War das europäische Mittelalter finster?

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Catholic
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#1 War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von Catholic » So 5. Okt 2014, 19:18

Ich stelle das Thema hier rein,weil ich nicht weiss,wo es besser hinpassen könnte.
Meine Frage in die Runde:
War das europäische Mittelalter wirklich finster im Sinne von barbarisch,unkultiviert?
Ich beziehe mich hier auf die Epoche von ca.500 bis ca. 1500 n.Chr.!

closs
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#2 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von closs » So 5. Okt 2014, 20:41

Catholic hat geschrieben:War das europäische Mittelalter wirklich finster im Sinne von barbarisch,unkultiviert?
Was gab es?

* Am Anfang kein Staatswesen, dann den Aufbau eines Staates incl. Verwaltung und Schulwesen ab dem 8. Jh.
* Am Anfang kaum (weltliche) Literatur, dann eine literarische Hochblüte (Epen, Lyrik, allerdings wenig Dramen).
* Am Anfang gab es (nördlich der Alpen) kaum Städte (abgesehen von römischen Restbeständen in Frankreich und Süddeutschland), dann ein blühendes Städtewesen
* Am Anfang gab es so gut wie keine Naturwissenschaft - hier gab es insgesamt wenig Entwicklung.
* Am Anfang gab es durchaus philosophische/theologische Großtaten (Boethius, Augustinus, etc. - VOR 500 n.Chr.) - dieses geistige Wirken versackte in den Völkerwanderjahren und in den Aufbaujahren - dann spätestens ab dem Hochmittelalter gab es Sternstunden der Geistes-Geschichte (man denke nur an die Deutsche Mystik).

Unterm Strich wäre der erste Eindruck: Das Jahrtausend von 500 - 1.500 n.Chr. war die Aufbauzeit vom (fast) Punkt Null zu einem funktionierendem Staats-, Gesellschafts- und Kulturwesen, das als wert erachtet wurde, bereits vor dem Jahr 1000 offiziell die Nachfolgeschaft des Römischen Reichs zu übernehmen. - An die (im Gegensatz dazu) kontinuierliche Weiterentwicklung des oströmischen/byzantinischen Reichs bzw. der arabischen Kulturwelt kam es bei weitem nicht heran, weil beide (Ostrom/Byzanz und "Araber") auf mindestens 1 Jahrtausend kontinuierliche Kultur zurückschauen konnten.

Pluto
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#3 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von Pluto » So 5. Okt 2014, 22:00

Catholic hat geschrieben:War das europäische Mittelalter wirklich finster im Sinne von barbarisch,unkultiviert?
Ich würde es eher als unzivilisiert bezeichnen.
Das römische Reich mit seiner Ordnung und Gesetzen hinterließ ein Vakuum, was sich nicht so schnell füllen ließ.

Im ehemaligen Westen des Reiches gab es ohnehin bereits eine lange Durststrecke an Schriften, die Veröffentlichungen lagen weit unter denjenigen des südlichen Roms lag. Über das frühmittelaterliche England und Skandinavien gibt es praktisch gar keine Dokumente oder Berichte. Im Zuge der Christianisierung kam es im Frühmittelalter von Mitteleuropa zum Verlust eines Großteils der antiken Literatur die mit einer relativen Durststrecke an neuen lterarischen Werken einherging. Was existierte, wurde in den Klöstern verwahrt, und nicht der Öfentlichkeit zugänglich gemacht. Die Kirche hatte das Bildungsmonopol, und bestimmte somit de facto wer zur Intelligenz der damaligen Zeit gehören durfte.

Auf dem Gebiet der Naturwissenschaft entstand während Jahrhunderten nichts Neues. Die Gründe dafür sind vielseitig: Die Bevölkerung schrumpfte auf Grund von Epidemien, was nicht unbedingt für Neuentwicklungen förderliche war. Man hatte eher den Blick nach rückwärts gerichtet, was sich vor allem im östlichen, byzantinischen Teil Europas auf die Bewahrung des status quo, des altbewährten Erbes festhielt.

Kaum Literatur, den Blick rückwärts gerichtet, die Menschen in ein erdrückendes feudales System gezwängt, hatten einfach andere Sorgen als an Kultur und Wissenschaft zu denken. In der Folge stagnierte der Fortschritt und die Zivilisation entwickelte sich zunächst mal rückwärts. Dies wurde dann teilweise ab der Jahrtausendwende besser, mit der Eroberung Englands durch die Franzosen, und der Gründung der Handwerkszünfte, die einigen Menschen einen gewissen Wohlstand bescherten.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#4 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von Catholic » So 5. Okt 2014, 22:09

Hallo closs,

ich kommentiere einmal einige Deiner Ausführungen als Zwischenbemerkung (farbig).
closs hat geschrieben:Was gab es?
* Am Anfang kein Staatswesen,dann den Aufbau eines Staates incl. Verwaltung und Schulwesen ab dem 8. Jh.
exakt! Unter Karl dem Grossen wurde ein Staatswesen geschaffen,dass unter Anderem erst eine einheitliche Verwaltung (wieder) möglich machte,seit dem antiken Rom war diese untergegangen.
* Am Anfang gab es durchaus philosophische/theologische Großtaten....dieses geistige Wirken versackte in den Völkerwanderjahren und in den Aufbaujahren - dann spätestens ab dem Hochmittelalter gab es Sternstunden der Geistes-Geschichte (man denke nur an die Deutsche Mystik).
absolut richtig!
Dieser Wiederaufbau begann unter der karolingischen Bildungsreform,die auf Wissen der Benediktiner aufbaute und gipfelte in der Kultur der Hochgotik.

Unterm Strich wäre der erste Eindruck: Das Jahrtausend von 500 - 1.500 n.Chr. war die Aufbauzeit vom (fast) Punkt Null zu einem funktionierendem Staats-, Gesellschafts- und Kulturwesen,...
korrekt! Auf Grund der Völkerwanderung war ja vieles verloren gegangen und nicht weil die Kirche das Wissen vernichtete,im Gegenteil,sie bemühte sich in den Wirren um die Bewahrungen von Wissen.


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#5 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von Catholic » So 5. Okt 2014, 22:17

Ich habe da einige Verständnisfragen und stelle sie als Zwischenkommentar rein.

Pluto hat geschrieben: Über das frühmittelaterliche England und Skandinavien gibt es praktisch gar keine Dokumente oder Berichte.
Und warum gibt es die nicht?
Im Zuge der Christianisierung kam es im Frühmittelalter von Mitteleuropa zum Verlust eines Großteils der antiken Literatur ...
War die Katholische Kirche am Verlust dieser antiken Literatur schuld?
Was existierte, wurde in den Klöstern verwahrt, und nicht der Öfentlichkeit zugänglich gemacht.
Meinst Du,dass die Klöster die Texte verwahrte,damit sie die Bevölkerung nicht lesen konnte?

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#6 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von Catholic » So 5. Okt 2014, 22:33

Plito,es wird oft behauptet,die Kirche habe im Mittelalter antike Texte bewusst vernichtet/vernichten lassen um die Verbreitung dieses Wissens zu verhindern und ausserdem habe die Kirche verhindert,dass die Menschen sich bilden konnten.
Fakt ist,dass im europäischen Mittelalter eine deutliche Weitergabe von Wissen existierte,angefangen bei den Klöstern,die - besonders die Benediktiner - antikes Wissen bewahrten über die karolingische Bildungsreform bis hin zu den frühen Universitäten.

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#7 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von Catholic » So 5. Okt 2014, 22:47

Ich gehe noch weiter und behaupte,dass wir heute ohne die Kirche deutlich weniger wüssten.

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#8 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von 2Lena » So 5. Okt 2014, 22:47

Plutos Argument: Die Leute hatten andere Sorgen ... scheint wohl nach der Völkerwanderung wirklich zu passen. Ich habe mal in den kirchlichen Archiven nach Geschlechtsregistern geforscht. Dabei ist mir die Schwierigkeit von Lesen und Schreiben aufgefallen. Rechtschreibung - vergiss es. Mal wurde ein Name so, mal anders geschrieben. Feinmotorik, war wohl nicht. Das muss unglaublich schwer gewesen sein, Schrift einüben und wurde nur gelegentlich gebraucht. Erst ab 1500 gab es ständige Aufzeichnungen, um die Zeit der Reformation. Um 1700 begann eine staatlich organisierte Schulpflicht. Zuvor hatten nur wenige Gelehrte, dienstbar den Fürstenhäusern oder die Pfarrer so eine Ausbildung.

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#9 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von Pluto » So 5. Okt 2014, 22:50

Catholic hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Über das frühmittelaterliche England und Skandinavien gibt es praktisch gar keine Dokumente oder Berichte.
Und warum gibt es die nicht?
Die Kelten und Wikinger konnte vermutlich nicht schreiben, oder sie hatten kein Inreresse am Dokumentieren. ;)
Catholic hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Im Zuge der Christianisierung kam es im Frühmittelalter von Mitteleuropa zum Verlust eines Großteils der antiken Literatur ...
War die Katholische Kirche am Verlust dieser antiken Literatur schuld?
Über die Gründe kenne ich mich nicht aus, aber es ist Fakt, dass Vieles verloren ging. Der Rest wurde von den Mönchen in den Klöstern akribisch ins Latein übersetzt.
Catholic hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Was existierte, wurde in den Klöstern verwahrt, und nicht der Öfentlichkeit zugänglich gemacht.
Meinst Du,dass die Klöster die Texte verwahrte,damit sie die Bevölkerung nicht lesen konnte?
Naja, das "Volk" hätte damit sowieso nicht viel anfangen können. Schließlich war alles in Latein oder in griechisch/arabisch vorhanden, was nicht gerade Jedermann verstand, also gab man die Bücher und Dokumente nur an Diejenigen, die was damit anfangen konnten, und das waren de facto diejenigen die von der Kirche zum Studium auserwählt waren, also Klerikale und Mönche die des Lesens mächtig waren. Es war ein "Teufelskreis".
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#10 Re: War das europäische Mittelalter finster?

Beitrag von Pluto » So 5. Okt 2014, 22:57

Catholic hat geschrieben:Ich gehe noch weiter und behaupte,dass wir heute ohne die Kirche deutlich weniger wüssten.
Einverstanden! :)
Das habe ich auch hier ganz klar betont: http://4religion.de/viewtopic.php?p=92127#p92127
Das was an altertümlichem Wissen vorhanden war, wurde uns durch die Akribie der Mönche erhalten.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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