Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

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Andreas
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#21 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von Andreas » So 26. Okt 2014, 18:13

michaelit hat geschrieben:Ich finde die Paradiesgeschichte im Zusammenhang mit Scham wenig erhellend. Ich verstehe nicht genau wieso man sich nackt fühlt wenn man Erkenntnis über Gut und Böse hat.
Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Gott wohnt im Himmel, der Mensch auf der Erde. Der Mensch ist getrennt von Gott. Der Mensch soll in den Himmel kommen.

Die Erde ist der Raum von Gut und Böse. Gott ist nicht "Gut und Böse". Er ist nicht Gut. Er ist nicht Böse. Er ist jenseits von "Gut und Böse", jenseits der Erde - eben im Himmel und EIN Gott. Gott ist die Liebe und das ist was vollkommen anderes als "Gut und Böse". Die Liebe ist die Aufhebung von "Gut und Böse."

Die Liebe hat die Qualität von EINS. Die Erde mit ihrem "Gut und Böse" hat die Qualität von ZWEI. Zwei ist immer getrennt, zwischen zwei Dingen gibt es immer Spannung, immer etwas zu vergleichen, niemals Frieden. Das Thema ist WiederverEINigung auf einer höheren Qualitätsebene. Wir schämen uns wegen dieser Trennung von Gott, weil wir nicht mit ihm eins sind.

closs
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#22 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von closs » So 26. Okt 2014, 21:45

Andreas hat geschrieben:Wir schämen uns wegen dieser Trennung von Gott, weil wir nicht mit ihm eins sind.
Genau so.

Psychologisch versteht man unter „Scham“ die Erkenntnis des „Versagens vor einer Idealnorm“. Scham ist demnach eine Folge von Erkenntnis - somit ist Erkenntnis die Voraussetzung für Scham. Ein Beispiel: Kinder sind erst schamfähig, nachdem sie in ihrer Entwicklung das nötige Maß an erkennender Selbst-Wahrnehmung dazu haben.

Aber warum ist es die Nacktheit, die beim heranwachsendes Kind zur Scham führt? Vor welcher „Idealnorm“ „versagt“ es? – Zur Beantwortung dieser Frage zurück zu Adam und Eva: Die Idealnorm, vor der Adam und Eva versagen, ist Gott. Da aber der Mensch durch den eingehauchten göttlichen „Lebensatem“ Abbild Gottes ist, ist es das Göttliche im Menschen (vgl. zu 2,7), vor dessen Idealnorm der Mensch ebenso versagt.

Eine weitergehende Frage ist dann: Warum überhaupt bezieht sich Scham auf die Geschlechtlichkeit? – Weil das Geschlechtliche wesensmäßig verbunden ist mit der göttlichen Gabe der Wieder-Schöpfung durch die Schöpfung (also Zeugung und Geburt) - diese Gabe wird mit dem Erkennen zu einer erkannten Gabe. - Das Dasein wird erkennungsfähig für die göttliche Schöpfungskraft des Seins im Dasein. Damit wird das Dasein schamfähig in einem göttlichen Feld, vor dessen Idealnorm es versagt hat.

Wie eng „Erkennen“ und „Körperliche Vereinigung von Mann und Frau“ verbunden ist, zeigen die Bedeutungen des hebräischen Wortes „jadah“, das sowohl „erkennen“ (im heutigen Sinne), als auch „beischlafen“ heißt (in den Nebenbedeutungen von „an die Hand nehmen“ und „vertraut sein“, was zumindest per analogiam in Begriffsgebiete wie „trauen“ und „treu“ führt).

Ruft man sich ins Gedächtnis zurück, dass unter ontologischen Gesichtspunkten „Erkennen“ die bewusste Unterscheidungsfähigkeit zwischen verschiedenen Realitätsebenen bezeichnet, dann ist beides, „Erkennen“ im geistigen Sinne und „Erkennen“ im Sinne von Beischlaf, Ausdruck eines erkannten Zusammentreffens von Sein und Dasein. Geschieht dieses Zusammentreffen in Reinheit des Daseins dem Sein gegenüber, entfällt die Scham – dies gilt sowohl für geistiges wie auch für körperliches Zusammentreffen.

Wenn allerdings solche Zusammenhänge NICHT bewusst sind (nicht intellektuell, sondern geistig-instinktiv gemeint), ist Scham-Losigkeit NICHT Ausdruck von Erkennen, sondern von Erkenntnis-Unfähigkeit - das Versagen vor einer Idealnorm wird überhaupt nicht kapiert. - Das wäre eher typisch für unsere Zeit-Befindlichkeit.

Mimi
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#23 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von Mimi » So 26. Okt 2014, 22:25

Hallo closs,
während ich noch schwerst am Ringen um schriftliche Fixierung meiner ähnlichen Ansicht bemüht war, kommst Du daher und legst das hier locker hin.
Bild
Dein Beitrag zum Thema für mich: Best „Auseinanderdröseln“ ever !!!
LG
"Jedes menschliche Wunschbild,
das in die christliche Gemeinschaft mit eingebracht wird,
hindert die echte Gemeinschaft und muss zerbrochen werden,
damit die echte Gemeinschaft leben kann."
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#24 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von Pluto » So 26. Okt 2014, 22:41

Ich schließe mich Mimi an, und sage mal, "nicht schlecht für einen E-bike Spezi." :geek:

Ein weniger allgemeiner sollte die Argumentation schon sein... Wie Catholic schon sagte, die Scham beschränkt sich nicht allein auf das Geschlechtliche, sonder Kinder schämen sich genauso, wenn sie meinen etwa falsch gemacht zu haben.
Das Modell muss also erweitert werden, um alle Fälle von Scham erklären zu können.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Salome23
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#25 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von Salome23 » So 26. Okt 2014, 23:40

Pluto hat geschrieben:Ich schließe mich Mimi an, und sage mal, "nicht schlecht für einen E-bike Spezi." :geek:

Ein weniger allgemeiner sollte die Argumentation schon sein... Wie Catholic schon sagte, die Scham beschränkt sich nicht allein auf das Geschlechtliche, sonder Kinder schämen sich genauso, wenn sie meinen etwa falsch gemacht zu haben.
Das Modell muss also erweitert werden, um alle Fälle von Scham erklären zu können.
Vielleicht sollte man sich doch das Video ansehn-ich hab kurz reingeguckt aber immer kurz vorgespult, da es doch etwas zäh ist, sich das ganze an zu hören....
Menschen (nicht nur Kinder) schämen sich wegen alles möglichem (es ist ihnen "peinlich", wenn...)-ich nehme mal an,ein Grund könnte sein, dass sie Angst haben, wegen irgend einen Makel nicht akzeptiert zu werden, ausgelacht oder kritisiert zu werden....(was der andre jetzt wohl denkt über mich, als er mich erwischte beim Nasenbohren)

Scham ist demnach eine Folge von Erkenntnis
Nicht die Erkenntnis ist es-sondern das man sich " über etwas bewusst wird" wird...-upps, der closs hat mich beim Nasenbohren erwischt.
Wobei- wenn jeder , wie die Affen es tun, einfach ohne Bedenken in der Nase bohren würde-würde sich wohl keiner dran stören oder darüber lachen usw.
Genau so ist es am FKK Strand.
Anfangs muss mancher sich eventuell überwinden-aber nach einer gewissen Zeit wird es zu einem total natürlichen Zustand und man guckt auch nicht mehr-ausser es läuft einem eine Dame mit super tollem sexy Körper über den Weg-aber da sieht man dann eher auf die Gesamterscheinung und nicht auf ihre M..... ;)
Dann wäre da auch noch das Pflegepersonal.
Manche meiner Klienten(ich bin Pflegefachkraft) hatten am Anfang der Betreuung auch oft Probleme mit Scham, es war ihnen peinlich, wenn....- aber sie legten das mit der Zeit ab- durch Aussprache und Verständnis des Pflegepersonals.
Daher meine Meinung, Scham ist eine Kopfsache und durch umdenken kann man so manche Blockaden lösen.

closs
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#26 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von closs » Mo 27. Okt 2014, 00:00

Pluto hat geschrieben:. Wie Catholic schon sagte, die Scham beschränkt sich nicht allein auf das Geschlechtliche, sonder Kinder schämen sich genauso, wenn sie meinen etwa falsch gemacht zu haben.
Auch das ist das Erkennen eines Versagens bezüglich einer Idealnorm - nur jetzt halt keine, die so furchtbar tief in fundamental-theologische Tiefen reingeht.

@Mimi: Danke für die :Herz: :Herz:

Salome23 hat geschrieben:Wobei- wenn jeder , wie die Affen es tun, einfach ohne Bedenken in der Nase bohren würde-würde sich wohl keiner dran stören oder darüber lachen usw. Genau so ist es am FKK Strand.
Das sind zwei gute Beispiele für ganz Unterschiedliches:
1) "Nasebohren" kann etwas ganz Natürliches sein - und im Mittelalter hat man beim Essen gerülpst ("Früher waren die Gewohnheiten anders, es war sogar angebracht, zu rülpsen, um Leibbeschwerden vorzubeugen, und Ritter verzichteten nicht darauf" (wik)) - es ist eine rein säkulare Idealnorm ("Mode"), die es hierbei gibt oder nicht.
2) FKK ist dagegegen ein Gegenstand der geistigen Idealnorm - also ganz anders zu bemessen.

Salome23 hat geschrieben:Manche meiner Klienten(ich bin Pflegefachkraft) hatten am Anfang der Betreuung auch oft Probleme mit Scham, es war ihnen peinlich, wenn....- aber sie legten das mit der Zeit ab- durch Aussprache und Verständnis des Pflegepersonals. Daher meine Meinung, Scham ist eine Kopfsache und durch umdenken kann man so manche Blockaden lösen.
Das ist wieder etwas ganz anderes - hier signalsieren beide Seiten, dass sie um die Intimität des Geschehens wissen - und gehen damit dementsprechend würdig mit um. - Aber damit wird nicht die Intimität der Sache in Frage gestellt. - Mir sind (ein anderes Beispiel) Frauen bekannt, die großes Vertrauen zu Frauenärzten haben müssen und deshalb ungern den Frauenarzt wechseln, WENN sie Vertrauen gefasst haben - auch erwachsene Frauen, denen nichts Menschliches fremd ist.

Salome23
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#27 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von Salome23 » Mo 27. Okt 2014, 00:32

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:. .... sonder Kinder schämen sich genauso, wenn sie meinen etwa falsch gemacht zu haben.
Auch das ist das Erkennen eines Versagens bezüglich einer Idealnorm ...
Nein! Bitte beachte mal, was Pluto schreibt: Wenn sie meinen...etwas falsch gemacht zu haben.
Sie erkennen überhaupt kein Versagen-sie meinen, etwas falsch gemacht zu haben.

closs
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#28 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von closs » Mo 27. Okt 2014, 00:55

Salome23 hat geschrieben:Sie erkennen überhaupt kein Versagen-sie meinen, etwas falsch gemacht zu haben.
"Meinen" ist doch eine individuelle Form des Erkennens - oder nicht?

Wie auch immer: Das kann zwei komplett unterschiedliche Gründe haben:
1) Ein geistiger Instinkt sagt ihnen: "Das ist nicht i.O."
2) Ein gesellschaftliche Norm sagt ihnen: "Das ist nich i.O."

1) ist gesund - 2) ist krank. :geek:

Mimi
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#29 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von Mimi » Mo 27. Okt 2014, 01:03

closs:
...und im Mittelalter hat man beim Essen gerülpst …
Warum furzet und rülpset ihr nicht? Hat es euch nicht geschmecket?
Martin Luther (1483 – 1546) http://www.aphorismen.de/zitat/15303
:angel:
"Jedes menschliche Wunschbild,
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#30 Re: Scham-warum empfinden wir sie eigentlich?

Beitrag von 2Lena » Mo 27. Okt 2014, 06:11

Etwas abseits (gut, dass ihr zu Adam und Eva gekommen seid).
Genesis 3 beginnt mit:
..... והנחש היה ערום מכל חית השדה

Warum war eine Schlange klüger ist, als alle Tiere des Feldes. Gab es denn keinen Wald? Ein Ausleger wird noch beim Wort [arom] ערום stutzig. Ist das wirklich nackt, ach nee, listig? Nackt würde stimmen bei der Schlage, die eine glatte Haut hat. ערום heißt auch klug, listig. Da steht einer nackt da, hat nichts zu verbergen, oder alles durchschaut.

Mehrfache Mehrfachbedeutungen - anders gesetzt ergibt:
Gefühlvoll sein wäre auf dem Gebiet klüger ...
Wobei die Übersetzung mit der Schlange auch richtig ist und zudem auf alte Sagen und eine Symbolik der Urgeschichte verweist.

Adam und Eva waren nackt ערום , als sie aus dem Paradies gejagt wurden.
Sie waren schlau ערום - und schämten sich nicht.
Sie gingen nach ostwärts von Eden, [kadmat eden] anders gesagt: in Richtung "Fortschritt ist köstlich".
Man weiß aber dabei nicht ganz genau, welche List sie anwandten, und ob das Ganze nicht etwa doch ein Rückschritt einmal war, ein Drama ohne Ende, dessen sie sich schämten.

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