Was versteht man unter Weisheit?

Philosophisches zum Nachdenken
Rembremerding
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#1 Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Rembremerding » Fr 22. Jul 2016, 16:56

Weisheit kann theologisch und philosophisch betrachtet werden. Meist baut das eine auf das andere auf und durchdringt sich. Zu Anfang ist Weisheit mehr ein spiritueller Begriff, der den Göttern und Gott zugeordnet wird. Aber natürlich hat die Lebenserfahrung auch Lebensweisheiten generiert.
Seit New Age schien Weisheit ein Importartikel aus Ostaseien zu sein. Später wurden auch die Weisheiten der Christentumsgeschichte wiederentdeckt. Man sagt auch, dass nur spirituelle Menschen weise sein können, ob sie nun gläubig sind oder nicht.

Man kann sich heute auch die Frage stellen: Wozu braucht man Weisheit, wenn man exakte Wissenschaft hat? Was hat sie, was diese nicht hat?
Was unterscheidet die Weisheit von Klugheit?
Deshalb sollte man zuerst definieren, was man unter Weisheit versteht. Hier ein paar Eigenschaften, die jeder ergänzen kann:

Weisheit ist nicht Logik. Logik ist folgenlos.
Weisheit hat mit dem Herzen zu tun, mit ganzheitlicher, auch den Willen erfassender Einsicht, mit Wahr-Nehmung.
Weisheit ist ein Bewusstmachen, das manchmal drastisch ausfallen kann. Sie sagt "wie es ist", schonungslos, realistisch.
Weisheit erschließt Erfahrungen, erhellt bestimmte Dinge, sieht etwas im Zusammenhang des ganzen Lebens.
Der Weise ist verständig, der Intelligente klug. Dazu sagt der hl. Bernhard: "Ein Weiser (lat. sapiens!) ist, wem die Dinge so schmecken (lat. sapere), wie sie sind"

So sind Weisheiten oft voller Pointen, unverblümt, lassen eine meist blitzartige Erkenntnis aufkommen, die einen über sich und die Wirklichkeit lächeln lassen.
Vielleicht gelingt es bei dem Begriff Weisheit zu bleiben, ohne dass andere Begriffe in den Vordergrund rücken.

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Pluto
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#2 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Pluto » Fr 22. Jul 2016, 19:40

Hmm... Was versteht man unter Weisheit?

Ich verstehe darunter ein tiefes Verständnis und möglichst vielschichtiges Wissen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#3 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von erbreich » Do 8. Sep 2016, 14:26

Der Palibegriff panna (Buddhismus) wird heute meist mit Weisheit übersetzt. Er beinhaltet zwei der acht Glieder des Pfades zur Leidbefreiung, nämlich:

- Rechte Erkenntnis und
- Rechte Gesinnung
Die rechte Erkenntnis könnte man als den wissenschaftlichen Aspekt der Weisheit sehen, im Sinne der zwei Hauptlehren Buddhas:
- Kern- (Substanz-) losigkeit (beinhaltet auch die Nichtexistenz einer "ewigen Seele") und
- Bedingtheit (schliesst einen Uranfang aus, da aus nichts nicht etwas entstehen kann)
alles Existierenden.

Rechte Erkenntnis allein ist aber noch nicht Weisheit, sie wird es erst im Verbund mit rechter Gesinnung (definiert vor allem als das Freisein von Gier, Hass und Grausamkeit). Im Zusammenhang hier also: Rechte Gesinnung ist der ethische Aspekt der Wissenschaft.

Wissenschaft ohne Ethik ist nicht Weisheit, sondern nacktes Wissen, das für alle möglichen auch unethischen, unmenschlichen Zwecke eingesetzt werden kann. Wissenschaft im Verbund mit hochstehendem, verantwortungsvollem ethischen Bewusstsein, kann ich dagegen durchaus als Weisheit definieren und respektieren .

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#4 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Pluto » Do 8. Sep 2016, 17:13

erbreich hat geschrieben:Rechte Erkenntnis allein ist aber noch nicht Weisheit, sie wird es erst im Verbund mit rechter Gesinnung (definiert vor allem als das Freisein von Gier, Hass und Grausamkeit). Im Zusammenhang hier also: Rechte Gesinnung ist der ethische Aspekt der Wissenschaft.
Was ist rechte Gesinnung? Wer legt so was fest?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Rembremerding
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#5 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Rembremerding » Do 8. Sep 2016, 18:04

erbreich hat geschrieben:
Wissenschaft ohne Ethik ist nicht Weisheit, sondern nacktes Wissen, das für alle möglichen auch unethischen, unmenschlichen Zwecke eingesetzt werden kann. Wissenschaft im Verbund mit hochstehendem, verantwortungsvollem ethischen Bewusstsein, kann ich dagegen durchaus als Weisheit definieren und respektieren .
Dem kann ich zustimmen, doch, um auch die Frage von @Pluto aufzugreifen, was ist das ethische Bewusstsein? Basiert es auf einem vom Menschen vereinbarten Wertesystem? Oder auf ein Sittengesetz, das von außen ihm eingebildet? Hier scheint mir der Unterschied zwischen Altruismus und christliche Nächstenliebe zu liegen. Und hier ist auch der Urgrund, warum der Atheismus irrt.

Die größte Weisheit steckt nicht in den Wissenschaften, sondern im Leben. Die Lebensweisheiten Buddhas und von Jesus zeugen von der genauen und zielsicheren Beobachtung der Menschen und diese Weisheiten möchten davor warnen, das Leben "zu verfehlen".

Das Neue bei Jesus ist, dass die Lebensweisheiten auch zwischen Gott und dem menschlichen Herzen gelten sollen. Etwas, was im Leben gilt, kann auch auf die Beziehung zu Gott übertragen werden. Diese in der Hl. Schrift bildlich erklärten Lebensweisheiten von Jesus, die das Verhältnis des Christen zu Gott ansprechen, sind oftmals provokant, ja skandalös. Doch in Jesus spricht gerade Gott und die Weisheit in Person zu uns.

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#6 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von erbreich » Do 8. Sep 2016, 19:33

Rembremerding hat geschrieben:Dem kann ich zustimmen, doch, um auch die Frage von @Pluto aufzugreifen, was ist das ethische Bewusstsein? Basiert es auf einem vom Menschen vereinbarten Wertesystem? Oder auf ein Sittengesetz, das von außen ihm eingebildet?
Das ist die eine Seite. Dazu Nyanaponika:

Sittlichkeit, welche die Beziehungen des Einzelnen zum Mitmenschen regelt, kann wohl durch Gebote, Regeln und Gesetze gestützt und geschützt und durch die Vernunft begründet werden,..

...und diese Sittlichkeit oder Ethik ist abhängig von der Kultur einer Gemeinschaft, eines Volkes - und je "kleiner" die Erde wird und je globaler die Kultur, umso mehr ist sie abhängig von der Kultur und dem Wertesystem der Menschheit als Ganzem. Aber die Geschichte und für die meisten von uns wohl auch die persönliche Erfahrung lehren uns, dass Gebote und Verbote, Regeln und Gesetze den Menschen nicht in seinem Innersten zu prägen vermögen. Deshalb sagt Nyanaponika weiter:

...doch ihre einzig sicheren Wurzeln liegen in einer wahren Kultur des Herzens.

Und da bin ich mit dir einig, Rembremerding:

Rembremerding hat geschrieben:Die größte Weisheit steckt nicht in den Wissenschaften, sondern im Leben. Die Lebensweisheiten Buddhas und von Jesus zeugen von der genauen und zielsicheren Beobachtung der Menschen und diese Weisheiten möchten davor warnen, das Leben "zu verfehlen".
Ich finde, Jesus und Buddha haben wohl auch gewarnt, mehr noch aber haben sie vorgelebt und gelehrt, was - um beim Thema zu bleiben - gelebte Weisheit konkret sei.

Auf deine Frage, Pluto:

Pluto hat geschrieben:Was ist rechte Gesinnung? Wer legt so was fest?
Rechte Gesinnung lebt in einem kultivierten Herzen, das bedeutet: Das menschliche Herz (oder der menschliche Geist) kann kultiviert werden. Die Herzenskultur kann durchaus ganz unterschiedlich praktiziert werden. Zum Beispiel durch das Gebet zu Gott und durch die innere Zwiesprache mit Jesus, wie es Rembremerding hier beschreibt:

Rembremerding hat geschrieben:Das Neue bei Jesus ist, dass die Lebensweisheiten auch zwischen Gott und dem menschlichen Herzen gelten sollen.
Für den Buddhisten geschieht die Herzenskultur auf dem Weg der meditativen Entfaltung des Herzens, dazu weiter Nyanaponika:

Diese findet in der Buddha-Lehre den denkbar vollkommensten Ausdruck in den vier «Erhabenen Weilungen», oder «Göttergleichen Zuständen» (brahma-vihāra), nämlich: Liebe, Mitleid, Mitfreude und Gleichmut. Darüber gibt die buddhistische Literatur genügende Auskunft. Nur dieses sei noch hierzu bemerkt: Es ist ein tiefes Wohlwollen für alles Lebendige oder (in Nyanatilokas schöner Prägung) die All-Güte (mettā), welche die Grundlage für die anderen drei Eigenschaften bildet, ebenso wie für jedes Veredlungsstreben. Der Jünger der hier gelehrten Achtsamkeits-Schulung wird daher seine Achtsamkeit zunächst darauf zu lenken haben, daß sein Denken, Sprechen und Handeln nie der uneingeschränkten Güte ermangelt. In diesem Sinne heißt es in dem klassischen buddhistischen Text, dem «Lied von der Güte» (Mettā-Sutta):

«Voll Güte zu der ganzen Welt
Entfalte ohne Schranken man den Geist:
Nach oben hin, nach unten, quer inmitten,
Von Herzens-Enge, Haß und Feindschaft frei!
Ob stehend, gehend, sitzend oder liegend,
Wie immer man von Schlaffheit frei,
Auf diese Achtsamkeit soll man sich gründen.
Als göttlich Weilen gilt dies schon hienieden.»


Das ist rechte Gesinnung und sie ist auch die Grundlage für ethisches Verantwortungsbewusstsein im Sprechen und Handeln. Sie wird nicht von jemandem - von aussen - absolut festgelegt und aufdoktriniert, sondern sie entfaltet sich im Geist/Herzen des Menschen, der sich nach ihr sehnt und sie in sich selber realisieren möchte. Weil er seinen Teil zum befriedeten, befreiten und befreundeten Zusammenleben hier auf Erden beitragen will.

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#7 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Pluto » Do 8. Sep 2016, 19:48

erbreich hat geschrieben:Das ist rechte Gesinnung und sie ist auch die Grundlage für ethisches Verantwortungsbewusstsein im Sprechen und Handeln. Sie wird nicht von jemandem - von aussen - absolut festgelegt und aufdoktriniert, sondern sie entfaltet sich im Geist/Herzen des Menschen, der sich nach ihr sehnt und sie in sich selber realisieren möchte. Weil er seinen Teil zum befriedeten, befreiten und befreundeten Zusammenleben hier auf Erden beitragen will.
Ich denke, viele Christen und vermutlich auch Buddhisten, können sich nicht vorstellen wie die "rechte Gesinnung" ohne Gott oder Gebete an Jesus Christus erreicht werden kann.
Doch, dass dies möglich ist beweisen viele Ungläubige, die sich in Demut üben und dadurch auch Liebe, Mitleid und tiefe innere Freude kennen lernen. Ih verstehe nicht wieso dies nicht auch ohne den glauben an das Übernatürliche gehen soll.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#8 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von erbreich » Do 8. Sep 2016, 20:44

Pluto hat geschrieben:Ich denke, viele Christen und vermutlich auch Buddhisten, können sich nicht vorstellen wie die "rechte Gesinnung" ohne Gott oder Gebete an Jesus Christus erreicht werden kann.
Ich praktiziere den Theravada-Buddhismus gemäss der ältesten schriftlichen Überlieferung des Buddhismus, den Lehrreden Buddhas im Palikanon. Da gibt es keine Gebete, nur Meditation. Das geht ohne Gott, ohne Gebete und ohne Jesus Christus.

Doch, dass dies möglich ist beweisen viele Ungläubige, die sich in Demut üben und dadurch auch Liebe, Mitleid und tiefe innere Freude kennen lernen.
Das ist absolut korrekt.

Ich verstehe nicht wieso dies nicht auch ohne den glauben an das Übernatürliche gehen soll.
Die Meditation, die ich praktiziere, arbeitet mit nichts anderem als mit dem Körper, den Gefühlen, den Geisteszuständen und den Geistinhalten. Nichts davon ist "übernatürlich". Und selbst wenn mir während der Meditation ein Gedanke oder auch ein Gebet an Gott oder an Jesus oder an Geistwesen (Devas, Engel) auftaucht, dann erkenne ich dies als Inhalt meines Geistes, und als solcher entsteht und vergeht der wie jede andere Wahrnehmung auch. Auch daran ist nichts Übernatürliches.

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#9 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Rembremerding » Fr 9. Sep 2016, 07:25

erbreich hat geschrieben:
Rechte Gesinnung lebt in einem kultivierten Herzen
Doch woher kommt der Maßstab, der bestimmt, was rechte und unrechte Gesinnung?

Im Folgenden zeigt sich die Bewegung, der ich nur zustimmen kann, vom rein moralischen Altruismus hin zu einer Liebe des Herzens:

Für den Buddhisten geschieht die Herzenskultur auf dem Weg der meditativen Entfaltung des Herzens
Man muss nun erneut fragen: Wie kam das zu entfaltene ins Herz und was ist der Maßstab, was hin zum Guten führt und was nicht? Woher stammt die Sehnsucht das Gute im Herzen zu entfalten und sich auf dem Weg einer Vervollkommnung zu begeben?

Man kann hier von einer Offenbarung der göttlichen Weisheit für den Menschen sprechen.

Als Christ-auf-dem-Weg muss ich darum ergänzen:
Für den Christen geschieht die Herzenskultur auf dem Weg (der Christus ist) der kontemplativen Einfaltung in das Herz und den Willen Jesu.
Jesus spricht:
Wer sein Leben findet, der wird es verlieren; doch wer sein Leben mir zulieb verliert, der wird es finden. (Mt 10:39 GB)



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#10 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Pluto » Fr 9. Sep 2016, 09:31

Rembremerding hat geschrieben:Doch woher kommt der Maßstab, der bestimmt, was rechte und unrechte Gesinnung?
Selbst ist der Mensch. :mrgreen:
Gott oder JC sind dazu nicht notwendig.

Die Gesinnung kommt, wie erbreich andeutete, sehr wahrscheinlich von Innen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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