Das abrahamitische Erbe - 2017

Judentum, Islam, Hinduismus, Brahmanismus, Buddhismus,
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fin
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#61 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von fin » Do 27. Apr 2017, 10:40

-- Parallelen --

Im Nebenthread Ist eine Reform des Islam möglich kam folgender Diskurs zustande, den ich hier einstellen möchte, da bisheriger Verlauf das abrahamitische Erbe bespricht und weitere Erörterungen einen zugehörigen Raum bedürfen.

fin hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ich sehe es eher so, dass der Islam das Ziel hat, die Welt zu regieren; sie werden nicht aufhören dieses vermeintliche Ziel Allahs zu verwirklichen.
Möglich.
Das scheint mir eine berechtigte Annahme und kennzeichnet eine grundsätzliche Problematik, die den Frieden der Weltgemeinschaft gefährdet, wobei wir vermutlich alle wissen, daß diese Bedrohung nicht nur vom Islam ausgeht, sondern auch von den übrigen Zweigen, die das abrahamitische Erbe für sich beanspruchen. 

Der göttliche Anspruch abrahamitischer Religionsoffenbarungen fördert keine Einheit, sondern entzweit die Völkergemeinschaften, da sie im Kern eine Kastengesellschaft induziert, in der zwischen Gläubigen und dem Rest unterschieden wird und auch entsprechende Maßnahmen gestattet und einfordert, um den eigenen Glauben, die eigene Ideologie, durchzusetzen. (Eine Ausnahme scheint jener Nazarener gewesen zu sein, der von Brüderlichkeit und Nächstenliebe gegenüber allen Menschen sprach und es - laut den Schriften - auch mit aller Kraft zu bewahrheiten suchte. Wir sollten das liebe Wesen aber nicht mit der Bibelzunft verwechseln.)

Halman hat geschrieben:Aber ja, es gibt auch die Täuschung. Diese Taktik nennt man im Islam „Taqiyya“ und „Ma'ariedh“.
-
Dies erschwert natürlich einen konstruktiven Dialog, wenn man damit rechnen muss, belogen und getäuscht zu werden.
Guter Halman, ich schätze deine Anstrengungen hier im Forum, durch ausführliche Beiträge belegt, auch deinen Gleichmut gegenüber gefälligen Antworten, wie sie zb. closs gerne ausliefert ;)  Ich glaube allerdings, daß man in der Betrachtung des Islams nicht das abrahamitische Erbe vergessen darf und dessen Verkettungen.

Was heißt das?

Das Prinzip der Täuschung (etc.) ist nicht nur ein probates Mittel, das durch den Koran eingeflößt wurde, sondern findet sich bereits in der jüd-talmudischen Tradition. Es ist entsprechend in Belehrungen und Geschichten des Talmud aufbewahrt und selbige - die talmudische Lehre - wurde im Laufe der Zeiten von Rabbis und Schriftgelehrten verfeinert und perfektioniert.

Schließen würde ich an dieser Stelle gerne mit dem letzten Beitrag von Novalis, aber nicht wegen seiner Schaumschlägerei, wie zb. ...

Novalis hat geschrieben: Alle Religionen lehren, dass wir einander lieben und unsere eigenen Fehler herausfinden sollten, ...
... sondern weil zwischen den Seifenblasen auch eine wahre Perle zu finden ist, ein guter Anfang, um die eigene Bewußtheit mit Redlichkeit aufzufrischen.

... denn die Sprache ist das Haus des Menschseins, wie mal Martin Heidegger richtig sagte.
Das stimmt wortwörtlich, darum lassen sich auch die Unverträglichkeiten des abrahamitischen Erbes - Wort für Wort - belegen, sie liegen nämlich schriftlich vor!

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben: darum lassen sich auch die Unverträglichkeiten des abrahamitischen Erbes - Wort für Wort - belegen, sie liegen nämlich schriftlich vor!
Man sollte "göttliches Wesen" und "menschliche Darstellung desselben" nicht verwechseln - denn letzteres findet immer im "Fürstentum der Welt" statt, ist also IMMER kontaminiert.

Deshalb ist es zwar reizvoll und gar interessant, Widersprüche zu suchen (man wird sie finden), sondern das zu finden, was "göttlichem Wesen" entspricht. - Oder anders: Besonders das AT ist im gesamten eine Mischung aus dunklem Abgrund und Leuchtfeuern, die ab und zu im Dunklen zu erkennen sind.

Und hier kommt ein Strickfehler des kritisch-rationalen Denkens zum Vorschein: Man sucht die Falsifikation, statt erst mal die Verifikation zu finden. - Oder anders: Man sollte aus meiner Sicht erst einmal nach den Leuchtfeuern suchen, bevor man sich mit den Abgründen beschäftigt. - Nicht aus Verdrängung, sondern um eine vernünftige Reihenfolge der Wahrnehmung zu haben, indem man das Dunkle am Hellen mißt.

fin hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben: darum lassen sich auch die Unverträglichkeiten des abrahamitischen Erbes - Wort für Wort - belegen, sie liegen nämlich schriftlich vor!
Man sollte "göttliches Wesen" und "menschliche Darstellung desselben" nicht verwechseln ...
Du sagst es!
Warum also Fakten und/oder ausgesprochene Wahrheiten relativeren?

closs hat geschrieben:Deshalb ist es zwar reizvoll und gar interessant, Widersprüche zu suchen (man wird sie finden), ...
Wer ist denn auf Widersprüche aus, doch nicht der, der sich (Gott) anvertrauen möchte?

closs hat geschrieben: ... sondern das zu finden, was "göttlichem Wesen" entspricht.
Wohl wahr, nur das derjenige, der an den abrahamitsichen Kontext gebunden ist, hier auf Widersprüche stößt ...

Darin besteht doch gerade der Konflikt, der sich seit Jahrhunderten beobachten läßt. Natürlich läßt sich das göttliche Wesen auch losgelöst vom abrahamitischen Erbe betrachten, aber der Islam ist an den Koran gebunden und der Koran ... aber wem sag ich das?!

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Wer ist denn auf Widersprüche aus, doch nicht der, der sich (Gott) anvertrauen möchte?
Naja - der Grund, warum sehr viele Theologie-Studenten ihr Studium abbrechen, hat wohl damit zu tun, dass sie bei ihrem Sich-Anvertrauen-Wollen auf das falsche Pferd setzen. - Nicht dass die Bibel das falsche Pferd wäre - aber der Umgang damit.

fin hat geschrieben:Wohl wahr, nur das derjenige, der an den abrahamitsichen Kontext gebunden ist, hier auf Widersprüche stößt ...
Das Wort "Bindung" ist hier das entscheidende. - Niemand sollte sich an die Bibel binden, sondern immer nur an Gott selbst.

Und da kommt wieder dieses schwierige Wort "Hermeneutik" ins Spiel, das
a) wahnsinnig heterogen besetzt ist, und
b) dementsprechend unterschiedlich verstanden wird.
Trotzdem ist es wichtig - konkret:

Die Basis, auf der der hermeneutische Prozess (an)laufen kann, darf eben NICHT biblischer Natur sein, sondern muss geistig-spiritueller Natur sein. - Es ist also falsch zu sagen "Ich weiß zu Beginn 'das' über die Bibel und will mehr davon wissen" - es muss heißen "Ich weiß/spüre/erkenne 'das' von Gott und will über die Bibel mehr davon erfahren". - Das wird oft verwechselt.

Wenn man den richtigen Weg geht, stört man sich nicht an Widersprüchen in der Bibel - sie sind dann notwendige Kollateralschäden, aber keine Argumente gegen Gott.

Mal ganz nebenbei: Ich habe mir mal den "Spaß" gemacht, die ersten 15 Bücher des AT Zeile für Zeile auf die Frage hin zu untersuchen "Wer spricht hier eigentlich?". - Die Antwort lautet: "Sehr unterschiedliche Instanzen". - Das kann tatsächlich Gott sein, ist aber viel öfter der Textverfasser oder der Akteur oder gar der Übersetzer. - Das kann soweit gehen, dass ein Satz aus göttlicher Sicht gut ist, aber von dem, aus dessen Mund er kommt, selber nicht verstanden wird.

Oder um es noch konkreter zu machen: Man kann aus meiner Sicht sehr gut am Text nachweisen, dass Abraham ein charakterloser Mensch ohnegleichen und David ein niederträchtiger Mensch ohnegleichen ist - TROTZDEM (oder vielleicht gerade deshalb!!!) sind sie Träger einer Offenbarung, die selbst wieder göttlich ist. - Solche Grundlagen kann eine historisch-kritische Bibelbetrachtung unmöglich verstehen.

Fortsetzung folgt ...

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#62 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von fin » Do 27. Apr 2017, 10:41

-- Parallelen 02 --

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Wer ist denn auf Widersprüche aus, doch nicht der, der sich (Gott) anvertrauen möchte?
Naja - der Grund, warum sehr viele Theologie-Studenten ihr Studium abbrechen, hat wohl damit zu tun, dass sie bei ihrem Sich-Anvertrauen-Wollen auf das falsche Pferd setzen. - Nicht dass die Bibel das falsche Pferd wäre - aber der Umgang damit.
Nicht nur Theologie Studenten verlieren hin und wieder ihren Glauben, sondern auch andere Menschen, die die Bibel (und zugehörige Schriften) studieren. Es liegt also nicht nur an einer akademischen Herangehensweise oder Aufbereitung der jeweiligen Inhalte - wobei ich glaube, daß entsprechende Fächer durchaus den Horizont erweitern und zu einem besseren Verständnis beitragen können, allein schon zugehörige Sprachen (...) - sondern es sind die jeweiligen Inhalte selbst (Das abrahamitische Erbe), die den Menschen dazu bringen, daß er seinen guten Glauben verliert.

Das läßt sich natürlich noch viel konkreter fassen!

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Wohl wahr, nur das derjenige, der an den abrahamitsichen Kontext gebunden ist, hier auf Widersprüche stößt ...
Das Wort "Bindung" ist hier das entscheidende. - Niemand sollte sich an die Bibel binden, sondern immer nur an Gott selbst.
Das aber ist genau der problematische Punkt, worin wir vermutlich übereinstimmen und es gilt - meiner Ansicht nach - diese Differenz/en so zu veranschaulichen, daß sie Mann und Maus einleuchten.

Die Suche nach Orientierung und entsprechende Bindungen sind ein grundsätzliches Problem, was dazu führt, daß die jeweiligen Anhänger nicht nur ihren jeweiligen Glauben durch jeweilige Schriften zu rechtfertigen suchen, was legitim ist, sondern auch ihre Ansprüche und Dogmen, die nicht selten in Übergriffe enden!

closs hat geschrieben: Die Basis, auf der der hermeneutische Prozess (an)laufen kann, darf eben NICHT biblischer Natur sein, sondern muss geistig-spiritueller Natur sein.
Ja, die Orientierung ist/wäre hier der (eigene) Logos und nicht der überlieferte Buchstabe und dessen Information.

closs hat geschrieben: Wenn man den richtigen Weg geht, stört man sich nicht an Widersprüchen in der Bibel - sie sind dann notwendige Kollateralschäden, aber keine Argumente gegen Gott.
Die eigene Beziehung zu Gott (was auch immer der einzelne Mensch darunter versteht) wurde/ist nicht durch eine Schrift induziert, sondern zeigt sich als eine unabhängige Größe, die sich darum nicht irritieren, bzw. sich nicht von fremden Vorstellungen vereinnahmen und besetzen läßt. Hier berühren wir allerdings Aspekte, die eigentlich einen besonderen Raum der Besprechung bedürfen, da sie das tiefe Wesen des Menschen berühren, das durch indirekte Medien, wie zb. das "Internet", entkräftet wird.

closs hat geschrieben: Oder um es noch konkreter zu machen: Man kann aus meiner Sicht sehr gut am Text nachweisen, dass Abraham ein charakterloser Mensch ohnegleichen und David ein niederträchtiger Mensch ohnegleichen ist - TROTZDEM (oder vielleicht gerade deshalb!!!) sind sie Träger einer Offenbarung, die selbst wieder göttlich ist. - Solche Grundlagen kann eine historisch-kritische Bibelbetrachtung unmöglich verstehen.

Hier sprichst du wesentliche Punkte an, auf die ich gesondert eingehen möchte!

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#63 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von fin » Do 27. Apr 2017, 12:07


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#64 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von closs » Do 27. Apr 2017, 13:20

fin hat geschrieben:sondern es sind die jeweiligen Inhalte selbst (Das abrahamitische Erbe), die den Menschen dazu bringen, daß er seinen guten Glauben verliert.
Aber WAS sind die Inhalte? - Wie würdest Du das kurz zusammenfassen?

fin hat geschrieben:Die Suche nach Orientierung und entsprechende Bindungen sind ein grundsätzliches Problem, was dazu führt, daß die jeweiligen Anhänger nicht nur ihren jeweiligen Glauben durch jeweilige Schriften zu rechtfertigen suchen, was legitim ist, sondern auch ihre Ansprüche und Dogmen, die nicht selten in Übergriffe enden!
Und da ist entscheidend: Was ist "jeweiliger Glaube"?

Der entscheidend Punkt scheint mir hier zu sein, dass die gläubigsten Christen diejenigen sind, die die Details der Bibel gar nicht kennen, weil sie ihnen irrelevant erscheinen. - Vielmehr docken sie ihren Glauben an relativ wenigen hammerharten Aussagen an, in denen sie sich wiedererkennen ODER an denen sie spüren, dass man daran wachsen kann.

Es kommt also IMMER wieder auf den hermeneutischen Ausgangspunkt an - spätestens hier kommt der Begriff "Heiliger Geist" ins Spiel. - Konkret: Ich habe mit (formal moslemischen) Kasachen über geistige Inhalte der Bibel gesprochen, die sie von ihrem Glauben her (der weder moslemisch noch christlich war) sofort verstanden haben - da war der HG. - Umgekehrt kann man den HG nicht über Einzelzitaten-Korinthen-Kackerei erzwingen - man "merkt" etwas oder nicht.

fin hat geschrieben:Ja, die Orientierung ist/wäre hier der (eigene) Logos und nicht der überlieferte Buchstabe und dessen Information.
Genau so - und dieser "eigene Logos" ist universal - siehe Röm. 2,13f (eines der "Hammer-Zitate"):
13 Denn vor Gott sind nicht die gerecht, welche das Gesetz hören, sondern die, welche das Gesetz befolgen, sollen gerechtfertigt werden.
14 Wenn nämlich Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz verlangt, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz,
15 da sie ja beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist

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#65 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von fin » Fr 28. Apr 2017, 09:05

-- Intuition --

Hallo closs, ich hatte gestern Abend damit begonnen, deine herausgestellten Zitate zu beantworten und gleich eine Unruhe in mir gespürt, da wir meiner Ansicht nach Gefahr laufen, den Kontext zu verfasern ...

Ich habe dann neu angesetzt und mich auf die wesentliche Frage konzentriert. Das brachte mich in einen anderen Ablauf, dessen Besprechung mich selbst sehr berührte. Ich habe es dann aber nicht eingestellt, weil es doch - wie soll ich sagen - fast ein Eintrag in m/ein Tagebuch sein könnte. Ich nehme hier nun einen neuen Anlauf und stelle meine gestrige Schreibe vielleicht noch ein, denn möglicherweise ist sie hilfreich.

Worin scheinen wir uns einig zu sein?

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Ja, die Orientierung ist/wäre hier der (eigene) Logos und nicht der überlieferte Buchstabe und dessen Information.
Genau so - und dieser "eigene Logos" ist universal - siehe Röm. 2,13f (eines der "Hammer-Zitate"):

14 Wenn nämlich Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz verlangt, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz, 15 da sie ja beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist

Ich glaube, daß wir an dieser Stelle verweilen sollten, da uns dieser Punkt möglicherweise eine grundsätzliche Problematik verdeutlicht. Warum habe ich den Begriff "Logos" gewählt? Dieser Begriff ist auch ein Referenzpunkt der Bibel, folglich wird ein bibelkundiger Mensch aufhorchen.

Der Logos ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Bibel, sondern wurde schon von den frühen Griechen besprochen, welche die Philosophie begründeten. Wir haben hier also ein ganz alte Verbindung vorliegen, die sozusagen von Heiden und Christen betrachtet wurde. Das NT wurde uns zudem in Altgriechisch tradiert. Man darf annehmen, daß auch Jesus altgriechisch sprach. Was also besagt das Wort Logos?

Luther hat uns die Bibel ins Deutsche übersetzt und brachte uns das Wort. Das Wort ist eine mögliche Übersetzung des altgriechischen Begriffs Logos. Der Streber Goethe liebäugelte mit dem Wort 'Tat'. In der Tat möchte man meinen, die Schöpfung sei nicht durch ein Wort entstanden, sondern durch eine göttliche Tat. Wort und Tat sind im Logos enthalten - und noch mehr ...

Was also ist uns der Logos?

Viele klammern sich an die Logik, schwören auf sie allein und haben sie wortwörtlich und tatsächlich auch ausgerechnet: :shock: Wobei auch hier - gottseidank - viele Wege vorliegen, den Logos als Zahl zu fixieren. Allerdings haben auch hier die frühen Griechen nicht geschlafen, sondern wie Jesus in den Sand geschrieben, zb. der gute alte Pythagoras, auf dessen Satz auch die Christenheit baut, zb. ihre Kathedralen.

Apropos Kathedralen und zugehörige Aspekte.

Seht ihr obiges Bild? Ich hatte es gestern Abend noch intuitiv rausgesucht und eingestellt, da es die drei symbolischen Zweige der abrahamitischen Kultur zeigt. Zuerst dacht ich, das könnte ein guter Abschluß, bzw. Neuanfang sein. Als ich dann etwas stiller wurde, habe ich es allerdings anders empfunden. Soll ich es sagen? Ich meine, diese Sicht gibt den Blick nicht frei. Die Bauwerke mögen vielleicht beeindrucken, aber die Symbole vereinnahmen, wie die alltägliche Werbung, möchte man meinen.

Wer ist hier eigentlich man?
Mein Wort? Meine Tat? Meine Logik?
Nein.

Was aber offenbart uns der Logos? Oder anders gefragt, auf welche Art und Weise haben wir uns den Logos zu eigen gemacht? Läßt sich der Logos überhaupt aneignen? Sofern wir von Worten, Taten und Logik sprechen - sicherlich. Aber der Logos ist noch mehr ... Wie könnte man es in Worte fassen? Ist es nicht eine übergeordnete Sprache, eine geistvolle Kraft? Hört, hört - wir sprechen also von einer geistvollen Kraft.

Ich glaube, ich mache hier mal eine kleine Pause.
(Meine gestrige Schreibe habe ich hier übrigens noch nicht eingebunden.)

fin

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#66 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von closs » Fr 28. Apr 2017, 10:35

fin hat geschrieben:Der Logos ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Bibel, sondern wurde schon von den frühen Griechen besprochen, welche die Philosophie begründeten.
Spätestens seit Esra wäre hier zu untersuchen, was Griechen unter "logos" verstehen und was Israeliten unter "logos" verstehen. - Denn im weitgehend griechisch-geschriebenen NT ist "logos" keine griechische Größe, sondern die Übersetzung des hebräischen "memra", welches noch viel weiter ausgelegt ist als "logos". - Die Frage ist also: Was haben sich die Textverfasser hebräisch gedacht, als sie das griechische Wort "logos" verwendet haben?

Das ist ein dickes Brett. - Etwas bohren in dieses Brett kann man, wenn man die AT-Übersetzung von Martin Buber liest, die wirklich gnadenlos hebräisch-urtextnah ist - was zu ständigen Neologismen im Deutschen bis zur Unlesbarkeit führt. - Das hat bei mir persönlich dazu geführt, dass 9 von 10 Fragen, die ich ans AT hatte, allein durch diese urtextnahe Übersetzung beantwortet waren. - Es hat auch dazu geführt, dass mir ein Licht aufgegangen ist zum Unterschied zwischen griechischer und hebräischer Denkweise - und dann wäre wir ja eigentlich beim "logos".

Kurz gefasst und als Hypothese formuliert: Im Hebräischen steht das Phänomen als ontologische Größe im Mittelpunkt, während das Griechische einen Hang zur logischen (= kausalen, konsekutiven, intentionalen, etc.) Entschlüsselung hat. - Das Hebräische ist also vom Grund her theozentrisch, während das Griechische anthropozentrisch denkt. - Das merkt man noch heute bei uns: Europa ist viel mehr ein griechisch-römisches Gewächs als ein hebräisches.

fin hat geschrieben:Die Bauwerke mögen vielleicht beeindrucken, aber die Symbole vereinnahmen, wie die alltägliche Werbung, möchte man meinen.
Das ist sowohl das Problem als auch notwendig. - Denn wenn wir für einen Moment "logos" gleichsetzen mit "Offenbarung" ("das, was beim Menschen ankommt"), kommt immer nur eine "Couleur" oder "Variante" an - der Mensch soll da angesprchen werden, wo er kulturell empfänglich ist, also abgeholt werden kann. - Das heißt: Solche Symbole verweisen auf Absolutes, sind aber selbst relativ.

Unter dialektischen Gesichtspunkten weiß man das (= Es gibt verschiedene geistige Wahrnehmungsstufen, die in die jeweils höhere Stufe "aufgehoben" werden können/sollen). - Man weiß also, dass das Bild/die Offenbarung/der Logos (?) für den 5-Jährigen "Gott ist ein großer Mann mit langem Bart"
a) wahr sein kann in dem, was der 5-Jährige damit verbindet,
b) nicht ewig auf diesem Status verharren kann, sondern in einen höheren Logos (?) aufgehoben werden muss (etwa "Gott ist die Aufhebung der Dialektik" - das wäre mein heutiges persönliches Gottesbild)

Unter anderen als dialektischen Gesichtspunkten weiß man das auch - man denke nur an die "pastorale" Umsetzung dieses Themas durch LEssing in "Nathan der Weise".

fin hat geschrieben: Läßt sich der Logos überhaupt aneignen?
Nein. - Der Logos ist eine Schöpfungsgröße, die den Unterschied zwischen "geistigem Bewusstsein"/"Ebenbildlichkeit" und "normaler" Natur-Schöpfung definiert. - Es ist im Menschen potenziell "drin" und muss "nur" aktiviert werden - wobei dies aus meiner Sicht NICHT unter Druck geschehen sollte ("Ich MUSS mich jetzt entwickeln"), sondern durch Geschehen-Lassen.

fin hat geschrieben:Hört, hört - wir sprechen also von einer geistvollen Kraft.
NAtürlich - alles andere ist letztlich un-aufgeklärt.

Und damit wären wir bei einem Reizthema: Gut 200 Jahre anthrozentristische Philosophie haben ein ganz anderes Menschenbild entwickelt, in dem unsere hier zum Gegenstand gemachte Gedanken keinen Platz haben. - Babel.

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#67 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von fin » Fr 28. Apr 2017, 11:41

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Der Logos ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Bibel, sondern wurde schon von den frühen Griechen besprochen, welche die Philosophie begründeten.
Spätestens seit Esra wäre hier zu untersuchen, was Griechen unter "logos" verstehen und was Israeliten unter "logos" verstehen.
Einspruch! Esra endet mit/an der Grenze des alten Testaments und taucht im NT nicht auf. Es gibt also - auch in biblischer Hinsicht - eine Grenze und der alte Esra hatte hier anscheinend keinen Passierschein :D

closs hat geschrieben: Denn im weitgehend griechisch-geschriebenen NT ist "logos" keine griechische Größe, sondern die Übersetzung des hebräischen "memra", welches noch viel weiter ausgelegt ist als "logos".
Das scheint mir in dieser Hinsicht eine Irreführung, nicht in Bezug auf das unterschiedliche Sprachwesen beider Sprachen, sondern in Bezug auf den jeweiligen authentischen Ursprung und der ist - gemäß Überlieferung - altgriechisch!

closs hat geschrieben: Die Frage ist also: Was haben sich die Textverfasser hebräisch gedacht, als sie das griechische Wort "logos" verwendet haben?
Nein, Ausgangspunkt ist hier nicht ein/das hebräisches Wort, sondern die sprachliche Sichtweise des Johannes Evangeliums.

closs hat geschrieben: wenn man die AT-Übersetzung von Martin Buber liest, die wirklich gnadenlos hebräisch-urtextnah ist ... Das hat bei mir persönlich dazu geführt, dass 9 von 10 Fragen, die ich ans AT hatte, allein durch diese urtextnahe Übersetzung beantwortet waren. Es hat auch dazu geführt, dass mir ein Licht aufgegangen ist zum Unterschied zwischen griechischer und hebräischer Denkweise - und dann wäre wir ja eigentlich beim "logos".
Das ist sicherlich sinnvoll und zeigt dir/uns zugleich auf, wie wichtig originäre Zugänge und zugehörige Schlüssel sind - also die jeweilige Sprache. Das AT (Schöpfungsgeschichte, etc.) liest sich also ganz anders für jemanden der Hebräisch denkt/spricht und fühlt, zumal es eine assoziative Sprache ist.

Allerdings führt uns Buber hier nicht weiter, denn es geht nicht um ein jüd-hebräisches Einsehen, sondern um einen Referenzpunkt des NT!

closs hat geschrieben: Kurz gefasst und als Hypothese formuliert: Im Hebräischen steht das Phänomen als ontologische Größe im Mittelpunkt, während das Griechische einen Hang zur logischen (= kausalen, konsekutiven, intentionalen, etc.) Entschlüsselung hat. Das Hebräische ist also vom Grund her theozentrisch, während das Griechische anthropozentrisch denkt. Das merkt man noch heute bei uns: Europa ist viel mehr ein griechisch-römisches Gewächs ...

Ja, römisch alle Male, wobei man Europa differenziert betrachten sollte. Nicht alle wurden romanisiert. Einige haben hart dafür gekämpft - zb. :geek:

closs hat geschrieben: (etwa "Gott ist die Aufhebung der Dialektik" - das wäre mein heutiges persönliches Gottesbild)
Möglicherweise ist/war (ein) Gott Ursache für die Dialektik?!

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben: Läßt sich der Logos überhaupt aneignen?
Nein. - Der Logos ist eine Schöpfungsgröße, ... Es ist im Menschen potenziell "drin" und muss "nur" aktiviert werden - wobei dies aus meiner Sicht NICHT unter Druck geschehen sollte ("Ich MUSS mich jetzt entwickeln"), sondern durch Geschehen-Lassen.
Das kann ich so gut stehen lassen.

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Hört, hört - wir sprechen also von einer geistvollen Kraft.
NAtürlich - alles andere ist letztlich un-aufgeklärt.

Und damit wären wir bei einem Reizthema: Gut 200 Jahre anthrozentristische Philosophie haben ein ganz anderes Menschenbild entwickelt, in dem unsere hier zum Gegenstand gemachte Gedanken keinen Platz haben.

Die liebe Philosophie hat gelitten, allerdings, das lag/liegt sicherlich nicht nur an den römischen Technokraten, sondern auch an der talmudischen Dialektik, die sich scheinbar auch ins Christentum eingeschlichen hat.

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#68 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von closs » Fr 28. Apr 2017, 12:08

fin hat geschrieben:Einspruch! Esra endet mit/an der Grenze des alten Testaments und taucht im NT nicht auf.
So meine ich es nicht. - Ich meine die mit seinem Namen verbundene Restituierung der hebräischen Denkweise an sich.

fin hat geschrieben:Das scheint mir in dieser Hinsicht eine Irreführung, nicht in Bezug auf das unterschiedliche Sprachwesen beider Sprachen, sondern in Bezug auf den jeweiligen authentischen Ursprung und der ist - gemäß Überlieferung - altgriechisch!
Widerspruch. - Die SPRACHE ist altgriechisch, aber das Denken dahinter ist hebräisch. - Aus meiner Sicht sind die Textverfasser im zeitlichen Umfeld Jesu kulturelle Hebräer/Aramäer/Israeliten, die in ihren Texten ihre Kultur sprachlich ins Griechische übertragen (müssen/wollen/was auch immer) - aber sie SIND kulturell keine Griechen.

fin hat geschrieben:Ausgangspunkt ist hier nicht ein/das hebräisches Wort, sondern die sprachliche Sichtweise des Johannes Evangeliums.
Das sehe ich tatsächlich anders: Aus meiner Sicht ist die sprachliche Sichtweise des Johannes-Evangeliums bereits eine "Übersetzung" des zugrundeliegenden jesuanischen Denkens in eine andere Kultur.

Paulus verstehe ich diesbezüglich als jemanden, der den Spagat zwischen beidem versucht - als würde er Jesus original verstehen, aber griechisch (-intellektuell) transferieren. - Wenn man so will: Der Beginn der Theologie.

fin hat geschrieben:Allerdings führt uns Buber hier nicht weiter, denn es geht nicht um ein jüd-hebräisches Einsehen, sondern um einen Referenzpunkt des NT!
Aus meiner Sicht ist der originäre Referenzpunkt des NT NICHT das griechische, sondern das hebräische/aramäische Denken (= wie Jesus gedacht hat). - Sprachlicher Referenzpunkt ist natürlich das Griechische.

Und jetzt wäre die Frage: Was bedeutet das in Bezug auf die Bedeutung des Logos-Begriffs?

fin hat geschrieben:Einige haben hart dafür gekämpft - zb. Arminius
Trotzdem: Die Denkweise der antiken Tradition hat sich normativ in Europa durchgesetzt. - Ausnahme ist vielleicht ein bißchen der angelsächsische Raum, in dem es noch heute eine Präzedenz-Recht gibt. - Und ganz nebenbei: Wenn heute die Orbans und Putins Symbole für ein "gegen-westliches" Unbehagen sind, kann das damit zu tun haben, dass in ihnen ein Stück anti-antike Denktradition steckt. - Das soll keine Behauptung sein, wiewohl meinem Eindruck nach da irgendwas in diese Richtung im Busch ist.

fin hat geschrieben:Möglicherweise ist/war (ein) Gott Ursache für die Dialektik?!
Definitiv ja. - Trennung/Dialektik als notwendiger Entwicklungsraum, aber nicht als Telos selbst.

fin hat geschrieben:Die liebe Philosophie hat gelitten, allerdings, das lag/liegt sicherlich nicht nur an den römischen Technokraten, sondern auch an der talmudischen Dialektik, die sich scheinbar auch ins Christentum eingeschlichen hat.
Kann ich in Bezug auf Talmud nicht mitreden. - Frage: Bildet der Talmud aus Deiner Sicht in seiner geschichtlichen Entwicklung einen Trend vom theozentrischen "So-ist-die-Welt" ins anthropozentrische
"So-verstehen-wir die-Welt" ab?

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#69 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von Pluto » Fr 28. Apr 2017, 12:50

closs hat geschrieben:Ich meine die mit seinem Namen verbundene Restituierung der hebräischen Denkweise an sich.
Definiere "hebräischen Denkweise".

closs hat geschrieben:Die SPRACHE ist altgriechisch, aber das Denken dahinter ist hebräisch.
Worin besteht der Unterschied? (s.o.)

closs hat geschrieben:Und jetzt wäre die Frage: Was bedeutet das in Bezug auf die Bedeutung des Logos-Begriffs?
Was denn?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#70 Re: Das abrahamitische Erbe - 2017

Beitrag von fin » Fr 28. Apr 2017, 13:26

-- Paulus --

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben: Einspruch! Esra endet mit/an der Grenze des alten Testaments und taucht im NT nicht auf. Es gibt also - auch in biblischer Hinsicht - eine Grenze und der alte Esra hatte hier anscheinend keinen Passierschein
So meine ich es nicht.
Ich weiß, aber ich wollte gerne auf Zollbestimmungen hinweisen ... :D

closs hat geschrieben: Aus meiner Sicht ist die sprachliche Sichtweise des Johannes-Evangeliums bereits eine "Übersetzung" des zugrundeliegenden jesuanischen Denkens in eine andere Kultur.

Paulus verstehe ich diesbezüglich als jemanden, der den Spagat zwischen beidem versucht - als würde er Jesus original verstehen, aber griechisch (-intellektuell) transferieren. - Wenn man so will: Der Beginn der Theologie.
Das scheint mir ein guter Einwand zu sein, zumal Paulus tatsächlich einen Grenzverlauf darstellt, dessen Saum ich gerne - wie das tapfere Schneiderlein - aufgreifen würde, um gleich mehrere Grenzposten ...

Paulus war ein vorbildliches Beispiel - besser gesagt, Saulus war ein Opfer talmudischer Dialektik und darin so stark verstrickt, daß ihn scheinbar nur einer daraus befreien konnte, aber nicht darum, weil jener selbst ein Jude gewesen wäre, sondern weil dieser einer übergeordneten Ordnung angehört/e.

Die befreiende Gestalt des Messias steckt nicht in der hebräischen Kultur, mußte sich aber innerhalb des jüdischen Stroms inkarnieren, damit das zugehörige Volk überhaupt eine legitime Chance hatte, sich für seine Präsenz zu entscheiden!

Schnitt.

Ich weiß, es entspricht nicht der Kollektion von der Stange, aber er/sie/es läßt sich nicht mehr beschneiden!

Ist das nicht ein Augenöffner ...
Zuletzt geändert von fin am Fr 28. Apr 2017, 15:16, insgesamt 2-mal geändert.

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