Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
JackSparrow
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#1811 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Mi 28. Okt 2015, 19:56

closs hat geschrieben:Das ist Dein grundlegender Irrtum.
Was die Naturwissenschaft behauptet, lässt sich jederzeit überprüfen und demonstrieren. Was Esoteriker behaupten, können dagegen nicht mal die Esoteriker selbst demonstrieren (zum Beispiel die Erschaffung von Materie durch Gedanken oder die Unsterblichkeit irgendeines Teils der Persönlichkeit).

Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Physik und Metaphysik. Das eine basiert auf Beobachtung, das andere basiert auf Fantasie.

Da müsstest Du erst mal in deren Gedanken-Modelle einsteigen
Die wiederholen sich doch regelmäßig: Alles ist Illusion, aber glücklicherweise kennen wir ein Paralleluniversum unbekannter Zusammensetzung, von dem wir (ohne es je gesehen zu haben) ganz sicher sagen können, dass es keine Illusion ist.

Denn dann wäre Materialismus eine dogmatische Weltanschauung, die die Rolle der RKK im Mittelalter con variazione in der Neuzeit übernommen hat.
Eigentlich erwähnte ich nur, dass man den Atem früher für die unsterbliche Lebenskraft hielt, weil man von Sauerstoff und Hämoglobin noch nichts wusste.

closs
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#1812 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mi 28. Okt 2015, 20:22

SilverBullet hat geschrieben:Warum suchst du ständig nach Ausreden?
Du hast nicht begriffen, dass es keine Ausreden sind. - Du meinst offensichtlich, man müsse als Wahrnehmender eine vollständige Vorstellung haben, damit das Objekt der Vorstellung "sein" kann. - Glaubst Du wirklich, das Objekt schert sich darum?

SilverBullet hat geschrieben:Versuche genau zu beantworten, warum das "Erstaunen" in der "weltlichen Umgebung" nicht machbar sein soll.
Das Erstaunen über Dinge, über die keine vollständige Vorstellung vorhanden ist - ich meine, dass das der Kontext war.

closs
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#1813 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mi 28. Okt 2015, 20:29

JackSparrow hat geschrieben:Was die Naturwissenschaft behauptet, lässt sich jederzeit überprüfen und demonstrieren.
Bekannt, unstrittig und auch von der "geistigen Fraktion" hoch geschätzt.

JackSparrow hat geschrieben:Was Esoteriker behaupten, können dagegen nicht mal die Esoteriker selbst demonstrieren
Kann ich nicht mitreden - habe mich mit Esoterik noch nie beschäftigt.

JackSparrow hat geschrieben:Beispiel die Erschaffung von Materie durch Gedanken
Habe ich auch noch nie gehört.

JackSparrow hat geschrieben:die Unsterblichkeit irgendeines Teils der Persönlichkeit
Die geistige Ich-Identität unabhängig von Materie - ja, das meinen so ziemlich alle Religionen (ich auch).

JackSparrow hat geschrieben: Das eine basiert auf Beobachtung, das andere basiert auf Fantasie.
Metaphysik basiert NICHT auf Fanatasie - ein grobes Missverständnis.

JackSparrow hat geschrieben: Paralleluniversum
Mir ist keine geistige Weltanschauung bekannt, die mit dem Gedanken eines Parallel-Universums spielt. - Da musst Du Dir woanders Rat suchen.

JackSparrow hat geschrieben:Eigentlich erwähnte ich nur, dass man den Atem früher für die unsterbliche Lebenskraft hielt, weil man von Sauerstoff und Hämoglobin noch nichts wusste.
Möglicherweise haben das einige geglaubt - aber meinst Du, man hat früher nicht gemerkt, dass ein Toter nicht mehr schnauft? - Allein das wäre doch schon die Falsifizierung, dass der Atem für unsterbliche Lebenskraft steht. - Ich kenne diese Variante nicht.

Novas
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#1814 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Mi 28. Okt 2015, 20:37

Savonlinna hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:
Ich meine, nichts ist lächerlicher und alberner als dieses:

Materialisten = kein Geist

Christen = des Geiste übervoll und allein teilhaftig

Ich würde das zwar nicht als "lächerlich" bezeichnen, sondern eher als traurig machend, aber den Kern hast Du möglicherweise getroffen:
das schematische Denken.

Das füllt hier die Threads und bringt mich keinen Schritt weiter.

Ich bin der Ansicht, dass das wahre Leben eines jeden Menschen geistiger Natur ist, was für mich ganz unabhängig von einem bestimmten Glaubensbekenntnis ist. Was ich an Menschen schätze, sind nicht irgendwelche Äußerlichkeiten, es ist ein guter Charakter, geistige Eigenschaften wie Liebe, Mitgefühl, Wahrhaftigkeit und Humor.

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#1815 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Queequeg » Mi 28. Okt 2015, 20:49

Novalis hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:
Ich meine, nichts ist lächerlicher und alberner als dieses:

Materialisten = kein Geist

Christen = des Geiste übervoll und allein teilhaftig

Ich würde das zwar nicht als "lächerlich" bezeichnen, sondern eher als traurig machend, aber den Kern hast Du möglicherweise getroffen:
das schematische Denken.

Das füllt hier die Threads und bringt mich keinen Schritt weiter.

Ich bin der Ansicht, dass das wahre Leben eines jeden Menschen geistiger Natur ist, was für mich ganz unabhängig von einem bestimmten Glaubensbekenntnis ist. Was ich an Menschen schätze, sind nicht irgendwelche Äußerlichkeiten, es ist ein guter Charakter, geistige Eigenschaften wie Liebe, Mitgefühl, Wahrhaftigkeit und Humor.

Warum nicht!

Immerhin ist das von dir Geschriebene durchaus diskussionswürdig, gerade im Hinblick auf die verschiedenen Religionen, ich denke da besonders an die Östlichen. Ein Thema, mit dem ich mich schon lange Jahre intensiv beschäftige, im Hinblick auf den Buddhismus (Zen und Cha'an, Chan) und Taoismus, meine ich jetzt.

JackSparrow
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#1816 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Mi 28. Okt 2015, 20:59

closs hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Beispiel die Erschaffung von Materie durch Gedanken
Habe ich auch noch nie gehört.
Schade. Ich war mir fast sicher, dass auch du den Geist für die Ursache von Materie hieltest.

Mir ist keine geistige Weltanschauung bekannt, die mit dem Gedanken eines Parallel-Universums spielt.
Ein Jenseits oder eine Welt, wo alles ganz echt und objektiv und unabhängig von der Wahrnehmung ist, hat doch eigentlich jede Religion.

aber meinst Du, man hat früher nicht gemerkt, dass ein Toter nicht mehr schnauft?
Selbstverständlich hat man das gemerkt. Wie sonst hätte man denn auf die Idee kommen können, dass der Atem die Lebenskraft sei. Dass der Geist aus Luft besteht, erfahren wir außerdem in Epheser Kapitel 2 Satz 2.

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#1817 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mi 28. Okt 2015, 21:15

JackSparrow hat geschrieben:Ich war mir fast sicher, dass auch du den Geist für die Ursache von Materie hieltest.
DAS wiederum ist zutreffend - aber nicht "Gedanken". - Das klingt so, da hätte jemand Gedanken, aus denen Materie wird. - Auf Gott übertragen: Gott hat keine Gedanken, sondern IST Geist.

JackSparrow hat geschrieben:Ein Jenseits oder eine Welt, wo alles ganz echt und objektiv und unabhängig von der Wahrnehmung ist, hat doch eigentlich jede Religion.
Aber Du hast das Wort "Parallel-Universum" benutzt - da ist nichts "parallel".

JackSparrow hat geschrieben:Selbstverständlich hat man das gemerkt. Wie sonst hätte man denn auf die Idee kommen können, dass der Atem die Lebenskraft sei.
Du sprachst von "unsterblich", wenn ich mich recht entsinne.

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#1818 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Mi 28. Okt 2015, 21:53

Queequeg hat geschrieben:
Du kennst es, viele, viele Menschen kennen es auch und es macht meine Gedanken dann vielleicht etwas veständlicher:

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(H. Hesse)

dieses:

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden...

Mir ist zum ersten Mal - durch Deine Wiederholung der vorletzten Zeilen - in diesem Gedicht ein Grundgedanke aufgefallen, den ich bisher überlesen habe:
dass der Vergleich einer neuen Stufe mit einer neuen Blüte ja beinhaltet, dass man nach jeder Bindung, die man losgelassen hat, erneut jung sei.
Daher dann die letzte Strophe, dass man in der Todesstunde, falls man auch da loslässt, ebenfalls jung die Grenze überschreite.

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Savonlinna
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#1819 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Mi 28. Okt 2015, 22:20

Novalis hat geschrieben: Ich bin der Ansicht, dass das wahre Leben eines jeden Menschen geistiger Natur ist, was für mich ganz unabhängig von einem bestimmten Glaubensbekenntnis ist.
Ich vermute sogar, dass das, was zumindest ich als "geistig" verstehe, in jedem Menschen vorhanden ist, dass das nie je in einer Epoche verloren gegangen ist und es auch nie je in einem Menschen verloren gehen kann.

Gerade Hermann Hesse hat das sehr drastisch beschrieben, indem er im "Siddharta" seinen Siddharta in Lebensbereiche geführt hat, die als "genuss-süchtig" noch milde beschrieben sind, vielleicht eher mit "verwerflich" beschrieben werden können.
Und doch war das eine zentrale Stufe in dem Weg des Siddharta. Er hätte sich nie erden können, von seinem Hochmut nie lassen können, wenn er nicht abgestürzt wäre.

Darum halte ich auch unsere heutige Epoche, die ja schon vor Jahrhunderten begann - die des materialistischen Denkens, im Sinne des Konsumgenusses - für notwendig, um "das Geistige" übehaupt erst zu verstehen.
Es sind auch gerade solche Epochen, die Aussteiger produzieren, sie zu einer Alternative treiben, die ohne das "materialistische Denken" gar nie entstanden wäre.

Novalis hat geschrieben:Was ich an Menschen schätze, sind nicht irgendwelche Äußerlichkeiten, es ist ein guter Charakter, geistige Eigenschaften wie Liebe, Mitgefühl, Wahrhaftigkeit und Humor.
Es ist verflixt schwierig, in Menschen das "Geistige" zu sehen, die genau das gerade nicht aufweisen: keinen guten Charakter zeigen, weder Mitgefühl noch Liebesfähigkeit zeigen und statt Humor Verbissenheit zeigen.
Wenn es nicht gelingt, das "Geistige" dennoch zu sehen, dann kann man Folgendes versuchen: erst mal ein paar Schritte zurücktreten, Abstand gewinnen. Sich selber rausnehmen aus dieser Person.

Und dann neu gucken. :)
Würdest Du mir da Recht geben?

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#1820 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Queequeg » Mi 28. Okt 2015, 22:35

Savonlinna hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:
Du kennst es, viele, viele Menschen kennen es auch und es macht meine Gedanken dann vielleicht etwas veständlicher:

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(H. Hesse)

dieses:

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden...

Mir ist zum ersten Mal - durch Deine Wiederholung der vorletzten Zeilen - in diesem Gedicht ein Grundgedanke aufgefallen, den ich bisher überlesen habe:
dass der Vergleich einer neuen Stufe mit einer neuen Blüte ja beinhaltet, dass man nach jeder Bindung, die man losgelassen hat, erneut jung sei.
Daher dann die letzte Strophe, dass man in der Todesstunde, falls man auch da loslässt, ebenfalls jung die Grenze überschreite.

Das sehe ich ebenfalls so, ich denke dabei auch oft an einen sehr merkwürdigen Ausspruch Kafkas:

Du bist die Aufgabe. Kein Schüler weit und breit.

ich glaube, ich habe das einmal in seinen Tagebüchern gelesen, irgendwie ist das reines Zen, ein Koan, mir deshalb unvergesslich, gerade weil es von Kafka stammt.

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