Laodizea hat geschrieben: ↑Sa 12. Okt 2019, 19:01
Das Problem ist unser freier Wille!
Gibt es den?
Arthur Schopenhauer sagte trefflich:
"Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will."
Ich definiere den Willen als
bedingt frei:
Ich stelle fest, dass
das Leben sich selber bedingt und
nicht durch irgend eine wie auch immer vorgestellte
unbedingte Kraft oder Macht ausserhalb seiner selbst hervorgebracht und gelenkt wird. Dieses bedingte Werden ist in keiner Weise vorherbestimmt: In jedem Augenblick ist seine Entwicklung vollständig offen. Der Weg, den das Werden nimmt, wird in jedem Moment – mit jedem Geschehen – neu bestimmt.
Ich stelle fest, dass all
unser Tun und Lassen (unser Wille und unsere Entscheidungen) aus Bedingungen entsteht und – wie die Natur, die Evolution, das Leben selber –
nicht durch irgend ein wie auch immer vorgestelltes
unbedingtes Ich oder
Selbst innerhalb oder ausserhalb seiner selbst hervorgebracht und gelenkt wird.
Unser konkretes Handeln hier und jetzt entsteht also – wie alles Geschehen in der Natur – aus Bedingungen. Es geschieht
nicht aus einem
freien (von den Bedingungen, dem Kontext, den Lebensumständen unabhängigen)
Willen.
Verliere ich nun deshalb meine
Identität? Keineswegs! Die absolute Einmaligkeit des bedingten Werdens, das sich in meiner Person verwirklicht und durch mich in die menschliche, irdische, universelle Gemeinschaft hineinwirkt
ist meine persönliche Identität. Durch diese Identität wirkt ein, durch die Bedingungen die diese Identität prägen, geformter Wille.
Die Freiheit meines Seins besteht in der vollständigen Offenheit der möglichen Wege, die mein Werden und Wirken einschlagen kann – analog der vollständigen Offenheit, die der Evolution insgesamt innewohnt. Es ist aber kein
Ich (Ego), das diese Freiheit
besitzt. Und hier begegnet mir
der Egoismus als stetige Prüfung für mein Verhalten. Ein treffliches Bild hierzu gibt Jesus in Gethsemane, wo er den Vater bittet, den Kelch an sich vorbeigehen zu lassen (der selbstbezogene Wille, der sich dem bedingten selbstlosen Willen widersetzen möchte), dann aber die Wahrheit erkennt und den Ego-Willen dem durch das Ganze bedingten Willen unterwirft
("…aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“). Jonas und der Wal sind ein weiteres schönes biblisches Beispiel für diesen Prozess der
Befreiung des Willens von der Selbstbezogenheit. Ist der Wille von der Selbstbezogenheit
frei, dann kann er als
bedingter (durch die Umstände gewordener)
freier Wille bezeichnet werden. Das aus solchem bedingt freien Willen entstandene Tun und Lassen definiert
mich als
freies Individuum. Dieses freie Individuum ist meine
Identität.
In dieser Identität begegne ich meinen Mitmenschen, den Tieren, allem Leben in deren Identität und bin, wie sie auch, gleichzeitig Teil des grossen Ganzen und durch das Ganze und all seine Teile in meiner Identität bedingt.
In
„Ich und Du“ beschreibt Martin Buber seine Sicht des
freien Menschen:
„Der freie Mensch ist der ohne Willkür wollende. Er glaubt an die Wirklichkeit; das heisst: er glaubt an die reale Verbundenheit der realen Zweiheit Ich und Du. Er glaubt an die Bestimmung und daran, dass sie seiner bedarf: sie gängelt ihn nicht, sie erwartet ihn, er muss auf sie zugehen, und weiss doch nicht, wo sie steht; er muss mit dem ganzen Wesen ausgehen, das weiss er. Es wird nicht so kommen, wie sein Entschluss es meint; aber was kommen will, wird nur kommen, wenn er sich zu dem entschliesst, was er wollen kann. Er muss seinen kleinen Willen, den unfreien, von Dingen und Trieben regierten, seinem grossen opfern, der vom Bestimmtsein weg und auf die Bestimmung zu geht. Da greift er nicht mehr ein, und er lässt doch auch nicht bloss geschehen. Er lauscht dem aus sich Werdenden, dem Weg des Wesens in der Welt; nicht um von ihm getragen zu werden: um es selber so zu verwirklichen, wie es von ihm, dessen es bedarf, verwirklicht werden will, mit Menschengeist und Menschentat, mit Menschenleben und Menschentod. Er glaubt, sagte ich; damit ist aber gesagt: er begegnet.“
Über das Problem des (vermeintlich) freien Willens haben sich schon Luther und Erasmus gestritten,
hier zu lesen.
Herzlich, erbreich