Frage & Antwort

Literatur, Malerei, Bildhauerei
erbreich
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#1 Frage & Antwort

Beitrag von erbreich » So 22. Okt 2017, 09:49

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Lena
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#2 Re: Frage & Antwort

Beitrag von Lena » So 22. Okt 2017, 14:40

Lieber Erbreich

Hört sich interessant und doch Rätselhaft für mich an.

Magst Du es mit ein wenig mehr Worten auslegen damit ich verstehe wie Du es meinst?!

Lieben Gruss von
Maria
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

erbreich
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#3 Re: Frage & Antwort

Beitrag von erbreich » Di 24. Okt 2017, 19:32

Liebe Maria

Vor wenigen Tagen ist mir das Buch "Christliche Kontemplation - Ein radikaler Weg der Gottessuche" von Thomas Merton in die Hände gekommen und ziemlich am Anfang des Buches, auf Seite 26, wo er die Kontemplation erklärt bin ich auf eine Stelle gestossen, die mir den obigen Vers erneut zu Bewusstsein gebracht hat, weil er ziemlich genau das sagt, was ich mit diesem Vers auch meine. Besser könnte ich es nicht erklären, deshalb hier also Thomas Merton:

Es ist, als stelle Gott, indem er uns erschafft, eine Frage und wenn wir dann zur Kontemplation erwachen, beantwortet er diese Frage, sodass der kontemplative Mensch Frage und Antwort in einem ist. Das Leben der Kontemplation umfasst folglich zwei Bewusstheitsebenen: erstens die Bewusstheit der Frage und zweitens die Bewusstheit der Antwort. Beide sind zwar unterschiedliche und ganz gewaltig voneinander verschiedene Ebenen, aber tatsächlich sind sie die Bewusstheit ein und desselben. Die Frage ist selbst die Antwort. Und wir selbst sind beides. Aber das können wir erst dann erkennen, wenn wir zur zweiten Art von Bewusstheit gelangt sind. Wir erwachen nicht dazu, um eine von der Frage absolut verschiedene Antwort zu finden, sondern um wahrzunehmen, dass die Frage ihre eigene Antwort ist. Und alles ist in einer einzigen Wahrnehmung zusammengefasst - bei der es sich um keine satzhafte Aussage, sondern um eine Erfahrung handelt: "ICH BIN."

Gruss, erbreich

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#4 Re: Frage & Antwort

Beitrag von Novas » Di 24. Okt 2017, 21:36

Lieber erbreich! Thomas Merton ist eine hervorragende Wahl. Das Buch Christliche Kontemplation: Ein radikaler Weg der Gottessuche habe ich ebenfalls in meinem Besitz. Das ist wirklich eine Perle der Weisheit. Das ist mit großem Abstand eines der bedeutendsten Werke der neuzeitlichen christlichen Mystik und sein Wert ist wirklich unermesslich. Eine schöne Anekdote dazu. David Steindl-Rast lernte ihn persönlich kennen und erinnerte sich an seine letzte Begegnung mit ihm folgendermaßen:

“Wenn ich an meine letzte Begegnung mit Thomas Merton denke, sehe ich ihn vor mir, wie er im Wald steht und auf den Regen horcht. Viel später, als er zu sprechen begann, war es nicht, als hätte er die Stille gebrochen − er ließ vielmehr die Stille zu Wort kommen. Und er horchte weiter. 'Reden ist nicht die Hauptsache', sagte er.”

Gleich am Anfang seiner “Karriere” als Mönch schrieb er diese Worte auf und darin ist eigentlich schon sein ganzes weitere Leben enthalten:

“Es ist sehr gut und schön, nur von Gott besetzt zu sein, einfach in seiner Gegenwart zu sitzen, und den Mund zu halten und allein durch die schlichte Tatsache, dass Gott es liebt, in deiner Seele zu sein, geheilt zu werden”
deutschlandfunkkultur.de: Gott liebt es in deiner Seele zu sein

Diese und viele weitere Worte von ihm erinnern mich an die Aussprüche großer Zen-Meister. Sehr wichtig finde ich auch, dass er geradezu idealtypisch aufgezeigt hat, wie ein moderner Mensch Mönch sein kann: eben nicht in dem er weg rennt, sondern gerade aus dem kontemplativen heraus zum sozialen Engagement übergeht. Merton hat sich damals mit der Friedensbewegung solidarisiert und mit warnender Stimme auf einen möglichen Atomkrieg hingewiesen. Aktion und Kontemplation sind für Thomas Merton die beiden bestimmenden Pole und gehören für ihn untrennbar zusammen, wie das Einatmen und Ausatmen.

Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!«
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!
Johann Wolfgang von Goethe: Faust: Eine Tragödie - Kapitel 6
Zuletzt geändert von Novas am Di 24. Okt 2017, 22:06, insgesamt 2-mal geändert.

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#5 Re: Frage & Antwort

Beitrag von Christian41285 » Di 24. Okt 2017, 21:44

Hallo zusammen! :)

In welche Kategorie steckt ihr Mertens Buch?

Christliche Weisheitslehre?Philosophie?.....?

LG Christian

Novas
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#6 Re: Frage & Antwort

Beitrag von Novas » Di 24. Okt 2017, 21:57

Christian41285 hat geschrieben:In welche Kategorie steckt ihr Mertens Buch? Christliche Weisheitslehre?Philosophie?.....

Es ist sehr schwer ihn in irgendeine Kategorie zu stecken. Seine Worte sind nicht die eines normalen Menschen, sie entstammen einer höheren Quelle, deren Instrument er gewesen ist. Das Gebet des Franziskus “Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens” erfüllt sich immer mal wieder durch einen Menschen. Er ist ein moderner Franz von Assisi, so hoch schätze ich ihn ein. In welche Kategorie kann man so jemanden stecken? Er klettert sowieso wieder heraus :P

erbreich hat geschrieben:Es ist, als stelle Gott, indem er uns erschafft, eine Frage und wenn wir dann zur Kontemplation erwachen, beantwortet er diese Frage, sodass der kontemplative Mensch Frage und Antwort in einem ist. Das Leben der Kontemplation umfasst folglich zwei Bewusstheitsebenen: erstens die Bewusstheit der Frage und zweitens die Bewusstheit der Antwort. Beide sind zwar unterschiedliche und ganz gewaltig voneinander verschiedene Ebenen, aber tatsächlich sind sie die Bewusstheit ein und desselben. Die Frage ist selbst die Antwort. Und wir selbst sind beides. Aber das können wir erst dann erkennen, wenn wir zur zweiten Art von Bewusstheit gelangt sind. Wir erwachen nicht dazu, um eine von der Frage absolut verschiedene Antwort zu finden, sondern um wahrzunehmen, dass die Frage ihre eigene Antwort ist. Und alles ist in einer einzigen Wahrnehmung zusammengefasst - bei der es sich um keine satzhafte Aussage, sondern um eine Erfahrung handelt: "ICH BIN."

Der Mensch muss seine Fragen leben, um dann vielleicht irgendwann in die Antworten hinein zu wachsen. Oder hinein zu erwachen. Mich persönlich interessieren am meisten die großen leuchtenden Fragen der Menschen, während ihre kleinen Antworten meistens sehr langweilig sind. Sie scheitern an der Realität Gottes, die alles Begreifen übersteigt. Sie scheitern am Leben. Der GEIST hat aber seine eigene Methode, um den Menschen zu zeigen, was er von ihren begrenzten Gedanken hält: er lässt sie an den Klippen der Zeit zerschellen. Das ist vergängliches Spiel, wie Seifenblasen. Das Wirkliche entdecken wir durch Kontemplation, die uns wahrnehmen lässt:

„Das, was uns in Wirklichkeit vorgegeben ist, das Sein selbst, das in allen existierenden Wesen ein und dasselbe ist und sich durch sie offenbart“

Doch dieses Sein offenbart sich immer wieder neu. Wenn wir eine bestimmte Ausdrucksform festhalten wollen, dann gleicht das dem Versuch eines Liebenden seine Geliebte zu umarmen und sie dabei zu erwürgen und zu erdrücken, weil er sie nie wieder loslässt. Das ist das Problem der religiöse Fundamentalisten. Sie wollen die Wahrheit der Religion auf eine bestimmte Form reduzieren und einsperren, anstatt auf dem Weg zu bleiben. Das nenne ich eine Sünde gegen den heiligen Geist, denn der Geist ist formlos, fließt immer weiter und bleibt in Bewegung. Die ersten Christen nannten sich so: jene, die auf dem Weg sind :wave:

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#7 Re: Frage & Antwort

Beitrag von Novas » Di 24. Okt 2017, 22:46

Hier ein paar sozialkritische Worte von ihm. Dieses kritische Reflexionsvermögen gibt seinem Lebenswerk noch mal eine ganz besondere Klangfarbe. Heute ist er noch zeitgemäßer, als er es damals gewesen ist: er war prophetisch begabt.

Thomas Merton ist sehr skeptisch in der Einschätzung, ob dieses Kontemplative in der Moderne noch eine Chance der Geltung und des Respekts finden wird. Denn der moderne, stressgeplagte, gehetzte Mensch findet „in seinem Herzen keinen Platz zum Ausruhen mehr“, weil auch das Herz des Menschen leer ist. Aber wenn denn der Mensch bloß diese Leere als Leere annehmen könnte: „Wenn er doch wüsste, dass die Leere selbst, sofern der Geist über ihr schwebt (!), ein Abgrund voller schöpferischer Fülle ist“ (92). Gegen Ende seines Lebens nimmt wohl der Pessimismus zu, selbst apokalyptische Perspektiven/Ängste sind ihm nicht fremd (etwa in „Day of a Stranger, 1967, siehe „Zeiten der Stille, S. 109: “Doch wie alle anderen Menschen lebe ich (als Mönch) im Schatten des apokalyptischen Cherubs. Ich werde von ihm überwacht, ganz sachlich und nüchtern“. Das Bewusstsein, ÜBERWACHT zu werden, war schon bei Merton lebendig, er ist 2015 unser Zeitgenosse! Die Flugzeuge, die über seinen Kopf hinweg mit Bomben beladen Richtung Vietnam flogen, nennt er den „metallenen Cherub der Apokalypse in den Wolken“ (S. 118)
Religionsphilosophischer Salon: Thomas Merton

Was kann der freie einzelne Mensch tun, angesichts dieses „metallenen Cherub der Apokalypse in den Wolken“? Für Merton, der mit seinem ganzen Leben das Mönch-Sein gelebt hat, mit ihm identisch war, gibt es nur eine Antwort: die Kontemplation, die Umkehr, Rückkehr und Heimkehr in die Berührung mit der lebendigen göttlichen Gegenwart im eigenen Inneren.

Er lehrt hingegen ganz Einfaches, so Menschliches, so Friedliches, nämlich auf die Gegenwart zu achten, d.h. auf das Gegenwärtigsein im langen Augenblick; er lehrt, still zu werden, nicht um der Stille wegen, sondern um die Quelle des Daseins zu erfahren. Darauf kommt es zu allererst im Leben an! Merton weiß, dass die offiziellen religiösen Worte erstarrt sind und Floskeln werden. Faszinierend seine Worte: „Statt etwas zu tun, lebe ich. Statt zu beten atme ich“ (111). Und weiter: „Hier in den Wäldern (beim Kloster) liegt das Neue Testament offen da: Das heißt: Der Wind weht durch die Bäume, und du atmest ihn ein“ (ebd.)

Ab in den Wald :engel: Dort weht noch der Wind des lebendigen Gottes in den Blättern und ruft seine Kinder zu einem neuen Leben.

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#8 Re: Frage & Antwort

Beitrag von erbreich » Mi 25. Okt 2017, 09:46

Novalis hat geschrieben:Der Mensch muss seine Fragen leben, um dann vielleicht irgendwann in die Antworten hinein zu wachsen. Oder hinein zu erwachen.
Ja, und die Antworten werden die Fragen weder auflösen noch erübrigen. Frage und Antwort entpuppen sich als eine Einheit wie Tag und Nacht. Und beide sind existenzielles Leben, sind weit mehr als in Worten ausgedrückte Aussagen. Nur wo das Leben als eine existenzielle Frage erlebt wird, kann es sich auch erlebnismässig als seine eigene existenzielle Antwort offenbaren.

Da können und werden dann auch Worte benützt werden zwecks Kommunikation, aber die gewählten Worte werden nicht mit einem Absolutheitsanspruch versehen, es wird vielmehr klar gesehen, dass die Sprache in Relation zum Kontext steht, in dem sie verwendet wird.

Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig. (2. Kor 3.6)
Das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in Kraft. (1. Kor 4.20)

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#9 Re: Frage & Antwort

Beitrag von erbreich » Mi 25. Okt 2017, 10:00

Gustav Meyrink äusserte dazu trefflich:

Das ganze Leben ist nichts anderes
als formgewordene Fragen,
die den Keim der Antwort in sich tragen
- und Antworten, die schwanger gehen mit Fragen.
Wer irgend etwas anderes darin sieht, ist ein Narr.


;)

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#10 Re: Frage & Antwort

Beitrag von Novas » Mi 25. Okt 2017, 21:10

erbreich hat geschrieben:Gustav Meyrink äusserte dazu trefflich:

Das ganze Leben ist nichts anderes
als formgewordene Fragen,
die den Keim der Antwort in sich tragen
- und Antworten, die schwanger gehen mit Fragen.
Wer irgend etwas anderes darin sieht, ist ein Narr.


;)


In der spirituellen Tradition des Islam gibt es ein wunderbares Hadith, welches mich immer sehr faszinierte, weil es darauf hindeutet, dass Gott für sich selbst ein Mysterium ist und die Schöpfung erschaffen hat, damit er durch den Spiegel seiner Schöpfung sein eigenes Mysterium entdecken kann. Der Kosmos ist demnach eine einzige große Entdeckungsreise und episches Selbsterforschungs-Abenteuer des Schöpfers.

Prophet Muhammad fragt: „O Herr, was war Deine Absicht bei der Erschaffung der Welt?“ Gott sprach: „Ich war ein verborgener Schatz, und wollte erkannt werden, deshalb schuf ich die Welt.“

erbreich hat geschrieben:Ja, und die Antworten werden die Fragen weder auflösen noch erübrigen. Frage und Antwort entpuppen sich als eine Einheit wie Tag und Nacht. Und beide sind existenzielles Leben, sind weit mehr als in Worten ausgedrückte Aussagen

Der ganze Kosmos ist eine einzige große Frage :wave:

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