Naqual hat geschrieben:Marcion war kein Jude und ich nehme an, er sah nun gar nicht ein, warum die neue Religion sich noch groß auf das damalige Judentum stützen sollte.
Auf
dieser Seite hier steht das anders. Sie schreiben, Marcion kam "aus einer jüdischen Familie deren männliche Mitglieder durch Generationen Rabbiner waren".
Angenommen, es stimmt-- dann könnte man verstehen, warum Marcion sich von der durch seinen Vater vermittelten "Drohbotschaft" distanzierte und, wie Luther und Paulus.... die "
andere Seite" betonte.
Man muss ansonsten auch einfach sehen, dass die damals eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Schriften gehabt hatten und jede Auswahl durchaus gewisse Gründe gehabt hat.
Ja, schon.
Wenn ich von heute auf damals schließe, dann gab es eine Grüppchenbildung ("ich gehöre zu Apollos...") mit der Setzung von Schwerpunkten und der Bildung theologischer Traditionen.
Auch die "originalen" Apostel und Jünger missionierten und gewannen Anhänger. Von Paulus wissen wir, dass er mit rivalisierenden "Judenmachern" zu kämpfen hatte und vor Spaltungen warnte.
Petrus schrieb an Brüder, ebenfalls Johannes, Judas und Jakobus.
Ich vermute, es gab noch viel mehr "authentische" Schriftstücke, die leider nicht erhalten sind. Die Empfänger der Briefe kannten die Schreiber teilweise persönlich. Da bin ich schon zuversichtlich bezüglich der Sortierung und der Bewahrung/ Überlieferung relevanter Texte.
Warum z.B. der Brief des
Barnabas nicht in den Kanon aufgenommen wurde, leuchtet mir ein. Er ist nicht schlecht, er ist teilweise sogar recht deftig, und die dahinter stehende Absicht war sicherlich eine Gute. Aber insgesamt passt er wirklich nicht zu den anderen Briefen des NT.
Schon. Nur 200-300 Jahre später war es nicht mehr so recht nachzuvollziehen von wem nun eigentlich was tatsächlich kam.
Marcion lebte aber früher.
Jede Seite hatte das Problem eine Auswahl treffen zu müssen ohne diese Zeitzeugen zur Verfügung zu haben und ohne eine klare Kette des Weitertragens vorweisen zu können.
Wenn man sich mit den verschiedenen Strömungen im Christentum befasst und jemand fragt: "Was muß ich tun, um gerettet zu werden?" muß man sortieren, was heilsnotwendig ist. Meines Wissens wird
Joh. 3,16 von allen christlichen Kirchen akzeptiert. Um diesen Punkt herum ranken sich dann konfessionsspezifische Zusätze bzw. Betonungen, wobei manchmal leider Nebensächlichkeiten zur Hauptsache erhoben und Spaltungen/ theologische Endloskämpfe provoziert werden.
Wenn wir heute in dieser Weise analysieren können-- warum hätten die das früher nicht können sollen?
(Selbst die "Erbfolge" des Petrus ist zumindest für über 100 Jahre eher ein Mythos, statt historische belegt. Da gibt es für Historiker schon einige Ungereimtheiten)
Eine lückenlose Buchführung gibt es halt nicht.
Paulus vertrat die Ansicht, dass der Glaube selig mache, Jakobus vertrat die Ansicht Glaube und Werke.
Paulus meinte zwar, dass der Glaube sich auch in Werken äußert, letztere aber nicht selig machen. Für Jakobus war das anders.
Wenn ich das
Kapitel lese, finde ich eine deutliche Warnung vor Lippenbekenntnissen ohne Konsequenzen= ein "Glaubensbekenntnis als Freifahrtsschein für Gesetzlosigkeit". Aber Paulus hat Ähnliches geschrieben wie Jakobus, und zwar in
Röm. 2,25.
Es ist auch kein Zufall, wenn ein Martin Luther diese beiden Schriften am liebsten aus dem Kanon verbannt hätte.
Vielleicht hatte er ein Trauma.
Das könnte sogar sein: das gleiche Trauma wie Paulus: die Belastung durch Schuld. Beide hatten hiermit massiv zu kämpfen.
Hm.... ja, das könnte so sein.
Luther war ein Augustinermönch. Ein Katholik (ZJ oder Nachkomme sonstiger entschiedener, strenggläubiger Freikirchler), der das Evangelium (noch) nicht begriffen hat ist wie ein Jude, der das Gesetz halten
muß, aus Angst vor Strafe, oder wie ein Muslim, der befürchten muß, nicht genügend gute Taten getan zu haben und verdammt zu werden. Seine Beziehung zu Gott wird von Unsicherheit und Angst dominiert. Weil er nie wissen kann, ob sein Gott ihn nun akzeptiert oder nicht.
Wer aus einem System der Angst und Unfreiheit kommt, der muß es erst einmal lernen, mit der Freiheit richtig umzugehen.
Übrigens ist hier auch ein massiver Unterschied zum Judentum: für die waren die Werke entscheidend (nicht weil sie meinten perfekt sein zu können oder zu müssen). Der Glaube war "nur" die Ursache der Werke.
Aber so ist das bei den Christen doch auch. (?)
Der Jude betet tendenziell darum, dass seine guten Werke mehr sein mögen, wie seine schlechten. Die Aussage "wenn Du von den Werken her nicht vollkommen bist, dann bist Du verdammt" kannten die nicht.
Auch im AT wurde man durch Glauben, in der Bedeutung von "Vertrauen, Hingabe,
Treue" gerecht, das wußten die Israeliten vermutlich. Wenn sie es anders machten und einen Kuhhandel inszenierten, in der Absicht, Gott mit einigen Gemüseopfern der Marke "Kain" abzuspeisen und Ihn sozusagen zu bestechen, damit Er Ruhe gab und trotzdem segnete... dann gab's Zoff. - Wie in
1. Kön. 18.
Offenbar war Paulus von Petrus voll akzeptiert.
Mir ist jetzt gerade schleierhaft wie Du zu diesem Schluss kommst aus den Texten.
Die beiden kannten sich doch. Obwohl es Differenzen gegeben hatte, wobei Paulus möglicherweise nicht sonderlich höflich zu Petrus gewesen war, erwähnte Petrus, der "Oberapostel", der Augenzeuge Jesu... den einsamen Streiter und Quereinsteiger Paulus in positiver Weise: "Unser geliebter Bruder".... und demonstrierte geistliche Übereinstimmung mit ihm, trotzdem er konstatierte, manches in den Briefen des Paulus sei schwer zu verstehen.
Na ja.... die Petrusbriefe finde ich jetzt eigentlich
auch nicht leichter...
LG