Quantenmechanische Gedanken zum Urknall

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Agent Scullie
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#341 Re: Quantenmechanische Gedanken zum Urknall

Beitrag von Agent Scullie » Mi 23. Nov 2016, 13:39

Halman hat geschrieben:Ja, da hatte ich den Artikel missverstanden. Gehe ich recht in der Annahme, dass Deine folgende Erklärung von der unten eingefügten Grafik dargestellt wird:
Ja, so kann man das sehen. Die Grafik macht auch noch einmal das Prinzip deutlich, von dem man in der Störungsrechnung ausgeht: zunächst sind die beiden Teilchen (hier: Elektronen) so weit voneinander entfernt, dass die Wechselwirkung zwischen ihnen vernachlässigbar ist, dann kommen sie sich nahe genug, um über das elektromagnetische Feld zu interagieren, und zum Schluss sind sie wieder so weit voneinander weg, dass die Wechselwirkung wieder vernachlässigbar ist.

Halman hat geschrieben:Ist es denn wirklich nur Jargon, wenn man bei dieser Wechselwirkung sagt: "Sie tauschen virtuelle Photonen aus"?
Es ist insofern nur Jargon, als dass die vom zugehörigen Feynman-Diagramm suggerierte anschauliche Vorstellung, dass das eine Elektron ein Photon aussendet, dieses dann eine Zeit lang unterwegs ist und schließlich beim anderen Elektron ankommt, nicht korrekt ist. Die Störungsrechnung sagt über den genauen Prozess eigentlich nur sehr wenig aus, man kann allerdings erahnen, dass es ungefähr so ähnlich abläuft wie in der klassischen Elektrodynamik, dass also jedes Elektron lokal mit dem elektromagnetischen Feld wechselwirkt und das Feld dann die Interaktion zwischen beiden Elektronen überträgt. Ziel der Störungsrechnung ist auch gar nicht, Details über diesen Prozess zu ermitteln, sondern lediglich die Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Endzustand zu errechnen.

Halman hat geschrieben:Welche Felder wechselwirken hier miteinander? Handelt es sich um das Elektronenfeld (Diracfeld) und das EM-Feld?
Ja, genau die beiden Felder sind beteiligt.
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Agent Scullie
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#342 Re: Quantenmechanische Gedanken zum Urknall

Beitrag von Agent Scullie » So 21. Mai 2017, 23:23

Ich würde gerne noch einmal hierauf zurückkommen:

Agent Scullie hat geschrieben:
Janina hat geschrieben:Ein elektromagnetisches Feld ist "glatt", virtuelle Teilchen dagegen "körnig".
Der Casimir-Effekt unterscheidet sich vom Doppelspaltexperiment in zwei wesentlichen Punkten. Zum einen wird beim Casimir-Effekt keine Teilchenpositionsmessung gemacht, so dass da gar nichts "körnig" sein kann, und zum zweiten hat man es beim Casimir-Effekt mit dem Vakuumzustand zu tun, also einem Zustand, der gar keine Teilchen enthält. Wo keine Teilchen sind, kann man auch keine Statistik für Teilchen oder Teilchenpositionen machen, und folglich kommt da in der theoretischen Beschreibung auch keine Wellenfunktion ψ(x) wie beim Doppelspaltexperiment vor. Im Vakuumzustand ist die Wahrscheinlichkeitsdichte w dafür, ein Teilchen vorzufinden, überall 0, und damit kann die Beziehung w(x) = |ψ(x)|^2 keine Anwendung finden. Im Grunde genommen kannst du so einen Zustand auch beim Doppelspaltexperiment einstellen, indem du den Teilchenstrom (die Anzahl der pro Zeiteinheit den Messaufbau durchlaufenden Teilchen) auf 0 herunterregelst, so dass sich keine Punkte mehr auf dem Schirm bilden. Dann könnte man auch keine Statistik mehr für sich bildende Punkte machen, die sich durch eine Wellenfunktion ψ(x) beschreiben ließe. Auch das elektromagnetische Feld ist im Vakuumzustand keiner Wellenfunktion ψ(x) vergleichbar.
Meine damalige Argumentation, dass der Vakuumzustand damit vergleichbar ist, dass man beim Doppelspaltexperiment den Teilchenstrom auf herunterregelt, ist tatsächlich nicht ganz richtig. Beim Doppelspaltexperiment betrachtet man stets ein Ensemble, von dem jedes Element ein einzelnes Teilchen ist, und das somit durch eine Einteilchen-Wellenfunktion ψ(x) beschreibbar ist. Daran ändert sich auch in dem Grenzfall, dass der Teilchenstrom gegen 0 geht, nichts. Man geht da also immer von einem Einteilchen-Zustand aus.

Um aber den Vakuumzustand, d.h. einen Nullteilchenzustand, zu verstehen, ist es wichtig sich klarzumachen, dass es in der Quantentheorie neben Einteilchen-Zuständen, die zu Einteilchen-Wellenfunktionen gehören, wie man sie beim Doppelspaltexperiment betrachtet, auch noch Zweiteilchen-Zustände, Dreiteilchen-Zustände usw. gibt, zu denen entsprechend Zweiteilchen-Wellenfunktionen ψ(x1,x2), Dreiteilchen-Wellenfunktionen ψ(x1,x2,x3) usw. gehören.

Stellen wir uns mal vor, statt eines Ensembles aus einzelnen Elektronen wie beim Doppelspaltexperiment würden wir ein Ensemble aus Wasserstoff-Atomen betrachten. Stellen wir uns vor, wir wollen ein Statistik darüber machen, an welchen Positionen sich die Elektronen der Atome jeweils in Bezug auf die Position des Atomkerns befinden. Da jedes Atom nur ein einzelnes Elektron hat, reicht auch dafür offensichtlich eine Einteilchen-Wellenfunktion, genauer gesagt die 1s-Wellenfunktion ψ_1s(x).

Jetzt aber nehmen wir statt eines Ensembles aus Wasserstoff-Atomen ein Ensemble aus Wasserstoff-Molekülen. Jedes H2-Molekül enthält zwei H-Atome und damit zwei Elektronen. Wir wollen nun eine Statistik darüber machen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die beiden Elektronen jeweils an welche Positionen in Bezug auf den Massenschwerpunkt des Moleküls vorzufinden sind. Offensichtlich muss die Verteilungsfunktion dann von der Form w(x1,x2) sein: sie muss die Wahrscheinlichkeit angeben, das eine Elektron am Punkt x1 zu finden und das andere am Punkt x2. So eine Verteilungsfunktion kann nicht das Betragsquadrat einer Einteilchen-Wellenfunktion sein, sondern nur das einer Zweiteilchen-Wellenfunktion:

w(x1,x2) = |ψ(x1,x2)|²

Gehen wir nach dem Heitler-Londen-Modell der chemischen Bindung, so können wir im H2-Molekül diese Zweiteilchen-Wellenfunktion aus den bekannten Einteilchen-Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms zusammensetzen:

ψ(x1,x2) = 1/√2 [ψ_A1s(x1) ψ_B1s(x2) + ψ_A1s(x2) ψ_B1s(x1)] (1)

Dabei ist ψ_A1s(x) die 1s-Wellenfunktion des einen Atoms, ψ_B1s(x) die des zweiten. Auffällig an dieser Zweiteilchen-Wellenfunktion sind zwei Dinge. Zum einen sieht man, dass Zweiteilchen-Wellenfunktionen aus Produkten von Einteilchen-Wellenfunktionen bzw. aus Summen mehrerer solcher Produkte konstruiert werden können. Zum zweiten gibt es zwei Anteile: einen, in dem das erste Elektron die Wellenfunktion ψ_A1s(x) des ersten Atome besetzt und das zweite Elektron die Wellenfunktion ψ_B1s(x) des zweiten Atoms, und einen, in dem umgekehrte das zweite Elektron die Wellenfunktion des ersten Atoms und das erste Elektron die des zweiten. Hier äußert sich die sog. quantenmechanische Ununterscheidbarkeit: man kann feststellen, dass die beiden Einteilchen-Zustände ψ_A1s(x) und ψ_B1s(x) besetzt sind, aber es ist unbestimmt, welches der beiden Elektronen nun welchen der beiden Zustände einnimmt.

Dies ist wichtig für die sog. Besetzungszahldarstellung. Wir definieren die Schreibweise |n1,n2> und legen dabei fest, dass n1 für die Anzahl der Elektronen steht, die den 1s-Zustand ψ_A1s(x) des ersten Atoms des H2-Moleküls besetzen, und n2 für die Anzahl der Elektronen die den 1s-Zustand ψ_B1s(x) des zweiten Atoms besetzen. Die obige Wellenfunktion (1) hat dann die Darstellung |1,1>. Wir könnten uns daneben z.B. einen Zustand mit der Darstellung |2,0> vorstellen, zu dem würde dann die Wellenfunktion

ψ(x1,x2) = ψ_A1s(x1) ψ_A1s(x2)

gehören, da würden also beide Elektronen die 1s-Wellenfunktion des ersten Atoms besetzen. Oder einen Zustand |0,2>, da würden beide Elektronen die 1s-Wellenfunktion des zweiten Atoms besetzen. Wir können so auch einen Zustand darstellen, der nicht zwei Elektronen enthält, sondern nur eines, der könnte z.B. die Darstellung |1,0> haben oder |0,1>, da wäre dann nur ein Elektron vorhanden, das im einen Fall den 1s-Zustand des ersten Atoms besetzt und im anderen Fall den des zweiten Atoms. Da ein H2-Molekül wohlgemerkt stets zwei Protonen enthält, wäre in dem Fall, da nur ein Elektron vorhanden wäre, das Molekül elektrisch geladen, es wäre ein H2+-Ion.

Neben Ein- und Zweiteilchen-Wellenfunktionen gibt es in der Quantenmechanik auch noch Dreiteilchen-Wellenfunktionen, Vierteilchen-Wellenfunktionen usw. Die zugehörigen Ensembles sind dann Ensembles, in denen jedes Element ein System aus drei, vier oder mehr Teilchen ist. Ähnlich wie Zweiteilchen-Wellenfunktionen kann man auch solche Wellenfunktionen aus Produkten aus Einteilchen-Wellenfunktionen zusammensetzen und für sie eine Besetzungszahldarstellung definieren. Angenommen, es gibt in einem System nicht nur zwei mögliche Einteilchen-Zustände wie im H2-Molekül, sondern N davon, so kann man einen Zustand in der Besetzungszahldarstellung in der Form |n_1, n_2, ..., n_N> schreiben. Die Gesamtzahl der Teilchen ist dann n_1 + n_2 + ... + n_N.

Interessant ist die Besetzungszahldarstellung deswegen, weil sie u.a. auch eine Teilchenzahl von 0 erlaubt, es müssen dann nur alle Einträge 0 sein: |0,0,...,0>. Im Rahmen der Quantenmechanik, also der ersten Quantisierung, macht ein Zustand mit 0 Teilchen freilich keinen Sinn. Die Besetzungszahldarstellung bildet jedoch einen wichtigen Schritt für den Übergang von der Quantenmechanik zur Quantenfeldtheorie. Die Einteilchen-Zustände der Quantenmechanik lassen sich, jedenfalls soweit es sich um Zustände freier Teilchen handelt (also nicht gerade um 1s-Wellenfunktionen in Atomen, da das gebundene Zustände sind und keine Zustände freier Teilchen), in der Quantenfeldtheorie mit Feldmoden identifizieren, die Besetzungszahl n_i des i-ten Zustandes gibt dann an, wie stark die i-te Feldmode angeregt ist. Ist für eine Feldmode nun die Besetzungszahl n_i = 0, so heißt das, dass die Mode gar nicht angeregt ist, sondern sich im Grundzustand befindet. Anders als in der ersten Quantisierung kann man sich in der QFT damit durchaus auch einen Zustand vorstellen, in dem für alle Moden n_i = 0 ist, also alle Moden im Grundzustand sind, einen Zustand also, der als |0,0,...,0> geschrieben werden kann. Das ist gerade der Vakuumzustand, ein Zustand mit 0 Teilchen.

Damit sollte dann auch deutlich werden, warum der Vakuumzustand nicht durch eine Wellenfunktion der Form ψ(x) beschrieben werden kann. Eine Wellenfunktion dieser Form ist eine Einteilchen-Wellenfunktion, sie beschreibt Einteilchen-Zustände bzw. Ensembles aus Einzelteilchen. Ein Zweiteilchen-Zustand, d.h. ein Zustand, der zu einem Ensemble aus Zweiteilchensystemen gehört, kann nicht durch so eine Wellenfunktion beschrieben werden, sondern erfordert eine Zweiteilchen-Wellenfunktion ψ(x1,x2), ebensowenig ein Dreiteilchen-Zustand, für den braucht es eine Dreiteilchen-Wellenfunktion ψ(x1,x2,x3). Entsprechend lässt sich dann auch ein Nullteilchen-Zustand, also der Vakuumzustand, nicht durch eine Einteilchen-Wellenfunktion ψ(x) beschreiben.
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