Call me brother!

Judentum, Islam, Hinduismus, Brahmanismus, Buddhismus,
west-östliche Weisheitslehre
Novas
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#31 Re: Call me brother!

Beitrag von Novas » So 27. Nov 2016, 21:22

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:...wenn es ein Haus der Religion gibt, dann ist es die ganze Schöpfung und nichts und niemand ist jenseits davon, alles ist inbegriffen.
Verstehe ich nicht. Wie kann ich Teil einer Schöpfung sein, die zunächst einmal nichts weiter als ein Mythos ist?

Dass die Welt eine Schöpfung ist, das ist selbstverständlich eine Deutung. Ich halte es übrigens für sehr bedauerlich, dass das Wort "Mythos" heute in einem oft eher abschätzigen Sinne gebraucht wird, als Synonym für Lüge und Falscheit. Mythen besitzen eine ureigene Legitimität, sie vermitteln Wahrheit, die in großen Bildern zu uns spricht, auch wenn sie mit historischen Fakten nicht viel zu tun haben. Ob Jesus wirklich Lazarus von den Toten auferweckte oder Moses das Rote Meer teilte, ist vollkommen unerheblich. Viel wichtiger ist die Frage: welche Botschaft wollen diese Geschichten vermitteln?

Die Aufgabe von Religion ist nicht die Weitergabe von historischen Ereignissen in möglichst objektiver Form, denn alle Religionen deuten bestimmte Ereignisse, sie sind erzählte Geschichte, die dem Weltganzen einen höheren Sinn zuschreibt, wie die biblische Schöpfungsgeschichte, die keinen naturwissenschaftlichen oder historiographischen Charakter hat.

Die Schöpfungserzählungen haben also einen mythischen und ätiologischen Charakter – mit beiden
Begriffen wollen wir uns nun auseinandersetzen.
Die Deutung von Welt und Dasein erfolgt narrativ, d.h. nicht in einem begrifflichen Diskurs. Den
schriftlichen Erzählungen liegen zumeist mündliche Traditionen zu Grunde, die sich veränderten Le-
benslagen und historischen Situationen anpassen, d.h. der Mythos ist wandlungsfähig und wird immer
wieder neu ausgelegt. Die mythische Erzählung ist Poesie, sie ist fiktional, kein Bericht und orientiert
sich an ästhetischen Kriterien.

Allgemeine Aussagen über den Menschen und die Welt werden in eine mythische Urzeit verlegt, die Handelnden sind göttliche Personen oder im Monotheismus eine göttliche Person. Von den Göttern wird metaphorisch und anthropomorph gesprochen: sie sehen, hören
oder sprechen, handeln aus Liebe oder Zorn. Die biblischen und altorientalischen Schöpfungsmythen
sind anthropozentrisch, d.h. sie kreisen um den Menschen, seine Entstehung und seine Lebensbedin-
gungen

Prof. Dr. Lucia Scherzberg
Schöpfungslehre, Anthropologie und Eschatologie


Die Evolution, Welt und Dasein des Menschen kann, aber muss selbstverständlich nicht als Schöpfung gedeutet werden. Das ist ja kein muss, sondern ein zusätzlicher Sinnhorizont der durch Religion aufgeschlossen wird. Ich gebrauche ganz bewusst diesen Begriff, weil "Schöpfung" beinhaltet, dass alles von einem gemeinsamen Grund kommt.
Christen verstehen diesen Grund des Seins eher personal, während Buddhisten vermutlich eher dazu neigen ihn unpersönlich zu verstehen, aber entscheidend ist: da ist ein gemeinsamer Grund. Alle Weltentstehungsmythen weisen darauf hin.

erbreich
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#32 Re: Call me brother!

Beitrag von erbreich » So 18. Dez 2016, 19:05

Novalis hat geschrieben: Ich gebrauche ganz bewusst diesen Begriff, weil "Schöpfung" beinhaltet, dass alles von einem gemeinsamen Grund kommt.
Christen verstehen diesen Grund des Seins eher personal, während Buddhisten vermutlich eher dazu neigen ihn unpersönlich zu verstehen, aber entscheidend ist: da ist ein gemeinsamer Grund.
Will ich von (Theravada-) buddhistischer Seite korrekt darauf eingehen, dann ist zu sagen, dass im Palikanon kein solcher "Grund" definiert wird. Ein solcher "Grund" wäre etwas unbedingtes, etwas vollständig autonomes, etwas absolutes, dass es so in der buddhistischen Lehre nicht gibt. Im §1 des Abhidhammattha-Sangaha heisst es:

Dem unvergleichlich höchsten Buddha,
Der hohen Lehre, heil’gen Jüngerschaft
Entbot ich solchen Gruss und trage nun
Den Grundriss aller Wirklichkeiten vor.

Die da erklärten Wirklichkeiten
Im höchsten Sinne vierfach sind:
Bewusstsein, geistige Faktoren,
Das Körperliche und das Nibbana.

Anmerkung des Ehrwürdigen Nyanatiloka (Übersetzer):

Bewusstsein sowie die mit dem Bewusstsein verbundenen Geistesfaktoren und Körperlichkeit: diese Dinge bilden die das ganze Dasein ausmachenden einzigen Wirklichkeiten, wiewohl denselben auch wiederum nur ein sehr ephemeres und flüchtiges Dasein beschieden ist; und etwas Dauerndes, eine sich gleichbleibende wirkliche Ichheit oder Wesenheit findet sich da weder innerhalb noch ausserhalb dieses von Bewusstsein, Geistesfaktoren und Körperlichkeit gebildeten und in seinen Bestandteilen sich unaufhörlich verändernden körperlichen und geistigen Daseinsstromes.

Vor dreissig Jahren (1986) befragte ich dazu den Schüler des Ehrw. Nyanatiloka, den Ehrw. Nyanaponika wie folgt:

‘Die vier im höchsten Sinne wirklichen Dinge’ werden genannt. Was ist das, ‘der höchste Sinn’? Wie, wenn ich Christ bin? Dann ist Gott der höchste Sinn. Dann ruhen diese vier Dinge (Bewusstsein, geistige Faktoren, Körperlichkeit und Nibbana) in Gott.
Wenn es aber weder innerhalb noch ausserhalb dieser vier Dinge etwas Gleichbleibendes gibt, dann gibt es für den ‘höchsten Sinn’ (oder für die Existenz Gottes) nur zwei Möglichkeiten: entweder, es gibt keinen höchsten Sinn und keinen Gott, oder aber, der höchste Sinn (Gott) existiert als Bewusstsein oder als geistiger Faktor eines Bewusstseins, kann also entstehen und vergehen.
Vielleicht aber stimmt diese Gleichung nicht, der höchste Sinn = Gott?
Dies ist meine erste Frage, ich suche Gott im Abhidhamma: Wo und wer (oder was) ist Gott?

Nyanaponikas Antwort:

Beim Ausdruck ‘im höchsten Sinne’ hat das Wort ‘Sinn’ nicht die Bedeutung wie etwa in ‘Sinn des Lebens’ oder ‘Sinngebung’. Vielmehr: die Betrachtung oder das Verständnis der Erfahrung vom höchsten Standpunkt aus, wie er sich durch die analytische und Bedingtheits-Untersuchung des Abhidhamma ergibt.
Hier handelt es sich also nicht um eine ‘höchste Sinngebung’ durch Gott. Abgesehen davon wird eine Gottsuche im Abhidhamma ( wie auch in anderen Teilen des Pali-Kanons) vergeblich sein. Kein Absolutum wird anerkannt, sei es ein persönlicher oder unpersönlicher Gott, oder eine Weltseele.
Nibbana ist keines von diesen, da Nibbana die Welt weder schafft, noch mit ihr identisch ist, und sie auch nicht ‘beseelt’.


Ende Zitat (Hervorhebung von mir).

Der Buddhismus definiert keinen absoluten Erstanfang, sondern vielmehr die Unmöglichkeit eines Erkennens eines solchen. Um einen Erstanfang zu setzen, müsste aus absolut nichts etwas entstehen können, was eine Unmöglichkeit ist. Deshalb gilt alles Entstandene und Seiende als bedingt entstanden und bedingt seiend, hat also Ursachen. Ein erstes Seiendes, ob personal oder phänomenal gedacht (von dir "gemeinsamer Grund" benannt), hätte keine Ursache, wäre ursachlos entstanden und daher unbedingt, autonom, absolut. Einen solchen Grund setzt der Buddhismus nicht voraus.

Er erklärt aber, was das (immer wieder) Werden des Gewordenen in Gang hält, nämlich das Begehren und dass das Erlöschen des Begehrens das Erlöschen des Leidens bedeutet:

Das Begehren ist es, das allem lebensbejahenden Wirken des Menschen (kamma, Skr. karma) zugrunde liegt; und dieses Wirken in Werken, Worten und Gedanken ist es, das je nach seiner Beschaffenheit den Charakter und das Geschick des Menschen bestimmt und ihn die Folgen dieses Wirkens in immer erneuten Existenzen erfahren läßt. (...)
In der buddhistischen Lehre bezeichnet Karma den die Wiedergeburt erzeugenden oder beeinflussenden heilsamen oder unheilsamen Willen, sowie die damit verbundenen Geistesfaktoren. (...)
Was aber, ihr Jünger, ist die Edle Wahrheit von der Leidens-Erlöschung? Eben jenes Begehrens restlose Abwendung und Erlöschung, Verwerfung, Fahrenlassen, Befreiung davon, Nichthaften daran: das, ihr Jünger, nennt man die Edle Wahrheit von der Leidens-Erlöschung. (...)
Insofern aber der Mönch die restlose Versiegung von Gier (lobha), Haß (dosa) und Verblendung (moha) verwirklicht, so gibt es eben das sichtbare Nirwahn, das zeitlose, einladende, gewinnende, jedem Verständigen verständliche.
(Nyanatiloka)

Novas
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#33 Re: Call me brother!

Beitrag von Novas » So 18. Dez 2016, 22:33

erbreich hat geschrieben:Ein erstes Seiendes, ob personal oder phänomenal gedacht (von dir "gemeinsamer Grund" benannt), hätte keine Ursache, wäre ursachlos entstanden und daher unbedingt, autonom, absolut. Einen solchen Grund setzt der Buddhismus nicht voraus

Hallo. Danke für deine ausführliche Antwort ;) Ja, der Buddhismus ist sehr zurückhaltend mit Aussagen diesbezüglich. Ich verstehe den Buddha so, dass er keine feste (endgültige) Position dazu vertreten hat. Er lässt die Frage nach der Existenz eines göttlichen Wesens offen. Sein Schweigen können wir auch so verstehen, dass unsre menschlichen Worte gar nicht ausreichen, um darüber adäquat zu sprechen. Seine Haltung scheint der von Ludwig Wittgenstein zu entsprechen, die er in seinem „Tractatus logico-philosophicus“ formulierte: „Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.
Das ist wohl nicht ganz grundlos einer der berühmtesten Sätze der modernen Philosophie. Das kommt sehr nahe dem Satz von Meister Eckhart, der davon sprach, dass der Mensch „Gott um Gottes willen lassen“ solle, also sich kein Bild, keinen Begriff und keine Vorstellung von ihm machen solle, viel mehr solle er all das loslassen und sich in das Mysterium fallen lassen.

Aus Sicht der christlichen Mystik ist Gott ein unaussprechliches Mysterium. Dennoch – paradoxer Weise – spielt gerade das Wort eine sehr zentrale Rolle, denn „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was geworden ist – in ihm war das Leben…“ (Joh.1,1-4)

Goethe sagte ganz ähnlich in seinem Faust: „Am Anfang war der Sinn“. Das „Wort“ steht also für den „Sinn“, weil es als Träger von Bedeutung Sinn vermittelt. Der griechische Logos bedeutet auch „Vernunft“. Also im Grunde können wir alles, was es gibt, als sein Wort verstehen, das ganze Universum als Selbstoffenbarung Gottes, die ganze materielle Welt als Verdichtung des einen GEISTES. Das ist jedenfalls die (ziemlich epische) Vision zu der Johannes uns einladen möchte. Christlicher Glaube bedeutet für mich, dass ich diese Einladung angenommen habe und mich an dieser Vision beteilige. So kann das Weltall gesehen werden. Wichtig ist aber auch: dieser Ur-Grund Gott, ist weder sinnenhaft noch intellektuell begreifbar. ES - welches alles gibt - bleibt ein Mysterium. Jedoch ein sprechendes Mysterium, welches wir ansprechen oder von dem wir uns angesprochen fühlen dürfen.

erbreich
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#34 Re: Call me brother!

Beitrag von erbreich » Mi 21. Dez 2016, 10:28

Novalis hat geschrieben: Ich verstehe den Buddha so, dass er keine feste (endgültige) Position dazu vertreten hat. Er lässt die Frage nach der Existenz eines göttlichen Wesens offen.
Dass es göttliche (geistige) Wesen gibt steht für den Buddha ausser Frage: Es gibt in den Suttas viele Beispiele von Gesprächen des Buddha mit Devas (Engel) und mit Gottheiten (wie auch mit untermenschlichen Geistwesen). Aber was es für den Buddha klar nicht gibt, ist ein Wesen, dass ungeboren, unentstanden und ewig lebend wäre. Selbst die höchsten Gottheiten sind laut dem Buddhismus sterblich (wenn sie auch eine Lebensdauer von vielen Äonen aufweisen können). Insofern Gott also als Person (anthropomorph) gedacht wird und als diese unentstanden und ewig lebend ist eine solche Vorstellung für den Buddhismus eine Illusion, ein Wahn.

Aber auch ein nicht-personaler Ur-Grund der Dinge ist für den Buddhismus undenkbar, da nichts ohne Ursachen entstehen kann und ein solcher Ur-Grund müsste ursachlos, unbedingt existieren.

Sein Schweigen können wir auch so verstehen, dass unsre menschlichen Worte gar nicht ausreichen, um darüber adäquat zu sprechen. Seine Haltung scheint der von Ludwig Wittgenstein zu entsprechen, die er in seinem „Tractatus logico-philosophicus“ formulierte: „Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.
Ja, und es ist dann auch nicht angebracht darüber in der Weise zu sprechen, als gäbe es diesen Ur-Grund dennoch, nur habe der Buddha darüber geschwiegen.

Das kommt sehr nahe dem Satz von Meister Eckhart, der davon sprach, dass der Mensch „Gott um Gottes willen lassen“ solle, also sich kein Bild, keinen Begriff und keine Vorstellung von ihm machen solle, viel mehr solle er all das loslassen und sich in das Mysterium fallen lassen.
Das Unvergängliche besteht im Erlöschen (nibbana) des Vergänglichen. Das Leidfreie im Erlöschen des Leidunterworfenen. Was also losgelassen werden sollte - vorausgesetzt, wir wünschen uns Erlösung von Leiden und Tod - ist das Festhalten am Leid- und Todunterworfenen, die Identifizierung damit als "Ich" oder "Mein". Ein Bild, ein Begriff, eine Vorstellung vom Unvergänglichen ist etwas Vergängliches, weshalb Meister Eckhart auch sagte, man solle sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott (ich meine: auch nicht an einem gedachten Nirvana), denn wenn der Gedanke vergehe, dann vergehe auch Gott.

„Am Anfang war das Wort,...
„Am Anfang war der Sinn“...
In buddhistischem Verständnis kann kein Anfang gesetzt werden, egal wie auch immer dieser definiert wird.

ES - welches alles gibt - bleibt ein Mysterium.
Ein solches absolutes ES wird vom Buddha nicht definiert. Alles wird durch alles gegeben. Jedes Etwas ist durch andere Etwas bedingt entstanden und wird seinerseits Bedingung für weitere Etwas.

Jedoch ein sprechendes Mysterium, welches wir ansprechen oder von dem wir uns angesprochen fühlen dürfen.
Ich fühle mich vom nibbana angesprochen, als der Befreiung aus allem Leid- und Todunterworfenen. Das heisst aber nicht, dass die Befreiung 'sprechen' könnte und ein Wesen sei. Ich werde von dieser Vorstellung angesprochen etwa wie mich ein Sonnenaufgang ansprechen kann. Und natürlich kann ich auch zum Sonnenaufgang sprechen und mich bei ihm für seine Schönheit bedanken - wie ich es im Lied Sonnengruss getan habe. In derselben Weise kann ich auch in Gott die Befreiung ansprechen, wenn mir danach zumute ist und es mich emotional befriedigt und mir wohl tut.

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