Reduktionismus oder Holismus

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closs
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#21 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » So 1. Mär 2015, 21:38

Pluto hat geschrieben:Bewusstsein ist so ein Beispiel, wo die Summe mehr ist als die Einzelteile.
Und damit kommen wir unweigerlich in andere Fragestellungen, die hier OT sind - nämlich: Ist das Ganze überhaupt (über Mechanisches hinaus) rein materialistisch zu verstehen?

Wenn man mit JA antwortet ("Es ist materialistisch zu verstehen"), kann das genau der indirekte Beweis dafür sein, dass es nicht verstanden wurde. - Wenn man mit NEIN antwortet ("Es ist materialistisch NICHT zu verstehen"), kann dies genau die Hürde für die Wissenschaft sein, die ein ganzheitliches/holistisches Verstehen verhindert. - Die Lage ist aus meiner Sicht ziemlich katastrophal - ein gordischer Knoten, eine Aporie.

Pluto
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#22 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Pluto » So 1. Mär 2015, 21:52

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Bewusstsein ist so ein Beispiel, wo die Summe mehr ist als die Einzelteile.
Und damit kommen wir unweigerlich in andere Fragestellungen, die hier OT sind - nämlich: Ist das Ganze überhaupt (über Mechanisches hinaus) rein materialistisch zu verstehen?
Beziehst du die Frage allein auf Bewusstsein, dann ist die Frage tatsächlich OT.
Bezeihst du sie hingegen auf das Verständnis der Welt, dann passt die Frage sehr gut hierher.

closs hat geschrieben:Wenn man mit JA antwortet ("Es ist materialistisch zu verstehen"), kann das genau der indirekte Beweis dafür sein, dass es nicht verstanden wurde. - Wenn man mit NEIN antwortet ("Es ist materialistisch NICHT zu verstehen"), kann dies genau die Hürde für die Wissenschaft sein, die ein ganzheitliches/holistisches Verstehen verhindert. - Die Lage ist aus meiner Sicht ziemlich katastrophal - ein gordischer Knoten, eine Aporie.
Wie kommst du nur auf so was?
Es kommt auf das Objekt der Studie an. In den meisten Fällen ist die Frage mit JA zu beantworten.
Im Bezug auf das Bewusstsein meine ich, wir haben noch nicht genügend Daten gesammelt uns ein endgültiges Urteil darüber machen, woraus Bewusstsein entsteht.

Wenn du mich bedrängst ein vorläufiges Urteil zu fällen, würde ich sagen, "Warum nicht?"
Warum sollte das Bewusstsein, wie so Vieles andere auch, nicht eine rein physkalische Erscheinung sein, die sich aber dadurch aszeichnet, dass es aus der schier unglaublichen Komplexität des Gehirns entsteht.
Aso, das Bewusstsein als ein Holismus verstehen, bei dem die Summe tatsächlich mehr ist als die Summe der Einzelteile?

Für mich ist eine solche Vorstellung keineswegs eine Aporie, sondern eine Herausforderung, weiter zu Fakten zu sammeln um der Wahrheit näher zu kommen.
So gesehen, ist die Annahme, Bewusstsein auf eine höhere Ebene des "wissenschaftlich Unerreichbaren" zu schieben, nur Ausdruck einer Kapitutlation vor der Komplexität des Problems.
— sapere aude!
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#23 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » So 1. Mär 2015, 22:40

Pluto hat geschrieben:Bezeihst du sie hingegen auf das Verständnis der Welt, dann passt die Frage sehr gut hierher.
Was ist "die Welt"? - Meinst Du damit allein die naturalistische Welt? Wahrscheinlich ja.

Pluto hat geschrieben:Für mich ist eine solche Vorstellung keineswegs eine Aporie, sondern eine Herausforderung, weiter zu Fakten zu sammeln um der Wahrheit näher zu kommen.
Das ist zwar generell sehr spannend, bringt aber in Bezug auf "Bewusstsein" PRINZIPIELL keine Antwort auf die gegebene Frage. - Denn selbst wenn man alles wüsste, kännte man nur die physikalischen/biologischen Vorgänge. - Es wäre NICHT beantwortet, ob das, was wir als "Bewusstsein" bezeichnen, primär im Gehirn produziert würde, oder ob dieses materiell produzierte "Terminal" (wie woanders gesagt wurde) wäre für ein Bewusstsein, das in die Materie hineinwirkt.

Wenn man "Verständnis der Welt" auch auf komplexe Bereiche wie "Gesundheit" anwendet, spielt dieser Unterschied jedoch eine Rolle - und dann sind wir tatsächlich in der Fragestellung nach reduktiver oder holistischer Auffassung eine Rolle.

Bei ganz anderen, rein materiellen Systemen wie bspw. das Wetter würde man unter gesamtheitlich wahrscheinlich verstehen, dass man als Wissenschaftler einsehen muss, dass manche Systeme chaotisch verlaufen, mithin eine noch so intensive reduktive Betrachtung an ihre Grenzen stößt. - Bei der Quantenmechanik hinwiederum könnte man mit einbeziehen, dass es unterhalb der Strings vielleicht doch so etwas wie "Geist" oder Interfaces dazu gibt, aus dem vieles erklärbar wird - aber eben nicht wissenschaftlich erklärbar wird, weil dies die Grenzen wissenschaftlicher Methodik überschreitet.

Pluto hat geschrieben:sapere aude!
Guter Spruch, der aus meiner Sicht nichtsdestoweniger seine natürlichen Grenzen hat.

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#24 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Pluto » So 1. Mär 2015, 23:14

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Bezeihst du sie hingegen auf das Verständnis der Welt, dann passt die Frage sehr gut hierher.
Was ist "die Welt"? - Meinst Du damit allein die naturalistische Welt? Wahrscheinlich ja.
Die Antwort darauf hatte ich schon gegeben. Wenn ich die Welt sage, meine ich das auch und unterscheide nicht zwischen Sein und Dasein.
Es gibt sicherlich prinzipiell Nichtuntersuchbares auf der Welt, aber das Bewusstsein gehört meines Erachtens nicht dazu.

closs hat geschrieben:Es wäre NICHT beantwortet, ob das, was wir als "Bewusstsein" bezeichnen, primär im Gehirn produziert würde, oder ob dieses materiell produzierte "Terminal" (wie woanders gesagt wurde) wäre für ein Bewusstsein, das in die Materie hineinwirkt.
Abwarten und Tee trinken... :mrgreen:
Du sagst das so kategorisch, dabei bin ich mir gar nicht so sicher ob du Recht behalten wirst.
Deshalb nochmals in aller Deutlichkeit: Nach allem was aus der Tierforschung bekannt ist, gehört meines Erachtens Bewusstsein micht zu den Dingen die prinzipiell unerforschbar bleiben werden.
Komplexe Dinge wie ein menschliches Gehirn brauchen einfach etwas länger als etwa die 232 Neuronen des Regenwurms.

closs hat geschrieben:Bei ganz anderen, rein materiellen Systemen wie bspw. das Wetter würde man unter gesamtheitlich wahrscheinlich verstehen, dass man als Wissenschaftler einsehen muss, dass manche Systeme chaotisch verlaufen, mithin eine noch so intensive reduktive Betrachtung an ihre Grenzen stößt.
Gerade beim Wetter würde ich hier widersprechen.
Selbst wenn wir das Wetter nicht genau vorhersagen können, ist es es heute bereits für einen überschaubaren Zeitraum vorhersagbar, und die Computer werden immer besser, und die Prognosen ebenfalls.

closs hat geschrieben:Bei der Quantenmechanik hinwiederum könnte man mit einbeziehen, dass es unterhalb der Strings vielleicht doch so etwas wie "Geist" oder Interfaces dazu gibt, aus dem vieles erklärbar wird - aber eben nicht wissenschaftlich erklärbar wird, weil dies die Grenzen wissenschaftlicher Methodik überschreitet.
Auch hier darf man nicht in die Dogmatismus-Falle tappen und sagen, etwas sei prinzipiell nicht erfassbar. Vielleicht braucht es nur einen neuen Blickwinkel um uns die notwendigen neuen Einsichten zu geben, denn gerade die QM gehört zu den noch unvollständigen Theorien der Wissenschaft.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#25 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » So 1. Mär 2015, 23:30

Pluto hat geschrieben: Nach allem was aus der Tierforschung bekannt ist, gehört meines Erachtens Bewusstsein micht zu den Dingen die prinzipiell unerforschbar bleiben werden.
Moment - natürlich ist es erforschbar, aber nicht in seiner Genese entscheidbar (siehe anderer Thread).

Pluto hat geschrieben:Gerade beim Wetter würde ich hier widersprechen.
Dass es bis zu einem Grenzwert hin immer besser erforschbar ist, glaube ich auch. - Andererseits hat neulich mal ein Wetterfrosch gemeint, dass es in relativ kurzer Zeit (im Prognose-Zeitraum) so viele Variablen gibt, dass die Ergebnis-Möglichkeiten relativ schnell Richtung unendlich gehen. Eine Umwandlung der Variablen in Konstanten sei nur sehr bedingt durch Forschung möglich.

Generell habe ich einmal im Rahmen der Chaos-Theorie verstanden, dass es zwar einen Wechsel zwischen Chaos und Intermittenzfenster gibt, dieser Wechsel aber nicht berechenbar ist. - Ich verstehe es so: Es gibt Bereiche, zu denen es prinzipiell keine Algorithmen gibt. - Allerdings scheint es Algorithmen zum Wechsel zwischen Chaos und Intermittenzfenstern zu geben.

Pluto hat geschrieben:Auch hier darf man nicht in die Dogmatismus-Falle tappen und sagen, etwas sei prinzipiell nicht erfassbar.
Da lasse ich mich gerne belehren. - Hältst Du den Planck-Raum für prinzipiell wissenschaftlich erfassbar?

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#26 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Pluto » So 1. Mär 2015, 23:50

closs hat geschrieben:Moment - natürlich ist es erforschbar, aber nicht in seiner Genese entscheidbar (siehe anderer Thread).
Wher willstdu das beim jetzigenn Stand der Forschung so kategorisch sagen?

closs hat geschrieben:Generell habe ich einmal im Rahmen der Chaos-Theorie verstanden, dass es zwar einen Wechsel zwischen Chaos und Intermittenzfenster gibt, dieser Wechsel aber nicht berechenbar ist. - Ich verstehe es so: Es gibt Bereiche, zu denen es prinzipiell keine Algorithmen gibt. - Allerdings scheint es Algorithmen zum Wechsel zwischen Chaos und Intermittenzfenstern zu geben.
Ja und?

closs hat geschrieben:Hältst Du den Planck-Raum für prinzipiell wissenschaftlich erfassbar?
Nein. Weil da per Definition unsere Physik nicht mehr gilt.
Ich kann gut damit leben, etwas nicht zu wissen. Es macht mir weniger Angst darüber nichts zu wissen, als Antworten zu bekommen, die falsch sein könten.

Hast du Angst vor der Unwissenheit?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#27 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » Mo 2. Mär 2015, 00:48

Pluto hat geschrieben:Hast du Angst vor der Unwissenheit?
Ganz und gar nicht - aber ich habe größten Respekt vor dem, was sich hinter meiner Unwissenheit verbirgt. - Insofern kann ich nichts mit dem Satz anfangen, dass von uns Nicht-Wissbares "irrelevant" ist - dies mag methodisch Sinn machen, tut es aber ontologisch nicht.

In anderen Worten: Bei Bereichen holistischer Natur (etwa "Gesundheit") bewerte ich reduktive Ergebnisse als ernstzunehmende Größen, nicht aber als verbindliche Größen. - Geht es um nicht-holistische Bereiche (etwa "Wie baue ich eine Brücke über den Rhein?"), sind dagegen reduktive Erkenntnisse tatsächlich der Maßstab. - Zwar verändert sich dieser Maßstab mit der Zeit nach oben (weil die Forschung vorangeht), aber es gibt hier keine Holismus-Reduktivismus-Problematik, weil es sich um rein inner-materialistische Fragen handelt.

Pluto hat geschrieben:Ja und?
???

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sven23
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#28 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von sven23 » Mo 2. Mär 2015, 07:12

closs hat geschrieben:Wir bräuchten mehr medizinische Grundlagen-Forschung, die NICHT von der Pharma bezahlt ist, und Professoren, die NICHT mit der Pharma verbandelt sind. - Nicht weil die Pharma "pöhse" ist, sondern weil es Frage-Komplexe gibt, die nicht im Sinne der Pharma sein können, deren Beantwortung dementsprechend auch nicht gefördert wird.

Unabhängigkeit ist immer gut, leider aus ökonomischen Gründen immer seltener.
Da sind Studien ein sehr gutes Mittel, um den subjektiven Einfluß aller Beteiligten weitgehend zu eleminieren. Will man zu möglichst objektiven Ergebnissen kommen, sind kontrollierte Studien alternativlos.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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ThomasM
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#29 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von ThomasM » Mo 2. Mär 2015, 09:11

closs hat geschrieben: Eine Lösung wäre der hermeneutische Ansatz - im Folgenden ausschließlich auf philologische Fragestellungen bezogen, jedoch beliebig auch auf Naturwissenschaft übertragbar:

„Wenn wir nun aber den Geist des gesamten Altertums nur durch seine Offenbarungen in den Werken der Schriftsteller erkennen können, diese aber selbst wieder die Erkenntnis des universellen Geistes voraussetzen, wie ist es möglich, da wir immer nur das eine nach dem anderen, nicht aber das Ganze zu gleicher Zeit auffassen können, das Einzelne zu erkennen, da dieses die Erkenntnis des Ganzen voraussetzt? Der Zirkel, dass ich a, b, c und so weiter nur durch A erkennen kann, aber dieses A selbst wieder nur durch a, b, c usf., ist unauflöslich, wenn beide A und a, b, c als Gegensätze gedacht werden, die sich wechselseitig bedingen und voraussetzen, nicht aber ihre Einheit anerkannt wird, so dass A nicht erst aus a, b, c usf. hervorgeht und durch sie gebildet wird, sondern ihnen selbst vorausgeht, sie alle auf gleiche Weise durchdringt, a, b, c also nichts anderes als individuelle Darstellungen des Einen A sind. In A liegen dann auf ursprüngliche Weise schon a, b, c; diese Glieder selbst sind die einzelnen Entfaltungen des Einen A, also liegt in jedem auf besondere Weise schon A, und ich brauche nicht erst die ganze unendliche Reihe der Einzelnheiten zu durchlaufen, um ihre Einheit zu finden.“ (Friedrich Ast)
In diesem Fall muss ich Pluto zustimmen, der Absatz - selbst mehrmals gelesen - ergibt keine Lösung. Vielleicht formuliert er das Problem, nämlich dass ich A nicht ohne a,b,c,... verstehen kann und a,b,c,... nicht ohne A. Aber er formuliert KEINE Lösung.

Das ist genau das, was ich der Geisteswissenschaft - allen voran der Philosophie - vorwerfe, dass sie mit Worten um sich wirft, aber die Bedeutung der Worte nicht erreichen kann. Vielmehr wird versucht, durch ständige Wiederholung so zu tun, als gäbe es eine Bedeutung. Man gewöhnt sich an die Worte, meint sogar vielleicht, etwas verstanden zu haben, versteht aber letztlich nichts.
Das gilt auch für dich closs, denn wenn man etwas wirklich verstanden hat, dann kann man es auch erklären, das schaffst du aber in der Regel nicht (wie die sich immer wiederholenden Diskussionen zeigen).

Nun, reduktiv oder ganzheitlich, welche Eigenschaften möchte ich auf keinen Fall aufgeben?
Meiner Meinung nach sind das die Dinge, die die Basis der Naturwissenschaft sind. Das hat zur Folge, dass die Beschränkung zunächst einmal (tut mir leid, closs) der Materialismus sein muss, denn das ist die Konsequenz dieser Basis:
- Definierbarkeit - verwendete Begriffe müssen definiert werden können, nicht umschrieben, nicht mit Synonymen belegt, definiert.
- Messbarkeit - Phänomene oder Reaktionsweisen müssen messbar sein. Entweder objektiv beobachtbar oder eben durch unpersönliche Messinstrumente darstellbar.
- Wiederholbarkeit - Die Phänomene müssen sich unter kontrollierbaren Umständen mindestens statistisch wiederholen können.

Damit wäre dann zwar ein ganzheitlicher Ansatz möglich (und daraus viele interessante Ergebnisse), aber die Einbeziehung des Geistes wäre damit immer noch nicht gelungen. Hierzu müsste man die Objektivität aufgeben. Dieses hätte aber die Folge, dass genau die Fähigkeit, objektive Erkenntnisse zu gewinnen, verloren geht.
Eine Brücke sehe ich hier nicht.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#30 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » Mo 2. Mär 2015, 09:55

ThomasM hat geschrieben:Vielleicht formuliert er das Problem, nämlich dass ich A nicht ohne a,b,c,... verstehen kann und a,b,c,... nicht ohne A. Aber er formuliert KEINE Lösung.
Stimmt - denn er formuliert den sogenannten "Hermeneutischen Zirkel" - "Spirale" wäre besser. Das heisst: Die Beschäftigung a, b, c bringt immer mehr Klarheit über A, was dazu führt, dass man im nächsten Schritt a, b,c genauer aussuchen kann, um damit A wiederum ein Stückchen näher zu kommen - usw.

Es ist ein unendliches "Spiel" und somit keine "Lösung", weil man weiss, dass man A nie endgültig, sondern nur immer besser verstehen kann (Analogie: Ehefrau :silent: ).

ThomasM hat geschrieben:Das ist genau das, was ich der Geisteswissenschaft - allen voran der Philosophie - vorwerfe, dass sie mit Worten um sich wirft, aber die Bedeutung der Worte nicht erreichen kann.
Das hat genau damit zu tun. - Die Philosophie bedient keine selbst-geschaffenen Modelle, die man 100%ig einlösen kann, sondern baut in ihr Modell des/der "Hermeneutischen Zirkels/Spirale" bereits die Erkenntnis ein, dass das Ziel nicht erreichbar sein KANN.

Im Grunde spieltst Du damit auf die "Ontologische Differenz" von Heidegger an, die scharf zwischen Subjekt (Seiendes) und Objekt (Sein) unterscheidet. Das Sein (Objekt) "ist" demnach nicht eine Vorstellung, die wir von den Dingen haben, sondern unsere Vorstellungen bleiben immer nur Entwürfe des Objekts, selbst dann wenn diese Vorstellungen objektiver Natur sind (Wissenschaft). - Der Kritische Rationalismus mit seiner Vermeidung eines unendlichen Regresses würde somit von Heidegger vermutlich in seiner Eigenschaft als pragmatische Methodik anerkannt werden, aber NICHT als Philosophie.

Materialistisch ist Heidegger letztlich NICHT zu verstehen (außer im horizontalen Sinn, wenn Subjekt und Objekt auf gleicher Ebene Sind - etwa "Mensch" (Subjekt) und "Stuhl" (Objekt), weil er - genauso wie das Christentum und Hegel - platonisch ist, indem er das Objekt VOR das Subjekt setzt: "Dies bedeutet, dass die Welt nicht aus singulären Objekten besteht, sondern eine sinnhafte Totalität ist, in der sich immer schon Bezüge unter den Dingen ausgebildet haben", steht dazu in wiki. - Und schon sind wir mittendrin im Thema "Reduktionismus oder Holismus".

ThomasM hat geschrieben: Das hat zur Folge, dass die Beschränkung zunächst einmal (tut mir leid, closs) der Materialismus sein muss
Sogar Zustimmung - aus methodischen Gründen ist dies notwendig, wie auch der methodische Atheismus. - Was aber oft dabei übersehen wird: Es hat methodische, also pragmatische (am liebsten würde ich sagen: arbeits-organisatorische) Gründe - philosophisch ist es letztlich NICHT haltbar.

ThomasM hat geschrieben:Damit wäre dann zwar ein ganzheitlicher Ansatz möglich
Verstehe ich nicht. - Woraus bestünde hier "Ganzheitlichkeit?

Ist es nicht gerade so, dass die (notwendige) Beschränkung auf methodisch objektivierbare Parameter Ganzheitlichkeit ausschließt? Denn die Vermeidung des unendlichen Regresses ist doch nur eine Schein-Fixierung, bei der das Subjekt sagt "Ich tue jetzt mal so, als sei mein letzter Erkenntnisstand ein Fixpunkt". - Pragmatisch ist das ok, solange man nicht in Grenzbereiche gerät. - Aber philosophisch sagt es aus "Ich ersetze die Bezüge unter den Dingen durch das, was ich davon erkenne, tausche also das Subjekt mit dem Objekt aus" - das geht nicht. - Wissenschaftlich geht es natürlich, weil Wissenschaft pragmatisch ist - aber gleichzeitig ist darin der Anthropozentrismus der Wissenschaft begründet.

Wissenschaft KANN gar nicht holistisch sein, sondern MUSS reduktiv sein - nur: Die Entscheidungen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen müssen von einer Instanz verwertet werden, die zu holistischem Denken befähigt ist. - Genau das ist heute das Problem: Wissenschaftliche Ergebnisse werden eins zu eins zur Grundlage von Entscheidungen herangezogen - weil der Materialismus nichts anderes hat.

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