Alles Teufelszeug? VI

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sven23
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#551 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Di 20. Jun 2017, 14:24

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Och, die Geburtslegenden sind ziemlich gut erforscht.
Wo kommt denn DIESES Thema her?

Wie auch immer: Jede Zeit stellt ihre "Wahrheiten" unterschiedlich dar - das gilt auch für die individuelle Lebenszeit. - Ein Kind bspw. neigt zur Übertreibung, wenn ihm etwas besonderes wichtig ist ("Ich habe ein Eis gegessen - das war größer als Du"). - Mit anderen Worten: Man kann das, was wirklich war, nicht rein rational bestätigen oder verwerfen ("Weil es zu es dieser Zeit kein Eis gab, das größer als ein erwachsener Mensch war, hat das Kind kein Eis gegessen - seine Aussage ist also widerlegt").

Man müsste also Spezialisten heranziehen, die mit Historie, Sprache und Psychologie zu tun haben - ob wir das hier auf dem Forum schaffen, bezweifele ich.
Gehe mal davon aus, dass die Ergebnisse der Forschung von Spezialisten ermittelt wurden. Interessant ist, dass schon Strauss in den Anfängen der Jesusforschung dies herausfand. An klugen Köpfen hat es also nie gemangelt, nur an der Bereitschaft, auf sie zu hören.

Wie auch Goethe meinte:

"Die Geschichte des guten Jesus hab ich nun so satt, dass ich sie von keinem, außer von ihm selbst, hören möchte".

Eine schöne Erfindung.

Offen steht das Grab! Welch herrlich Wunder! Der Herr ist
Auferstanden!« – Wer's glaubt! Schelmen, ihr trugt ihn ja weg.

(Johann Wolfgang von Goethe, dt. Dichter, 1749-1832)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#552 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Di 20. Jun 2017, 15:00

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Oder meinst du, Mell würde die entsprechenden Bibelstellen nicht kennen, die eindeutig für die Naherwartung sprechen?
Nein - auch hier gilt: Aber WAS ist die Gottesherrschaft? - Das ist doch die Frage, über die Dissenz besteht.

Das hat die Forschung doch klar herausgearbeitet.

"Erwartung der Gottesherrschaft für die Zukunft:
Greifbar ist dieser Strang in Einträgen in Prophetenbücher (z.B. Jes 33; 24-27).
Er mündet in die Apokalyptik, in der die gegenwärtige Welt unter ganz negati-
vem Vorzeichen gesehen und das Kommen der Gottesherrschaft als Erscheinen
einer neuen Welt erwartet wird. Die Erwartung der Gottesherrschaft kann in
den verschiedenen Texten unterschiedlich entfaltet werden. Folgende Zusam-
menhänge lassen sich nennen (B.HEININGER):
– Entmachtung Satans,
– endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft,
– Sammlung Israels und Übergabe der Herrschaft an Israel,
– Kommen einer neuen Welt, sei sie diesseitig oder transzendent vorgestellt."

Wirken und Sendung Jesu – Grundzüge der Botschaft des NT, Häfner
Der Begriff »»Gottesherrschaft« und sein alttestamentlich-frühjüdischer Hintergrund

Möglicherweise hat der "endzeitliche Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft" die Römer alarmiert und sie sahen sich zum Handeln gezwungen. Die genaue Anklage bleibt aber im Unklaren.
Ob Jesus für sich selbst einen Posten in der neuen Ordnung beanspruchte, ist umstritten und wird meist negativ beantwortet, so auch von Mell.

Interessant ist auch mal zu lesen, wie das messianische Judentum die Naherwartung einordnet:

"Die Naherwartung bedeutete für die ersten
Christen einen ungeheuren Motivationsschub für das kraftvolle Ausleben und die
Ausbreitung ihres Glaubens. Sie lebten in der Erwartung, dass der Messias zu ihren Lebzeiten wiederkäme u
nd sie deshalb nicht sterben würden. Auch Paulus stellte dies den Thessalonichern in Aussicht:
...
Es ist von entscheidender Bedeutung sich bewusst zu machen, an wen Jesus seine so genannten Endzeitreden richtete. Sie waren an
seine Jünger gerichtet. Nicht an eine zukünftige Generation von Gläubigen, sondern an die erste. Und genau diese ersten Jünger sollten all
das beherzigen und erleben, was er ankündigte. Sie meinte er, als er von Verfolgungen und Drangsalen sprach. Sie meinte er, als er die Zeichen des Gerichts und der Ankunft des Menschensohnes erläuterte.
Es ist unredlich, diese Worte Jesu auf eine irgendwann in der Zukunft lebende Generation von Gläubigen in aller Welt zu projizieren. Denn davon ist nicht die Rede."

Jüdisch Messianischer Lehrdienst
DAS UNGELÖSTE PROBLEM DER NAHERWARTUNG
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#553 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Di 20. Jun 2017, 17:29

sven23 hat geschrieben:Das läßt sich aber nur anhand der Quellen ermitteln
JA - genau so. - Aber was hat das mit Interpretation zu tun???

sven23 hat geschrieben:Soooo viel war das ja auch nicht.
Doch - schon. - Aber das sieht man nicht, wenn man alles, was das Christentum ausmacht, Paulus zuschiebt.

sven23 hat geschrieben:selbst die Systematische Theologie gesteht die Diskrepanz zwischen kirchlicher Überlieferung und historischem Geschehen ein.
Du verstehst es einfach nicht - und auf dieser Basis feierst Du fröhliche Urständ.

sven23 hat geschrieben:Sie muss gar nichts. Sie untersucht Quellen nach der historisch-kritischen Methode.
Also muss sie doch - nämlich sich an die Grundlagen der HKM halten. - Du bringst es fertig, Dich in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen diametral zu widersprechen.

sven23 hat geschrieben:Das kritisch bedeutet, dass ein Unterschied zwischen historischem Geschehen und Überlieferung vermutet wird.
Ähm - ja. - Aber "historisches Geschehen" basiert eben ebenfalls auf Überlieferung. - Halten wir fest: Die HKM hat eine gut durchdachte Methodik, es auf ihre Weise zu versuchen.

sven23 hat geschrieben:Ich weiß jedenfalls, dass es in der historischen Forschung nicht um theologische Wunschkonzerte geht.
Gut erkannt, aber bei weitem nicht ausreichend.

sven23 hat geschrieben:Das hat die Forschung doch klar herausgearbeitet.
Jetzt vermengst Du aber mit der Apokalypse. - Jesus meint mit "Nähe des Gottesreichs" NICHT die Apokalypse.

sven23 hat geschrieben:Jüdisch Messianischer Lehrdienst DAS UNGELÖSTE PROBLEM DER NAHERWARTUNG
Immerhin spricht der Lehrdienst von "ungelöst" - das ist weise.

sven23 hat geschrieben:Gehe mal davon aus, dass die Ergebnisse der Forschung von Spezialisten ermittelt wurden.
Oja - diesbezüglich hat mich Tiedje(?) am meisten beeindruckt - aber davon hört man nichts in den von Dir zitierten Passagen anderer.

sven23 hat geschrieben:Goethe
Goethe war ein großer Geist, der aus guten Gründen nichts mit der Kirche anfangen konnte - sein Weg zu Gott war ein anderer. - Im übrigen: Was hat Dein Zitat hier zu suchen?

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#554 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von Pluto » Di 20. Jun 2017, 17:39

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das läßt sich aber nur anhand der Quellen ermitteln
JA - genau so. - Aber was hat das mit Interpretation zu tun???
Nichts. Wenn man die Quellen hat, ist Interpretation überflüssig.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Goethe
Goethe war ein großer Geist, der aus guten Gründen nichts mit der Kirche anfangen konnte - sein Weg zu Gott war ein anderer.
Er konnte schreiben, aber ob bei seiner Herumhurerei wirklich den Weg zu Gott gesucht hat, bezweifle ich.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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sven23
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#555 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Di 20. Jun 2017, 19:12

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das läßt sich aber nur anhand der Quellen ermitteln
JA - genau so. - Aber was hat das mit Interpretation zu tun???
Du verwechselst Interpretation mit Eisegese und Vergewaltigung der Texte.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Soooo viel war das ja auch nicht.
Doch - schon. - Aber das sieht man nicht, wenn man alles, was das Christentum ausmacht, Paulus zuschiebt.
Nur das, was auf Paulis Kappe geht. Du tust ja gerade so, als sei das nicht mal innerhalb der Theologie ein Diskussionspunkt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:selbst die Systematische Theologie gesteht die Diskrepanz zwischen kirchlicher Überlieferung und historischem Geschehen ein.
Du verstehst es einfach nicht - und auf dieser Basis feierst Du fröhliche Urständ.
Was ist an der Diskrepanz zwischen historischem Geschehen und kirchlicher Überlieferung nicht zu verstehen? :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Sie muss gar nichts. Sie untersucht Quellen nach der historisch-kritischen Methode.
Also muss sie doch - nämlich sich an die Grundlagen der HKM halten. - Du bringst es fertig, Dich in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen diametral zu widersprechen.
Unsinn, dass die Forschung die HKM anwendet, weil sie die Standardauslegungsmethode ist, wurde schon 1000 mal gesagt. Das Schlimme bei dir ist, dass du immer wieder hinter gewonnene Erkenntnisse zurückfällst und man wieder bei Adam und Eva anfangen muss. So ist auch erklärbar, dass du 26000 Beiträge gebraucht hast, um die Naherwartung zu kapieren. Ob du sie wirklich kapiert hast, ist noch mit einem Fragezeichen zu versehen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das kritisch bedeutet, dass ein Unterschied zwischen historischem Geschehen und Überlieferung vermutet wird.
Ähm - ja. - Aber "historisches Geschehen" basiert eben ebenfalls auf Überlieferung. - Halten wir fest: Die HKM hat eine gut durchdachte Methodik, es auf ihre Weise zu versuchen.
Das ist der Unterschied zur Kanonik, die die Texte als vom Heiligen Geist inspiriert und irrtumsfrei voraussetzt. Soviel zu deinen Setzungen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ich weiß jedenfalls, dass es in der historischen Forschung nicht um theologische Wunschkonzerte geht.
Gut erkannt, aber bei weitem nicht ausreichend.
Aber der unabdingbare Garant dafür, die Texte nicht duch eigene ideologische Projektionen zu verhunzen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das hat die Forschung doch klar herausgearbeitet.
Jetzt vermengst Du aber mit der Apokalypse. - Jesus meint mit "Nähe des Gottesreichs" NICHT die Apokalypse.
Woher hast du dein "Wissen"?
Bestimmt nicht aus der Forschung. Jesus war Endzeitprophet und Apokalyptiker. Neu war bei ihm, dass er das Gottesreich zeitlich für so nahe herbeigekommen sah, dass es schon zu wirken begann. Die Vollendung mußte unmittelbar bevorstehen. Deshalb seine Mahnung zur Umkehr.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Jüdisch Messianischer Lehrdienst DAS UNGELÖSTE PROBLEM DER NAHERWARTUNG
Immerhin spricht der Lehrdienst von "ungelöst" - das ist weise.
Das "ungelöst" bezieht sich auf die nach 2000 Jahren noch nicht eingetroffene Naherwartung.
Aus das wichtige gehst du natürlich wieder nicht ein, denn der Dienst spricht ganz klar von Unredlichkeit, die Texte umzudeuten. (oder sich nur bestimmte Stellen rauszupicken, Anm. des Verfassers)

" Es ist von entscheidender Bedeutung sich bewusst zu machen, an wen Jesus seine so genannten Endzeitreden richtete. Sie waren an
seine Jünger gerichtet. Nicht an eine zukünftige Generation von Gläubigen, sondern an die erste. Und genau diese ersten Jünger sollten all
das beherzigen und erleben, was er ankündigte. Sie meinte er, als er von Verfolgungen und Drangsalen sprach. Sie meinte er, als er die Zeichen des Gerichts und der Ankunft des Menschensohnes erläuterte.
Es ist unredlich, diese Worte Jesu auf eine irgendwann in der Zukunft lebende Generation von Gläubigen in aller Welt zu projizieren. Denn davon ist nicht die Rede."



closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Gehe mal davon aus, dass die Ergebnisse der Forschung von Spezialisten ermittelt wurden.
Oja - diesbezüglich hat mich Tiedje(?) am meisten beeindruckt - aber davon hört man nichts in den von Dir zitierten Passagen anderer.
Das war doch der mit den Glaubenspropagandaschriften. Sein Versuch, anhand er Qumranrollen das Matthäusevangelium älter zu datieren, war ein Schuss in den Ofen. Es taugt halt nichts, wenn Gläubige ihre Ideologie in wissenschaftliche Arbeit einzuschleusen versuchen.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Goethe
Goethe war ein großer Geist, der aus guten Gründen nichts mit der Kirche anfangen konnte - sein Weg zu Gott war ein anderer. - Im übrigen: Was hat Dein Zitat hier zu suchen?
Goethe ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein hochgeistiger Mann wegen religiöser Mythen seinen Verstand nicht komplett über Bord wirft. Wie wir inzwischen wissen, waren seine Zweifel durchaus berechtigt.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#556 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von fin » Di 20. Jun 2017, 20:47

-- Mythen und Legenden --

sven23 hat geschrieben: Goethe ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein hochgeistiger Mann wegen religiöser Mythen seinen Verstand nicht komplett über Bord wirft. Wie wir inzwischen wissen, waren seine Zweifel durchaus berechtigt.
Die jüdische Gemeinschaft scheint das nicht zu kümmern ...

sven23 hat geschrieben: Wie kommt man eigentlich auf das schmale Brett, religiöse Texte würden die historische Wahrheit widerspiegeln, nur weil es religiöse Texte sind?
Du sagst :D es, zur Erinnerung ...

Die jüdische Bewegung hat sich auf diese Weise einen (ganzen) Staat konstruiert und rechtfertigt seit Tag/Jahr die Landnahme Palästinas aufgrund ihrer Mythen und Legenden, wie ein Geschichtsforscher aus den eigenen Reihen aufdeckte!


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#557 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Di 20. Jun 2017, 21:43

Pluto hat geschrieben:Wenn man die Quellen hat, ist Interpretation überflüssig.
Das ist schlicht falsch. - Quellen sprechen nie für sich selbst, sondern nur in der Interpretation. - Das ist doch der Grund, warum zu unserer Zeit die HKM in der Philologie nur als Quellengeber genutzt wurde: "Dort ist folgender Text zu finden, in dem folgendes ... steht - jetzt interpretiert ihn mal, dazu sind wir nicht da".

So wie die HKM hier in der Theologie zitiert wird, ist die HKM eine überwiegend interpretative Einrichtung - ähnlich wie die christlichen Exegesen.

Pluto hat geschrieben:Er konnte schreiben, aber ob bei seiner Herumhurerei wirklich den Weg zu Gott gesucht hat, bezweifle ich.
Hat er - dazu gibt es Unmengen an Zitaten und Facharbeiten. - Nur ein Satz:
"Goethe war weder ein Religionsverächter noch ein religiöser Mensch im konfessionellen Sinn. In einem Brief an Sulpiz Boisserée vom 22.März 1831 schreibt er, er habe "keine Konfession gefunden, zu der ich völlig hätte bekennen mögen." Stattdessen übte er schon früh Kritik an den positiven Formen geoffenbarter Religion und der Kirche und hielt sich schon in der Jugend an die Vorstellung einer natürlichen Religion, nach der ein höheres ordnendes Wesen nur in der Natur verborgen spürbar sei" (U.Homann).

Achtung: Das ist NICHT Pantheismus. - Goethe sagt damit nicht, Gott sei die Natur, sondern die Natur sei das, in der sich Gott offenbare.

sven23 hat geschrieben:Du verwechselst Interpretation mit Eisegese und Vergewaltigung der Texte.
Wieder einmal völlig haltloses Zeug. - Im Grunde sagst Du damit, dass die großkirchlichen Theologien eisegetische Veranstaltungen seien. - Was soll man da sagen?

sven23 hat geschrieben:Du tust ja gerade so, als sei das nicht mal innerhalb der Theologie ein Diskussionspunkt.
Jede Rezeption Jesu ist ein Diskussionspunkt. - Und natürlich hat auch Paulus seine Pros und Contras - aber er ist auf der großen Schiene dem Denken Jesu verpflichtet. - Allerdings ist das ein Thema, das wir hier nicht professionell abhandeln können - wir sind hier mitten in großen Fachthemen, bei denen ein paar Semester Theologie-Studium nicht reichen. - Wir sollten uns nicht übernehmen.

sven23 hat geschrieben:Was ist an der Diskrepanz zwischen historischem Geschehen und kirchlicher Überlieferung nicht zu verstehen?
DU verstehst nicht, dass die historische Rezeption (= Quellen) und unsere Rezeption auch deshalb unterschiedlich sein können, weil wir heute im Abstand mehr verstanden haben KÖNNEN (genauso können wir auch weniger verstanden haben - schwer entscheidbar). - Du grenzt diesen hermeneutischen Prozess ("Hermeneutischer Zirkel") vollkommen aus.

Es ist nicht damit getan nachzuweisen, dass es in den frühen Rezeptionen etwa das Wort "Trinität" nicht gibt, und daraus zu schließen, dass es keine Trinität gibt ("Ätsch-bätsch: Steht nirgends drin") - das ist unsäglich naiv gedacht. - Und wenn Du jetzt sagst, dass Du von "Geschehen" und nicht von "Rezeption" sprichst: Was ist denn "Geschehen" anderes als Interpretation der Rezeptionen?

sven23 hat geschrieben:dass die Forschung die HKM anwendet, weil sie die Standardauslegungsmethode ist, wurde schon 1000 mal gesagt.
Was ist denn DAS schon wieder ein Ausweichmanöver? - Es ging hier darum - zu Deinem Verständnis anders formulier - , dass sich die HKM an ihrer Regeln halten MUSS, was in sich eine Einschränkung der Ergebnisoffenheit mit sich bringt, sobald es über den möglichen Ergebniskorridor der HKM hinausgeht.

sven23 hat geschrieben:Das ist der Unterschied zur Kanonik, die die Texte als vom Heiligen Geist inspiriert und irrtumsfrei voraussetzt. Soviel zu deinen Setzungen.
Davon abgesehen, dass "irrtumsfrei" etwas anderes bedeutet, als Du denken magst, ist es korrekt, dass die Kanonik andere Setzungen hat als die HKE.

sven23 hat geschrieben:Aber der unabdingbare Garant dafür, die Texte nicht duch eigene ideologische Projektionen zu verhunzen.
Wenn man Kubitza als Sprachrohr historisch-kritischer Forschung versteht, ist er das Beispiel schlechthin für ideologische Projektion. - Diese Gefahr gibt es also auf beiden Seiten.

sven23 hat geschrieben:Neu war bei ihm, dass er das Gottesreich zeitlich für so nahe herbeigekommen sah, dass es schon zu wirken begann. Die Vollendung mußte unmittelbar bevorstehen.
Tut es auch - aber doch nicht physisch im Sinne der Apokalypse.

Wir haben dieses Thema nun wirklich viele hunderte Seiten diskutiert - und Du hast diesbezüglich die Chance gehabt zu verstehen, wie die Theologie mehrheitlich dieses Thema beurteilt - und die Gründe dafür. - Das heißt nicht, dass Deine Version (= HKM) falsch ist, aber Du könntest doch wenigstens verstanden haben, warum die Theologie hier die HKM nicht folgt.

Für einen spirituell denkenden und lesenden Menschen ist der Fall klar - keine Naherwartung. - Trotzdem ist (mir inzwischen) nachvollziehbar, wie man auf Deine Version kommen kann. - Diese Differenz wird immer bestehen bleiben, weil sie mehr über den Leser aussagt als über die Quellen. - Diese beiden Arten von Leser wird es immer geben.

sven23 hat geschrieben:Aus das wichtige gehst du natürlich wieder nicht ein, denn der Dienst spricht ganz klar von Unredlichkeit, die Texte umzudeuten.
Ist das das Wichtigste? - Halten wir fest: Der Verfasser ist anderer Meinung als andere und nennt das unredlich. - Was ist damit gesagt?

sven23 hat geschrieben:Es taugt halt nichts, wenn Gläubige ihre Ideologie in wissenschaftliche Arbeit einzuschleusen versuchen.
Sorry - ich muss jetzt mal etwas härter werden: Deine Art, selbst anspruchsvollste Darstellungen von Theologen als "unredlich" oder "ideologisch" darzustellen, hat wirklich faschistoide Züge - und damit bist Du nicht allein.

"Verstehen" geht anders. - ICH versuche bspw. nicht nur die theologische HKM, sondern auch deren interpretative Spitzen zu VERSTEHEN. - Man überprüft, ob diese Interpretationen rein handwerklich erklärbar sind (ja, sind sie), und fragt sich dann, welche weltanschauliche Hermeneutik dahinter steht. - Dazu gehört auch das Einordnen von Äußerungen, denen nach es innerhalb der HKM keine weltanschauliche Hermeneutik gäbe - auch das ist eine interessante Äußerung. - Und daraus macht man sich dann ein Bild unserer Zeit, die solche Konstrukte gebiert - alles durchaus wertfrei gemeint.

Denn es HAT mit unserer Zeit zu tun, wie man geistige Texte interpretiert. - Hier nur ein wik-Text zu Gadamers Hermeneutik:
"Eine hermeneutische Regel ist, das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen zu verstehen. Die Bewegung des Verstehens läuft von einem zum anderen und wieder zurück, wobei das Verständnis von beidem erweitert wird (hermeneutischer Zirkel).

Etwas zu verstehen bedeutet, einem Text, Gesprächspartner oder Kunstwerk mit einer konkreten Erwartung entgegenzutreten und diese dann während des Eindringens in den Sinn des Gegenübers beständig zu revidieren. Diese Erwartung ist eine Vormeinung oder auch ein Vorurteil zum jeweiligen Thema. Zum Verständnis des Gegenübers genügt es nicht, dessen Sinn in die eigene Vormeinung zu integrieren. Vielmehr muss man den Willen aufbringen, die eigene Vormeinung auf Geltung und Herkunft zu überprüfen und in Bezug zum Sinn des Gegenübers zu setzen. Daraus erwächst eine die eigene Vormeinung und den Sinn des Gegenübers umfassende Wahrheit im Sinne einer Horizonterweiterung.

Dem Vorurteil kommt eine besondere Bedeutung zu. Zu unterscheiden ist ein Vorurteil im Sinne von Voreingenommenheit und Engstirnigkeit von einem Vorurteil im Sinne von Vormeinung, die zu erweitern man bereit ist. Durch die Aufklärung ist dieser Begriff negativ im Sinne eines unbegründeten Urteils belegt worden. Die moderne Wissenschaft der Aufklärung will alles vernünftig und vorurteilsfrei verstehen. Damit ist nicht die Überlieferung, sondern die Vernunft letzte Quelle der Autorität. Ihr werden andere Autoritäten untergeordnet. Doch absolute Vernunft ist unmöglich, da auch der freieste Geist begrenzt - weil menschlich - ist und somit von Vorurteilen beherrscht wird. Ein menschlicher - also begrenzter - Geist kann niemals eine allumfassende - also unendliche - Wahrheit erfahren oder begreifen.

Die Betonung von Vernunft und Freiheit in der Aufklärung führten zur Negativbelegung des Begriffs der Autorität in Verbindung mit blindem Gehorsam. Gerade aus Vernunft sollte man jemandem, der an Einsicht und Urteil überlegen ist, Autorität zubilligen. Autorität muss durch Anerkennung der Überlegenheit in Urteil und Einsicht erworben und kann nicht verliehen werden. Damit ist eine Autorität eine Wahrheitsquelle, während sie von der Aufklärung als Vorurteilsquelle diffamiert wurde. Jede Tradition (z. B. die Wirklichkeit der Sitten) entspringt der Überlieferung. Somit ist für Gadamer die Tradition oder auch Überlieferung von übergeordneter Autorität. Denn auch die Wissenschaft der Vernunft ist Entwicklung und Veränderung unterworfen. Damit ist sie Teil der Geschichte und somit einer Tradition unterworfen".


Versteht ein Kubitza (stellvertretend für seine Zunft) so etwas?

sven23 hat geschrieben:Goethe ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein hochgeistiger Mann wegen religiöser Mythen seinen Verstand nicht komplett über Bord wirft.
Viel zu flach:
"Goethe war weder ein Religionsverächter noch ein religiöser Mensch im konfessionellen Sinn. In einem Brief an Sulpiz Boisserée vom 22.März 1831 schreibt er, er habe "keine Konfession gefunden, zu der ich völlig hätte bekennen mögen." Stattdessen übte er schon früh Kritik an den positiven Formen geoffenbarter Religion und der Kirche und hielt sich schon in der Jugend an die Vorstellung einer natürlichen Religion, nach der ein höheres ordnendes Wesen nur in der Natur verborgen spürbar sei" (U.Homann).

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#558 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von Pluto » Mi 21. Jun 2017, 10:16

closs hat geschrieben:So wie die HKM hier in der Theologie zitiert wird, ist die HKM eine überwiegend interpretative Einrichtung - ähnlich wie die christlichen Exegesen.
Die HKM untersucht und kommt zu Schlussfolgerungen; sie interpretiert nicht. Die HKM sagt was die Evidenzen sagen, aber sie versucht nicht etwas in diese hineinzulesen. Ganz anders die spirituelle Exegese, die außer diverser spekulativer Interpretationen der Bibel nichts zu biete hat. Es ist ihr dabei wichtiger, dass die "Erzählung" stimmig ist, als das sich der Wahrheit zu nähern.

closs hat geschrieben:Nur ein Satz:
"Goethe war weder ein Religionsverächter noch ein religiöser Mensch im konfessionellen Sinn. In einem Brief an Sulpiz Boisserée vom 22.März 1831 schreibt er, er habe "keine Konfession gefunden, zu der ich völlig hätte bekennen mögen." Stattdessen übte er schon früh Kritik an den positiven Formen geoffenbarter Religion und der Kirche und hielt sich schon in der Jugend an die Vorstellung einer natürlichen Religion, nach der ein höheres ordnendes Wesen nur in der Natur verborgen spürbar sei" (U.Homann).
Das stimmt. Wenn er die höhere Ordnung in der Natur suchte, dann sieht es sehr nach "Spinozismus aus" (deus sive natura).

closs hat geschrieben:Achtung: Das ist NICHT Pantheismus. - Goethe sagt damit nicht, Gott sei die Natur, sondern die Natur sei das, in der sich Gott offenbare.
Genau das sagte auch Spinoza vor ihm. Genau das ist Pantheismus.

closs hat geschrieben:Es ist nicht damit getan nachzuweisen, dass es in den frühen Rezeptionen etwa das Wort "Trinität" nicht gibt, und daraus zu schließen, dass es keine Trinität gibt ("Ätsch-bätsch: Steht nirgends drin")
Doch genau so verhält es sich. Die Idee der Trinität entstand erst im Laufe des 4 Jahrhunderts, sozusagen als Mittel um den Monotheismus des Christentums zu erhalten.

closs hat geschrieben:Davon abgesehen, dass "irrtumsfrei" etwas anderes bedeutet, als Du denken magst, ist es korrekt, dass die Kanonik andere Setzungen hat als die HKE.
Irrtum.
Zum gefühlt tausendsten Mal: Die Kanonik setz; die HKM setzt NICHT.

closs hat geschrieben:Das heißt nicht, dass Deine Version (= HKM) falsch ist, aber Du könntest doch wenigstens verstanden haben, warum die Theologie hier die HKM nicht folgt.
Klar, sonst würde das theologische Konstrukt wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Der Schein muss bewahrt bleiben, koste es was es Wolle (und wenn die intellektuelle Redlichkeit dabei geopfert wird).

closs hat geschrieben:Für einen spirituell denkenden und lesenden Menschen ist der Fall klar - keine Naherwartung.
siehe oben.

closs hat geschrieben:Ist das das Wichtigste?
In der Tat: Die intellektuelle Redlichkeit ist in Wissenschaft das Wichtigste; wichtigerer als die "Story" die man spinnen möchte.

closs hat geschrieben:Deine Art, selbst anspruchsvollste Darstellungen von Theologen als "unredlich" oder "ideologisch" darzustellen, hat wirklich faschistoide Züge...
Was soll Theologie denn sonst sein, als Ideologie in Reinkultur.

closs hat geschrieben:Dem Vorurteil kommt eine besondere Bedeutung zu. Zu unterscheiden ist ein Vorurteil im Sinne von Voreingenommenheit und Engstirnigkeit von einem Vorurteil im Sinne von Vormeinung, die zu erweitern man bereit ist.
Wissenschaft untersucht das was in der Welt der Fall ist. Das heißt aber nicht, dass sie jeden Blödsinn widerlegen muss.

closs hat geschrieben:Durch die Aufklärung ist dieser Begriff negativ im Sinne eines unbegründeten Urteils belegt worden. Die moderne Wissenschaft der Aufklärung will alles vernünftig und vorurteilsfrei verstehen. Damit ist nicht die Überlieferung, sondern die Vernunft letzte Quelle der Autorität.
Ganz recht. Was ist daran falsch?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#559 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von fin » Mi 21. Jun 2017, 10:49

-- flacher noch als flach --

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Goethe ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein hochgeistiger Mann wegen religiöser Mythen seinen Verstand nicht komplett über Bord wirft.
Viel zu flach:

"Goethe war weder ein Religionsverächter noch ein religiöser Mensch im konfessionellen Sinn. In einem Brief an Sulpiz Boisserée vom 22.März 1831 schreibt er, er habe "keine Konfession gefunden, zu der ich völlig hätte bekennen mögen." Stattdessen übte er schon früh Kritik an den positiven Formen geoffenbarter Religion und der Kirche und hielt sich schon in der Jugend an die Vorstellung einer natürlichen Religion, nach der ein höheres ordnendes Wesen nur in der Natur verborgen spürbar sei" (U.Homann).

Goethe war ein eifersüchtiger Rationalist, der gerade solche Persönlichkeiten gering schätze, die das Wesenhafte (zb. der Natur) wirklich erspürt haben, siehe Hölderlin!

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#560 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Mi 21. Jun 2017, 11:24

Pluto hat geschrieben:Die HKM untersucht und kommt zu Schlussfolgerungen; sie interpretiert nicht.
Die HKM hat durch ihre kritisch-rationale Anbindung eine streng un-spirituelle Ausrichtung, die sie zwar rein sachliche Ergebnisse erbringen lassen kann, aber nicht mehr - insofern hättest Du recht. - Aber die Praxis ist in vielen Fällen anders - die Aussage "Jesus hatte eine Naherwartung" ist eine glasklare Interpretation.

Das ist an sich nicht zu kritisieren, allerdings dann doch zu kritisieren, wenn fälschlicherweise gemeint wird, es sei KEINE Interpretation.

Pluto hat geschrieben:Genau das sagte auch Spinoza vor ihm. Genau das ist Pantheismus.
Vielleicht irre ich mich: Ich habe bisher immer verstanden, dass beim Pantheismus Gott ein Produkt der Natur sei, also NICHT über der Natur steht. - Meint das Spinoza auch?

Pluto hat geschrieben:Doch genau so verhält es sich. Die Idee der Trinität entstand erst im Laufe des 4 Jahrhunderts, sozusagen als Mittel um den Monotheismus des Christentums zu erhalten.
Das Wort Trinität entstand damals - aber doch nicht als a-biblische Erfindung, sondern als theologische Zusammenfassung dessen, was in der Bibel steht.

Pluto hat geschrieben:Zum gefühlt tausendsten Mal: Die Kanonik setz; die HKM setzt NICHT.
Da irrst Du Dich - es stimmt einfach nicht.

Pluto hat geschrieben:Der Schein muss bewahrt bleiben, koste es was es Wolle (und wenn die intellektuelle Redlichkeit dabei geopfert wird).
Das scheint eine beliebte Verschwörungstheorie zu sein, die schwer rauszukriegen ist.

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