Können sie leiden...?

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Pluto
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#1 Können sie leiden...?

Beitrag von Pluto » Mo 2. Jun 2014, 23:57

Diese Frage, soweit sie sich auf Tiere bezieht, ist nun gut 200 Jahre alt. Sie wurde vom Begründer des Utilitarismus, Jeremy Beltham gestellt, der sich schon damals gegen die Todesstrafe, für Demokratie und Frauenrechte einbrachte.
Wikipedia hat geschrieben:Es mag der Tag kommen, an dem man begreift, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder das Ende des Kreuzbeins gleichermaßen ungenügende Argumente sind, um ein empfindendes Wesen dem gleichen Schicksal zu überlassen. Warum soll sonst die unüberwindbare Grenze gerade hier liegen? Ist es die Fähigkeit zu denken oder vielleicht die Fähigkeit zu reden? Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftigere sowie mitteilsamere Tiere als ein einen Tag, eine Woche, oder gar einen Monat alter Säugling. Aber angenommen dies wäre nicht so, was würde das ausmachen? Die Frage ist nicht "Können sie denken?" oder "Können sie reden?", sondern "Können sie leiden?".
[Zitat: Jeremy Beltham (1748-1832)]
Um wie viel wichtiger ist der Tierschutz heute, im Zeitalter der Tierfabriken?
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2Lena
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#2 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von 2Lena » Di 3. Jun 2014, 18:33

Der Aufruf sollte vielleicht besser heißen:
Schützt die Menschen vor ihren eigenen Dummheiten ...!

Die Tierfabriken sind nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern vor allem die Folgewirkung verkehrter Lebensweisen.

Pluto
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#3 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von Pluto » Di 3. Jun 2014, 21:39

2Lena hat geschrieben:Die Tierfabriken sind nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern vor allem die Folgewirkung verkehrter Lebensweisen.
Du stellst es so dar, als würden Menschen absichtlich falsch leben. Das kann icht nicht glauben, denn die Meisten haben nicht den Wunsch sich selbst zu ruinieren; im Gegenteil, sie trachten danach gesund zu essen. Vergleiche den Bio-Boom in den Supermärkten. "Biologisch" verkauft sich besser, beschränkt sich aber vornehmlich auf Gemüse und Obst. Dass Fleisch als reines Industrieprodukt gehandhabt wird, ist wohl eher dem Slogan "Geiz ist Geil" zuzuschreiben. Wir wollen alles möglichst billig haben; da bleibt den Produzenten um im Konkurrenzkampf sich zu behaupten, nichts anders übrig, als die Tiere möglichst schnell und kostengünstig zu mästen und anschließend zu schlachten.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

2Lena
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#4 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von 2Lena » Mi 4. Jun 2014, 09:53

Pluto hat geschrieben:Du stellst es so dar, als würden Menschen absichtlich falsch leben. Das kann ich nicht glauben, denn die Meisten haben nicht den Wunsch sich selbst zu ruinieren; im Gegenteil, sie trachten danach gesund zu essen.

Das ABC geht momentan so:
"Aaaa...bsichtlich" mit bester Ausbildung, Betriebsblind, Chaos erzeugen....

Ich sagte schon bei "Stadt und Land" einige Erlebniswelten, die ich im Rentenalter erlebe. Die frühere Generation hatte zu tun, in Selbstversorgung überhaupt etwas auf den Teller zu bekommen. Sie waren glücklich, wenn es zur Abwechslung mal Fleisch gab. Dem gebrochenen Bein der Kuh folgte halt ein Rinderbraten. Er gab Kraft.

Unsere Generation hatte noch das Glück von den Restbeständen der kleineren Bauernhöfe zu provitieren. Es gab Früchte von den Omas, Gemüse und Honig vom Onkel - garantiert Bio, weil die Spritzmittel nicht entwickelt waren, zu teuer für die Kleinen.

Ich muss sagen, da blieb etwas vom Geschmack in meiner Erinnerung hängen. So kommt es, dass ich mit dem Maß messe und rein gar nicht zufrieden mit Vielem bin.

Den Berufstätigen meiner Generation blieb nicht anderes übrig, als in Hetze nach der eigenen Arbeit, meist fünf vor halbsieben, kurz vor dem damaligen Ladenschluss in Tempo irgendwelche Schachteln mit Essbarem in den Einkaufswagen zu schleudern - und ab zur Kasse. Da war nicht immer das Beste dabei. Bei dem Zeitdruck waren auch fertige Knödel, Kartoffelpüree und Dosen willkommen. Sicherheitshalber nahm man die in Mengen mit nach Italien ans Meer, denn wer weiß, was die Italiener so kochen :-)

Die Fertiggerichte machten es allmählich auch den Jungesellen möglich, die Umsätze der Wirtshäuser zu schmälern. So mancher, der nach den bisherigen Regeln sich "gut" ernährt hatte, zeigte einige Beschwerden und Pölsterchen. Es begann ein Umdenken in Ernährungslehren. Das Gewissen wurde erst einmal durch Pillen, Vitaminlehren und Wellnessprogramme beruhigt.

Viel gesünder sehen die Leute davon nicht aus.
Als ich die gesunden, wenn auch leidvollen Gesichter einer Familie in der Türkei sah, deren Angehörige beim Bergwerksunglück um's Leben kamen - da rumorte es.

400 Euro bekamen sie für die Knochenjob, der ihnen das Leben kostete. Sie haben nichts. Nichts von dem Luxus, von dem wir meinen, dass er wichtig sei. Das Haus wurde selbst gebaut - wer kann das bei uns heute machen? Dreißig Jahre "Straflager" (fast lebenslang) kostet ein Bauplatz in einer deutschen Stadt und der kann einen Menschen nicht mal ernähren. Dann steht noch nicht mal ein Bau drauf.

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#5 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von piscator » Mi 4. Jun 2014, 10:12

In der "guten alten Zeit" haben die Menschen keinesfalls besser gegessen als heute.

Ich kann mich noch an meine zahlreichen Verwandten mütterlicherseits erinnern, die rund um Wüstenrot/Neuhütten im Hohenlohischen lebten. Da hatte fast jeder ein Schwein und ein paar Hühner im Stall, das Land gab außer Kartoffeln jedoch nichts her, überdies waren die Höfe sehr klein. Ich kann mich an fettige Metzel-Suppe (würg!)erinnern und an Eier im Wasserglas. Die Bevorratung war im Gewölbekeller, Kühlschränke gab es keine.

Die Menschen haben zu schwer und zu fett gegessen, wenn das Brot schimmelig war, wurden die befallen Teile ausgeschnitten. Mich graust es noch heute, wenn ich daran denke, da ist der heutige Billigfraß aus dem Discounter um Klassen besser.

Diese Menschen sind durchwegs an Krebs oder Zucker gestorben, ich bin zwar kein Ernährungswissenschaftler, sehe aber in der Ernährung mit einen Grund dafür.
Meine Beiträge als Moderator schreibe ich in grün.

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#6 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von Pluto » Mi 4. Jun 2014, 12:19

2Lena hat geschrieben:Viel gesünder sehen die Leute davon nicht aus.
Aussehen alleine macht nicht gesund. Früher haben sich die Menschen zu einseitig und viel zu fett ernährt. Das Ergebnis: Sie starben früher oft an unheilbaren Krnakheiten wie Krebs, Zucker oder Arteriosklrode und Herzinfarkt. Die Menschen leben heute deutlich länger. Sind sie deshalb gesünder?

Wie würdet ihr Gesundheit definieren? — Als die Abwesenheit von Krankheit?
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#7 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von Andreas » Mi 4. Jun 2014, 13:28

Die Gesundheit des Menschen ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.

Das ist die Definition der WHO

Warum sollte man das nicht auch auf Tiere übertragen? Dieser Anspruch ist allerdings utopisch, weil nach dieser Definition für die breite Masse der Menschen selbst, von "Artgerechter Tierhaltung" überhaupt nicht die Rede sein kann.

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#8 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von Pluto » Mi 4. Jun 2014, 14:19

Andreas hat geschrieben:Warum sollte man das nicht auch auf Tiere übertragen?
Dieser Anspruch ist allerdings utopisch, weil nach dieser Definition für die breite Masse der Menschen selbst, von "Artgerechter Tierhaltung" überhaupt nicht die Rede sein kann.
Das Eine schließt das andere nicht aus.
Den Menschen wird mit vielen Programmen geholfen, aber an der artgerechten Tierhaltung mangelt es bei uns vor der eigenen Haustür noch gewaltig (Was bedeutet z. B. Bodenhaltung? Ist es in jedem Fall artgerecht?). Mit diesem Thread wollte ich mal für Tiere eine "Lanze brechen".

Man sollte natürlich Beides tun: Den leidenden Menschen helfen UND die artgerechte Tierhaltung fördern.
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#9 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von Andreas » Mi 4. Jun 2014, 14:47

Pluto hat geschrieben:Mit diesem Thread wollte ich mal für Tiere eine "Lanze brechen".
Finde ich klasse!

Die Frage ist, wie man Artgerechtigkeit herleitet. Aus der Evolutionstheorie wissen wir, dass biologische Wesen genetisch determiniert sind. Den genetischen Code könnte man als die Axiome sowohl des Individuums als auch der Art verstehen. Aus diesen Axiomen leiten sich die körperlichen, geistigen und sozialen Grundbedürfnisse ab. Sind sie befriedigt, ist "Gesundheit". Das primäre Ziel des genetischen Codes ist aber Fortpflanzung und nicht das gesunde Glück eines Individuums bis es alt und lebenssatt an seiner biologischen Lebensgrenze vergeht. "Nahrung" ist größtenteils ein artübergreifendes Phänomen, Mitleid dagegen ein menschliches. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach.

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#10 Re: Können sie leiden...?

Beitrag von Pluto » Mi 4. Jun 2014, 15:32

Andreas hat geschrieben:Die Frage ist, wie man Artgerechtigkeit herleitet. Aus der Evolutionstheorie wissen wir, dass biologische Wesen genetisch determiniert sind. Den genetischen Code könnte man als die Axiome sowohl des Individuums als auch der Art verstehen. Aus diesen Axiomen leiten sich die körperlichen, geistigen und sozialen Grundbedürfnisse ab.
Alle unsere Haustiere sind das Ergebnis jahrhunderte langer Zucht. Die Meisten von ihnen sind in freier Wildbahn nicht überlebensfähig.
Um Artgerechtigkeit zu definieren, braucht man aber keine Evolutionstheorie. Hühner picken nun mal gerne im staubigen Boden. Wenn man das weiß, sollte man sie nicht in Käfige sperren, oder wochen/monate lang in dunklen Räume halten.

Nur als Beispiel, hier ein (nachgezüchterer) Auerochse, der Urahn aller Rinderrassen. Der Auerochse konnte sich noch selbst ernähren, verteidigen und fortpflanzen.

Bild
[Quelle: http://www.zeit.de/2010/17/Tier-Auerochse]
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