Der Sinn des Patriotismus

Politik und Weltgeschehen
Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#1 Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Novas » So 1. Feb 2015, 01:14

Kurt Tucholsky, Aus: Deutschland, Deutschland. Heimat.

"Aber einen Trost hast du immer, eine Zuflucht, ein Wegschweifen. Selbst auf Umgebungsflachheiten stehen Bäume, Wasseraugen schimmern dich an, Horizonte sind weit, und auch durch düstere Verhängung kommt noch Feldatem.
Alfons Goldschmidt: ›Deutschland heute‹

Nun haben wir auf vielen Seiten Nein gesagt, Nein aus Mitleid und Nein aus Liebe, Nein aus Haß und Nein aus Leidenschaft – und nun wollen wir auch einmal Ja sagen. Ja –: zu der Landschaft und zu dem Land Deutschland.
Dem Land, in dem wir geboren sind und dessen Sprache wir sprechen.
Der Staat schere sich fort, wenn wir unsere Heimat lieben. Warum grade sie – warum nicht eins von den andern Ländern –? Es gibt so schöne.
Ja, aber unser Herz spricht dort nicht. Und wenn es spricht, dann in einer andern Sprache – wir sagen ›Sie‹ zum Boden; wir bewundern ihn, wir schätzen ihn – aber es ist nicht das.
Es besteht kein Grund, vor jedem Fleck Deutschlands in die Knie zu sinken und zu lügen: wie schön! Aber es ist da etwas allen Gegenden Gemeinsames – und für jeden von uns ist es anders. Dem einen geht das Herz auf in den Bergen, wo Feld und Wiese in die kleinen Straßen sehen, am Rand der Gebirgsseen, wo es nach Wasser und Holz und Felsen riecht, und wo man einsam sein kann; wenn da einer seine Heimat hat, dann hört er dort ihr Herz klopfen. Das ist in schlechten Büchern, in noch dümmeren Versen und in Filmen schon so verfälscht, dass man sich beinah schämt, zu sagen: man liebe seine Heimat. Wer aber weiß, was die Musik der Berge ist, wer die tönen hören kann, wer den Rhythmus einer Landschaft spürt ... nein, wer gar nichts andres spürt, als dass er zu Hause ist; dass das da sein Land ist, sein Berg, sein See, auch wenn er nicht einen Fuß des Bodens besitzt ... es gibt ein Gefühl jenseits aller Politik, und aus diesem Gefühl heraus lieben wir dieses Land. Wir lieben es, weil die Luft so durch die Gassen fließt und nicht anders, der uns gewohnten Lichtwirkung wegen – aus tausend Gründen, die man nicht aufzählen kann, die uns nicht einmal bewußt sind und die doch tief im Blut sitzen.
Wir lieben es, trotz der schrecklichen Fehler in der verlogenen und anachronistischen Architektur, um die man einen weiten Bogen schlagen muß; wir versuchen, an solchen Monstrositäten vorbeizusehen; wir lieben das Land, obgleich in den Wäldern und auf den öffentlichen Plätzen manch Konditortortenbild eines Ferschten dräut – laß ihn dräuen, denken wir und wandern fort über die Wege der Heide, die schön ist, trotz alledem.
Manchmal ist diese Schönheit aristokratisch und nicht minder deutsch; ich vergesse nicht, dass um so ein Schloß hundert Bauern im Notstand gelebt haben, damit dieses hier gebaut werden konnte – aber es ist dennoch, dennoch schön. Dies soll hier kein Album werden, das man auf den Geburtstagstisch legt; es gibt so viele. Auch sind sie stets unvollständig – es gibt immer noch einen Fleck Deutschland, immer noch eine Ecke, noch eine Landschaft, die der Fotograf nicht mitgenommen hat ... außerdem hat jeder sein Privat-Deutschland. Meines liegt im Norden. Es fängt in Mitteldeutschland an, wo die Luft so klar über den Dächern steht, und je weiter nordwärts man kommt, desto lauter schlägt das Herz, bis man die See wittert. Die See – Wie schon Kilometer vorher jeder Pfahl, jedes Strohdach plötzlich eine tiefere Bedeutung haben ... wir stehen nur hier, sagen sie, weil gleich hinter uns das Meer liegt – für das Meer sind wir da. Windumweht steht der Busch, feiner Sand knirscht dir zwischen den Zähnen ...
Die See. Unvergeßlich die Kindheitseindrücke; unverwischbar jede Stunde, die du dort verbracht hast – und jedes Jahr wieder die Freude und das »Guten Tag!« und wenn das Mittelländische Meer noch so blau ist ... die deutsche See. Und der Buchenwald; und das Moos, auf dem es sich weich geht, dass der Schritt nicht zu hören ist; und der kleine Weiher, mitten im Wald, auf dem die Mücken tanzen – man kann die Bäume anfassen, und wenn der Wind in ihnen saust, verstehen wir seine Sprache. Aus Scherz hat dieses Buch den Titel ›Deutschland, Deutschland über alles‹ bekommen, jenen törichten Vers eines großmäuligen Gedichts. Nein, Deutschland steht nicht über allem und ist nicht über allem – niemals. Aber mit allen soll es sein, unser Land. Und hier stehe das Bekenntnis, in das dieses Buch münden soll:
Ja, wir lieben dieses Land.
Und nun will ich euch mal etwas sagen:
Es ist ja nicht wahr, dass jene, die sich ›national‹ nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock, noch der Oberstudienrat, noch die Herren und Damen des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir sind auch noch da.
Sie reißen den Mund auf und rufen: »Im Namen Deutschlands ... !« Sie rufen: »Wir lieben dieses Land, nur wir lieben es.« Es ist nicht wahr.
Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es.
Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitliebende aller Grade; man hat uns mitzudenken, wenn ›Deutschland‹ gedacht wird ... wie einfach, so zu tun, als bestehe Deutschland nur aus den nationalen Verbänden.
Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.
Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat."

http://www.textlog.de/tucholsky-heimat.html

Martinus
Beiträge: 3059
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:17
Wohnort: Kasane

#2 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Martinus » So 1. Feb 2015, 07:58

TLDR
Angelas Zeugen wissen was!

Salome23
Beiträge: 5029
Registriert: Do 22. Aug 2013, 00:11

#3 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Salome23 » So 1. Feb 2015, 11:03

Martinus hat geschrieben:TLDR
:?:

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#4 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Pluto » So 1. Feb 2015, 11:10

Salome23 hat geschrieben:
Martinus hat geschrieben:TLDR
:?:
Hier wirst du geholfen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Salome23
Beiträge: 5029
Registriert: Do 22. Aug 2013, 00:11

#5 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Salome23 » So 1. Feb 2015, 11:28

3 Minuten hats gedauert, es zu lesen-aber was soll es aussagen? :?

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#6 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Pluto » So 1. Feb 2015, 11:41

Salome23 hat geschrieben:3 Minuten hats gedauert, es zu lesen-aber was soll es aussagen? :?
Kurt Tucholsky war ein lautstarker Kritiker der Zustände in Deutschland zu Ende der Weimarer Republik. Er will satirisch zeigen, wie scheinheilih unf krigslüstern der angebliche Patriotismus der Nazis war.

Hätte er gelebt, wäre Tucholsky vermutlich von den Nazis in ein KZ verschleppt worden. Da er dauernd unter starken Schmerzen litt, zog er es vor, (mit Barbituraten) seinem Leben selbst ein Ende zu bereiten.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#7 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Novas » Mo 2. Feb 2015, 13:44

Pluto hat geschrieben:Hätte er gelebt, wäre Tucholsky vermutlich von den Nazis in ein KZ verschleppt worden. Da er dauernd unter starken Schmerzen litt, zog er es vor, (mit Barbituraten) seinem Leben selbst ein Ende zu bereiten.
Er wollte auch zeigen, dass "linkes" und "patriotisches" Denken keine Gegensätze sind, sondern eigentlich zusammengehören. Ich habe das eingestellt im Hinblick auf die gegenwärtigen Demonstrationen.

piscator
Beiträge: 4771
Registriert: So 21. Apr 2013, 11:18
Wohnort: Großraum Stuttgart

#8 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von piscator » Mo 2. Feb 2015, 15:44

Wohl eher nicht:

Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen hasst die andern Klumpen, weil sie die andern sind, und hasst die eignen, weil sie die eignen sind. Den letzteren Hass nennt man Patriotismus. - See more at: http://www.zitatmuseum.de/kurt-tucholsk ... kFZ0g.dpuf
Meine Beiträge als Moderator schreibe ich in grün.

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#9 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Novas » Di 3. Feb 2015, 04:08

piscator hat geschrieben:Wohl eher nicht:

Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen hasst die andern Klumpen, weil sie die andern sind, und hasst die eignen, weil sie die eignen sind. Den letzteren Hass nennt man Patriotismus. - See more at: http://www.zitatmuseum.de/kurt-tucholsk ... kFZ0g.dpuf
Ja, Menschen sagen viel widersprüchliches. Ich vertraue mehr auf den Text mit der höheren, poetischen Aussagekraft. Das ist der obige. ;) Ich bin jedenfalls kein politisches Klumpengebilde und diese gute Seele namens Kurt Tucholsky auch nicht!

Abischai
Beiträge: 3190
Registriert: Sa 27. Apr 2013, 14:25

#10 Re: Der Sinn des Patriotismus

Beitrag von Abischai » Di 3. Feb 2015, 18:16

"Links" und "Patriotismus" schließen sich zwar nicht im Wort aus, sind aber dem Inhalt nach völlig gegensätzlich. Die in der Natur der Sache liegende Nähe des Patriotismus zum "rechten" denken darf nicht blenden. Ich bin Patriot, und ich bin das gern, aber ich bin keineswegs "rechts". Ich habe auch nichts dagegen, daß z.B. ein Pole Patriot ist, solange er mich in meinem Patria nicht angreift und er das gleiche von mir ihm gegenüber zu recht erwartet, ist alles in Ordnung.

"Links" gibt es sowas nicht. Da geht es nicht um Nationalismus, sondern um Internationalismus, die militante Form als Pendant zum geheuchelten "Nationalismus" der Nationalsozialisten und Faschisten. Nationalismus ist die negative Überspitzung des eigentlich neutralen und guten "national".

Patriotismus wird durch Mißbrauch diskreditiert (ultra Rechts) und schlechtgeredet und das ausgerechnet und hauptsächlich durch das linke Lager, ebenso von den verkappten linken, w.z.B. Sozialdemokratie und denen mit der Farbe des Propheten...

Patriotismus ist eine Mode der "Grüppchenbildung", wie sie in Natur und Gesellschaft unvermeidbar ist. Man darf das nur nicht übertreiben und muß sich selbstkritisch dessen bewußt sein.

Wenn man selbst nicht stark genug ist, andere zu übervorteilen, ist de Nationalismus DIE Lösung für jeden einzelnen, denn dann richten sich synergische Kräfte gegen "den anderen" (andere Nation), bestes Beispiel dafür sind die faschistischen Diktaturen aus junger Geschichte
Zuletzt geändert von Abischai am Di 3. Feb 2015, 18:24, insgesamt 1-mal geändert.
Meine Hilfe kommt von Jahweh, der Himmel und Erde gemacht hat. [Ps 121;2]

Antworten