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#1 Kunst und Zorn

Verfasst: So 26. Mai 2013, 23:51
von Demian
Diesen "Aufruf zum Vatermord" möchte ich euch nicht vorenthalten ...

Irritiert fragt man sich, was aus jener »Einflussangst« geworden ist, die laut Harold Blooms großer Studie von 1973 dazu führt, dass sich jeder kulturell schöpferische Mensch instinktiv von seinen Vorbildern lösen will. Bloom verglich dies mit dem Freudschen Ödipuskomplex und behauptete, dass sich die Bedeutung etwa eines Gedichtes an der Kraft messen ließe, mit der es ein Vorgängergedicht verdrängen kann (womit Bloom natürlich auch wiederum selbst Vatermord verübte an den strukturalistischen und diskurstheoretischen Versuchen, die Vaterinstanz aufzulösen).

Noch in den sechziger und siebziger Jahren war es, genau wie Bloom beschreibt, für die großen deutschen Lyriker nach 1945, also Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf und Robert Gernhardt, notwendig, den Übervater Gottfried Benn eigenhändig durch Spottgedichte aus dem Weg zu räumen, um überhaupt Raum zu haben für die eigene lyrische Stimme. Heute stattdessen: Lyrik »in memoriam x«, Poeme »in der Tradition von y« oder als »Reverenz an z«.

Hundert Jahre nach Sigmund Freuds Totem und Tabu scheint eine kulturelle Grundkonstante in Vergessenheit geraten zu sein: dass nämlich die Kulturgeschichte mit der Ermordung des tyrannischen Vaters der Urhorde durch die Söhne ihren Anfang nimmt. An die Stelle der bisherigen Ahnenreihe war mit Freud also das Ethos und Pathos des Neubeginns und der Erneuerung getreten. Kehrt mit Francis Ford und Sofia Coppola nun die Ahnenreihe als Deutungsmuster zurück?

Die Entwicklung der abendländischen Kultur belegt, dass wirkliches Wachstum immer aus dem Dreiklang von Adaption, Simulation und Überwindung entstand. Aus dem Manierismus erwuchs das Barock. Aus dem Historismus das Bauhaus. Wenn die Protegés nie hätten besser werden wollen als ihre Mentoren, dann würden wir immer noch Höhlenwände mit rennenden Mammuts bemalen. Mit hysterischen, spätpubertären Manifesten rempelten etwa die Expressionisten, die Futuristen und die Surrealisten am Anfang des 20. Jahrhunderts die kulturellen Platzhirsche von der Bühne.

Quelle

#2 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 01:17
von Pluto
"There are more things in heaven and earth, Horatio, / Than are dreamt of in your philosophy." Hamlet

@ Demian,
Deine neue Signatur gefällt mir heute besser als dein Text... :lol:

#3 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 01:30
von Demian
Weshalb? Der symbolische Vatermord äußert sich mit steigender Reife als Liebesbeweis. :mrgreen:

Pluto hat geschrieben: @ Demian,
Deine neue Signatur gefällt mir heute besser als dein Text... :lol:

#4 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 01:36
von Pluto
Demian hat geschrieben:Weshalb? Der symbolische Vatermord äußert sich mit steigender Reife als Liebesbeweis. :mrgreen:
Was weiß ich, warum?
Wahrscheinlich weil ich als Engländer Hamlet schon in der Schule gelesen habe.

#5 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 02:01
von Demian
Nietzsche hatte Recht, als er von der ewigen Wiederkehr des Gleichen sprach. Dieses Gleiche ist aber niemals identisch, sondern eine radikal neue Ausdrucksform dessen. Eine typische Vorgehensweise ist es eben, dass man die Vorbilder gegen den Strich liest. Das habe ich persönlich, als eine Art Krise erlebt ... denn man spürt sehr deutlich, dass das, was erschaffen wurde, nicht ausreicht und niemals ausreichen kann. Man ist selbst gefordert, aber man spürt ebenso, dass man noch weit davon entfernt ist, dieser Notwendigkeit entsprechen zu können.

Ich denke, der erste Schritt zu einem freien Denken ist dann die Relativierung des Denkens überhaupt: die Lossagung von der Autorität. Dieser Prozess zum eigenen aufrechten Gang, äußert sich psychologisch als Vatermord ( jedenfalls ist das ein sehr treffendes Bild! ). Das widerlegt und entkräftet nicht, was davor erdacht wurde, aber es gibt mir die Möglichkeit persönlich (!) darüber hinaus zu kommen. Schlussendlich ist der Weg dann doch integrativ: das Neue verleibt sich das Alte ein ( was man wiederum als ein weibliches Prinzip des Denkens bezeichnen könnte ). Aber um es integrieren zu können, muss es erst mal "sterben", verneint werden, sonst absorbiert die Vergangenheit die Gegenwart.

Pluto hat geschrieben:Was weiß ich, warum?
Wahrscheinlich weil ich als Engländer Hamlet schon in der Schule gelesen habe.

#6 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 02:27
von Pluto
Nein Nietzschehatte nicht recht. Wen man aus der Geschichte lernen kann ist es nicht die "ewige Wiederkehr des Gleichen". Man lernt neues dazu und packt selbst etwas drauf.
Deshalb gefällt mir immer wieder der Spruch von Newton.
Wenn ich weiter sehen konnte, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.

#7 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 02:45
von Josi
Demian hat geschrieben:Nietzsche hatte Recht, als er von der ewigen Wiederkehr des Gleichen sprach.
:mrgreen: Du bist auch sowas wie eine ewige Wiederkehr, werter Demian.

Hi dir,

sorry, aber man kann Nietzsche, oder auch andere Philosophen von gleichem oder ähnlichen Format nicht heranziehen, wenn man ihre Überlegungen kaum bis gar nicht begriffen hat.
Nietzsches Überlegungen zur "ewigen Wiederkehr" zielte auf die Frage ab, dass wenn es eine begrenzte Anzahl von Geschichtsvariationen gäbe, jemandem dieser Gedanke recht wäre, würde sich die aktuell erlebte Geschichtsvariation noch einmal, oder auch mehrmals wiederholen.
Wem dieser Gedanke recht und lieb ist, wird nicht dem von Zarathustra definierten und von Nietzsche gern gebrauchten "Übermenschen" gerecht, denn Menschen, die nach Wiederholungen trachten, sind unfähig sich weiter zu entwickeln.

In diesem Sinne empfehle ich dir, all deine Gedanken neu zu ordnen.

LG, Josi ;)

#8 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 02:50
von Demian
Josi, wie wäre es mit Humor? ;)
Ich empfehle dir, in diesem Sinne, nicht alle Gedanken nur in deinem Sinne für zulässig zu erklären.
Du hast wieder nicht verstanden, wie ich es meinte, unterstellst mir aber pauschal falsche Gedanken.
Ich meine das:

„Es gibt keine "Stunde Null" und kann keine geben: Sie ist nichts als eine Luftspiegelung. Das Ewige, Immer-Gleiche wird in jedem Augenblick neu in den Augenblick gebracht. Das tun die Lesenden ganz wie die Schreibenden. Dazu ist Kunst da, dazu sind Gedichte da.“

Hilde Domin
(Aus dem Vorwort zu „Doppelinterpretationen“)

Eine Wiederkehr ist mehr, als eine Wiederholung!

#9 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 03:04
von Josi
Demian hat geschrieben:Tut mir leid, Josi, aber langsam nervt mich dein fehlender Humor. ;)
Und mich nervt, wie Nietzsche und Co nur zu oft vergewaltigt werden.
Ich habe nichts gegen individuelle Weltanschauungen.
Von mir aus kannst machen und tun, was immer Du willst, aber wo immer leicht- und mitunter mutwillig Sachverhalte diffamiert werden, muss einem anderen Menschen erlaubt sein, entschieden und deutlich zu widersprechen.
Sollten das deine Nerven nicht aushalten, so empfehle ich entsprechend dafür ausgebildete Experten aufzusuchen.

Demian hat geschrieben:Ich empfehle dir, in diesem Sinne, nicht alle Gedanken nur in deinem Sinne für zulässig zu erklären.
Mache ich nicht.
Demian hat geschrieben:Du hast wieder nicht verstanden, wie ich es meinte.
Doch.

LG, Josi

#10 Re: Kunst und Zorn

Verfasst: Mo 27. Mai 2013, 03:09
von Demian
Ich habe also Sachverhalte diffamiert. Bild
Tut mir leid, aber du projizierst Meinungen in mich hinein, die ich gar nicht vertrete.
Lass uns doch hier die Diskussion fortführen.