Hier weiter zum Thema "Exegese als reine Sach-Auslegung" und "Exegese als interpretierende Auslegung":Pluto hat geschrieben:...
A) Sachauslegung:
* "Diese Text-Quelle ist nach C14- oder andere Methoden auf den Zeitraum 80 - 120 n.Chr. datiert".
* "Paulus war - wie unabhängige Quellen belegen - (meinetwegen) im Jahr 43 bei den Korinthern".
* "Der Begriff 'Nahes Gottesreich' kommt meinetwegen 124 Mal im NT vor und damit am öftesten".
* "Zur Zeit Jesu gab es die Essener, die folgende Auffassung zum Begriff 'Nahes Gottesreich' hatten".
* "Der Mithraskult hat erhebliche Parallelen zu christlichen Motiven auf".
* etc.
B) Interpretative Auslegung
* "Die leibliche Auferstehung Jesu ist als Legende zu verstehen, weil durch sie der naturalistische Wirkungszusammenhang der Geschichte durchbrochen wird".
* "Trotzdem haben viele Jünger an Jesu leibliche Auferstehung als historisches Faktum geglaubt".
* "Der Umstand, dass Jesus so oft von Naherwartung spricht, lässt es im Einklang mit den Quellen als sicher erscheinen, das er selbst diese Erwartung hatte".
* "Mit 'Naherwartung Jesu' ist zeitliche Naherwartung im phyiskalischen Sinne gemeint: Jesus erwartet, dass Gott haptisch erlebbar herabsteigt und ide römische Fremdherrschaft beendet".
* etc.
Wenn wir jetzt wirklich mal sauber und analysierend denken wollen:
1) "Sachauslegung" im obigen Sinne ist nicht Interpretation, sondern zitiert lediglich Fakten, die man durch Forschung erarbeitet. - Kommentar:Darüber besteht vermutlich Einvernehmen - und: Dies ist die Grundlage für Ratzingers Lobrede zur HKM im Jahr 1993.
2) "Interpretation" bedarf einer Grundlage, auf der interpretiert wird - es gibt niemanden, der als Subjekt aus Nichts heraus interpretiert. - Obige interpretativen Beispiele entsprechen einer Grundlage, die auf transzendente Größen wie Gott verzichtet, sondern aus menschlicher, säkularer Warte interpretiert. - Kommentar:Damit ist NICHT eine Bewertung verbunden, da Urteile aus menschlicher, säkularer Warte genauso richtig wie falsch sein können - wie auch umgekehrt Interpretationen/Bewertungen aus menschlicher, spiritueller Warte genauso richtig wie falsch sein können. - Aber es sind WARTEN, also Perspektiven.
3) Wenn nun eine säkulare Perspektive meint, sie sei die beste, um die Bibel zu interpretieren, ist dies erlaubt - aber es sollte als solches gekennzeichnet sein: "Ich interpretiere im folgenden so, wie ich die in A) ermittelten Sachaussagen verstehe".
4) Wenn nun eine spirituelle Perspektive meint, sie sei die beste, um die Bibel zu interpretieren, ist dies erlaubt - aber es sollte als solches gekennzeichnet sein: "Ich interpretiere im folgenden so, wie ich die in A) ermittelten Sachaussagen verstehe". Kommentar: Ratzinger tut genau dieses, indem er seine Perspektive kennzeichnet mit "Glaubensentscheid". - Die säkulare Seite tut es NICHT, weil sie nicht so weit zu sein scheint zu erkennen, dass ihre säkulare Perspektive gleichermaßen eine "Interpretations-Setzung" ist wie die spirituelle. - Daraus erhebt sie den vollkommen unhaltbaren Anspruch, sie habe KEINE Setzung und sei deshalb "wissenschaftlich". - Das ist intellektuell un redlich.
Und zum guten Schluss eine Geschichte, die ich heute Münek erzählt habe, die aus meiner Sicht wunderbar zu diesem Thema passt:
closs hat geschrieben:Mir ist vorgestern ein blöder Witz in einer Berliner Stadtzeitung über den Weg gelaufen:
"Fritzle" wird gefragt, was er sich zum Geburtstag wünsche. - Seine Antwort: "Tampons". - Worauf er gefragt wird "Warum denn das?" - Seine Antwort: "Ich habe gelesen, dass man damit radfahren, schwimmen, bergsteigen und noch viel mehr kann".
Genau das hat mich an den Begriff "Interpretation" erinnert. - "Fritzle" könnte nachweisen, was Radfahren, Schwimmen und Bergsteigen ist - er könnte weiterhin aufzählen, welche Räder es gibt, wo man schwimmen kann und welche Berge es gibt. - Er kann also den Satz "Damit kann man radfahren, schwimmen, bergsteigen und noch viel mehr" in alle Einzelteile zerlegen und wieder zusammenbauen. - Am Ende kommt raus: "Ich kann nachweisen, dass dieser Satz jenes bedeutet".
Aber hat er diesen Satz als Ganzes und im Kontext richtig verstanden? "Fritzle" versteht, dass man mit Tampons radfahren lernen (möglichweise incl. Fahrrad), schwimmen lernen und bergsteigen lernen kann. - Der geistig Verständige weiß sofort, dass damit gemeint ist, dass eine Frau in dieser Zeit nicht auf Schwimmen, Radfahren und Bergsteigen verzichten muss - aber er kann es nicht nachweisen, weil es rein sprachlich auch so verstanden werden kann, wie es "Fritzle" versteht.
Und damit - Transfer - magst Du eine Impression haben, wie sich "geistig Verständige" fühlen, wenn sie von lauter und lauten "Fritzles" umgeben sind. - Genau das ist das Problem von Ratzinger und Berger - ich kann das auch persönlich sehr gut nachvollziehen.