-- Der verunsicherte Mensch --
Aus dem Parallelthread: Islam und Reformation
Novalis hat geschrieben: Ich muss nicht beweisen, dass mein Glaube richtig ist, denn er ist für mich persönlich richtig und das genügt mir vollkommen. Ich muss ja auch nicht darüber reden, warum ich eine bestimmte Frau liebe und nicht irgendeine andere, denn das ist eine Sache der Innerlichkeit. Die Seele fühlt und weiß, was für sie der passende Weg ist.
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"Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns." (Dschalâl-ed-dîn Rumî)
Hallo Novalis,
alles Gute wünsche ich Dir - ich habe deine Rede etwas umgestellt und sie mit Rumi enden lassen. Warum habe ich das getan? Vielleicht weil wir uns hier entsprechen. Du sprichst über den inneren Glauben und charakterisierst ihn zutreffend, meine ich, du erwähnst auch den seltsamen Konflikt, den es auf/in dieser Welt scheinbar auszutragen gilt, wenn man seinen inneren Glauben bewahren möchte.
Warum ist das so?
Warum räumen wir den Menschen dieses Recht nicht ein, gehört diese Innerlichkeit nicht zur Würde des Menschen? Ich meine schon. Tatsächlich scheint der Mensch aber sehr verunsichert, was daran liegen könnte, daß hier schon immer Übergriffe stattgefunden haben. Warum möchte man den Menschen vorschreiben, was er zu glauben oder wen er zu heiraten hat? Warum kommt es überhaupt zu Grenzverletzungen?
Du suchst nach Weisheit und Wissen und ich glaube, das ist ein guter Weg. Die Sufis haben hier ein großes Erbe hinterlassen, das auch mich anspricht. Ich schätze insbesondere die Geschichte/n von Rabea Adwia und Hassan Basri, die auf dem Weg der Entsagung immer mal wieder zusammenfanden und sich gegenseitig belehrten, wie Kinder, die sehr erwachsen und wohl auch weise geworden sind.
Das Erbe der Menschheit nach seiner Weisheit zu befragen, das ist ein alter philosophischer Weg. So lassen sich natürlich auch die abrahamitischen Religionen und ihre Schriftzeugnisse betrachten, die allerdings, das darf man eben nicht vergessen, einen anderen Anspruch haben und die jeweiligen Glaubensgemeinschaften binden, bzw. zu binden trachten. Der gebundene Mensch möchte diesen Ansprüchen genügen und läßt sich nicht mit einem Menschen vergleichen, der sich losgelöst und in aller Freiheit diesen Schriften widmet, um zb. mehr über das Wesen der jeweiligen Traditionen zu erfahren.
Religionsangehörige erleben ihre Religion in der Regel nicht als einen freiheitlichen Ort der Philosophie, was auch nicht wundert, wenn man deren Verbindlichkeiten bedenkt, die tief in das menschliche Leben eingreifen, das reicht von der untersten Kaste der Unberührbaren bis zum vergoldeten Papst-Thron in St. Petersburg. Diese Dogmen dominieren den Menschen seit langer, langer, langer Zeit. Einen Epikuräer mag es vielleicht belustigen, aber Sokrates würde diese Umstände sicherlich tief und weise erörtern.
Ich meine, daß die Angehörigen der abrahamitischen Religionen in der Klemme sitzen. Sie wurden/werden durch Schriften angetrieben, die sie in ein starkes Spannungsverhältnis zueinander setzen, das in Grenzverletzungen und Gewalt enden muß - wie die Geschichte ja auch schon eindrücklich bewiesen hat! Warum ist das so? Die Urgründe sind im Wort selbst zu finden und werden von Fundamentalisten sehr ernst genommen. Sie nennen sich darum Fundamentalisten, weil sie sich wirklich voll und ganz auf das Wort beziehen.
Ein freier Philosoph, der diese Verhältnisse überschaut, der begreift natürlich die Dramatik und erkennt den Selbstzerstörungsprozeß, der diesem abrahamitischen Erbe innewohnt.
Novalis, der Mensch kommt nicht als freies Wesen auf diese Welt, bzw. gerät er sofort in Abhängigkeiten, die von Anfang an das werdende Leben prägen und es in der Praxis auch maßgeblich bestimmen. Was meinst du, wieviele Unberührbare es tatsächlich schaffen, sich aus dieser Kastengesellschaft zu befreien? Das Gepräge sitzt scheinbar knochentief und reicht bis ins Mark, möchte man meinen. Was wäre wohl aus einer Seele, wie Novalis geworden, wenn er in solche Verhältnisse hineingeboren worden wäre und nicht in ein Elternhaus im aufgeklärten Europa?
Der Mensch ist ein verunsichertes Wesen, meine ich? Vor allem seine Seele hat in dieser Welt sehr zu leiden und zu kämpfen. Woran liegt das? Sicherlich daran, daß sie kaum wahrgenommen wird. Der moderne Zeitgeist verlangt Produktivität. Er kümmert sich wenig um die Seele. Dem modernen Mensch mangelt es nicht an Intelligenz, wir beide wissen das ...
"Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns." (Dschalâl-ed-dîn Rumî)