Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

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Pluto
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#41 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Pluto » Mi 15. Feb 2017, 18:13

Novalis hat geschrieben:Bist Du persönlich der Ansicht, dass Gott Gewalt nicht nur zulässt, sondern sogar befiehlt?
Ich weiß zwar nicht wie Halman das sieht...
Aber ja, ich bin der Meinung, dass der Gott des AT Gewalt nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern selbst anwendet.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Novas
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#42 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Novas » Mi 15. Feb 2017, 18:31

Halman hat geschrieben: Man sollte schon bedenken, über welche Zeiten wir hier sprechen. Alister McGrath und Joanna Collicutt McGrath schrieben in ihrem Buch Der Atheismus-Wahn auf Seite 114 unter dem Kapitel "Wie man das Alte Testmant lesen sollte":
Natürlich finden viele moderne, jüdische und nicht-jüdische Leser aufgrund ihrer kulturellen Distanz zu der längst vergangenen Ära viele Teile des Alten Testaments merkwürdig, vielleicht sogar entsetzlich.
Auch mir geht es ähnlich. Doch schauen wir weiter, was McGrath hierzu auf den Seiten 114-115 sagt:
Historisch betrachtet ist es wichtig anzuerkennen, dass diese antiken Texte inmitten eines Volkes entstanden, das darum rang, eine Art von Gruppen- oder Nationalidentität zu bewahren, während es von allen Seiten angegriffen wurde. Es versuchte, sich seine menschliche Situation in Beziehung zu einem Gott zu erklären, über dessen Wesen es im Laufe der Zeit immer mehr lernte. Während der zirka 1.000-jährigen Entwicklung seines Gottesverständnisses entstand das Material, aus dem die Schriften des Alten Testaments bestehen, und zwar sowohl mündlich als auch schriftlich.


Wie schön, ja geradezu putzig, welches Mitgefühl Du für den biblischen Text aufbringst :) ich frage mich nur, weshalb Du dazu nicht imstande bist, wenn es um Koranexegese geht, die ebenfalls historisch-kritisch erfolgen sollte, wie auch die Lektüre der Bibel. Dagegen mögen sich die religiösen Fanatiker wehren, aber mal ernsthaft: das sind die Dorftrottel im globalen Dorf. Mein Maßstab sind Liebe und Vernunft. Hast Du den Koran mal aus dieser Perspektive gelesen, mit einem kritischen, aber wohlwollenden Blick?
Es gibt in der islamischen Theologie schon die Lehre der Offenbarungsanlässe (Asbab An-Nuzul), die das historische Wissen um den Grund und die Situation der Entstehung einzelner Verse (Ayat) thematisiert, was - wie auch bei der Bibel - unerlässlich ist, um die Bedeutung des Textes zu erfassen. Wenn Du diese differenzierte Lesart für deinen eigenen Glauben reklamierst, musst Du es auch den Muslimen zugestehen. Orthodoxe Christen scheinen offen zu sein für einen Dialog mit Muslimen: Patriarch Alexy II of Moscow responds to Muslim theologians, was erst mal damit beginnt, dass er die wesentlichen Aussagen des christlichen Glaubens hervor hebt:

Der Mensch, geschaffen im Bilde und nach dem Ebenbild Gottes (1. Mose 1, 26), kann ihn (Gott) in sich erfahren und so die Liebe kennen lernen, die Gott für ihn hat. Gottes Liebe wird den Menschen mitgeteilt, um ihr inneres Eigentum zu werden, ihre lebende Kraft, die ihr ganzes Leben bestimmt, durchdringt und formt. Die Liebe im Menschen entsteht als Antwort auf die Liebe Gottes. "Wie groß ist die Liebe, die der Vater uns angetan hat, daß wir Kinder Gottes heißen sollen!" (1 Johannes 3,1). Gott erwartet vom Menschen nicht so sehr die Hingabe eines Sklaven als kindliches Gefühl der Liebe. Deshalb appelliert der Mensch im Hauptgebet, das der Herr Jesus Christus den Christen gelehrt hat, zu sagen (Lukas 11,2), Gott als seinen himmlischen Vater an.

Da steht nicht "der Christ geschaffen im Bild Gottes", sondern "DER MENSCH" :wave:

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Tyrion
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#43 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Tyrion » Do 16. Feb 2017, 00:15

Halman hat geschrieben:
Tyrion hat geschrieben: Das sehen ein paar Foristen hier aber ganz anders. :silent:
Dann bin ich eben ein "Kontrapunkt".

Was mich auch ehrlich freut. Denn sonst wäre der Sinn und Zweck eines solchen Forums konterkariert ;)

Tyrion hat geschrieben:Das ist nun aber doch etwas euphemistisch. Allah lässt Gewalt nicht nur zu, er befiehlt sie. Soll ich die Gewaltbefehle zitieren?

Aber auch hier gibt es Widersprüche zwischen diesen Befehlen und einem Gewaltverbot. Ob sich dieses Gewaltverbot nur auf Moslems oder auf alle Menschen bezieht, ist offenbar nicht ganz so klar. Ich kenne Moslems, die es auf alle Menschen beziehen und die Einengung auf Moslems als kompletten, gottesfeindlichen Irrweg ansehen.


Der Bezug zu den jüdischen und christlichen Schriften ist aber wesendlich geringer als im Christentum, in dem Tanach und Altes Testament ein und der selbe Text sind.

Ja klar, aber dennoch ist Allah und Jahwe im Prinzip der gleiche Gott, wenn auch unterschiedlich interpretiert. Auch die kultuelle Wiege ist nicht weit entfernt. Dass sich aber Judentum und Christentum stärker ähneln, was die Grundlage angeht, schließe ich ja gar nicht aus. Letzten Endes ist aber das jüdische Gottesbild m.E. auch meilenweit davon entfernt, was Jesus gesagt haben soll.

Tyrion hat geschrieben:Es ist doch ein sehr ähnliches Gottesbild.
Nein, denn durch Jesus offenbart sich ein gänzlich anderes Gottesbild als durch den Koran und Mohammed.

Eben - aber auch ein gänzlich anderes als im AT.

Tyrion hat geschrieben:Auch das NT fordert die Todesstrafe für die, die sich vom Glauben abwenden (und einen anderen Gott, einen "Götzen" annehmen).
Wo befielt das NT gläubigen Christen, die Todesstrafe für Apostasie zu vollstrecken?[/quote]

Sorry, das war ein Tippfehler. Ich meinte AT. Was das NT betrifft, gebe ich dir recht, klar.

Dann entsprechen auch Äpfel und Birnen einander. Christen können die Religionen anderer tolerieren.

Aber allerhöchstens tolerieren, im Grunde eher verachten. Andersgläubige sind Hunde, Otterngezücht, sind Säue (usw.) wenn man den Briefen eines gewissen Paulus folgen mag, die für viele extremere Christen offenbar sehr wichtig sind.
Im AT sind andere Götter Götzen und auf deren Verehrung steht die Todesstrafe.
Aber zurück zum NT - wo steht dort, dass man andere Religionen tolerieren soll? Man soll (eigentlich) keine Gewalt verwenden. Falls es gar nicht anders geht, soll man den Ungläubigen ("die Sau") einfach ausschließen, völlig ignorieren, ihm aus dem Weg gehen. Das könnte man als Toleranz im Wortsinn ("Ertragen") verstehen, aber es ist doch ziemlich abwertend. Vor allem in Bezug auf die ganzen Entmenschlichungen, die man lesen kann. Auch wenn wir es schon geklärt hatten, dass die Passage gar nicht so negativ ist - trotzdem wird auch die Frau als dem Hunde gleich beschrieben (sie macht es selbst), damit Jesus sich ihrer annimmt. Die Passage wurde ja offenbar nachträglich so hingebogen, damit die nicht gegen alte Normen und gegen "Prophezeiungen" Jesus betreffend verstößt.

Im AT: Tod (vor allem, wenn man sich von Jahwe abwendet und einen anderen Gott anbeten will)
im NT: Beleidigungen und Herabwürdigungen Andersgläubigen gegenüber.

Falls Du daran Interesse hast, verlinke ich Dir meine isalmkritischen Beiträge vom Mo 4. Apr 2016, 21:17 und Mi 29. Jun 2016, 13:48.

Immer gerne, da hier so viel im Archiv ist, dass man sonst sowas kaum findet.

Löse Dich bitte von dem Gedanken, dass die Bibel den Anspruch erhebt, Gottes verbalinspiriertes Wort zu sein. Wir reden über menschliche Schriften, in denen sich die soziokulturrellen Prägungen der orientalen Kulturrkreise, vom Altertum bis zur Antike, niederschlugen. In alter Zeit war es leider "normal", dass Kinder in Massen ermordert wurden.
Man sollte schon bedenken, über welche Zeiten wir hier sprechen.

Da verstehe ich sogar die Evangelikalen - wenn man Teile der Bibel so betrachtet, dann gibt es keinen Grund, nicht alle so zu betrachten (was ich ja ohnehin mache). Dann muss man auch sehr viel, was Jesus-Überlieferungen betrifft, stark relativieren. Auf alle Fälle wären diese menschlichen Schriften nicht heilig.

Hatte ich Dir nicht schon erklärt, dass es auf den Kontext und den Gesamtkontext ankommt? In der Bibel wird die Gewalt nicht verherrlich und im Christentum darf es keine Gewaltverherrlichung geben.

Ich erkenne im AT einiges, was ich als gewaltverherrlichend ansehe. Dass das nicht zum Christentum gehört - o.k. - aber in der Bibel finde ich es. Und man soll letzten Endes Jahwe loben, für das, was er ist. Und dann liest man, was er so alles verbrochen hat. Naja...

Noch mal die provokative Frage: Auf welchen Planeten lebst Du? Also, ich auf einen Planeten, der zu 71% von Wasser bedeckt ist, dessen unbewölkter Tageshimmel blau ist und in dem bei uns Islamkritik als neurechts und islamophob diffamiert wird. Wer das Christentum kritisiert, gilt als aufgeklärt und wer den Islam kritisiert, wird schnell als "rechts" gebrandmarkt. Dies ist die Welt, in der wir leben. Dies muss Du doch schon mitbekommen haben.

Ich lebe in Bayern und bin auf dem Land aufgewachsen. Wer hier das Christentum kritisiert, hat verloren. Wer den Islam kritisiert, hat die Stammtischhoheit und ist im Mainstream.

Das Unkraut wurde ja nicht von Jesus gesät.

Ich weiß - für alles Gute ist Gott verantwortlich, für alles schlechte gibt es Sündenböcke: Satan und Menschen. Dafür, dass Gott das alles geschaffen haben soll, das Gute und das Böse, ist das irgednwie zu einfach, findest du nicht?

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#44 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Tyrion » Do 16. Feb 2017, 00:25

Novalis hat geschrieben:Bist Du persönlich der Ansicht, dass Gott Gewalt nicht nur zulässt, sondern sogar befiehlt? Soll ich - so wie das beispielsweise Richard Dawkins macht, um die Bibel zu diskreditieren - das Alte Testament zitieren und die Worte aus dem historischen Kontext reißen?

Halman sieht es sicher anders, aber ich gebe dir recht: Gott lässt laut Bibel Gewalt nicht nur zu, er greift selbst zur Gewalt, vernichtet unzählige Leben, findet Sippenhaft völlig o.k. und befiehlt auch Gewalt wie Genozide.
Dass das aus dem Kontext gerissen sei, ist bei solch zentralen Legenden wie der Sintflut, Sodom und Gomorrah oder dem Bann (Buch Josua) schon sehr übertrieben. Es sind zentrale Teile des AT.
Dass das NT dem AT widerspricht, heißt nicht, dass das AT nicht existiert.

Folglich kann man das AT als Fehlinterpretation Gottes sehen, als erster Versuch eines Gottesbildes, das erst im NT vollendet wurde und anders ausfällt. (Dann kann man das alte Gottesbild dennoch kritisieren)
Oder man muss Jahwe als diesen Verbrecher und Massenmörder annehmen und ihn sich damit schönreden, dass sein Sohn doch anders tickt. Wobei der Ober den UNter sticht?! So machen es meines Erchatens die Evangelikalen. Für sie ist dann Jahwes Gewalt "gerecht", denn alle Opfer sind selbst schuld, was dann direkt zum Löschen von Mitgefühl und anderen menschlichen Emotionen führt.

Aber die Gewalt im AT nur wegzuwischen, weil das aus dem Kntext gerissen sei, verstehe ich nicht - auch nicht durch Halmans wirklich hilfreiche Beiträge.

Oder ist Gewalt„ok“, wenn es in der Bibel steht, aber falsch, wenn sie im Koran erwähnt wird? Wobei es mich nicht wundert, dass Gewalt in den Heiligen Schriften der Weltreligionen thematisiert wird, da sie nun mal zu den Schattenseiten des Menschseins gehört.

Vorsicht, Novalis, deine Argumentation gleicht im Moment der meinen. Nicht, dass dich ein Blitz erschlägt! :silent:

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#45 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Scrypton » Do 16. Feb 2017, 00:28

Hallo Halman, hallo Novalis,

Novalis hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Das ist nun aber doch etwas euphemistisch. Allah lässt Gewalt nicht nur zu, er befiehlt sie. Soll ich die Gewaltbefehle zitieren?
Nein, tut er nicht.
Ich stimme ihm zu: Doch, tut er.

Novalis hat geschrieben:Ist Dir bewusst, dass Du die Theologie islamistische Fanatiker indirekt unterstützt
Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.
Die islamischen Fanatiker währen in diesem Fall die blinden Hühner. Die Richtigkeit einer Sachlage ist nicht von der Moral der einen oder anderen Seite abhängig.

Novalis hat geschrieben:Es gibt 1,6 Milliarden Muslime, davon ist nur ein Bruchteil wirklich fanatisch.
Das ist sicherlich nicht wahr. Und deshalb kannst du diese Aussage sicherlich auch nicht mit klaren Zahlen bestätigen. Bauchipedia ist eben nicht sonderlich vorteilhaft.

Novalis hat geschrieben:Mit all diesen Menschen bewohnen wir den einen Planeten Erde, die unsre gemeinsame Heimat ist, die allen Menschen gehört, unabhängig vom bevorzugten Glaubensbekenntnis. Mit denen möchte ich eher in Frieden und Gerechtigkeit zusammen leben, soweit es sich einrichten lässt.
Darf ich dich fragen was diese Feststellung samt nachfolgendem Wunsch mit dieser Debatte hier zu tun hat?
Eine Binsenweisheit, nicht mehr und nicht weniger die es nicht legitimiert, Sachverhalte des Islams mit christlichen Interpretationen zu vergewaltigen denn die Realität sieht so aus dass die Welt kein Friede Freude Eierkuchen und auch kein Ponnyhof ist, in der sich nicht alle lieb haben. Ein Grund warum das so ist war und ist nunmal auch der Islam.

Novalis hat geschrieben:1. Ich glaube an den einen und einzigen/alleinigen Gott. 2. Nur weil Fanatiker den Koran benutzen, um ihre Gewalt zu begründen, befiehlt Gott nicht Gewalt.
An dieser Stelle komme ich kaum mehr mit, ich finde keinerlei Logik. Das Eine hat mit dem Anderen doch nichts zu tun und übernehme daher in meiner Antwort deine Aufzählung.

1. Du glaubst an einen einzigen/alleinigen Gott. Schön und gut. Du bist nur kein Moslem, die nämlich an einen anderen aber ebenfalls einzigen/alleinigen Gott glauben. Es sind und bleiben unterschiedliche Gottesvorstellungen innerhalb unterschiedlicher Religionen. An welchen Gott, an welches Gottesbild du also glaubst ist belanglos wenn es inhaltlich um das Gottesbild anderer Religionen einschließlich des Islams geht.

2. Umformulierung: Nur weil Gläubige ihren Glauben in Verbindung mit ihren heiligen Büchern benutzen, um ihren Glauben zu begründen, gibt es noch lange keinen Gott.
Merkst du etwas? Wenn es Gott gibt, dann ist er so wie er ist, wenn er zu Gewalt aufruft dann ruft er dazu auf und wenn nicht dann nicht. Ganz egal was Glaubende dieser, jener oder dortiger Religion benutzen, glauben als auch begründen.

Novalis hat geschrieben:ich frage mich nur, weshalb Du dazu nicht imstande bist, wenn es um Koranexegese geht, die ebenfalls historisch-kritisch erfolgen sollte
Ich bin mir sicher, Halman kennt sich mit dem Koran historisch-kritisch sehr wohl aus. Von dir würde ich das allerdings nicht behaupten, willst du von Mohmmed ja offenkundig überhaupt nichts wissen. Er hat ein Video dazu eingestellt das genau diesen Umstand behandelt, von dir habe ich dazu nichts weiter vernommen. Gut, du hast "Propaganda" geschrien doch ist meine Erfahrung die dass der, der ohne Argumente vorzubringen vorwurfsvoll schreit immer auch der ist, der sein Unrecht selbst erkennt.
Die historisch-kritische Exegese wird jedenfalls, so ist festzustellen, von dir bei ihm bemängelt während es eigentlich genau umgekehrt ist. Den Verfasser des Korans jedenfalls, seine Intention, sein Leben, davon willst du ja nichts wissen.

Du wirst damit leben müssen das andere, wie Halman, es nicht so verträumt sehen wie du und das auch fortwährend äußern und korrigieren werden.

Novalis hat geschrieben:Mein Maßstab sind Liebe und Vernunft.
Nanu? Du sprichst ja schon wieder von dir. Seit wann geht es hier denn um dich?
Es geht hier nicht um deinen Maßstab. Obwohl das Gefühl in mir wächst, dass du auf völlig verdrehte Weise alle Religionen zusammen unter einen verchristlichten Hut bringen willst. Sehr, wirklich sehr eigenartig.

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#46 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Halman » Do 16. Feb 2017, 17:27

Novalis hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Man sollte schon bedenken, über welche Zeiten wir hier sprechen. Alister McGrath und Joanna Collicutt McGrath schrieben in ihrem Buch Der Atheismus-Wahn auf Seite 114 unter dem Kapitel "Wie man das Alte Testmant lesen sollte":
Natürlich finden viele moderne, jüdische und nicht-jüdische Leser aufgrund ihrer kulturellen Distanz zu der längst vergangenen Ära viele Teile des Alten Testaments merkwürdig, vielleicht sogar entsetzlich.
Auch mir geht es ähnlich. Doch schauen wir weiter, was McGrath hierzu auf den Seiten 114-115 sagt:
Historisch betrachtet ist es wichtig anzuerkennen, dass diese antiken Texte inmitten eines Volkes entstanden, das darum rang, eine Art von Gruppen- oder Nationalidentität zu bewahren, während es von allen Seiten angegriffen wurde. Es versuchte, sich seine menschliche Situation in Beziehung zu einem Gott zu erklären, über dessen Wesen es im Laufe der Zeit immer mehr lernte. Während der zirka 1.000-jährigen Entwicklung seines Gottesverständnisses entstand das Material, aus dem die Schriften des Alten Testaments bestehen, und zwar sowohl mündlich als auch schriftlich.


Wie schön, ja geradezu putzig, welches Mitgefühl Du für den biblischen Text aufbringst :) ich frage mich nur, weshalb Du dazu nicht imstande bist, wenn es um Koranexegese geht, die ebenfalls historisch-kritisch erfolgen sollte, wie auch die Lektüre der Bibel.
Dies hatte ich doch mehrfach erklärt, auch mit Logan5-Zitaten.

Ein bloßes Herauspicken von Versen ist keine seriöse Religionskritik. Als Beispiel nehme ich die Steinigung. Lass uns mal Folgendes voraussetzen (hypothetisch):
1. Wir sind gegen Steinigung (okay, dies ist sicher nicht nur hypothetisch).
2. Unsere Kritik erfolgt auf Basis von Steinigungsversen in den heiligen Schriften der abrahamitischen Offenbarungsreligionen.
3. Unter "heiligen Schriften" verstehen wir die Bibel, den Talmud und den Koran.
4. Kontexte interessieren uns nicht, lediglich das Vorliegen von Steinigungsversen ist Gegenstand unserer Kritik.

Dann stellen wir fest, dass in der Torah Steinigungsverse stehen. Da diese sowohl Teil der Bibel wie auch Teil des Talmuds ist, kritisieren wir diese Schriftreligionen wegen der Beführwortung der Steinigung.
Ferner stellen wir fest, dass im Koran KEIN Steinigungsvers vorkommt. Daher loben wir den Islam als fortschrittlichere Religion.

Im nächsten Schritt schauen wir uns die Religionspraxen der Glaubenssysteme an und kommen zu einem gegenteiligen Ergebnis: Weder im Judentum, noch im Christentum, wird die Steinigung praktiziert. Doch im Islam wird sie praktiziert.
Nun könnte man folgern: Die Vertreter der abrahamitischen Religionen interpetieren ihre heiligen Schriften falsch. Denn bei richtiger Intepretation müsste der Tatbestand entgegengesetz sein.

Merkst Du, was hier passiert? Unser Kardinalfehler war Punkt 4. Die Praxis zeigt, dass offenbar nicht allein der Befund von Versen entscheidend ist, sondern in welchen religiös-theologischen Kontext sie stehen und welche normative Kraft sie entfalten.
Warum die Steinigungsverse im Judentum keine normative Kraft entfalten, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich nehme an, dass dies mit der jüdischen Diaspora und der talmudischen Tradition zusammenhängt. Der Tanach und insesondere ihr heiligster Teil, die Torah, stehen nicht unkommentiert im Raum. Ich schätze, dass jede Seite im Tanach von sieben Seiten im Talmud (Mischna und Gemara) kommentiert wird. Eine fundierte Kritik am Judentum kann nur derjenige redlich betreiben, wer über die nötigen Grundkenntnisse des Talmuds verfügt.


Nehme ich mal ein anderes Beispiel, zum dem ich mehr sagen kann. Gemäß der Torah sind Tieropfer geboten, welche im Tempel dargebracht werden müssen. Doch wie sollen Juden in der Diaspora, ohne Tempel, diesen Geboten nachkommen? Die Erfahrung im babylonischen Exil bot ihnen ein historisches Vorbild, auf dass die Rabbiner zurückgreifen konnten. Anstelle der Brandopfer wurde nun mehr der Fokus auf das Schriftstudium in den Synagoge und das Fasten gelegt.
Im Zentrum des Judentums stehen nun:
- „Teschuwa“ – Schuwa (Umkehr)
- Tefillah (Gebet, insbesondere Beten von Psalmen)
- Zedaka (Mitmenschlichkeit)

Mehr dazu in meinem Beitrag vom Do 11. Jun 2015, 01:37.

Beim Judentum ist es also wichtig, etwas über ihre Geschichte und die rabbinische Tradition zu wissen.


Zwar gibt es im Christentum keine talmudische Tradition, aber auch hier wird das erste Testament "kommentiert" und gedeutet und zwar durch das christologische Prisma des zweiten Testaments. Die Torah steht also keineswegs isoliert und unkommentiert im Raum, sondern wird insbesondere durch Jesu Bergpredigt ausgelegt.
Im Lichte des zweiten Testaments gelten die Tieropfer durch Jesu Märtyrer-Opfer als "erfüllt" und die Steinigung wurde abgeschaft. Diesen Wandel drückt besonders „Die Perikope von der Ehebrecherin“ (Joh 7,53-8,11) aus. Damit wäre unsere obere hypothetische Kritik gegenstandslos.

Ein weiterer Fehler in der obigen hypothetischen Kritik ist die Verengung auf die heiligen Schriften. Die Unterschiede der großen Kirchen lassen sich allein durch die Bibel nicht verstehen.
Zum Beispiel kann die katholische Theologie ohne Kenntnis Augustinischer Theologie überhaupt nicht verstanden werden. Dies wäre in etwa so, als wollte man die evangelische Kirche ohne Luther verstehen.
Auch die Katechismen entfalten eine normative Kraft für die christlichen Glaubenssysteme.

Will man den Islam kritisieren, sollte man angeben, auf welche islamische Strömung man sich überhaupt bezieht. Ich wähle den sunnitischen Islam aus. Darin gibt es neben dem Koran zehn weitere Quellen, welche für die sunnitische Identität sehr bedeutsam sind.

Zitat aus Gibt es „den“ Islam?:
Al-Bukhary (gest. 870)
Muslim (gest. 875)
Abu Dawud (gest. 888)
Tirmidhi (gest. 892)
Nasa’i (gest. 915)
Ibn Madja (gest. 886)

Geschichts- und Biographiewerke:
1. Sira von Ibn Hisham (gest. 833), die angeblich auf einer nicht überlieferten Version von Ibn Ishaq (gest. 768) basiert.
2. Kitab Al-Maghaazy (Geschichte der Kriegszüge) von Al-Waqidi (gest. 822)
3. Tabaqaat („Klassen“ / „Generationen“) von Ibn Saad (gest. 845)
4. Tarikh („Annalen“) von Al-Tabary (gest. 922)
Erst dadurch kann verstanden werden, warum Muslime fünf mal am Tag beten und warum die Steinigung im Islam praktiziert wird. Zwar gibt es keinen Steinigungsvers im Koran, aber sehr wohl in "authentischen" Hadithen. Der Steinigungsvers gilt demnach als "offenbart" und zwar in der letzten Sure, welche verloren ging. Dieser Steinigungsvers in der Sunnah entfaltet im Islam normative Kraft und darauf kommt es an.

Novalis hat geschrieben:Dagegen mögen sich die religiösen Fanatiker wehren, aber mal ernsthaft: das sind die Dorftrottel im globalen Dorf.
Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte (KEM) geht ganz sicher nicht auf Dorftrottel zurück, sondern repräsentiert mit 56 isalamischen Staaten die Mehrheit in der islamischen Welt, welche die Scharia als Rechtsordung ansehen.
Dementsprechend steht auch das Recht auf Leben in Artikel 2a) der Kairoer Erklärung unter dem Vorbehalt der Scharia: "es ist verboten, einem anderen das Leben zu nehmen, außer wenn die Scharia es verlangt."

Novalis hat geschrieben:Mein Maßstab sind Liebe und Vernunft. Hast Du den Koran mal aus dieser Perspektive gelesen, mit einem kritischen, aber wohlwollenden Blick?
Entscheidend sind nicht unsere christlichen und westlichen Maßsstäbe, sondern die Maßstäbe der Mullahkratien.

Novalis hat geschrieben:Es gibt in der islamischen Theologie schon die Lehre der Offenbarungsanlässe (Asbab An-Nuzul), die das historische Wissen um den Grund und die Situation der Entstehung einzelner Verse (Ayat) thematisiert, was - wie auch bei der Bibel - unerlässlich ist, um die Bedeutung des Textes zu erfassen. Wenn Du diese differenzierte Lesart für deinen eigenen Glauben reklamierst, musst Du es auch den Muslimen zugestehen.
Ja, aber sicher doch. Dazu gehört auch die chronologische Einordnung der Suren. Daraus folgt, dass bei Widersprüchen zwischen Versen, die Abrogation – Aufhebung mancher Koranstellen durch andere gilt.
Auslegungsfragen und die Abrogation

Die Anordnung der Suren ist im Koran nicht in chronologischer Reihenfolge gegeben. In der Koranauslegung spielen jedoch die „Gründe der Offenbarung“ (asbab al nuzul) eine wichtige Rolle, d. h. auch die Frage, ob es sich um eine frühe Sure aus der Zeit in Mekka oder um eine Sure nach der Hidschra (622), also aus der Zeit in Medina handelt.
Analog auch eine andere Erklärung bezüglich der „Anlässe der Offenbarung“ (sabab an-nuzul):
Einen Koranvers zu datieren. Das war wichtig für die Rechtswissenschaft, denn ein jüngerer Koranvers „abrogiert“ ggf. einen älteren (d.h. schafft ihn ab, *naskh). Deshalb wollte man wissen, welche Verse früher und welche später datieren.

Leider führt dieses Prinzip im sunnitischen Islam dazu, dass die harten Schwertverse aus der medinensischen Phase Vorrang vor den relativ toleranten Versen der mekkanischen Phase haben, mit der Folge, dass einige mekkanische Verse durch Sure 9 abrogiert werden. Es ist also genau umgekehrt als in der Bibel, jedenfalls nach sunnitischer Koranexegese.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#47 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Tyrion » Do 16. Feb 2017, 21:51

Es ist interessant und irgendwie auch witzig, wie ein Thread, der die Sicht von Gläubigen (hier vor allem Christen, da in diesem Forum in der Überzahl) auf Atheismus beleuchtet, zu einer Diskussion rund um den Islam ausfranst.

Gut, eine Gemeinsamkeit gibt es da zwischen Islam und Christentum: "Gottlosigkeit" ist für beide ein Schimpfwort. :silent:

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#48 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Halman » Fr 17. Feb 2017, 14:01

Tyrion hat geschrieben:Es ist interessant und irgendwie auch witzig, wie ein Thread, der die Sicht von Gläubigen (hier vor allem Christen, da in diesem Forum in der Überzahl) auf Atheismus beleuchtet, zu einer Diskussion rund um den Islam ausfranst.

Gut, eine Gemeinsamkeit gibt es da zwischen Islam und Christentum: "Gottlosigkeit" ist für beide ein Schimpfwort. :silent:
Da von einer Gemeinsamkeit zu sprechen verschleiert die Prisanz des "feinen Unterschieds".

Nach urchristlichen Vorbild ist die christliche Mission eine friedliche Mission. Wenn gem. dem biblischen Christentum Menschen das Evangelium nicht annehmen, dann ist es ihre Sache.
Im strengen Islam gibt es drei Möglichkeiten:
– Annahme des Glaubens
– Degradierung in die dhimmi – Position und Bezahlung der giziya
– Tod bei Glaubensverweigerung
Vor dieser Wahl wurden Bürger von drei kleinen Städten in Schweden gestellt. Das ist doch ein "kleiner" Unterschied, meinst Du nicht auch?
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#49 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Novas » Fr 17. Feb 2017, 14:11

Halman hat geschrieben:Nach urchristlichen Vorbild ist die christliche Mission eine friedliche Mission. Wenn gem. dem biblischen Christentum Menschen das Evangelium nicht annehmen, dann ist es ihre Sache

Wir kommen hier nicht weiter, wenn Du immer nur begründen möchtest, weshalb das biblische Christentum höherwertig ist und der Islam minderwertig. Denn das hängt letztlich von davon ab, wie der Einzelne seinen Glauben in die Tat umsetzt. Ich kenne Muslime, die sehr mitfühlend und tolerant sind und meinen christlichen Glauben vollkommen akzeptieren. Sie verhalten sich auch immer friedlich und haben mir nie mit Gewalt gedroht :) es gibt sicher theologische Differenzen, aber das ist kein Grund, um sich gegenseitig zu hassen. Die sollte man im Vertrauen auf die weise Führung und Vorsehung des Schöpfers geduldig ertragen. Wer sagt denn, dass alle Menschen Christen werden müssen? Vielleicht haben die anderen Weltreligionen ebenso ihren Platz in der Offenbarungsgeschichte und dienen einem höheren Zweck.
Kennst Du die Ringparabel von Lessing?

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#50 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Scrypton » Fr 17. Feb 2017, 14:19

Novalis hat geschrieben:Wir kommen hier nicht weiter, wenn Du immer nur begründen möchtest, weshalb das biblische Christentum höherwertig ist und der Islam minderwertig.
Stimmt.
Denn wenn richtigen Aussagen nicht zugestimmt wird, weil man sie begründungslos als nicht richtig klassifiziert haben möchte kann es ein Weiterkommen grundsätzlich nicht geben. Du kannst seine Argumente mit "Propaganda"-Vorwürfe übergehen und dabei auf einer Stelle verharren.

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