethe).

Was ich wirklich "stempeln" will, ist der kategoriale Unterschied zwischen Sein und Wahrnehmung/Wertung. - Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose - egal ob sie gut riecht, stinkt oder mit einem anderen Namen versehen wird. - Mit geht es immer wieder nur um den Unterschied zwischen Sein und Wahrnehmung/Wertung.

Muss jetzt abbrechen - Pflichten rufen. :geek:

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#24 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Pluto » Mo 24. Nov 2014, 10:46

closs hat geschrieben:Die Aussage selbst ist es, die meines Erachtens objektiven und logischen Charakter hat: "Wenn ICH erkenne, dass ICH bin, kann es keine Täuschung sein, weil das erkennende ICH und das erkannte ICH identisch sind".
Doch, doch...
Weil er an Gott glaubte, erkannte Descartes selbst, dass er einen wohlwollenden Gott voraus setzen musste, damit seine Schlussfolgerung in der Logik aufgeht. Ein missgünstiger Gott, oder ein Gott der nicht von der Logik begrenzt ist, könnte sie vereiteln.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#25 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Savonlinna » Mo 24. Nov 2014, 14:40

closs hat geschrieben:Zunächst einmal: Es macht große Freude, mit Dir zu diskutieren - dieses Forum gewinnt durch Leute wie Dich - und es werden immer mehr.
Danke, closs. Das ist nett, dass Du das schreibst. Aber ich kann das so auch zurückgeben: man kann in diesem Forum eben auch diskutieren; es gibt hier Leute, die aufeinander zugehen und auch mehrdimensional denken.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Da bin ich selber allergisch gegen, wenn jemand ein psychisches Geschehen - das als Menschliches gemeint ist - auf Biographisches reduziert oder erklärt.
OK - verstanden. - Natürlich sind Biografisches und Psychisches unterschiedlich - da habe ich nicht darauf geachtet, weil es mir um die Gegenüberstellung von ontologischer Objektivität und persönlicher Subjektivität ging.
Mir scheint schon klar, dass Du meinst, ich würde Deinen Punkt nicht verstehen.
Ich weiß selber nicht genau, ob ich ihn sehr wohl verstanden habe, nur nicht vermitteln kann, dass er nicht wertfrei ist, sondern Verwechslung von Objektivität mit verschleierter Subjektivität ist, und damit auch gefährlich ist, weil da mit falschen Karten gespielt wird, ohne dass es gemerkt wird
- oder ob ich ein Brett vor'm Kopf habe.

Die dritte Möglichkeit ist - an die ich noch am ehesten glaube -, dass Du etwas meinst, was ich ganz genauso sehe, Du es aber in Begrifflichkeiten packst, die ich nicht als wertfrei ansehen kann.

closs hat geschrieben:- In diesem Sinne sind Biografisches und Psychisches subjektiv (auch dann, wenn man es objektiov per Wissenschaft untersucht).
Wissenschaft untersucht sie ja nicht objektiv. Der Untersucher ist immer mit drin im Resultat. Sonst würden ja nicht so viele unterschiedliche Schulen innerhalb der Psychologie existieren. Wir sind hier im Bereich der Humanwissenschaften.

closs hat geschrieben: Die Aussage selbst ist es, die meines Erachtens objektiven und logischen Charakter hat: "Wenn ICH erkenne, dass ICH bin, kann es keine Täuschung sein, weil das erkennende ICH und das erkannte ICH identisch sind". - Vielleicht besteht unser Missverständnis darin, dass Du meinst, damit sei ein Erkennen gemeint im Sinne von "Erkenne Dich selbst", etc. - Nein, so ist es nicht gemeint - es ist rein ontologisch gemeint im Sinne von: "Das Sein des Ichs erkennt, dass es ein Sein ist" - ohne jeglichen weiteren Bewertungen ("Bin ich aber ein Versager"/"Bin ich aber ein toller Hecht") - es geht darum, dass der Mensch erkennt: "Ich-bin" (und das macht ihn zum geistigen Wesen im Sinne seines Ursprungs, der auch so heisst: "Jahwe = Ich-bin").
So oft ich das auch durchlese - ich sehe immer den gleichen Grundfehler. Du kannst mir ja nie erklären, was "Ontologie" überhaupt ist. Du behauptest nur, dass es ausreicht, das Wort "Ich" auszusprechen, und schon sei "Ich" eine ontologische Größe und habe logischen Charakter.

Von den Begriffen selber kann ich das ohne Mühe unterschreiben. Nur sind es dann eben hohle Begriffe, von rein logischer Substanz.
Im Mittelalter haben sie genauso argumentiert. Weil es das Wort Gott gibt, muss es auch Gott selber geben.

Dieser mittelalterliche "Realismus" - im Gegensatz zum "Nominalismus" - ist für mich eine Scheinaussage.

Abgeleitet ist der ja von Platos Urbildern, die ich im Übrigen viel besser verstehen kann als die rein logische Debatte über Wörter.

Ich hatte den Eindruck, dass die Tiefe Platos bezüglich seiner Urbilder von den rein rational orientierten Scholastikern nicht erkannt wurde.
Ob das aber mit dem, was Du unter Ontologie verstehst, zusammenhängt, weiß ich so genau dann aber auch wieder nicht.

Es ist ja nicht so, dass ich keinen Zugang zu Abstraktem habe. Im Gegenteil, ich bin ursprünglich ein völlig abstrakt denkender Mensch gewesen. Das hat mich aber nach und nach dermaßen in qualvolle existentielle Probleme gebracht, woraus ich mich eine Weile nur noch durch Selbstmord befreien zu können glaubte, dass ich gezwungen war, diesen Nonsens als Nonsens zu erkennen.

Noch einmal zu Deinem Dir wichtigen Satz:
"Wenn ICH erkenne, dass ICH bin, kann es keine Täuschung sein, weil das erkennende ICH und das erkannte ICH identisch sind"

Da liegt zwar eine rein lautliche Identität vor - dreimal dieselben Buchstaben - aber keine inhaltliche. Du verweigerst die Begriffsanalyse. Du siehst nur die Buchstaben und meinst, da liegt eine echte Identität vor.
Subjekt und Objekt sind nun aber mal nicht identisch, auch durch Umformulierung nicht. Auch nicht durch die Behauptung, dass das erkennende und das erkannte Ich dasselbe ist. Es ist es nicht.


closs hat geschrieben: es geht darum, dass der Mensch erkennt: "Ich-bin" (und das macht ihn zum geistigen Wesen im Sinne seines Ursprungs, der auch so heisst: "Jahwe = Ich-bin")
Würdest Du den Umweg über die Ontologie nicht gehen - und hättest Du geschrieben "Ich bin, der ich bin" -, hätte ich diese Aussage längst unterschrieben.
Denn das entspricht meinem Grundempfinden. Wir alle sagen Ich zu uns selber und nur zu uns selber. Jeder, oder zumindest viele, kennen dieses Ichgefühl, und darum weist dieses über die eigene Person hinaus. Wir sind alle unterirdisch miteinander verbunden dadurch, dass dieses gemeinsam ist.

Dieses Allumfassende - das von unserem Ich-Bewusstsein ausgeht - kann zu dem Gedanken führen - hat mich jedenfalls dazu geführt -, dass die Gottesvorstellung vermutlich darin wurzelt.

Dass Jahwe übersetzt heißt - "Ich bin, der ich bin" - hat mich darin bestätigt. Dadurch, dass Du anders übersetzt - "Ich bin" - bist Du offenbar auf Ontologie gekommen. Du scheinst dieses "sein" als Vollverb aufzufassen, ich hingegen als Prädikativum: Ich bin einfach nur der, der ich (gerade) bin. Es wird da keine Existenz im ontologischen Sinne behauptet, nach meinem Verstehen, sondern eine Art Schnörkellosigkeit, Geradlinigkeit. Alles, was ist, ist wahr - könnte man auch sagen. Einfach, weil es da ist, und sei es die größte Illusion. Sie ist genauso wahr.

Mein alter Vater, als er begann, leicht dement zu werden, bestand auch darauf, dass man seine komischen Gefühle einfach als authentisch versteht - denn er fühle sie ja.

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#26 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von closs » Mo 24. Nov 2014, 15:20

Pluto hat geschrieben:Weil er an Gott glaubte, erkannte Descartes selbst, dass er einen wohlwollenden Gott voraus setzen musste, damit seine Schlussfolgerung in der Logik aufgeht. Ein missgünstiger Gott, oder ein Gott der nicht von der Logik begrenzt ist, könnte sie vereiteln.
Aus meiner Sicht hat sich Descartes hierbei geirrt - wie wäre es, wenn wir nicht Descartes beurteilen würden, sondern den Inhalt seines Satzes? - "Was bedeutet dieser Satz, egal ob er von Augustinus, Descartes oder Müller-Lüdenscheid stammt".

Wie könntest Du Dich, Pluto, irren, wenn Du sagst: "Ich-bin"?

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#27 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von closs » Mo 24. Nov 2014, 15:39

Savonlinna hat geschrieben: Du kannst mir ja nie erklären, was "Ontologie" überhaupt ist.
Dadurch, dass Du Dich vertraut zeigst mit Platons Ideenlehre und den Universalienstreit, wird es vielleicht leichter: Genau das ist es - wobei mir der kategoriale Unterschied zwischen den "Ideen"/"absoluten Entitäten" Platons und den "Realien" der Mittealtler nicht ganz einleuchtet - ich meine, dass mit beidem dasselbe gemeint ist.

Savonlinna hat geschrieben: Im Gegenteil, ich bin ursprünglich ein völlig abstrakt denkender Mensch gewesen. Das hat mich aber nach und nach dermaßen in qualvolle existentielle Probleme gebracht
Verstehe ich - dieses Problem habe ich dadurch gelöst, dass ich meine akademische Laufbahn abrupt beendet habe, das Rigorosum geschwänzt habe und mich somit um das Etikett eines "Dr." gebracht habe, weil ich so tief im Geist verschiedener Zeiten war, dass ich nicht mehr wusste, welche Jahreszeit in meiner Gegenwart war - ernsthaft. - Meine Erdung bestand in einer 6-köpfigen Familie und einem Brotberuf in der (sog.) "Freien Wirtschaft", weil es dort nur um Überleben geht und nicht um Überdenken.

Savonlinna hat geschrieben:Subjekt und Objekt sind nun aber mal nicht identisch, auch durch Umformulierung nicht.
Das hieße, dass derjenige, der sich als "Ich" bezeichnet, ein anderer wäre, als derjenige, den er als "Ich" bezeichnet? :?:

Savonlinna hat geschrieben: Du scheinst dieses "sein" als Vollverb aufzufassen
So ist es. - Heidegger hat deshalb das Wort "wesen" kreiiert, um das Vollverb vom Hilfsverb zu unterscheiden - also "Ich erkenne, dass ich wese".

Savonlinna hat geschrieben:Ich bin einfach nur der, der ich (gerade) bin.
Nee - das meine ich nicht. - Das klingt so nach - mal bin ich so drauf, mal anders.

Savonlinna hat geschrieben:Einfach, weil es da ist, und sei es die größte Illusion. Sie ist genauso wahr.
Das klingt wieder ontologisch - allein die Existenz dessen, was "west". - Da hatte Dein Großvater recht - selbst wenn er es nicht philosophisch gemeint hat. - Aber Du weißt ja: Werdet wie die Kinder.

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#28 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Pluto » Mo 24. Nov 2014, 16:49

closs hat geschrieben:Wie könntest Du Dich, Pluto, irren, wenn Du sagst: "Ich-bin"?
Kann ich nicht. Geist, Gehirn und Körper sind so miteinander verwoben, dass sie eine Art Dreeinigkeit bilden. So muss ich zugestehen, dass "ich bin" in jeden Fall richitg ist. Nur... auf was bezieht sich dieses "ich bin"?

Eines gestehe ich dir NICHT zu:
Dass diese Aussage irgendwie nur geistig verstanden werden müsste. Für mich kann sich die Aussage nur auf den Organismus als Ganzheit beziehen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#29 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Pluto » Mo 24. Nov 2014, 18:38

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: So mus ich zugestehen, dass "ich bin" in jeden Fall richitg ist.
Um mehr geht es nicht, dass die Wahrnehmung "Ich-bin" systemfrei "real" ist - mir wäre keine andere Aussage bekannt, bei der das so ist.
Du reißt mein Zitat aus dem Kontext. "Ich bin" kann man nur ganzkörperlich sehen. Nur geistig geht nicht, weil Geist und Körper unzertrennlich sind.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Nur... auf was bezieht sich dieses "ich bin"?
Das ist streng genommen mehr keine ontologische Fragestellung mehr, die damit beantwortet ist, ob etwas zweifelsfrei "ist" oder nicht. - Die Aussage "Dort steht ein Auto" wäre in diesem Sinne NICHT zweifelsfrei
Im praktischen Sinne eben schon, vor allem dann wenn ich in das Auto einsteige und losfahre.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#30 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Pluto » Mo 24. Nov 2014, 18:54

closs hat geschrieben:Wenn ein Greis Dinge plötzlich ohne große Systematik unmittelbar wahrnimmt, hat das etwas mit Seins-Echtheit zu tun.
Ich verstehe nicht wie das gehen soll.
Gilt es auch dann, wenn der Greis von seinen Spaziergang im Wald mit dem FSM erzählt?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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