Vorab: Tillich ist eine Wohltat, wiewohl noch einige Fragen offen zu sein scheinen. - Vielen Dank für den Text.
Savonlinna hat geschrieben:Die Frage nach dem Sein ist nicht die Frage nach irgendeinem einzelnen Seienden, seine Existenz und seinem Wissen
Bingo.
Savonlinna hat geschrieben: sondern es ist die Frage nach dem, was es bedeutet zu sein
Hier schlägt er den Bogen zur Verwertbarkeit von Sein: Was bedeutet Sein für uns. - Keine Kritik, sondern lediglich der Hinweis, dass Tillich im Grunde sagt: "Was nützt Sein, wenn es nicht in Bezug zur Wahrnehmung ist". - Aus meiner Sicht ok.
Savonlinna hat geschrieben:Die Ontologie ist das Zentrum aller Philosophie. Sie ist, wie Aristoteles sagte, "die erste Philosophie"
Ganz meine Meinung. - Ohne das sollte man das Wort "Philosophie" nicht in den Mund nehmen.
Savonlinna hat geschrieben:Dieser Name war und ist unglücklich, weil er das Missverständnis weiterträgt, dass die Ontologie sich mit überempirischen Wirklichkeiten beschöftigt, mit einer Welt hinter der Welt, die nur in spekulativer Einbildung existiert.
Das ist jetzt aber ein Missverständnis.
Selbstverständlich hat Tillich recht, wenn er sagt, dass man über-empirische Wirklichlichkeit nicht als spekulative Einbildung verstehen soll. - Dass aber die Lehre vom Sein (Ontologie) nur empirischer Natur sein könne, ist auch nicht richtig.
Halt - und noch etwas: Tillich versteht vermutlich unter "empirisch", dass Sein erfahrbar ist (so sehe ich es eigentlich auch) - ABER: Der heute normative Materialismus/kritische Rationalismus versteht unter "Empirie" etwas ganz anderes - nämlich das, was intersubjektiv (= letztlich naturwissenschaftlich) erfahrbar ist. - Da kann man mit dem selben Wort sehr schnell Unterschiedliches meinen.
Savonlinna hat geschrieben:Es hat gar nichts zu tun mit der Erschaffung eingebildeter Welten.
So ist es.
Savonlinna hat geschrieben:Und noch genauer: wir wollen von ontologischer analysis sprechen, um zu zeigen, dass man auf die Dinge schauen muss, wie sie uns gegeben sind, wenn man die Prinzipien, die Sttrukturen und die Natur des Seins entdecken will, das in allem was ist, sich verkörpert.
Jetzt geht er wieder auf die Verwertbarkeits-Ebene, die eigentlich keine ontologische Ebene ist. - Trotzdem: Er erweist sich hier als Brückenbauer, weil er einerseits weiss, was Ontologie ist, und sich andererseits auf die Wahrnehmbarkeit des Seins konzentriert. - Letztlich ist das ja auch das Entscheidende.
Savonlinna hat geschrieben:das Auffinden der konstituiven Prinzipien des Sein-Selbst, dessen, was immer gegenwärtig ist, wenn ein Ding teilhat an der Macht zu sein und an der Macht, dem Nicht-Sein zu widerstehen.
Das ist ein interessanter Satz, weil er auf die (früh-)christliche Definition von "Bewusstsein" ("con-scientia") zurückgreift. - Denn Tillich definiert den Menschen als den "Teil-Haber" ("con-scientia"/"Mit-Wissen") an einem Sein gegen das Nicht-Sein. - Das ist hoch-christlich.
Passt alles. - Was ist der Mensch ("konstituiven Prinzipien") in Bezug auf das Sein ("Teil-Habe") - "Teil-Habe" - also nicht selbst alles sein, sondern Teil eines (unabhängig vom Einzelnen existierenden) Gesamt-Seins zu sein, das zwar von jedem Menschen prinzipiell teilweise erkannt werden kann ("Individual-Empirie"), das aber nicht vom Menschen "erfunden", sondern "gefunden" wird (sonst würde das Wort "Ontologie" keinen Sinn machen).
Savonlinna hat geschrieben:Jedes Sandkorn habe, sagt Luther laut Tillich, habe am "Sein" teil.
"Con-scientia" - Teilhabe - Bewusstsein. --- Echt ganz auf meiner Linie.
Savonlinna hat geschrieben:Und was ist mit Deinem ständigen Tadel, ich und andere würden immer nur "anthropozentrisch" antworten?
Weil immer wieder der Eindruck erweckt wird, die "Teilhabe" (siehe oben) sei nicht an ein unabhängig vom Einzelnen existierendes Gesamt-Sein angebunden, sondern "Kopf- und Bauch-Kino", also Produkt "spekulativer Einbildung", um Tillich zu zitieren. - Das wäre anthropozentrisch.
Genauso anthropozentrisch ist der naturalistische Ansatz, nur das "sei", das wissenschaftlich, also durch menschengemachte Methodik, erkennbar. - Auch hier wird der Mensch und seine Wahrnehmung zum Maßstab genommen - anstelle das, an dem man teilhat, zum Maßstab zu nehmen ("Es gibt ein Sein, von dem ich nur einen Teil kenne - dieses Ganze ist das Maß, mein "Sein-Selbst" versucht ein Teil davon für sich zu ergattern").
Savonlinna hat geschrieben:"Sein" kann nur wahrgenommen werden.
Ja - Sein ist fern, wenn es durch das Seiende nicht thematisiert wird.
Savonlinna hat geschrieben:Nur der Mensch kann erkennen, was "Sein" ist.
Der Mensch ist das einzige Wesen, das bewusst am Sein teil-haben kann ("Con-Scientia = Bewusstsein") - wenn Du das genauso verstehst; Lebhafte Zustimmung.
Savonlinna hat geschrieben: Und weil er Mensch ist, existiert "Sein".
Nein - eben NICHT. - Man kann das Ganze nicht kausal durch das Einzelne in Frage stellen. Das Sein existiert unabhängig davon.
Ich würde eher sagen: Und weil der Mensch ist, kann "Sein" bewusst teil-wahrgenommen werden. - Was würde Tillich sagen?