#1 Peter Malinowski: Gehirn und Geist
Verfasst: Do 31. Jul 2014, 09:44
Ein interessanter und ausführlicher Artikel über den Zusammenhang von Hirnprozessen und ihrem Korellieren mit unsrem Erleben, das Verhältnis von Gehirn und Geist aus buddhistischer Sicht.
Quelle: Buddhismus Heute
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KORRELATE SIND KEINE URSACHEN
Die grundlegende und selten hinterfragte Sichtweise in den Neurowissenschaften ist, dass das Gehirn die Grundlage von allen messbaren und nichtmessbaren geistigen Prozessen ist. Darauf aufbauend führen die oben geschilderten Beobachtungen fast zwangsläufig zu dem Schluss, dass derartige Vorgänge im Gehirn tatsächlich die Ursache für Bewusstsein sind. Möchte man es jedoch etwas genauer wissen, so stellt man fest, dass es keine überzeugenden Vorschläge gibt, in welcher Weise physiologische Abläufe, die mit Bewusstseinsprozessen einher gehen, diese verursachen könnten. Obwohl man glauben mag, dass mit einem Erforschen der neuronalen Korrelate des Bewusstseins die Frage nach seiner Ursache zu beantworten sei, bleibt völlig ungeklärt, wie ein materieller Prozess ein geistiges Resultat hervorbringen kann.
In der buddhistischen Philosophie wird dagegen die grundlegende Anschauung, Materie als Ursache für Geist zu sehen, hinterfragt. Jeder Nachweis von Materie ist ja letztendlich ein Bewusstseinsprozess. Von einem Objekt (Materie, Gehirn), das unabhängig von einem beobachtenden, experimentierenden, analysierenden Beobachter (Subjekt) existieren würde, kann man daher gar nicht sprechen. Zudem zeigt die Physik und hier insbesondere die Quantenphysik deren Ziel es ist, die Grundprinzipien der materiellen Welt zu entschlüsseln, dass die Vorstellung von solider Existenz eigentlich eine extreme Vereinfachung der Wirklichkeit ist und unsere Entweder-Oder-Vorstellungen im Mikrokosmos eigentlich nicht uneingeschränkt gelten. Gemäss Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation lässt sich die Bewegungsbahn eines Teilchens, die sich aus Ort und Geschwindigkeit (genauer gesagt Impuls, dem Produkt aus Geschwindigkeit und Masse) zusammensetzt, nicht eindeutig bestimmen. Je genauer wir den Ort bestimmen, um so weniger ist die Geschwindigkeit bestimmt und umgekehrt. Ein Teilchen befindet sich also nicht eindeutig entweder in einem oder in einem anderen Zustand, sondern der Messprozess, die Frage die wir stellen, entscheidet, was für eine Antwort wir über den Zustand eines Teilchens bekommen. Offensichtlich wird hier, wo man sich nicht mit der groben Erscheinungsweise der Phänomene zufrieden gibt, sondern mehr und mehr ihre Essenz erforscht, die Vorstellung von letztendlicher, fest definierter Seinsweise der kleinsten Bausteine der materiellen Welt in Frage gestellt. Sie weisen mehrere noch nicht realisierte Möglichkeiten auf und erst der Messprozess entscheidet, was wir beobachten werden. Wie kann etwas, das selbst keine unabhängigen Eigenschaften besitzt, Grundlage unabhängiger Existenz sein? Auch einer logischen Analyse hält die Vorstellung, es gäbe kleinste, unteilbare Teilchen nicht stand. Unteilbare Teilchen dürften keine Eigenschaften wie eine Ausdehnung, Richtungen in die sie sich erstrecken, verschiedene Seiten usw., aufweisen. Hätten sie diese Eigenschaften, wären sie weiter teilbar. Weisen sie diese Eigenschaften jedoch nicht auf, können sie sich niemals zu gröberen Objekten anordnen, da sie sich ohne Eigenschaften wie „oben“, „unten“ usw. niemals zu einer Form zusammenfinden könnten.
Jeder Versuch Materie nachzuweisen, stellt einen Bewusstseinsprozess dar. Da Materie also unabhängig von Bewusstsein niemals auftreten kann, erscheint die Idee, das (materielle) Gehirn sei die Grundlage von allem inklusive Bewusstein, äußerst willkürlich. Sie kommt dadurch zustande, dass unser Geist eine enorm starke Gewohnheit hat, nach außen zu schauen, während er keine Erfahrung darin hat, sich selbst zu erleben. Den außen erlebten Phänomenen sprechen wir daher mehr Realität zu als dem inneren Raum oder Geist, der dies alles erfährt.
Da Materie niemals unabhängig von Bewusstsein auftritt, in Meditation aber Bewusstseinszustände auftreten können, in denen wir bewusst sind, ohne uns einer Sache bewusst zu sein, fällt es einem meditierenden Buddhisten nicht schwer, Geist und Bewusstsein als Grundlage aller Erlebnisse anzusehen. Um eine solche Sichtweise auch einem nicht meditierenden Wissenschaftler näher zu bringen, wäre jedoch ein wissenschaftlicher Nachweis, dass Bewusstsein unabhängig von Materie dem Gehirn existieren kann, ein äußerst schlagkräftiges Argument. Interessanterweise kommen uns hier Untersuchungen aus Großbritannien zur Hilfe. Forscher interviewten eine Vielzahl von Patienten, die einen Herzstillstand erlitten hatten, aber wiederbelebt werden konnten. Ein Herzstillstand wird allgemein als der Zustand angesehen, der uns am dichtesten an den wirklichen Tod bringt. Von besonderem Interesse für den Zusammenhang zwischen Gehirn und Bewusstsein ist dabei die Tatsache, dass etwa 10 20 Sekunden nach Aussetzen des Herzens keine messbare Hirnaktivität mehr feststellbar ist.
Obwohl dem so ist, erinnerten sich etwa zehn Prozent der Befragten Patienten an Erlebnisse aus der Zeit während des Herzstillstands. Die meisten dieser Erinnerungen fallen dabei in den Bereich der schon katalogisierten sogenannten Nahtoderfahrungen, wie dem Sehen eines Tunnels, eines hellen Lichts, verstorbener Verwandter oder mystischer Wesen, sowie auch dem Erlebnis außerhalb des eigenen Körpers zu sein und alles von oben zu sehen. Das Auftreten klarer, wohlstrukturierter Gedankenprozesse zusammen mit Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozessen zu einem Zeitpunkt, zu dem es keine messbare Gehirnaktivität mehr gibt, lässt sich mit den allgemein üblichen Deutungen von Nahtoderfahrungen nur schwer erklären. Halluzinationen beispielsweise, die durch verschiedene Substanzen ausgelöst sein können, treten üblicherweise nur in einem funktionierenden Gehirn auf. Außerdem weiß man, dass Gedankenprozesse an die Interaktion mehrerer Hirnareale gebunden ist, die sicherlich in diesem Zustand nicht mehr möglich sind. Weiterhin wird in der Medizin das Erinnerungsvermögen als ein sehr genauer Indikator für die Schwere einer Hirnschädigung angesehen, wobei normalerweise keine Erinnerungen für Ereignisse kurz vor und nach der Schädigung vorhanden sind. Von diesem Gedächtnisverlust sollten daher auch die Erinnerungen während des Herzstillstands betroffen sein. Diese und weitere Argumente lassen sich gegen die üblichen Erklärungen von Nahtoderfahrungen anbringen, wobei jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei den berichteten Erinnerungen um nachträgliche (wenn auch unbewusste) Rekonstruktionen handelt. Nicht anfechtbar und äußerst überzeugend ist meiner Meinung nach jedoch das Argument, dass sich einige Patienten daran erinnern konnten, was während der Zeit des Herzstillstands und der Wiederbelebungsversuche um sie herum passierte; Erinnerungen, die vom anwesenden Krankenhauspersonal als zutreffend bestätigt wurden. Hier waren also Patienten in der Lage zu berichten, was um sie herum vor sich ging, selbst während ihr Gehirn all die Funktionen, die angeblich für Bewusstseinsprozesse verantwortlich sind, mit Sicherheit nicht ausführen konnte. Wäre das Gehirn die Ursache für Bewusstsein, wären solche Erinnerungen nicht möglich.
[...]
PETER MALINOWSKI, geb. 1964 promovierter Diplompsychologe, tätig in der Hirnforschung. Seit 1990 Schüler von Lama Ole Nydahl, bis 1998 Aufbau des Zentrums in Braunschweig, danach Mitarbeit im Zentrum Konstanz. Seit 2001 Aufbau des nächsten Zentrums, diesmal in Liverpool, reist als Lehrer seit 1994
Quelle: Buddhismus Heute
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KORRELATE SIND KEINE URSACHEN
Die grundlegende und selten hinterfragte Sichtweise in den Neurowissenschaften ist, dass das Gehirn die Grundlage von allen messbaren und nichtmessbaren geistigen Prozessen ist. Darauf aufbauend führen die oben geschilderten Beobachtungen fast zwangsläufig zu dem Schluss, dass derartige Vorgänge im Gehirn tatsächlich die Ursache für Bewusstsein sind. Möchte man es jedoch etwas genauer wissen, so stellt man fest, dass es keine überzeugenden Vorschläge gibt, in welcher Weise physiologische Abläufe, die mit Bewusstseinsprozessen einher gehen, diese verursachen könnten. Obwohl man glauben mag, dass mit einem Erforschen der neuronalen Korrelate des Bewusstseins die Frage nach seiner Ursache zu beantworten sei, bleibt völlig ungeklärt, wie ein materieller Prozess ein geistiges Resultat hervorbringen kann.
In der buddhistischen Philosophie wird dagegen die grundlegende Anschauung, Materie als Ursache für Geist zu sehen, hinterfragt. Jeder Nachweis von Materie ist ja letztendlich ein Bewusstseinsprozess. Von einem Objekt (Materie, Gehirn), das unabhängig von einem beobachtenden, experimentierenden, analysierenden Beobachter (Subjekt) existieren würde, kann man daher gar nicht sprechen. Zudem zeigt die Physik und hier insbesondere die Quantenphysik deren Ziel es ist, die Grundprinzipien der materiellen Welt zu entschlüsseln, dass die Vorstellung von solider Existenz eigentlich eine extreme Vereinfachung der Wirklichkeit ist und unsere Entweder-Oder-Vorstellungen im Mikrokosmos eigentlich nicht uneingeschränkt gelten. Gemäss Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation lässt sich die Bewegungsbahn eines Teilchens, die sich aus Ort und Geschwindigkeit (genauer gesagt Impuls, dem Produkt aus Geschwindigkeit und Masse) zusammensetzt, nicht eindeutig bestimmen. Je genauer wir den Ort bestimmen, um so weniger ist die Geschwindigkeit bestimmt und umgekehrt. Ein Teilchen befindet sich also nicht eindeutig entweder in einem oder in einem anderen Zustand, sondern der Messprozess, die Frage die wir stellen, entscheidet, was für eine Antwort wir über den Zustand eines Teilchens bekommen. Offensichtlich wird hier, wo man sich nicht mit der groben Erscheinungsweise der Phänomene zufrieden gibt, sondern mehr und mehr ihre Essenz erforscht, die Vorstellung von letztendlicher, fest definierter Seinsweise der kleinsten Bausteine der materiellen Welt in Frage gestellt. Sie weisen mehrere noch nicht realisierte Möglichkeiten auf und erst der Messprozess entscheidet, was wir beobachten werden. Wie kann etwas, das selbst keine unabhängigen Eigenschaften besitzt, Grundlage unabhängiger Existenz sein? Auch einer logischen Analyse hält die Vorstellung, es gäbe kleinste, unteilbare Teilchen nicht stand. Unteilbare Teilchen dürften keine Eigenschaften wie eine Ausdehnung, Richtungen in die sie sich erstrecken, verschiedene Seiten usw., aufweisen. Hätten sie diese Eigenschaften, wären sie weiter teilbar. Weisen sie diese Eigenschaften jedoch nicht auf, können sie sich niemals zu gröberen Objekten anordnen, da sie sich ohne Eigenschaften wie „oben“, „unten“ usw. niemals zu einer Form zusammenfinden könnten.
Jeder Versuch Materie nachzuweisen, stellt einen Bewusstseinsprozess dar. Da Materie also unabhängig von Bewusstsein niemals auftreten kann, erscheint die Idee, das (materielle) Gehirn sei die Grundlage von allem inklusive Bewusstein, äußerst willkürlich. Sie kommt dadurch zustande, dass unser Geist eine enorm starke Gewohnheit hat, nach außen zu schauen, während er keine Erfahrung darin hat, sich selbst zu erleben. Den außen erlebten Phänomenen sprechen wir daher mehr Realität zu als dem inneren Raum oder Geist, der dies alles erfährt.
Da Materie niemals unabhängig von Bewusstsein auftritt, in Meditation aber Bewusstseinszustände auftreten können, in denen wir bewusst sind, ohne uns einer Sache bewusst zu sein, fällt es einem meditierenden Buddhisten nicht schwer, Geist und Bewusstsein als Grundlage aller Erlebnisse anzusehen. Um eine solche Sichtweise auch einem nicht meditierenden Wissenschaftler näher zu bringen, wäre jedoch ein wissenschaftlicher Nachweis, dass Bewusstsein unabhängig von Materie dem Gehirn existieren kann, ein äußerst schlagkräftiges Argument. Interessanterweise kommen uns hier Untersuchungen aus Großbritannien zur Hilfe. Forscher interviewten eine Vielzahl von Patienten, die einen Herzstillstand erlitten hatten, aber wiederbelebt werden konnten. Ein Herzstillstand wird allgemein als der Zustand angesehen, der uns am dichtesten an den wirklichen Tod bringt. Von besonderem Interesse für den Zusammenhang zwischen Gehirn und Bewusstsein ist dabei die Tatsache, dass etwa 10 20 Sekunden nach Aussetzen des Herzens keine messbare Hirnaktivität mehr feststellbar ist.
Obwohl dem so ist, erinnerten sich etwa zehn Prozent der Befragten Patienten an Erlebnisse aus der Zeit während des Herzstillstands. Die meisten dieser Erinnerungen fallen dabei in den Bereich der schon katalogisierten sogenannten Nahtoderfahrungen, wie dem Sehen eines Tunnels, eines hellen Lichts, verstorbener Verwandter oder mystischer Wesen, sowie auch dem Erlebnis außerhalb des eigenen Körpers zu sein und alles von oben zu sehen. Das Auftreten klarer, wohlstrukturierter Gedankenprozesse zusammen mit Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozessen zu einem Zeitpunkt, zu dem es keine messbare Gehirnaktivität mehr gibt, lässt sich mit den allgemein üblichen Deutungen von Nahtoderfahrungen nur schwer erklären. Halluzinationen beispielsweise, die durch verschiedene Substanzen ausgelöst sein können, treten üblicherweise nur in einem funktionierenden Gehirn auf. Außerdem weiß man, dass Gedankenprozesse an die Interaktion mehrerer Hirnareale gebunden ist, die sicherlich in diesem Zustand nicht mehr möglich sind. Weiterhin wird in der Medizin das Erinnerungsvermögen als ein sehr genauer Indikator für die Schwere einer Hirnschädigung angesehen, wobei normalerweise keine Erinnerungen für Ereignisse kurz vor und nach der Schädigung vorhanden sind. Von diesem Gedächtnisverlust sollten daher auch die Erinnerungen während des Herzstillstands betroffen sein. Diese und weitere Argumente lassen sich gegen die üblichen Erklärungen von Nahtoderfahrungen anbringen, wobei jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei den berichteten Erinnerungen um nachträgliche (wenn auch unbewusste) Rekonstruktionen handelt. Nicht anfechtbar und äußerst überzeugend ist meiner Meinung nach jedoch das Argument, dass sich einige Patienten daran erinnern konnten, was während der Zeit des Herzstillstands und der Wiederbelebungsversuche um sie herum passierte; Erinnerungen, die vom anwesenden Krankenhauspersonal als zutreffend bestätigt wurden. Hier waren also Patienten in der Lage zu berichten, was um sie herum vor sich ging, selbst während ihr Gehirn all die Funktionen, die angeblich für Bewusstseinsprozesse verantwortlich sind, mit Sicherheit nicht ausführen konnte. Wäre das Gehirn die Ursache für Bewusstsein, wären solche Erinnerungen nicht möglich.
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PETER MALINOWSKI, geb. 1964 promovierter Diplompsychologe, tätig in der Hirnforschung. Seit 1990 Schüler von Lama Ole Nydahl, bis 1998 Aufbau des Zentrums in Braunschweig, danach Mitarbeit im Zentrum Konstanz. Seit 2001 Aufbau des nächsten Zentrums, diesmal in Liverpool, reist als Lehrer seit 1994